Flossenbürg-Hauptprozess

Der Geistliche Lelere, ehemaliger Flossenbürg-Häftling, sagt am 21. Juni 1946 im Flossenbürg-Hauptprozess aus. Rechts sitzt der Dolmetscher Fred Stecker.

Der Flossenbürg-Hauptprozess war ein Kriegsverbrecherprozess der United States Army in der amerikanischen Besatzungszone am Militärgericht in Dachau. Dieser Prozess fand vom 12. Juni 1946 bis zum 22. Januar 1947 im Internierungslager Dachau statt, wo sich bis Ende April 1945 das Konzentrationslager Dachau befunden hatte. In diesem Prozess waren 52 Personen angeklagt, denen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem KZ Flossenbürg und dessen Nebenlagern zur Last gelegt wurden. Das Verfahren endete mit 40 Schuldsprüchen. Offiziell wurde der Fall als United States of America vs Friedrich Becker et al. – Case 000-50-46 bezeichnet. Dem Flossenbürg-Hauptverfahren schlossen sich 18 Nebenverfahren mit 42 Angeklagten an, die ebenfalls im Rahmen der Dachauer Prozesse stattfanden.[1]

Rechtsgrundlagen und Anklage

Die rechtliche Basis des Verfahrens bildeten die „Rules of Military Gouverment Courts“ ausgehend von den Erlässen des Military Government.[2]

Inhalt der Anklageschrift war die „Verletzung der Kriegsgebräuche und -gesetze“ während des Zeitraums vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 in Flossenbürg und den Außenlagern an nicht-deutschen Zivilisten und Kriegsgefangenen verübt worden waren. Verbrechen von deutschen Tätern an deutschen Opfern blieben lange ungesühnt und wurden in der Regel erst später vor deutschen Gerichten verhandelt. Die Angeklagten wurden zudem beschuldigt, im Rahmen eines gemeinsamen Vorgehens (Common Design) an Misshandlungen und Tötungen nicht-deutscher Zivilisten und Kriegsgefangener rechtswidrig und vorsätzlich teilgenommen zu haben.[3]

Der Prozess wurde am 12. Juni 1946 vor dem Militärgericht eröffnet. Die Anklagevertretung unter dem Hauptankläger William D. Denson bestand aus mehreren amerikanischen Offizieren und stützte sich auf die Untersuchungsergebnisse amerikanischer Ermittler, die im Rahmen des War Crimes Program Verbrechen im Zusammenhang mit dem KZ Flossenbürg dokumentiert hatten. Den Angeklagten wurden Rechtsbeistände gestellt. Da die Gerichtssprache Englisch war, mussten Dolmetscher auf Englisch und Deutsch zwischen dem Gericht und den Angeklagten übersetzen. Nach Verlesung der Anklageschrift plädieren die Angeklagten sämtlich auf „nicht schuldig“.[4]

Gegen einen Beschuldigten wurde die Anklage zurückgezogen. Bei sechs weiteren Beschuldigten wurden am 17. Dezember 1946 auf die Fortführung des Strafverfahrens verzichtet (unter ihnen der Namensgeber des Prozesses Friedrich Becker); von denen mussten sich jedoch vier, darunter der Lagerarzt Heinrich Schmitz, in den folgenden Nebenprozessen verantworten. Den verbleibenden 45 überwiegend deutschen Angeklagten wurde mehrheitlich die Vernachlässigung sowie Misshandlung und Tötung von Häftlingen, insbesondere auf den Todesmärschen, vorgeworfen. Unter den Angeklagten befanden sich überwiegend Angehörige der SS und Waffen-SS. Zudem waren über 15 Funktionshäftlinge beziehungsweise ehemalige Insassen beschuldigt. Diese mehrheitlich „kriminellen“ Kapos füllten in Flossenbürg wichtige Funktionen innerhalb des Lagers aus, die in anderen Konzentrationslagern mit sogenannten „politischen“ Funktionshäftlingen besetzt waren.[5]

Am 22. Januar 1947 wurden durch den Vorsitzenden des Militärgerichts die Urteile verkündet. Neben 15 Todesurteilen wurden elf lebenslange und 14 zeitliche Haftstrafen verhängt. Fünf der Angeklagten wurden freigesprochen. Nach Überprüfungsverfahren wurden drei Todesurteile auf lebenslange Haftstrafen reduziert und die anderen Urteile bestätigt. Die Verurteilten wurden in das Kriegsverbrechergefängnis Landsberg überführt. Die Todesurteile wurden am 3. und 15. Oktober 1947 durch den Strang in Landsberg vollstreckt.[6]

Die 45 Urteile im Einzelnen

AngeklagterRangFunktionUrteil
Konrad BlombergSS-Obersturmführer und KriminalobersekretärLeiter der Politischen AbteilungTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Christian MohrSS-UnterscharführerKommandoführerTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Ludwig SchwarzSS-HauptsturmführerLeiter des Außenlagers HersbruckTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Bruno SkierkaSS-UntersturmführerLeiter einer WachkompanieTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Albert RollerSS-SturmscharführerLeiter des Außenlagers LengenfeldTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Erhard WolfSS-Rang unbekanntBlock- und Kommandoführer, Leiter des LagergefängnissesTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Josef WurstSS-RottenführerWachmannschaft AußenlagerTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Cornelius SchwannerSS-HauptscharführerKommandoführer der Außenlager Johanngeorgenstadt und ObertraublingTodesurteil, hingerichtet am 15. Oktober 1947
Josef HauserFunktionshäftlingKapoTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Christian EisbuschFunktionshäftlingKapoTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
Willi OlschewskiFunktionshäftlingKapoTodesurteil, hingerichtet am 3. Oktober 1947
August GinschelFunktionshäftlingBlockältesterTodesurteil, hingerichtet am 15. Oktober 1947
Wilhelm BruschSS-OberscharführerLeiter des Außenlagers WolkenburgTodesurteil, reduziert auf lebenslange Haftstrafe
Karl KeilingSS-SturmscharführerWachmannschaftTodesurteil, reduziert auf lebenslange Haftstrafe
Alois SchubertSS-ObersturmführerDirektor der MesserschmittfabrikTodesurteil, reduziert auf lebenslange Haftstrafe
Ludwig BuddensiegSS-HauptsturmführerKommandeur des Wachbataillonslebenslange Haftstrafe
Johann GeisbergerSS-HauptscharführerBlockführerlebenslange Haftstrafe
Michael GelhardSS-RottenführerBlock-, Kommando und Hundeführerlebenslange Haftstrafe
Erich MußfeldtSS-OberscharführerRapportführerlebenslange Haftstrafe
Hermann PachenSS-ObersturmführerLeiter eines Evakuierungsmarscheslebenslange Haftstrafe
Otto PawliczekSS-OberscharführerBlock- und Kommandoführerlebenslange Haftstrafe
Erich PenzSS-SturmmannWachmannschaft, Hundeführerlebenslange Haftstrafe
Josef PinterSS-RottenführerWachmannschaft, Hundeführerlebenslange Haftstrafe
Alois JakubithFunktionshäftlingKapolebenslange Haftstrafe
Karl MathoiFunktionshäftlingLagerältester und Kapolebenslange Haftstrafe
Georg WeilbachFunktionshäftlingzweiter Lagerältester und Kapolebenslange Haftstrafe
Raymond MaurerFunktionshäftlingKapo30 Jahre Haftstrafe
Gerhard HauboldSS-OberscharführerWachmann im Lagergefängnis20 Jahre Haftstrafe
Eduard LoschSS-Rang unbekanntKommandoführer20 Jahre Haftstrafe
Walter ReupschSS-UnterscharführerLagerapotheker20 Jahre Haftstrafe
Kurt Erich SchreiberSS-HauptscharführerKommandoführer, Ausbilder der Rekruten20 Jahre Haftstrafe
Hermann SommerfeldSS-ObersturmführerLeiter eines Evakuierungsmarsches15 Jahre Haftstrafe
August FahrnbauerSS-OberscharführerArbeitsdienstführer und stellvertretender Lagerleiter des Nebenlagers Plattling15 Jahre Haftstrafe
Peter BongartzFunktionshäftlingOberkapo im Nebenlager Hersbruck15 Jahre Haftstrafe
Walter Paul Adolf NeyeFunktionshäftlingBlockältester15 Jahre Haftstrafe
Hans Johann LipinskiFunktionshäftlingKapo10 Jahre Haftstrafe
Gustav MatzkeFunktionshäftlingKapo Messerschmitt-Fabrik10 Jahre Haftstrafe
Karl GräberSS-OberscharführerWachmannschaft10 Jahre Haftstrafe
Franz BergerSS-SturmbannführerKommandant des Wachbataillons3,5 Jahre Haftstrafe
Joseph BeckerSS-Rang unbekanntWachmannschaft Aussenlager Wolkenburg1 Jahr Haftstrafe
Karl ButtnerFlossenbürg-HäftlingBlockältesterFreispruch
Karl Friedrich Alois GieselmannFlossenbürg-HäftlingunbekanntFreispruch
Georg HoinischFlossenbürg-HäftlingunbekanntFreispruch
Theodor RetzlaffFlossenbürg-HäftlingunbekanntFreispruch
Peter HerzunbekanntunbekanntFreispruch

Nebenprozesse

Auf dem Flossenbürg-Hauptverfahren basierten weitere 18 Nebenprozesse in denen sich 42 Beschuldigte, darunter mindestens elf Funktionshäftlinge, wegen Kriegsverbrechen im KZ Flossenbürg und dessen Nebenlagern verantworten mussten. Diese Nebenprozesse, in denen gegen einen bis zu sieben Beschuldigte verhandelt wurde, fanden von Juni 1947 bis Dezember 1947 ebenfalls im Internierungslager Dachau statt. Neben 24 Haftstrafen, darunter acht lebenslängliche, und sieben Freisprüchen wurden elf Todesurteile ausgesprochen, von denen sechs vollstreckt wurden.[7]

Literatur

  • Robert Sigel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948. Campus, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-593-34641-9.
  • Ute Stiepani: Die Dachauer Prozesse und ihre Bedeutung im Rahmen der alliierten Strafverfolgung von NS-Verbrechen. In: Gerd R. Ueberschär: Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Fischer, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-13589-3.
  • Review and Recommendations of the Deputy Judge Advocate for War Crimes: United States of America v. Friedrich Becker et al. – Case 000-50-46 Originaldokument Flossenbürg-Hauptprozess 21. Mai 1947 (englisch, PDF-Datei; 9,71 MB)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Robert Sigel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948. Frankfurt am Main 1992, S. 107f.
    Flossenbürg -Hauptprozess: Review and Recommendations of the Deputy Judge Advocate for War Crimes: United States of America v. Friedrich Becker et al. – Case 000-50-46, 21. Mai 1947.
  2. Vgl. Robert Sigel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948. Frankfurt am Main 1992, S. 36.
  3. Vgl. Flossenbürg -Hauptprozess: Review and Recommendations of the Deputy Judge Advocate for War Crimes: United States of America v. Friedrich Becker et al. – Case 000-50-46, 21. Mai 1947.
  4. Vgl. Flossenbürg -Hauptprozess: Review and Recommendations of the Deputy Judge Advocate for War Crimes: United States of America v. Friedrich Becker et al. – Case 000-50-46, 21. Mai 1947, S. 2f.
  5. Vgl. Robert Sigel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948. Frankfurt am Main 1992, S. 108.
  6. Flossenbürg-Hauptprozess/Urteile auf jewishvirtuallibrary.org
  7. Vgl. Flossenbürg-Hauptprozess und Nebenprozesse
    Robert Sigel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–1948. Frankfurt am Main 1992, S. 109.

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Father Lelere, a former prisoner, testifies at the trial of former camp personnel and prisoners from Flossenbuerg. On the right is Fred Stecker, a court interpreter.