Festungshaft
Die Festungshaft (im frühen 19. Jahrhundert in Preußen auch Festungsarrest, in Österreich von etwa 1880 bis in die Zwischenkriegszeit Staatsgefängnis genannt) war eine erleichterte Form der Freiheitsstrafe. Festungshäftlingen billigte man eine ehrenhafte Gesinnung zu. Die Festungshaft wurde daher auch als Ehrenhaft bezeichnet. Sie war eine custodia honesta (lateinisch für „ehrenhafter Gewahrsam“) ohne Ehrverlust und Arbeitszwang. Als Freiheitsstrafe stand sie neben Zuchthaus und Gefängnisstrafe und wurde vorwiegend bei politischen Straftaten oder gegen Duellanten verhängt. Die Schweiz kannte diese Strafform nie.
Der Ort der Festungshaft war meist eine Festung, doch konnte diese Form der Freiheitsentziehung auch an anderen Orten verbüßt werden.
Im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland wurde die „Festungshaft“ 1953 durch die „Einschließung“ ersetzt, die wiederum zum 1. April 1970 im Zuge der Großen Strafrechtsreform der nun eingeführten Freiheitsstrafe wich. In Österreich sah der 1930 vorliegende Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch diese Strafart nicht mehr vor. Er trat jedoch durch die politischen Entwicklungen der Folgezeit nie in Kraft. Als 1945 das geltende österreichische Strafrecht neu publiziert wurde (StG 1945), wurden zahlreiche als obsolet betrachtete oder durch die zwischenzeitliche Gesetzgebung förmlich aufgehobene Artikel des Strafgesetzbuches von 1852 weggelassen, darunter auch die Festlegungen zur Festungshaft.[1]
Festungshaft und Festungsstrafe in Preußen
Im Preußen des 19. Jahrhunderts war die Festungshaft von der Festungsstrafe zu unterscheiden. Zur Festungsstrafe wurden nur Unteroffiziere und Mannschaften verurteilt. Ihre Behandlung war schlechter als im Zuchthaus. Festungssträflinge verbüßten ihre Strafe in Massenzellen auf Festungen, wo sie in Gruppen die niedrigsten und schmutzigsten Arbeiten zu verrichten hatten. Sie mussten auf Pritschen schlafen und wurden selbst bei geringsten Anlässen körperlich gezüchtigt.[2] Im Jahr 1872 ersetzte diese Strafe eine reine Gefängnisstrafe.
Im Gegensatz dazu galt die Festungshaft als ehrenvolle Strafe. Sie konnte gegen Offiziere und Angehörige der höheren, gebildeten Schichten verhängt werden. Die Orte für die Festungshaft hießen spätestens ab den 1870er Jahren Festungs-Stubengefangenen-Anstalten. Eine dieser Anstalten befand sich 1878 bis 1909 auf der Festung Ehrenbreitstein, auf der Festungshäftlinge schon in den 1830er Jahren nachgewiesen sind. Nach der Auflösung dieser Anstalt gab es noch folgende Orte zur Verbüßung der Festungshaft in Preußen: die Festungen Weichselmünde bei Danzig und Magdeburg für Unteroffiziere, Mannschaften und untere Militärbeamte, die Festung Glatz für Offiziere des Gardekorps sowie des I. bis VI. und des XVII. Armeekorps und schließlich die Festung Wesel für Offiziere der übrigen Armeekorps.
Die Festungshäftlinge in Preußen standen unter Beaufsichtigung ihrer Lebensführung und unter Bewachung, durften aber Tabak und alkoholische Getränke genießen und Besuch empfangen. Tägliche Bewegung an der freien Luft war gestattet. Um 1900 war es sogar möglich, vom Festungskommandanten Ausgang in die Stadt und von der Staatsanwaltschaft Urlaub zu erhalten, der jedoch nicht als Teil der Haftzeit gerechnet wurde.
Duellanten wurden in der Regel zu Festungshaft verurteilt, da das Duell zwar offiziell verboten, faktisch aber toleriert wurde. In der Regel erfuhren Duellanten zudem meist eine frühzeitige Begnadigung durch den König. Politische Gefangene, z. B. im Vormärz, wurden ebenso zu Festungshaft verurteilt wie katholische Geistliche, die im Kulturkampf z. B. gegen den „Kanzelparagraphen“ verstießen. Wer wegen einer Straftat zu Festungshaft statt Gefängnis verurteilt wurde, erfuhr dadurch eine besondere Gnade.
Gemäß § 17 des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 war die Festungshaft lebenslang oder zeitig. Die zeitige Festungshaft konnte von einem Tag bis zu 15 Jahren Dauer verhängt werden.
Festungshaft in Bayern
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbüßten bayerische Festungshäftlinge ihre Strafen in der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech. Erster und lange Zeit einziger Gefangener dieser Anstalt war Anton Graf von Arco auf Valley, der durch seinen 1919 ausgeführten Mordanschlag auf Kurt Eisner, den ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern, bekannt wurde. Er durfte dabei nach Belieben ausgehen und Besuche empfangen; tagsüber arbeitete er als Praktikant auf einem benachbarten Gut.[3] Am 13. April 1924 wurde er aufgrund „Strafunterbrechung“ entlassen, ohne dass, wie sonst üblich, eine Bewährungsfrist ausgesprochen wurde. Nach dem Hitlerputsch wurden im Frühjahr 1924 auch Adolf Hitler sowie andere Teilnehmer des Putschversuchs wie Emil Maurice und Rudolf Heß in die Justizvollzugsanstalt Landsberg eingewiesen. Auch Hitler genoss während seiner Haft in einem separaten Trakt der Gefangenenanstalt zahlreiche Privilegien; er hatte Kontakt mit Mitverurteilten, durfte Besucher empfangen und mit ihnen vertrauliche Gespräche führen.[4] Besucher bezeichneten seinen Haftraum wegen der vielen Feinkostwaren als „Delikatessenladen“.[5] Hitler diktierte seinen Mithäftlingen Maurice und Heß während der Haftzeit Teile des ersten Bandes seines Buches Mein Kampf. Nach neun Monaten wurde er Ende 1924 „wegen guter Führung“ vorzeitig entlassen.
Bekannte Festungshäftlinge – eine Auswahl
- Anton Graf von Arco-Valley, der am 21. Februar 1919 den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner erschoss und der nach einem Todesurteil zu Festungshaft begnadigt wurde
- August Bebel (1872 im Zuge des Leipziger Hochverratsprozesses)
- Hanns Heinz Ewers, Schriftsteller, Kabarettist, Filmemacher, saß 1897 wegen eines Duells auf der Feste Ehrenbreitstein ein
- Thomas Theodor Heine, Karikaturist, 1898 sechs Monate wegen Majestätsbeleidigung
- Adolf Hitler und Rudolf Heß verbüßten nach dem Marsch auf die Feldherrnhalle 1923 rund neun Monate Festungshaft in Landsberg am Lech
- Franz Junghuhn, Arzt und Java-Forscher, verbüßte 1832/33 wegen eines Duells eine Festungshaft auf der Feste Ehrenbreitstein
- Alfred von Kiderlen-Waechter, deutscher Diplomat, saß 1894 wegen eines Duells auf der Feste Ehrenbreitstein ein
- Karl Liebknecht, der 1907 zu eineinhalb Jahren verurteilt wurde
- Rosa Luxemburg verbrachte 1916 einige Monate ihrer Festungshaft im Zentralgefängnis der Provinz Posen in Wronke
- Karl Mack von Leiberich wurde 1806 zum Tode verurteilt, anschließend zu 20-jähriger Festungshaft begnadigt und 1808 aus der Haft entlassen
- Erich Mühsam (mehrfach, etwa bis 1924 infolge seiner Rolle in der Münchner Räterepublik)
- Fritz Reuter (von 1833 bis 1840 wegen „Majestätsbeleidigung und versuchtem Hochverrat“)
- Richard Scheringer wurde im Ulmer Reichswehrprozess zu 18 Monaten Festungshaft verurteilt
- Christian Friedrich Daniel Schubart (von 1777 bis 1787)
- Werner von Siemens (1842 wegen eines Duells, in dem er als Sekundant fungiert hatte)
- August Silberstein wurde 1854 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, jedoch nach zwei Jahren entlassen
- Hans von Sponeck (am 23. Juli 1944 auf Befehl Himmlers im Militärgefängnis in Germersheim erschossen)
- Frank Wedekind (wegen Majestätsbeleidigung für ein im Simplicissimus veröffentlichtes politisches Gedicht)
- Ernst Toller, Schriftsteller, 1920 wegen seiner führenden Rolle in der Münchner Räterepublik zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt
- Erich Wollenberg, Kommunist und Rotarmist, zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, die er in Landsberg, Ansbach und Niederschönenfeld (Entlassung Januar 1922) verbrachte
Literatur
- Manfred Böckling: Arbeiter-Abteilung, Arrest und Festungs-Stubengefangenen-Anstalt. Die preußische Feste Ehrenbreitstein als Ort des Strafvollzugs. In: Neue Forschungen zur Festung Koblenz und Ehrenbreitstein, Band 3, hrsg. von Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz und Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung, Regensburg: Schnell & Steiner 2012, S. 63–97. ISBN 978-3-7954-2475-6
- Klaus Jordan: Festungsarrest, Festungshaft, Festungsstrafe. In: Festungsjournal, Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e. V., 40 (2011), S. 53.
- Jürgen W. Schmidt: „Bau – und Festungsgefangene auf der schlesischen Festung Glatz: Drei ungewöhnliche Schicksale aus den Jahren 1825, 1832 und 1896“ In: „Schlesische Geschichtsblätter“ 2012 (39. Jg.) Heft 2 S. 48–71
- Peter Fleischmann: „Festungshaft Adolf Hitlers in Landsberg, 1923/24“ In: „Historisches Lexikon Bayerns“ 17. Juni 2016, abgerufen am 29. Juli 2021.
Weblinks
- Adolf Hitlers Festungshaft in Landsberg am Lech bei www.landsberger-zeitgeschichte.de
Einzelnachweise
- ↑ vgl. den Text auf wikisource
- ↑ Zu den Haftbedingungen siehe Veit Valentin: Geschichte der deutschen Revolution 1848–1849. 2. Band. Bis zum Ende der Volksbewegung. Kiepenheuer & Witsch, Köln, Berlin 1970, S. 539.
- ↑ Max Hirschberg: Jude und Demokrat: Erinnerungen eines Münchener Rechtsanwalts 1883 bis 1939. ISBN 3-486-56367-X, S. 123
- ↑ Peter Fleischmann: Festungshaft Adolf Hitlers in Landsberg, 1923/24. In: Historisches Lexikon Bayerns. 17. Juni 2016, abgerufen am 1. Februar 2020.
- ↑ Volker Ullrich (Historiker): Adolf Hitler – Die Jahre des Aufstiegs. Biographie. Band 1. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-10-086005-7, S. 189.
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Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech
Scan aus dem Deutschen Reichsgesetzblatt 1932, Teil 1