Fanny Cerrito

Fanny Cerrito, Lithographie von Josef Kriehuber, 1842
Fanny Cerrito und Arthur Saint-Léon tanzen die Redowa-Polka in La Vivandière, 1844

Fanny Cerrito, eigentlich Francesca Teresa Giuseppa (Raffaela) Cerrito[1][2][3] (auch: Cerito; * 11. Mai 1817 in Neapel; † 6. Mai 1909 in Paris) war eine italienische Ballerina und, neben Marie Taglioni, eine der wenigen Frauen, die im 19. Jahrhundert auch als Choreografin wirkten.

Leben

Jugend und frühe Karriere

Ihre Eltern waren Marianna d’Alife und Raffaele Cerrito, ein ehemaliger Offizier der neapolitanischen Armee und Veteran der napoleonischen Kriege.[4]

Francesca war ein fantasievolles und impulsives Kind, das seine erste Ausbildung an der Ballettschule des Teatro San Carlo bei P. Hus und Salvatore Taglioni, dem Bruder von Filippo Taglioni, erhielt.[4] Am 28. Juli 1832 debütierte sie am Teatro del Fondo in einem Pas de deux in Giovanni Galzeranis Ballett Oroscopo.[4] Ihr Erfolg führte zu Engagements am Teatro Tordinona in Rom (1833) in weiteren Balletten von Galzerani, und am San Carlo in Neapel in Balletten von Salvatore Taglioni.[4] 1833–34 war Cerrito zwischenzeitlich am Teatro della Pergola in Florenz und begegnete dort zum ersten Mal ihrer Rivalin, der zwei Jahre jüngeren Carlotta Grisi.[4]

Schon in ihrer frühen Zeit in Neapel muss sie sich selber um mehrere Jahre jünger gemacht haben als sie war, woraus später eine gewisse Verwirrung über ihr wahres Geburtsjahr (1817 anstelle von 1821) resultierte.[4]

Nach einem Zwischenspiel in Turin war sie 1836–37 in Wien, wo sie zum ersten Mal unter dem Diminutiv ihres Vornamens als „Fanny Cerrito“ auftrat, möglicherweise in Anlehnung an ihre berühmte Wiener Kollegin, Fanny Elßler, mit der sie in beinahe dreister Weise gleich konkurrierte, als sie am Kärntnertortheater ausgerechnet Elßlers berühmte Cachucha tanzte.[4] Cerrito zeigte in Wien auch zum ersten Mal ihre choreografische Begabung mit einigen eigenen Tänzen für Ballette anderer Meister.[1]

Von 1838 bis 1840 war sie als Primaballerina an der Mailänder Scala engagiert[1] und avancierte dort schnell zum Publikumsliebling. Nebenher vervollkommnete sie ihre Ausbildung bei dem berühmten Tänzer und Pädagogen Carlo Blasis.[4] Unter anderem trat sie an der Scala in der pantomimischen Rolle der Fenella in der italienischen Premiere von Aubers berühmter Oper La Muette de Portici auf,[4] und hatte einen glänzenden Erfolg in La rivolta delle donne del Serraglio („Die Revolte der Frauen im Serail“) von B. Vestris (4. Mai 1839), das 45 Aufführungen erlebte.[4] In Mailand tanzte sie außerdem in Balletten von Galzerani, Monticini und Salvatore Taglioni.[4]

London

Cerrito im Schattentanz in Ondine, London 1843

Internationale Anerkennung als Tänzerin erreichte sie endgültig während ihres Engagements am Her Majesty’s Theatre in London in den Jahren 1840 bis 1848.[1] Die erste Rolle, die dort eigens für Cerrito geschaffen wurde, war die Fee Zéïla in Antonio Guerras Le lac des fées (UA: 14. Mai 1840), die sie später auch auf ihren vielen Tourneen (vor allem nach Italien und Wien) noch öfters tanzte.[4][5] Auch in der englischen Hauptstadt war sie ein echter Publikumsliebling und wurde bewundert für die feurige Brillanz ihrer Interpretationen, und für ihre Stärke und Schnelligkeit. Sie hatte keine Scheu, in direkte Konkurrenz zu der gefeierten Marie Taglioni zu gehen und trat am 10. Juni 1841 in London in deren Glanzrolle, der Titelrolle von La Sylphide, auf, die Cerrito zuvor allerdings schon in einer choreografischen Version von Cortesi in Italien getanzt hatte (u. a. in Mailand).[4]
In London arbeitete sie häufig mit Jules Perrot zusammen, der für sie mehrere erfolgreiche Ballette kreierte, darunter (gemeinsam mit André Deshayes) Alma ou la fille du feu („Alma oder die Tochter des Feuers“; 1842), wozu sie selber auch eigene Tänze beisteuerte.[1][4] Zu ihren berühmtesten Rollen zählte die Titelpartie in Perrots und Pugnis Ondine (1843) und Lalla Rookh (1846).[1] 1843 tanzte sie auch in einem sensationellen Pas de deux zusammen mit Fanny Elßler.[4]

In London war sie eine Zeitlang mit dem berühmten Koch Alexis Soyer liiert. Die Verbindung der beiden scheiterte letztlich auch am Widerstand ihrer Eltern, die in der Verbindung zu Saint-Léon die karriereförderndere Beziehung sahen.

Leben mit Arthur-Saint-Léon

Kostümentwurf für Fanny Cerrito in Saint-Léons Le violon du diable, Paris 1849

Fanny Cerrito tanzte 1841 in Wien zum ersten Mal mit Arthur Saint-Léon[1] in dem Ballett Le diable boiteux („Der hinkende Teufel“).[4] 1843 begegnete sie ihm wieder in London, wo sie auch privat ein Paar wurden.[1] Sie gingen zusammen auf Tourneen durch England und Italien, nach Bologna, Rom, Florenz, Parma und Venedig.[4] In Rom wurde die Cerrito Ende 1843 ehrenhalber in die Accademia di Santa Cecilia aufgenommen, was ganz ungewöhnlich für eine Tänzerin war.[4]
Nach Auftritten in Brüssel und zurück in London, schuf Saint-Léon für sich und seine Partnerin La Vivandière, das zum ersten Mal am 23. Mai 1844 aufgeführt wurde und zu den Balletten zählt, die besonders mit Cerrito identifiziert wurden.[4] Aus diesem Ballett existiert eine vollständige Aufzeichnung des Pas de six in Saint-Léons Sténochorégraphie. Somit existiert die exakte Niederschrift eines Tanzes der Cerrito. Der Erfolg dieses Balletts führte sie auf Tourneen in England und nach Italien.

Am 17. April 1845 heirateten Fanny Cerrito und Arthur Saint-Léon in der Église des Batignolles in Paris.[4] Im selben Jahr präsentierte sie ihr eigenes Ballett Rosida, das jedoch unter einem nicht besonders guten Libretto litt.[4][1] Sie wirkte außerdem in Perrots und Pugnis berühmtem Pas de Quatre mit, der zum ersten Mal am 12. Juni 1845 zwischen den Akten von Donizettis Oper Anna Bolena gezeigt wurde.[4] Dafür hatte der Londoner Theatermanager Benjamin Lumley vier der berühmtesten Primaballerinen seiner Zeit zu einem gemeinsamen Tanz vereint – neben Fanny Cerrito: Marie Taglioni, Carlotta Grisi und Lucile Grahn.[4] Perrot gab sich viel Mühe, eine ausgeglichene Choreografie zu schaffen, vor allem bei den beiden Parts für die stark miteinander konkurrierenden Grisi und Cerrito.[4] Die Original-Choreografie zu diesem Divertissement ist erhalten.

Zwischen 1847 und 1851 arbeiteten Cerrito und ihr Mann gemeinsam an der Opéra in Paris, wo sie mit ihrem tänzerischen Elan wie gewohnt das Publikum auf ihrer Seite hatte, auch wenn einige Kritiker bei ihrem Debüt in Alma einige technische Mängel anmerkten.[4] Zu ihren größten Pariser Erfolgen gehörten Saint-Léons neue Ballette Le Violon du diable (1849) und Stella (1850).[1][4] Weitere gemeinsame Tourneen des Tänzerpaares führten sie nach Brüssel, Hamburg, Berlin, und Pest in Ungarn, sowie 1851 nach Madrid.[1][4]

Porträt von Fanny Cerrito in Stella ou Les contrebandiers, 1850

Späte Karriere und Lebensende

Ihre Ehe war jedoch mittlerweile zerrüttet, so dass Cerrito und Saint-Léon sich 1851 in Paris scheiden ließen und auch beruflich getrennter Wege gingen. Saint-Léon blieb in Paris und Cerrito ging zunächst nach London, dann zurück nach Madrid, wo sie eine Beziehung zu dem Marqués Manuel Antonio de Acuna di Bedmar (wieder ?) aufnahm, von dem sie am 6. Oktober 1853 ihre Tochter Matilde bekam.[4] Die Cerrito wirkte noch von Ende 1852 bis 1855 an der Pariser Oper und tanzte 1854 in dem von ihr choreografierten Ballett Gemma, dessen Libretto der Schriftsteller und Balletomane Théophile Gautier geschrieben hatte,[1] das jedoch keinen besonderen Erfolg hatte.[4] Noch dazu tauchte in Paris eine ernstzunehmende Konkurrenz in der jungen Carolina Rosati auf.[4]

Nach Auftritten in London ging sie 1855 und 1856 nach Russland, wo Perrot und Pugni für sie das Ballett Armida schufen (Sankt Petersburg, 1855).[4][1] In Moskau tanzte die Cerrito bei den Feierlichkeiten zur Krönung von Zar Alexander II. (1856) in La fille de marbre.[4][6] Ein Bühnenunfall, bei dem sie um ein Haar von einem herabfallenden brennenden Teil des Bühnenbilds getroffen wurde, soll der Auslöser für ihren Abschied von der Bühne gewesen sein.[1][6] Sie trat jedoch noch ein letztes Mal 1857 in London auf, bevor sie sich ins Privatleben zurückzog.[1]

Den Rest ihres Lebens verbrachte sie zurückgezogen in Paris mit ihrer Tochter Mathilde, die von ihrem Vater, dem Marqués de Bedmar, ein Vermögen erbte.[4] Im Alter litt Fanny Cerrito unter zunehmender Blindheit und Lähmung und war bei ihrem Tode im Jahr 1909 fast vergessen. Sie wurde auf dem Friedhof von Montmartre in Paris begraben.[4]

Joseph Lanner widmete ihr seine Cerrito-Polka, Op. 189.

Bilder

Literatur

  • Alessandra Ascarelli: Cerrito, Fanny, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Volume 24, 1980 (italienisch; Abruf am 31. Januar 2021)
  • Fanny Cerrito, in: Oxford Reference (aus: The Oxford Dictionary of Dance, (2. ed.)) (englisch; Abruf am 1. Februar 2021)
  • Ivor Guest: Fanny Cerrito, Artikel in: Britannica (englisch; Abruf am 1. Februar 2021)
  • Ivor Guest: Fanny Cerrito : the life of a romantic ballerina, Dance Books Ltd., London, 1974
  • Cerito’s Schattentanz im Ballet „Undine“. In: Illustrirte Zeitung. Nr. 26. J. J. Weber, Leipzig 23. Dezember 1843, S. 410 (Digitalisat in der Google-Buchsuche).
  • Antonius Lux (Hrsg.): Große Frauen der Weltgeschichte. Tausend Biographien in Wort und Bild. Sebastian Lux Verlag, München 1963, S. 102.
  • Andrea Harrandt: Cerrito, Fanny (Francesca), in: Oesterreichisches Musiklexikon online (Abruf am 1. Februar 2021)

Weblinks

Commons: Fanny Cerrito – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o Ivor Guest: Fanny Cerrito, Artikel in: Britannica (englisch; Abruf am 1. Februar 2021)
  2. Cerrito, Fanny, in: WorldCat Identities (englisch; Abruf am 31. Januar 2021)
  3. Bei Ascarelli ohne „Raffaela“. Alessandra Ascarelli: Cerrito, Fanny, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Volume 24, 1980 (italienisch; Abruf am 31. Januar 2021)
  4. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae af ag ah Alessandra Ascarelli: Cerrito, Fanny, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Volume 24, 1980 (italienisch; Abruf am 31. Januar 2021)
  5. „Madle Cerito & Sign. Guerra in Le lac des fées (1840), im Victoria & Albert Museum, London (englisch; Abruf am 31. Januar 2021)
  6. a b Fanny Cerrito, in: Oxford Reference (aus: The Oxford Dictionary of Dance, (2. ed.)) (englisch; Abruf am 1. Februar 2021)

Auf dieser Seite verwendete Medien

Ondine - Illustrated London News.png

Shadow Dance, Cerito as "Ondine". Illustration for The Illustrated London News, 15 July 1843.

The Shadow Dance at the première of the ballet Ondine, choreography by Jules Perrot and music by Cesare Pugni. Original article follows.

HER MAJESTY'S THEATRE
THE SHADOW DANCE FROM "ONDINE."

Of its own beauty is the mind diseased,
And fevers into false creation!

says Byron; but we require some stronger, more satisfactory reason why, in sober health, we become occasionally indifferent to the beautiful realities of our own earth, and fly to the immortals for ecstacies that, after all, are but a poet's dream. Everybody is not a Numa, and therefore cannot indulge in the blissful phantasy that he holds intercourse with "moulds beyond the earth;" and yet we would if we could, such is our "longing after immortality."

Egeria! sweet creation of some heart
Which found no mortal resting-place so fair
As thine ideal breast!

how often hast thou been conjured up to our imagination! But "hence! unreal mockeries, hence!" and leave us to our task, not of criticism on the present occasion, but that of recording one of the most beautiful productions that any stage ever boasted of. The ballet of "Ondine," everybody by this time knows, is founded on La Motte Fouqué's fanciful and interesting story of "Undine," but does not adhere very faithfully to the original. Never mind: narration must give way to impersonation, particularly when we see such a "step-revealing goddess as Cerito [sic: should be Cerrito] in the principal character. Her dancing the pas de l'ombre (which is illustrated above) is in the highest degree beautiful, and inclines us to agree more than ever with the old Greek assertion that "Dancing is silent poetry." Nothing can be more enchanting than Cerito's innocent surprise when she first sees her shadow, and thinks it (or makes you believe she thinks it) to be something tangible and

lovely in outline as herself.

The dioramic effect of the scene in which this pas occurs reflects the highest possible credit upon Grieve, the artist. No other stage-painter is so acquainted with the use of compound lights, commonly called mediums. It is a splendid specimen of skill in the art, and it is only to be regretted that such things are so evanescent, for we could see them a thousand times "with yet unwearied eyes." Although Cerito is la déesse of the scene, we must not be indifferent to the exquisite grace of Guy Stephan. She is one who could take the place of any more talked-of rival, and leave criticism nothing to do but applaud with rapture. In fact, the danseuse that in the presence of Taglioni was honoured with an encore of one of her pas must be allowed to

range herself on level with the best.
Cerito in the sylphide LCCN2003664092.jpg
Title: Cerito in the sylphide

Physical description: 1 print.

Notes: This record contains unverified data from PGA shelflist card.; Associated name on shelflist card: Sarony & Major.
Print (BM 1873,1213.188).jpg
Portrait of dancer Fanny Cerrito, whole-length performing a ballet dance, in a leap with her her right leg behind her and dressed in fairy wings, against a plain background; trimmed to image, unpublished. 1839
Lithograph on india paper
Fanny CERRITO, cimetière de Montmartre.JPG
Autor/Urheber: Maixentais, Lizenz: CC BY-SA 4.0
CERRITO Raphaël, (1788-1861), père de Fanny Cerrito, époux de Marianne d’Alifa.

Il est né à Naples, décédé le 30 décembre 1861 à Paris 9e, (vue 11/13, acte n° 1512). Il est le fils de Michel Cerrito et de Thérèse Deriso.

CERRITO Joseph, (1818-1869), caissier de chemin de fer. Il est né à Naples en 1818, décédé le 9 février 1869 à Paris 16e, (vue 18/31, acte n° 105). Il est le fils de Raphaël Cerrito et de Marianne d’Alifa. Il épouse Frances-Mary-Dungate. Il est le père de Raphaël-Francis-Michaël Cerrito et de Joseph-Arthur-Julius Cerrito.

D’ALIFA Marianne, (1791-1873), mère de Fanny Cerrito, épouse de Raphaël Cerrito. Elle est née à Naples, décédée le 30 septembre 1873 16e, (vue 3/31, acte n° 714).

CERRITO Fanny, (1817-1909), célèbre danseuse italienne. Elle est née le 11 mai 1817 à Naples, décédée le 6 mai 1909 à Paris 16e, (vue 21/31, acte n° 881). Elle est la fille de Raphaël Cerrito et de Marianne d’Alifa. Elle épouse Charles-Victor-Arthur Michel dit Arthur Saint-Léon, le 17 avril 1845 à Paris, dont elle se sépare. D’une relation avec le marquis Manuel-Antonio de Acuña y Dewitte, elle a une fille Emanuela-Mathilde-Fanny-Jacqueline de Bodemar d'Acuña, (-1942).


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