Friedo Lampe

Moritz Christian Friedrich Lampe (genannt Friedo) (* 4. Dezember 1899 in Bremen; † 2. Mai 1945 in Kleinmachnow) war ein deutscher Schriftsteller, Bibliothekar und Verlagslektor.

Biografie

Lampe war der Sohn des Versicherungskaufmanns Friedrich Lampe und Anna Lampe, beide hatten zwei Söhne. Er verbrachte seine Jugendjahre in Bremen-Walle und ab 1914 am Osterdeich 86 in einer neuen Jugendstilvilla der Familie. Wegen einer Kindheitserkrankung (Knochentuberkulose) war er von 1905 bis 1907 in dem Kindersanatorium Dr. Schlicht auf Norderney; eine leichte Gehbehinderung war die Folge. Er besuchte von 1907 bis 1919 eine private Volks- und dann die Oberrealschule Dechanatsstraße (Handelsschule Bremen). Im Ersten Weltkrieg war er 1917/18 beim Militärersatzdienst im E/Res. Inf. Regiment Nr. 75.
Er studierte von 1920 bis 1928 Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Heidelberg, der Universität Leipzig, der Universität München und der Universität Freiburg, wo er 1928 über Goeckingks Lieder zweier Liebenden zum Doktor der Philosophie promovierte.

Zurück in Bremen arbeitete er für den Schünemann Verlag, u. a. als Mitarbeiter von Schünemanns Monatsheften. Nachdem Lampe während der Weltwirtschaftskrise entlassen worden war, ließ er sich bei Erwin Ackerknecht an der staatlichen Büchereischule in Stettin zum Volksbibliothekar ausbilden, als welcher er 1932 bei den Hamburger Öffentlichen Bücherhallen angestellt wurde.

Ab 1934 lebte Lampe in Berlin. Als Autor gehörte er einem Kreis an, der im Hause des jüdischen Arztes Lothar Luft zusammenkam (die Gebrüder Joachim Maass und Edgar Maass gehörten ebenso dazu wie Martin Beheim-Schwarzbach und, von München aus, Wilhelm Emanuel Süskind). 1937 trat er als Lektor in den Berliner Verlag seines Bremer Landsmannes Ernst Rowohlt ein und war nach Gleichschaltung des Verlags Lektor sowohl bedeutender Schriftsteller wie u. a. Hans Fallada als auch für Debütanten wie Heinrich Goertz für die Verlage Goverts, Diederichs und Henssel tätig. Er war mit Horst Lange und Oda Schaefer befreundet, denen er gern vorlas.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er 1944/45 dienstverpflichtet im Seehaus des Außenamtes in Wannsee. Im Krieg ausgebombt, kam er schließlich bei der von ihm lektorierten Autorin Ilse Molzahn in Kleinmachnow unter, wo er am 2. Mai 1945 von sowjetischen Soldaten erschossen wurde, die in ihm wahrscheinlich einen SS-Mann vermuteten, weil er dem Foto in seinem Wehrpass nicht mehr ähnlich sah. Er wurde in einem Kriegsgrab als Volkssturmmann auf dem Waldfriedhof Kleinmachnow bestattet.[1]

Literarischer Werdegang und Rezeption

Sein erstes Buch Am Rande der Nacht wurde kurz nach seinem Erscheinen im Oktober 1933 von den Nazis beschlagnahmt und eingezogen, weil er in ihm u. a. eine Liebesbeziehung zwischen einer bremischen Hausfrau und einem Schwarzen angedeutet sowie relativ offen homosexuelle Neigungen dargestellt hatte. Die Ballade Das dunkle Boot (1936) und der zweite Roman Septembergewitter (1937) konnten zwar unbehelligt erscheinen, blieben aber weitestgehend unbeachtet. Der Band Von Tür zu Tür. Zehn Geschichten und eine, 1944 fertiggestellt, konnte erst posthum (1946) ausgeliefert werden. So wird Lampes Klage verständlich: „Ich habe eben immer Pech mit meinen Büchern.“

In der Bundesrepublik erging es seinen Werken lange kaum besser. Obwohl Kollegen wie Hermann Hesse, Wolfgang Koeppen, Alfred Andersch, Hans Bender, Heinz Piontek und Peter Härtling wiederholt nachdrücklich auf Lampe hinwiesen, konnten die beiden Ausgaben des Gesamtwerks (1955, 1986) lediglich schleppenden Absatz verzeichnen. Das hat sich erst mit der neuen, von der Friedo-Lampe-Gesellschaft veranlassten kritischen Edition geändert, die seit 1999, dem 100. Geburtstag des Autors, im Göttinger Wallstein Verlag beheimatet ist und seit 2002 in drei Einzelbänden vollständig vorliegt (sie wurden von dtv zunächst auch als Taschenbuchausgabe angeboten). Den Anstoß dafür gaben die von Johannes Graf zu Beginn der 1990er Jahre festgestellten, teils erheblichen textlichen Abweichungen der beiden Kurzromane von den Erstausgaben im nach dem Krieg erschienenen Gesamtwerk (1955 u. 1986). Inzwischen liegen beide Romane – unter Berücksichtigung der im Deutschen Literaturarchiv verwahrten Manuskripte – in den Druckfassungen von 1933 und 1937 vor, zudem sind sämtliche Erzählungen, Gedichte und Texte aus dem Nachlass in den ursprünglichen Fassungen in der Neuausgabe von Von Tür zu Tür. Phantasien und Capriccios gebündelt worden. In den 2018 von Thomas Ehrsam vorgelegten zwei Bänden mit den Briefen und Zeugnissen sind erstmals auch Lampes kritische Schriften zu Literatur und Kunst sowie seine so knappen wie klugen Nachworte enthalten.

1997 erinnerte Patrick Modiano in seinem Roman Dora Bruder an den Autor von Am Rande der Nacht. Auch das akademische Interesse an dem aus Bremen gebürtigen Schriftsteller ist in den letzten Jahren stetig gewachsen, und zu den älteren französischen und niederländischen Übersetzungen sind italienische Versionen der beiden Romane getreten, liegen inzwischen auch englische[2] und spanische Fassungen von Am Rande der Nacht vor. 2020 erschien bei Wallstein die erste umfassende Lebensschilderung von Johann-Günther König: Friedo Lampe. Eine Biographie.[3]

Lampe, der sich in der griechisch-römischen Antike ebenso gut auskannte wie im 18. und 19. Jahrhundert, aber auch mit der Literatur des Fin de Siècle und der internationalen Moderne vertraut war, ordnete sich dem magischen Realismus zu (den er selbst bei Goethe aufzuspüren meinte). Lyrisch dichte, rhythmisierte und atmosphärisch angereicherte Prosa und regional eingefärbte umgangssprachliche Dialoge wechseln sich ab. Er verwendete in seinen Werken häufig eine an den Film angelehnte Darstellungstechnik: Schnitte, Schwenks, Überblendungen.[4]

Ehrungen

  • Der Friedo-Lampe-Weg in Bremen-Oberneuland wurde nach ihm benannt.
  • In Bremen wirkte von 1995 bis 2012 die Friedo-Lampe-Gesellschaft e.V.

Werke

  • Am Rande der Nacht. Berlin: Rowohlt, 1934; Göttingen: Wallstein, 1999, 2022, hg. von Johannes Graf, ISBN 3-89244-391-2.
  • Das dunkle Boot. Hamburg: Dulk, 1936
  • Septembergewitter. Berlin [u. a.]: Rowohlt 1937; Göttingen: Wallstein, 2001, 2022, hg. von Jürgen Dierking, ISBN 978-3-89244-449-7.
  • Von Tür zu Tür. Hamburg: H. Goverts, 1944 und Claassen & Goverts, 1946 (Digitalisat).
  • Das Gesamtwerk. Hamburg: Rowohlt, 1955, hg. von Johannes Pfeiffer; Reinbek: Rowohlt, 1986, mit einem Nachwort von Jürgen Dierking und Johann-Günther König
  • Von Tür zu Tür. Phantasien und Capriccios. Göttingen: Wallstein, 2002, 2022, hg. von Johann-Günther König (ohne Septembergewitter; dafür mit allen Geschichten, Gedichten und Texten auch aus dem Nachlass).
  • Briefe und Zeugnisse in 2 Bänden, hrsg. von Thomas Ehrsam, Göttingen, Wallstein 2018, ISBN 978-3-8353-3150-1 (enthält erstmals die gesamte überlieferte Korrespondenz Friedo Lampes).

Herausgeberschaft

  • Lebendiges 18. Jahrhundert. Bremen [u. a.]: Rot und Schwarz Drucke, 1933
  • Das Land der Griechen. Berlin: Die Waage, 1940
  • In der Deutschen Reihe (Jena: Diederichs, 1943/44) versah er die Hefte Nr. 122, 124, 126, 128, 131, 133, 140, 142, 143 und 144 jeweils mit einem Nachwort:
    • Franz Grillparzer: Der arme Spielmann.
    • Wilhelm Hauff: Phantasien im Bremer Ratskeller.
    • Joseph Freiherr von Eichendorff: Eine Meerfahrt.
    • Marie von Ebner-Eschenbach: Die Freiherren von Gemperlein.
    • Karl Postl (Sealsfield): Das Blockhaus am Red River.
    • Ulrich Braeker: Des Geißhirten erste Liebe.
    • Heinrich von Kleist: Der Zweikampf.
    • Achim von Arnim: Wunder im Alltag.
    • Johann Wolfgang von Goethe: Der Prokurator/Die Verwirrung des jungen Ferdinand/Der ertrunkene Knabe.
    • Jeremias Gotthelf: Die Wassernot im Emmenthal.

Adaptionen

Hörspiel

Film

Literatur

  • Hans Dieter Schäfer: Am Rande der Nacht. Moderne Klassik im Dritten Reich. Frankfurt/M., Wien: Ullstein, 1984
  • Badoux, Eugène: Friedo Lampe. Une psychobiographie. Lausanne: Editions L’Age d’Homme, 1986
  • Brössel, Stephan: Filmisches Erzählen. Typologie und Geschichte. Berlin/Boston: De Gruyter 2014/2017, S. 221–228
  • Michael Scheffel: Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Bestimmung. Tübingen: Stauffenberg, 1990
  • Doris Kirchner: Doppelbödige Wirklichkeit. Tübingen: Stauffenberg, 1993
  • Friedo Lampe, 1899–1945, Leben und Werk eines bremischen Schriftstellers. Bremen [u. a.]: Achilla Presse, 1995, ISBN 3-928398-31-8
  • Friedo-Lampe-Gesellschaft (Hrsg.): Ein Autor wird wiederentdeckt. mit Beiträgen von Jürgen Dierking, Elisabeth Emter, Johannes Graf und Johann-Günther König, Göttingen: Wallstein, 1999, ISBN 3-89244-407-2
  • Christian Klein: Schreiben im Schatten. Homoerotische Literatur im Nationalsozialismus. Mit einem Vorwort von Gert Mattenklott. Hamburg: MännerschwarmSkript 2000, S. 150–161
  • Annette Hoffmann: Friedo Lampe: Idyllen auf „vulkanischem Grund“. Erzählen im Stil des Magischen Realismus während des Dritten Reichs. Dissertation, Universität Freiburg, 2002
  • Hans Dieter Schäfer: Moderne im dritten Reich. Kultur der Intimität bei Oskar Loerke, Friedo Lampe und Helmut Käutner, Mainz: Akademie der Wissenschaften und der Literatur, 2003
  • Philipp Zechner: Rückblick von außen: 'Am Rande der Nacht' von Friedo Lampe. Magisterarbeit, Universität Frankfurt am Main, 2004
  • Markus Drescher: Viele Geschicke weben neben dem meinen, durcheinander spielt sie alle das Dasein. Friedo Lampe und Wolfgang Koeppen. Diplomarbeit, Universität Bamberg, 2006
  • Teresa Haider: Komposition in Moll. Die Darstellung der Wirklichkeit in Friedo Lampes Roman „Am Rande der Nacht“. Magisterarbeit, Universität Wien, 2007
  • Jürgen Klein: „Nachrichten aus meiner Bibliothek No.3 Friedo Lampe, Am Rande der Nacht (1933)“, in: Flandziu, N. F., Jg. 7 (2015), Heft 2, S. 227–243.
  • Johann-Günther König: Friedo Lampe. Eine Biographie. Göttingen: Wallstein 2020, ISBN 978-3-8353-3754-1.
  • Johann-Günther König: Anders als die anderen. In: Weser Kurier vom 13. November 2021.

Übersetzungen

  • Friedo Lampe: Au bord de la nuit. Traduit de l’allemand et présenté par Eugène Badoux (Lausanne: Editions L’Age d’Homme, 1970)
  • Friedo Lampe: Bij het vallen van de duisternis. Onweer in september. Vertaling en nawoord dor Martin Mooij (Leiden: Tango, 1974)
  • Friedo Lampe: Orage de septembre. Traduit de l’allemand et présenté par Eugène Badoux (Lausanne: Editions L’Age d’Homme, 1976)
  • Friedo Lampe: Au bord de la nuit. Traduit de l’allemand et présenté par Eugène Badoux, préface de Daniel Rondeau (Paris: éditions 10/18, 1987), ISBN 2-264-01025-8
  • Friedo Lampe: Orage de septembre. Traduit de l’allemand et présenté par Eugène Badoux, préface de Daniel Rondeau (Paris: éditions 10/18, 1987), ISBN 2-264-01024-X
  • Friedo Lampe: Ai margini della notte A cura di Giovanni Nadiani (Faenza: Mobydick, 2001), ISBN 88-8178-168-9
  • Friedo Lampe: Temporale a settembre. A cura di Giovanni Nadiani (Faenza: Mobydick, 2002), ISBN 88-8178-232-4
  • Friedo Lampe: At the Edge of the Night. Translated from the German by Simon Beattie (London, Hesperetus, 2019)
  • Friedo Lampe: Al hilo des la noche. Inedita en Espanol Miguel Ángel Álvarez y Max Lacruz. (Madrid, Editorial Funambulista)

Einzelnachweise

  1. Dazu: Johann-Günther König: Friedo Lampe : Eine Biographie. Göttingen: Wallstein, 2020, ISBN 978-3-8353-3754-1
  2. Alison Flood: Acclaimed German novel banned by Nazis gets first English translation. In: The Guardian. 23. Januar 2019, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 23. Januar 2019]).
  3. Christian Schröder: Opposition und Mitläufertum – Durchbeißen in wölfischen Zeiten, tagesspiegel.de, 16. März 2021, abgerufen am 27. März 2021.
  4. Stephan Brössel: „Zeichen der Doppelbödigkeit: Filmisches Erzählen als Funktion des Magischen Realismus bei Friedo Lampe“. In: Moritz Baßler/David Ayers/Sascha Bru/Benedikt Hjartarson/Ursula Frohne. (Hrsg.): Realism(s) of the Avant-Garde (= European Avant-Garde and Modernism Studies. Band 6). De Gruyter, Berlin/Boston 2020, ISBN 978-3-11-063702-1, S. 209–222.
  5. Pressemitteilung von Radio Bremen zu Septembergewitter. 29. September 2003. Aufgerufen am 17. Juli 2012.