Friedrich Borinski

Friedrich „Fritz“ Franz Peter Iwan Borinski (* 17. Juni 1903 in Berlin; † 4. Juli 1988 in Bremen) war ein deutscher Bildungswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung.

Leben und Tätigkeit

Jugend, Ausbildung und frühe Laufbahn

Borinski war ein Sohn des Rechtsanwaltes Alfred Borinski († 1912) und seiner Frau, geb. Fuchs. Die Eltern stammten aus jüdischen Familien traten aber vor der Heirat zur evangelischen Kirche über. 1919 zog die Familie nach Wernigerode um. Seit 1920 betätigte er sich bei den Jungdemokraten (bis 1923), in denen er dem freideutschen Flügel angehörte.

Nach dem Besuch eines Gymnasiums in Wernigerode am Harz studierte Borinski von 1921 bis 1927 Rechtswissenschaften, Soziologie und Geschichte in Leipzig, Halle und Jena. 1924 bestand er das 1. juristische Staatsexamen. Im selben Jahr beteiligte er sich an der Gründung des Leuchtenburgkreises.[1]

1927 promovierte Borinski mit einer Arbeit über Joseph Görres – die er dem Leuchtenburgkreis widmete – an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig zum Dr. jur. (Promotionsdatum 25. November 1927). Fünfzehn Jahre später wurde ihm der Doktorgrad mit Datum vom 21. September 1942 infolge der systematischen Depromovierung von politischen Emigranten unter dem NS-Regime durch die Leipziger Hochschule aberkannt.

Ab Januar 1928 leitete Borinski, der bereits seit 1923 Mitarbeiter der Leipziger Volkshochschule war, ein Bildungswohnheim für junge Arbeiter in Leipzig. Anschließend arbeitete er ab Herbst 1929 als Lehrer an der Heimvolkshochschule Sachsenburg bei Chemnitz.

Politisch gehörte Borinski seit 1928 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Deutschen Freischar an. In diesem Zusammenhang wirkte er von 1930 bis 1933 auch an der Neuen Blättern für den Sozialismus.

Von Herbst 1931 bis 1933 war Borinski als Assistent für Erwachsenenbildung von Theodor Litt am Seminar für freies Volksbildungswesen der Universität Leipzig beschäftigt.

Emigration und Zweiter Weltkrieg

Aufgrund der politischen Verhältnisse die nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland einkehrten wurde Borinski im Juli 1933 aufgrund seiner politischen Gesinnung und da er nach nationalsozialistischen Maßstäben als Jude galt 1933 aus dem Universitätsdienst entlassen. 1934 emigrierte er daraufhin nach Großbritannien, wo er seinen Lebensunterhalt durch die Erteilung von Deutschunterricht verdiente. Während der Jahre 1934 bis 1939 studierte er Soziologie an der London School of Economics.

Während seiner Jahre im Exil arbeitete Borinski mit Otto Strasser und Werner Milch. Außerdem machte er die Bekanntschaft Karl Mannheims. Wohl aufgrund der Zusammenarbeit mit Strasser rechneten die NS-Polizeiorgane ihn der Schwarzen Front zu.

Nach seiner Emigration wurde Borinski von den nationalsozialistischen Überwachungsorganen als Staatsfeind eingestuft: Um 1938 wurde er von den NS-Behörden ausgebürgert und seine Ausbürgerung im Reichsanzeiger öffentlich bekannt gegeben.[2] Im Frühjahr 1940 setzte das Reichssicherheitshauptamt in Berlin ihn dann auf die Sonderfahndungsliste G.B., ein Verzeichnis von Personen, die der NS-Überwachungsapparat als besonders gefährlich oder wichtig ansah, weshalb sie im Falle einer erfolgreichen Invasion und Besetzung der britischen Inseln durch die Wehrmacht von den Besatzungstruppen nachfolgenden Sonderkommandos der SS mit besonderer Priorität ausfindig gemacht und verhaftet werden sollten.

1940 wurde Borinski von den britischen Behörden, die ihn noch immer als deutschen Staatsangehörigen ansahen, als Enemy Alien in Gewahrsam genommen. Er wurde zeitweise nach Australien deportiert, wo er den Aufbau und die Leitung einer Lagerschule in einem Interniertenlager bei Sydney übernahm. 1941 durfte er schließlich nach Großbritannien zurückkehren.

1943 beteiligte Borinski sich – zusammen mit Werner Milch und Minna Specht – an der Gründung des German Educational Reconstruction Committee (G.E.R.) in London, das von der britischen Regierung mit der Planung für einen Neuaufbau des Bildungs- und Erziehungswesens in Deutschland nach dem Ende der NS-Diktatur beauftragt war. Von 1943 bis 1946 fungierte er zudem als Sekretär dieses Gremiums. Einige seiner Thesen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der britischen Militärregierung umgesetzt. Außerdem arbeitete er an der politischen Bildung deutscher Kriegsgefangener in Großbritannien mit. So organisierte er Kurse und hielt Vorträge vor diesen.

Nachkriegszeit

Von 1946 bis 1947 war Borinski Tutor beim Bildungszentrums für Kriegsgefangene Wilton Park. In dieser Position arbeitete er u. a. mit Waldemar von Knoeringen zusammen.

Im April 1947 kehrte Borinski nach Deutschland zurück, wo er sich in der Britischen Besatzungszone niederließ. In den folgenden drei Jahrzehnten erwarb er den Ruf eines der wichtigsten Protagonisten der Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Erwachsenenbildung in Deutschland.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland übernahm Borinski von 1947 bis 1954 die Position des Leiters der Heimvolkshochschule Göhrde bei Lüneburg. Ebenfalls 1947 wurde Borinski Mitglied des Kulturausschusses beim Parteivorstand der SPD, dem er bis 1965 angehörte. 1954 wechselte Borinski von Göhrde nach Bremen, wo er bis 1956 die dortige Bremer Volkshochschule leitete.

1953 bis 1965 gehörte Borinski dem Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen an. In dieser Position wirkte er an Empfehlungen und Gutachten mit, die dazu beitrugen, dass die Erwachsenenbildung in Deutschland zu einem anerkannten Teil des gesamten Bildungswesens wurde.

1956 wurde Borinski Ordinarius für Erziehungswissenschaften/Erwachsenenbildung an der Freien Universität Berlin. Diesen Posten behielt er bis zu seiner Emeritierung 1970 bei. Seit 1968 amtierte er zudem als Vorsitzender des Berliner Komitees für UNESCO-Arbeit. Zuvor hatte er von 1951 bis 1965 dem Kuratorium des UNESCO-Instituts für Pädagogik in Hamburg angehört.

Zusätzlich zu seiner Hochschultätigkeit bekleidete Borinski in den 1950er und 1960er Jahren zahlreiche Posten im Bereich der Erwachsenenbildung und gehörte zahlreichen Gremien in diesem Bereich an: So war er Senatsbeauftragter für Erwachsenenbildung (1954), Vorstand des Gesamteuropäschen Studienwerkes (1954–1960), Senatsbeauftragter für politische Bildungsarbeit (1960–1963), Mitglied des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (1963–1968), Leiter der Abteilung für Erwachsenenbildung des Erziehungswissenschaftlichen Instituts und Mitglied im Deutschen Bildungsrat (1967–1969).

Seit dem Kriegsende legte Borinski zahlreiche Schriften und Aufsätze zu Themen des Bildungs- und Erziehungswesens vor. Sein bekanntestes Werk, Der Weg zum Mitbürger, erschien 1954. In diesem distanziert er sich von der in der Weimarer Republik dominierenden Staatsbürgerkunde, die er aufgrund ihres statischen Staatsbildes und ihres konservativen und autoritären Erziehungsziels ablehnt. Als Alternative plädiert er in seinem Buch für eine „mitbürgerliche Bildung“, die auf den „ganzen Menschen“ und das „ganze Leben“ zielen soll und dabei immer auch politische Bildung sein soll.

In den Jahren 1973 bis 1982 war Borinski für die Volkshochschule Baden-Baden tätig.

Borinskis Nachlass, der siebzehn Kartons umfasst, wird heute vom Schulenburg Institut verwahrt.[3]

Familie

Seit 1945 war Borinski mit Maja Kahn verheiratet.

Schriften

  • Joseph Görres und die deutsche Parteibildung, Leipzig 1927.
  • Jugendbewegung. The Story of German Youth 1896–1933, London 1945. (mit W. Milch) (auf Deutsch 1967 und 1982)
  • Der Weg zum Mitbürger. Die politische Aufgabe der freien Erwachsenenbildung in Deutschland, Düsseldorf-Köln 1954 (Digitalisat).
  • Marxismus-Leninismus. Geschichte und Gestalt,. 1961 (Mitverfasser)
  • Die Wissenschaft und die Gesellschaft, 1963. (Mitverfasser)
  • Die Bildung aktiver Minderheiten als Ziel demokratischer Erziehung, in: kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 3 (1965), S. 528ff.
  • Gesellschaft, Politik, Erwachsenenbildung – Dokumente aus vier Jahrzehnten, 1969.
  • Freie Universität Berlin 1956–1972, in: Josef Gerhard Farkas (Hrsg.): Festschrift für Michael de Ferdinandy zum 60. Geburtstag, Wiesbaden 1972, S. 228–245.
  • Arbeiterbildung im Leipzig der zwanziger Jahre, in: Anne-Marie Fabian: Arbeiterbewegung, Erwachsenenbildung, Presse, Köln/Frankfurt 1977, S. 11–24.
  • Zur Geschichte des Leuchtenburgkreises, in: Ders. (Hrsg.): Jugend im politischen Protest, Frankfurt a. M. 1977, S. 15–97.
  • The German Volkshochschule. An Experiment in Democratic Adult Education under the Weimar Republic, herausgegeben, eingeleitet und mit Annotationen und einem prosopographischen Anhang versehen von Martha Friedenthal-Haase, 2014. (postum)

Literatur

Sekundärliteratur:

  • Martha Friedenthal-Haase/ Tetyana Kloubert: „Erwachsenenbildung und Demokratie. Zu einem unveröffentlichten Manuskript von Fritz Borinski aus dem britischen Exil 1944/45“, in: Bildung und Erziehung, 62 (2009) 1, S. 37–52.
  • Siegfried Mielke (Hrsg.) unter Mitarbeit von Marion Goers, Stefan Heinz, Matthias Oden, Sebastian Bödecker: Einzigartig – Dozenten, Studierende und Repräsentanten der Deutschen Hochschule für Politik (1920–1933) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Lukas-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-86732-032-0, S. 403 (Kurzbiographie).
  • Josef Olbrich: „Fritz Borinski – Vita und Werk. Von der Praxis zur Wissenschaft der Erwachsenenbildung“, in: Franz-Josef Jelich/ Robert Haußmann (Hrsg.): Fritz Borinski. Zwischen Pädagogik und Politik – ein historischer Rückblick, Recklinghausen 2000, S. 11–33.
  • Sabine Andresen: Fritz Borinski, in: Barbara Stambolis (Hrsg.): Jugendbewegt geprägt. Essays zu autobiographischen Texten von Werner Heisenberg, Robert Jungk und vielen anderen. V & R Unipress, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8471-0004-1, S. 161–172 (auch auf Google Scholar).
  • Wolfgang Sander/ Peter Steinbach: Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1449) Bonn 2014.

Einträge in Nachschlagewerken:

  • Konrad Feilchenfeldt (Hrsg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert. Biographisches-Bibliographisches Handbuch, Bd. 3 (Blaas-Braunfels), München und Zürich, S. 432f.
  • Wer ist Wer?: Das Deutsche Who's Who, 1974, S. 103.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Mehr hierzu bei Sabine Andresen: Fritz Borinski
  2. Michael Hepp/Hans Georg Lehmann: Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, 1985, S. 575.
  3. Nachlass Prof. Dr. Fritz Borinski.