Flussmorphologie

Verzweigter Flusslauf des Río Paraná in Argentinien

Die Flussmorphologie (von altgriechisch μορφήmorphḗ „Gestalt“, „Form“ und λόγοςlógos „Wort“, „Lehre“, „Vernunft“) ist eine Geowissenschaft, die sich mit der Entstehung und den Gestaltungsvorgängen von Flüssen befasst, und ein Spezialgebiet der Geomorphologie sowie der allgemeinen Flusskunde (Potamologie) darstellt. Die Morphologie ist die Lehre von Oberflächenformen und die Geomorphologie untersucht die physischen Aspekte der Erdoberfläche, sie konzentriert sich auf die Kräfte und Vorgänge, welche das Relief der Erde formten und formen. Die Flussmorphologie beschränkt sich dabei auf die Umgestaltung des Flussbettes. Die Wissenschaft der Flussmorphologie beschreibt die Ausformung, Gestalt und Struktur des Gewässerbettes. Das Erscheinungsbild der Fließgewässer und die Vielfalt an morphologischen Strukturen wird durch die Abfluss- und Feststoffdynamik gestaltet. Die Änderung der Flussmorphologie erfolgt in deutlich kürzeren Zeitabschnitten als die der Geomorphologie, welche auf geologische Zeiten bezogen sind.

Bettbildung

Flüsse sind dynamische und prägende Landschaftsbestandteile. Sie stehen in ständiger Interaktion mit ihrer Umgebung.[1] Das Flussbett und die Aue werden durch das Abflussgeschehen und den davon abhängigen Feststofftransport maßgeblich beeinflusst.[2] Die Abflüsse der Fließgewässer schwanken im Jahresverlauf. Das Abflussregime variiert sowohl saisonal als auch aufgrund der geographischen Lage des jeweiligen Flussabschnitts. So führen Schnee- und Gletscherschmelze sowie Regenereignisse zu höheren Abflüssen. Die Abflussgröße ist ein maßgeblicher Faktor für den sehr komplexen Vorgang der Bettbildung. Hochwässer verändern die Flussmorphologie wesentlich, auch bordvolle Abflüsse können das Gewässerbett modifizieren. Das Flussbett und das Flusstal wird durch den wechselnden Strömungsangriff entwickelt.[1][2] Morphodynamische Veränderungsprozesse in Form von Erosion und Akkumulation gestalten fortwährend das Gewässerbett. Feststoffe wie Geschiebe und Schwebstoffe kommen erst ab einem gewissen Abfluss in ständige Bewegung. Das Erreichen der kritischen Schubspannung führt zur Abtragung von Bodenmaterial an der Gewässersohle und dem Ufer. Diese Vorgänge werden als Sohl- und Seitenerosion bezeichnet. Der übergeordnete Feststoffhaushalt beeinflusst die Gestalt und die Struktur von Flussbetten sehr stark.[3][2] Die Fließgewässer formen aktiv das Relief und die Gestalt ihres Einzugsgebiets. Gleichzeitig wird auch das Erscheinungsbild der Flüsse durch das Umland verändert.[4]

Laufentwicklung

Die Linienführung der Fließgewässer ist eine wesentliche Komponente der Flussmorphologie. Sie variiert je nach Gewässerabschnitt aufgrund der unterschiedlichen geologischen und geomorphologischen Gegebenheiten.[5] Der Raum, in dem Fließgewässer sich bewegen, wird als Pendelbandbreite bezeichnet. Die Ausdehnung des Migrationskorridors ist von dem Abfluss, der Substratzusammensetzung und dem Längsgefälle abhängig.[6]

Morphologische Flusstypen

Amazonas-Gebiet in Bolivien: Der gewundene Flusslauf des Amazonas zeichnet sich durch einen ständigen Wechsel von Prallhang und Gleitufer mit Abtrag und Ablagerung (Erosion und Sedimentation) aus.

Die Morphologie von Flüssen weist ein breites Spektrum auf. Die unterschiedlichen morphologischen Flusstypen reichen von mäandrierenden und ruhig fließenden Tieflandsflüssen über stark verzweigte Fließgewässer bis hin zu kaskadenartig abstürzenden, hochturbulenten Gebirgsflüssen.[7] Die Flussmorphologie wird durch die naturräumlichen Merkmale des Einzugsgebiets des Fließgewässers – wie Topographie, Geologie, Tektonik, Vegetation und Klima – sowie durch die davon abhängigen fluvialen Prozesse und Flussgenesen bestimmt.[1][7][8] Flussabschnitte zeichnen sich durch annähernd gleiche naturräumliche Rahmenbedingungen aus und sie können daher einem morphologischen Flusstyp zugeordnet werden. Der morphologische Flusstyp beschreibt die Geometrie des Gewässers in Form von Längs- und Querprofil sowie Grundriss. Bei der Einordnung spielt auch die Umgestaltungsdynamik im Flussbett und innerhalb des Gewässerumlandes im Hochwasserfalle eine Rolle. Neben der Gewässerbettmorphologie werden bei der Typisierung die Abfluss- und Feststoffdynamik ebenso wie die longitudinale und die laterale Konnektivität (Längsdurchgängigkeit und Quervernetzung zwischen Fluss und Aue) betrachtet.[9]

Die Morphologie der Fließgewässer kann anhand der Laufform in drei verschiedene Flusstypen mit gestreckten, verzweigten und gewundenen Gewässerläufen unterschieden werden.[10][4]

Gestreckte Flüsse

Gestreckter Flusslauf des Sambesi

Gerade verlaufende Flüsse im geometrischen Sinne kommen in der Natur nicht vor. Als gestreckte Gerinne bezeichnet man daher Flüsse, die eine sehr kleine Flussentwicklung und somit eine große Streckung aufweisen. Flüsse fließen selten länger als das Zehnfache ihrer Gerinnebreite geradeaus. Die Streckung eines Gerinnes wird im Wesentlichen durch ein starkes Sohlgefälle oder eine geomorphologisch bedingte Einengung des Flusslaufes durch seitliche Talhänge bestimmt.[10] Natürlich kommen sie bei harten Gesteinen in Tallagen von Gebirgen wie Klamm und Kerbtal vor.[2] Anzutreffen sind die Gebirgsflüsse beispielsweise in alpinen Regionen mit steilem Gefälle und bei einer bestimmten Geländetopografie. Dabei pendelt der Talweg von einer Flussseite zur anderen.[4] Durch Tiefen- und Seitenerosion sowie Hangrutschungen weisen die alpinen Flüsse eine hohe Feststofffracht auf.[11]

Verzweigte Flüsse

Verzweigte Wildflusslandschaft des Tagliamento: Die Flussmorphologie des Alpenflusses ist durch eine Abfolge von schnell und langsam fließenden Abschnitten (alternierende "Riffle-Pool-Sequenzen") gekennzeichnet.

Verzweigte Flüsse entstehen bei einem mittleren bis starken Gefälle. Der Feststoffhaushalt ist durch Transferprozesse mit hohem Geschiebetrieb charakterisiert. Bei verzweigten Flüssen ist das Fehlen einer begrenzenden Uferlinie typisch. Das Ufer variiert aufgrund der zahlreichen Umlagerungsprozesse ständig.[10] Der aktive Flussquerschnitt zeichnet sich durch eine vergrößerte Breite aus. Das Verhältnis zwischen Flussbreite und Wassertiefe ist groß, wobei das Verhältnis zwischen Wassertiefe und Korndurchmesser nur gering ist. Zahlreiche Rinnen gliedern dabei das Flussbett. Die Rinnen trennen sich unregelmäßig und fließen wieder zusammen.[4] Hochwasserereignisse führen zur Veränderung des Rinnensystems. Zwischen den Rinnen entwickeln sich im Zuge der Umlagerungsdynamik bei höheren Abflüssen (HQ) meist vegetationslose Schotterbänke und Inseln, die permanent in ihrer Lage und Form verschoben werden.[10] Auf diesen extremen Standorten kann sich temporär eine Pioniervegetation einstellen, welche bei Hochwasserereignissen durch die Strömung ständig entfernt wird. Es besteht kein fester Talweg.[4]

Gewundene / mäandrierende Flüsse

Die Flusslandschaft des argentinischen Rio Negro mit zahlreichen Mäandern und Altarmen

Gewundene Flussstrecken werden auch Flussmäander genannt. Der Flusstyp zeichnet sich durch ein geringes Verhältnis zwischen Flussbreite und Wassertiefe aus. Dabei besteht ein großes Verhältnis zwischen Wassertiefe und Korndurchmesser. Dieser Flusstyp bildet sich bei einem geringen Gefälle und einer niedrigen Fließgeschwindigkeit in flachen Talauen aus. Eine einzige tiefe Rinne bildet das Gewässerbett. Der lange Talweg ist in Richtung Prallhang (Außenufer) verlagert. Flussmäander entfalten sich frei in ihrem Schwemmland (Alluvium) und Talmäander entwickeln sich aufgrund des Geländereliefs.[4]

Literatur

  • Joachim Mangelsdorf, Karl Scheurmann: Flußmorphologie: Ein Leitfaden für Naturwissenschaftler und Ingenieure. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Wien 1980, ISBN 3-486-23311-4.
  • Geoffrey Petts, C. Amoros: Fluvial Hydrosystems. Chapman & Hall, 2011, ISBN 978-94-010-7166-6.
  • Heinz Patt (Hrsg.): Fließgewässer- und Auenentwicklung: Grundlagen und Erfahrungen. 2. Auflage. Springer Vieweg, 2016, ISBN 978-3-662-48448-7.
  • Heinz Patt: Naturnaher Wasserbau: Entwicklung und Gestaltung von Fließgewässern. 5. Auflage. Springer Vieweg, 2018, ISBN 978-3-658-22477-6.
  • Mathias Jungwirth, Gertrud Haidvogl, Otto Moog, Susanne Muhar, Stefan Schmutz: Angewandte Fischökologie an Fließgewässern. Facultas Universitätsverlag, UTB, Wien, 2003, ISBN 3-8252-2113-X.
  • Friedrich Schaffernak: Grundriss der Flussmorphologie und des Flussbaues. Springer-Verlag, 1950, ISBN 978-3-211-80168-0.

Einzelnachweise

  1. a b c Theodor Strobl, Franz Zunic: Wasserbau: Aktuelle Grundlagen – Neue Entwicklungen. Springer, 2006, ISBN 978-3-540-22300-9, S. 82, 91.
  2. a b c d Heinz Patt, Peter Jürging: Fließgewässer- und Auenentwicklung: Grundlagen und Erfahrungen. Hrsg.: Heinz Patt. 2. Auflage. Springer Vieweg, 2016, ISBN 978-3-662-48448-7, S. Pos. 812 (Kindle).
  3. Helmut Habersack: Feststoffhaushalt, Flussmorphologie, ökologischer Zustand und Hochwasserschutz. (PDF) Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus, abgerufen am 30. Mai 2019.
  4. a b c d e f Helmut Habersack: SED_AT Feststoffhaushalt, Sedimenttransport und Flussmorphologie im Rahmen des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans. Endbericht. (PDF) Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW), September 2014, abgerufen am 30. Mai 2019.
  5. Peter Jürging: Fließgewässer- und Auenentwicklung: Grundlagen und Erfahrungen. Hrsg.: Peter Jürging, Heinz Patt. Springer, Berlin, Heidelberg 2005, S. 10 f.
  6. Heinz Patt, Peter Jürging: Fließgewässer- und Auenentwicklung: Grundlagen und Erfahrungen. Hrsg.: Heinz Patt. 2. Auflage. Springer Vieweg, 2016, ISBN 978-3-662-48448-7, S. Pos. 826 (Kindle).
  7. a b Mathias Jungwirth, Gertrud Haidvogl, Otto Moog, Susanne Muhar, Stefan Schmutz: Angewandte Fischökologie an Fließgewässern. Facultas Universitätsverlag, UTB, Wien 2003, ISBN 978-3-8252-2113-3, S. 69–70.
  8. Gewässermorphologie, Hydraulik. Bayerisches Landesamt für Umwelt, abgerufen am 30. Mai 2019.
  9. Mathias Jungwirth, Gertrud Haidvogl, Otto Moog, Susanne Muhar, Stefan Schmutz: Die Ebene der Flussabschnitte – Der morphologische Flusstyp. In: Angewandte Fischökologie an Fließgewässern. Facultas Universitätsverlag, UTB, Wien 2003, ISBN 978-3-8252-2113-3, S. 76–81.
  10. a b c d Joachim Mangelsdorf, Karl Scheurmann: Flußmorphologie: Ein Leitfaden für Naturwissenschaftler und Ingenieure. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, Wien 1980, ISBN 978-3-486-23311-7, S. 109–111.
  11. Michael Hütte: Ökologie und Wasserbau. Vieweg+Teubner Verlag, Berlin, Wien 2000, S. 27 f.

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Tagliamento, braided channels at Cornino.jpg
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The braided channels of Tagliamento river in Cornino (province of Udine)
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Features: RIO NEGRO, COLONEL JOSEFA AREA, FLOOD PLAIN

Center Point Latitude: -39.8 Center Point Longitude: -65.4
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The Zambezi River near Victoria Falls
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IMG_9241
Paraná River Floodplain, Northern Argentina.jpg
This astronaut photograph shows a 29-kilometre stretch of the Paraná, downstream of the small city of Goya, Argentina (just off the top left of the image).

The Paraná River ranges up to 3 kilometres wide along the reach illustrated in this image. The main channel is deep enough to allow smaller ocean-going ships to pass north to the capital city of Asunción, Paraguay, fully 1,200 kilometres inland and well out of the image.

The river’s dark brown shading indicates a heavy load of muddy sediment; smaller side channels also carry this mud. Numerous lakes are typical on active floodplains, and appear here as irregular bodies of water. Some appear brown, indicating that they probably have been refilled during recent rises and floods of the active channels.

The Paraná floodplain occupies the entire image; it is so wide—18 kilometres in this view—that its banks are not visible. Numerous curved, meandering channels are the most prominent characteristic of the floodplain, indicating prior positions of the river and its channels. As riverbeds move laterally by natural processes, they leave remnants of their channels, which appear as lakes and finally fill with mud. This is an excellent image for illustrating these meander forms.

From a geological standpoint, it is interesting that almost all of the old channels are similar in curvature to today’s side channels. However, almost none of them seem to show prior positions of the main, wide Paraná channel.