Familiäre Amyloidpolyneuropathie Typ I

Klassifikation nach ICD-10
E85.1Neuropathische heredofamiliäre Amyloidose –

Amyloide Polyneuropathie (Portugiesischer Typ)

ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die familiäre Amyloid-Polyneuropathie (FAP) ist eine seltene vererbte systemische, periphere Polyneuropathie aufgrund von Ablagerungen im Gewebe (Amyloidose) und gehört zu den familiären Amyloid-Polyneuropathien.[1]

Synonyme

Wohlwill-Andrade-Syndrom; Corino de Andrade’s Erkrankung; englisch Transthyretin-related hereditary amyloidosis, transthyretin amyloidosis (ATTR).

Die Namensbezeichnung bezieht sich auf den Autor der Erstbeschreibung aus dem Jahre 1942 durch den deutschen Neuropathologen Friedrich Wohlwill (1881–1958)[2] und einen Bericht aus dem Jahre 1952 durch den portugiesischen Neurologen Mário Corino da Costa Andrade.[3][4]

Genetik

Der Erkrankung liegen Mutationen im Transthyretin (TTR)-Gen am Genort 18q12.1 zugrunde. Die Vererbung erfolgt autosomal dominant. Ist einer der beiden Elternteile erkrankt, so ist die Wahrscheinlichkeit einer Weitervererbung zu 50 % gegeben.[5]

Häufigkeit und Erkrankungsalter

Am häufigsten kommt die Erkrankung in Portugal vor. Dort begrenzt sich das Auftreten vor allem auf einige Städte im Norden (Póvoa de Varzim, Vila do Conde). Ein erhöhtes Auftreten kann auch in Nordschweden beobachtet werden.

Bei 80 % der Erkrankten manifestiert sich die Erkrankung innerhalb des 20. bis 40. Lebensjahres. Eine Erstmanifestation nach dem 50. Lebensjahr hingegen ist selten und zeigt häufig einen atypischen Verlauf.

Symptome

Sensorisch:
Die familiäre Amyloid-Polyneuropathie beginnt häufig zuerst symmetrisch an den Füßen in Form von Parästhesien und Dysästhesien. Im weiteren Verlauf kommt es zu muskulären Atrophien, Malum perforans sowie neuropathischen Gelenksdeformationen (Charcot Gelenk). Die Erkrankung breitet sich von der unteren Extremität her aufsteigend aus. Folglich ist später auch die obere Extremität betroffen.
Motorisch:
Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu Lähmungen und Atrophien der Muskeln, zunächst distal an den unteren Extremitäten. Es kommt beispielsweise zu einer Lähmung des N. Peroneus, wodurch es zum „Steppergang“ der betroffenen Patienten kommt. Im weiteren Verlauf sind auch die oberen Extremitäten betroffen, was sich zum Beispiel in der Ausbildung einer Krallenhand (Ulnarislähmung) zeigt.
Vegetativ:
Die vegetative Symptomatik tritt häufig initial auf. Gehäuft kann sie bei Patienten, die besonders früh an FAP leiden, beobachtet werden. Verschiedenste Organsysteme sind betroffen. Beispielsweise kommt es zu Schließmuskelinsuffizienzen, Störungen im Gastrointestinaltrakt, kardiovaskulären Erkrankungen, renaler Beteiligung, Augenerkrankungen, Hautmanifestationen sowie zu sexuellen Dysfunktionen.

Diagnostik

Der Verdacht der Erkrankung kann anhand einer neurologischen Untersuchung mit familiärer Anamnese gestellt werden. Daraufhin schließt sich eine molekulare Untersuchung des Chromosoms 18 an, bei der die typische TTR-Genveränderung festgestellt werden kann.

Behandlung

Eine Möglichkeit der ursächlichen Behandlung besteht in einer Lebertransplantation. Da die Leber den Hauptsynthetitionsort für Transthyretin darstellt, ist nach einer Lebertransplantation kein genetisch verändertes Transthyretin mehr im Serum nachweisbar.

Die europäische Arzneimittel-Agentur hat 2018 das Medikament Patisiran, ein RNAi-Therapeutikum, zugelassen. Patisiran bindet in der Leber durch RNA-Interferenz an die mRNA, welche für das Transthyretin kodiert und verhindert somit dessen Bildung.

2022 wurde Vutrisiran zugelassen, welches ebenso ein RNAi-Therapeutikum ist und die Bildung von Transthyretin in der Leber dadurch verhindert, dass es über RNA-Interferenz den Abbau dessen mRNA bewirkt. Das krankmachende defekte Protein wird also gar nicht erst hergestellt.[6]

Die europäische Arzneimittel-Agentur hat das Medikament Tafamidis für die Behandlung der FAP freigegeben. Tafamidis stabilisiert das Transthyretin-Tetramer, wodurch der Zerfall in Monomere verhindert werden soll, was wiederum die Bildung von Fibrillen verhindern soll.

Literatur

  • L. Obici, G. Merlini: An overview of drugs currently under investigation for the treatment of transthyretin-related hereditary amyloidosis. In: Expert opinion on investigational drugs. Bd. 23, Nr. 9, September 2014, S. 1239–1251, doi:10.1517/13543784.2014.922541, PMID 25003808 (Review).
  • Sinapse Von der portugiesischen Gesellschaft für Neurologie veröffentlichte Publikation über Familiäre Amyloid-Polyneuropathie.(PDF; 2,5 MB)
  • Y. Ando, T. Coelho, J. L. Berk, M. W. Cruz, B. G. Ericzon, S. Ikeda, W. D. Lewis, L. Obici, V. Planté-Bordeneuve, C. Rapezzi, G. Said, F. Salvi: Guideline of transthyretin-related hereditary amyloidosis for clinicians. In: Orphanet Journal of Rare Diseases. Bd. 8, 2013, S. 31, doi:10.1186/1750-1172-8-31, PMID 23425518, PMC 3584981 (freier Volltext) (Review).

Einzelnachweise

  1. Amyloidose, familiäre, finnischer Typ. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  2. F. Wohlwill: Formas atipicas da amiloidose. Amatus Lusitanus, Lisboa, 1942, Bd. 1, S. 373–391.
  3. C. M. Andrade: A peculiar form of peripheral neuropathy: Familial atypical generalized amyloidosis with special involvement of peripheral nerves. In: Brain, Oxford, 1952, Bd. 75, S. 408–427.
  4. Who named it
  5. Amyloidosis, hereditary, transthyretin-related. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
  6. David Adams, Ivailo Tournev, Mark Taylor, Teresa Coelho, Violaine Planté-Bordeneuve, John Berk, Alejandra González-Duarte, Julian Gillmore, Soon-Chai Low, Yoshiki Sekijima, Laura Obici, Chongshu Chen, Prajakta Badri, Seth Arum, John Vest, Michael Polydefkis: HELIOS-A: Results from the Phase 3 Study of Vutrisiran in Patients with Hereditary Transthyretin-Mediated Amyloidosis with Polyneuropathy. Neurology, 2022.

Weblinks