Festlandsdegen

Als Festlandsdegen bezeichnete man in der Geschichtsschreibung und Publizistik vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts schlagwortartig den exponierten Verteidiger der machtpolitischen Interessen des Vereinigten Königreichs auf dem europäischen Festland.

Klassischer Gebrauch

So sah man z. B. Preußen während des Siebenjährigen Krieges als Festlandsdegen an, der einem Degen gleich den politischen Gegner auf Distanz halten sollte. Napoleon Bonaparte sah in Russland den Festlandsdegen Großbritanniens.[1]

Hintergrund dieser Perspektive war die historisch bedingte relative Vernachlässigung der englischen Landstreitkräfte gegenüber dem Flottenbau der Seemacht England vom letzten Drittel des 16. Jahrhunderts an. Wer in Zeiten der Undurchführbarkeit einer Invasion über den Seeweg auf dem Territorium des potenziellen Gegners nicht unmittelbar präsent sein konnte, benötigte daher einen Festlandsdegen, um seiner Machtpolitik Nachdruck verleihen zu können.

Selbst im 20. Jahrhundert benutzte man diesen Begriff noch, indem man während des Ersten Weltkrieges Frankreich als Festlandsdegen Großbritanniens, wie z. B. von Erich von Falkenhayn[2], und im Verlauf des Zweiten Weltkrieges die Sowjetunion von deutscher Seite aus als Festlandsdegen Großbritanniens bezeichnete, den man diesem „aus der Hand schlagen müsse.“[3]

Wandlung des Begriffs

Auch die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei[4] wurden in jüngerer Vergangenheit von rechtskonservativer Seite als Festlandsdegen der USA bezeichnet. Dabei veranschaulicht sich nun auch die spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg sich manifestierende Verabschiedung Großbritanniens vom Weltmacht- bzw. Seemachtstatus, der nun selbst in der schlagwortartigen Begrifflichkeit auf die Vereinigten Staaten übertragen wird. Ungewöhnlich ist hingegen die Bezeichnung Kroatiens als potenzieller Festlandsdegen der USA.[5]

Vereinzelt übertrug man das sprachliche Bild auch auf Einzelpersonen: Christoph Stölzl wurde laut der taz „in Berlin plötzlich als ‚geschichtspolitischer Festlandsdegen des konservativen Bundeskanzlers‘ Kohl beargwöhnt“[6]. Bei diesem sehr schiefen Bild passte weder der transkontinentale Adressat noch das machtpolitische Objekt in die historische Tradition hinein.

Literatur

  • Jörg Femers: Deutsch-Britische Optionen. Untersuchungen zur internationalen Politik in der späten Bismarck-Ära (1879–1890). VT, Trier 2006, ISBN 978-3-88476-834-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Das Ende Napoleons und der Wiener Kongress, in: Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Ersten Weltkrieg. Ein approbiertes Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde von Herbert Hasenmayer und Walter Göhring, unter wiss. Beratung von Adam Wandruszka, Wien Verlag Ferdinand Hirt (Memento des Originals vom 30. September 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-graz.at (MS Word; 37 kB)
  2. www.dradio.de – Feldpostbriefe – Lettres de poilus
  3. Rolf-Dieter Müller, Gerd R. Ueberschär: Hitlers Krieg im Osten 1941–1945. Ein Forschungsbericht. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, S. 1–55, insbes. S. 30; Lothar Gall, Klaus Hildebrand: Enzyklopädie deutscher Geschichte, Die Aussenpolitik des Dritten Reiches. Oldenbourg, München 2006, S. 89.
  4. Karl Galster: Naher Osten: „Mit Yilmaz und Netanjahu stabilisiert Washington seinen Einfluß in der Region. Die USA suchen Festlandsdegen“, Junge Freiheit, 30. Oktober 1998.
  5. USA setzen vor allem auf die Kroaten. Mazedonien und Albanien ergänzen als „südlicher Riegel“ Eindämmung der Serben, Welt Online, 6. April 1996.
  6. Ich bin unpolitisch, taz.de, 18. April 2006; Gustav Seibt: Weltrevolution ist schöner als Mittelstand, Die Zeit, Nr. 15/2000.