Falkenartige

Falkenartige

Turmfalken (Falco tinnunculus)

Systematik
Reihe:Landwirbeltiere (Tetrapoda)
ohne Rang:Amnioten (Amniota)
Klasse:Vögel (Aves)
Unterklasse:Neukiefervögel (Neognathae)
Ordnung:Falkenartige
Familie:Falkenartige
Wissenschaftlicher Name der Ordnung
Falconiformes
Sharpe, 1874
Wissenschaftlicher Name der Familie
Falconidae
Vigors, 1824

Die Falkenartigen sind eine fast weltweit vorkommende Familie (Falconidae) und Ordnung (Falconiformes) mittelgroßer Vögel. Die Familie umfasst 11 Gattungen und etwa 65 Arten.[1][2] Bekannte Arten, die in Deutschland und Mitteleuropa heimisch sind, sind der Turmfalke (Falco tinnunculus), der Baumfalke (Falco subbuteo) und der Wanderfalke (Falco peregrinus).

Verbreitung

Falkenartige leben auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis und fehlen lediglich im vergletscherten Inneren Grönlands, weiteren arktischen Inseln wie Spitzbergen, Franz-Joseph-Land, der Nordinsel von Nowaja Semlja, den Sedow-Inseln, im zentralen Regenwald des Kongobeckens und auf einigen ozeanischen Inseln. Generell leben die größeren Arten in eher kalten oder gemäßigten Klimaten, während kleinere Arten eher tropisch sind. Die größte Artenvielfalt gibt es in Mittel- und Südamerika, wo vor allem Lach- und Waldfalken (Herpetotherinae) sowie Geierfalken (Polyborinae) vorkommen, und in Afrika, wo es allein 17 dort brütende Arten der Gattung Falco gibt.[3]

Merkmale

Porträt eines weiblichen Turmfalken

Falkenartige haben kleine, leichtgewichtige Körper und mit Ausnahme der Karakaras einen kurzen Hals. Die für den Flug wichtige Brustmuskulatur macht zwischen 12 und 20 % (beim Wanderfalken) des Körpergewichts aus. Die Flugsilhouette der Tiere weist lange, sichelförmige Flügel auf, meist ohne die „Fingerung“, die für Greifvögel typisch ist. Das Gefieder der Falkenartigen ist braun, nussfarben, grau, schwarz oder weiß, meist gebändert oder fleckig und mit wenigen Ausnahmen, z. B. beim Gelbkehlkarakara (Daptrius ater), nicht glänzend. Bei einigen Waldfalken treten melanistische oder rein rotbräunliche Morphen auf. Tropische Arten haben oft ein auffälligeres Gefieder als die aus gemäßigten Regionen. Falkenartige wechseln ihr Gefieder für gewöhnlich in einer jährlichen Vollmauser, bei der das Klein- und Großgefieder vollständig ersetzt wird. Sie findet normalerweise während der Brutzeit statt. Die Federn werden nacheinander nach einer bestimmten, für die Familie charakteristischen Reihenfolge ersetzt. Sie beginnt an beiden Flügeln mit der vierten Handschwinge, von innen gesehen, und setzt sich von da an zu beiden Seiten nacheinander fort. Auch der Gefiederwechsel am Schwanz beginnt am inneren Federpaar. Die Augenfarbe der meisten Falkenartigen ist braun, nackte Kopfpartien, Augenringe und die Beine sind oft gelb, manchmal auch grau. Die Nasenlöcher sind von einer fleischigen Zone umgeben und rund, oval, bei den Karakaras auch schlitzförmig. Der Schnabel ist klein, der Oberschnabel nach Greifvogelart nach unten gebogen. Im Unterschied zu den Habichtartigen, die ihre Beute mit den Fängen töten, benutzen Falken dazu den Schnabel. Kleine Schnäbel und starke Kiefermuskeln ermöglichen deshalb einen kraftvollen Biss. Der Gelbkehlkarakara (Daptrius ater) und die Bergkarakaras (Phalcoboenus), die sich eher omnivor ernähren, haben wenig gekrümmte, fast hühnerartige Schnäbel.[4]

Die kleinsten Falken, das Finkenfälkchen (Microhierax fringillarius) und das Weißscheitelfälkchen (Microhierax latifrons), wiegen nur 35 Gramm und erreichen Flügellängen von 89 bis 105 mm. Der größte, der im hohen Norden lebende Gerfalke (Falco rusticolus), erreicht ein Gewicht von 1,15 bis 1,7 kg und Flügelspannweiten zwischen einem und 1,31 Metern.[5]

Äußere Systematik

Falkenartige wurden als carnivore Vögel mit typischer Körper- und Schnabelform traditionell der Ordnung der Greifvögel zugeordnet. Die Typusgattung dieser traditionellen Ordnung ist Falco (Falken), und ihr wissenschaftlicher Name lautet Falconiformes. Sie enthielt, neben den Falkenartigen (Falconidae), die Habichtartigen (Accipitridae), den Fischadler (einzige Gattung der Familie Pandionidae), den Sekretär (einzige Gattung der Familie Sagittariidae) und die Neuweltgeier (Cathartidae).

Neuere phylogenetische Studien, basierend auf DNA, kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass die Falkenartigen näher mit den Papageien (Psittaciformes) und Sperlingsvögeln (Passeriformes) verwandt sind als mit den übrigen Familien der traditionellen Greifvögel.[6][7] Die typischen Greifvogelmerkmale der Falkenartigen wären demnach konvergent entstanden. Die traditionell den Falconiformes hinzugerechneten Familien räuberischer Vögel sind daher aus diesem Taxon ausgegliedert worden und bilden nunmehr eine eigene Gruppe. Die Gruppe der Falkenartigen, mit der Typusgattung Falco, behält die wissenschaftliche Bezeichnung Falconiformes und enthält nur noch die Familie Falconidae. Die übrigen „Greifvögel“ bekommen nach der Gattung der Habichte und Sperber (Accipiter) den neuen wissenschaftlichen Namen Accipitriformes.[8][9][10]

Die wahrscheinlichen verwandtschaftlichen Beziehungen stellt folgendes Kladogramm nach Prum et al. dar:[11]

 „Höhere Landvögel“ 

Hoatzin (Opisthocomiformes)


   

Greifvögel (Accipitriformes)


   

Eulen (Strigiformes)


   

Coraciimorphae (Spechtvögel (Piciformes), Rackenvögel (Coraciiformes), Hornvögel und Hopfe (Bucerotiformes) u. a.)


 Australaves 

Seriemas und Verwandte (Cariamiformes)


   

Falkenartige (Falconiformes)


   

Papageien (Psittaciformes)


   

Sperlingsvögel (Passeriformes)









Innere Systematik

Die Falkenartigen werden, je nach Autor in zwei, drei oder vier Unterfamilien unterteilt. Heute gilt es als sicher, dass die amerikanischen Lachfalken und Waldfalken (Herpetotherinae) eine Klade bilden, die allen anderen Falkenartigen als Schwestergruppe gegenübersteht.[12]

Sperberwaldfalke (Micrastur ruficollis)
Zweifarbenfälkchen (Microhierax erythrogenys)
Schopfkarakara (Caracara plancus)

Unterfamilie Lachfalken und Waldfalken (Herpetotherinae)

  • Lachfalken (Herpetotheres)
  • Waldfalken (Micrastur) – 7 Arten
    • Sperberwaldfalke (Micrastur ruficollis)
    • Blei-Waldfalke/Einbinden-Waldfalke (Micrastur plumbeus)
    • Mintonwaldfalke (Micrastur mintoni)
    • Zweibinden-Waldfalke (Micrastur gilvicollis)
    • Graurücken-Waldfalke (Micrastur mirandollei)
    • Kappenwaldfalke (Micrastur semitorquatus)
    • Traylorwaldfalke (Micrastur buckleyi)

Unterfamilie Falconinae

  • Tribus Falconini
    • Falken (Falco) – 39 Arten
    • Eigentliche Zwergfalken (Microhierax) – 5 Arten
      • Rotkehlfälkchen (Microhierax caerulescens)
      • Finkenfälkchen (Microhierax fringillarius)
      • Weißscheitelfälkchen (Microhierax latifrons)
      • Zweifarbenfälkchen (Microhierax erythrogenys)
      • Elsterfälkchen (Microhierax melanoleucus)
    • Neohierax
      • Langschwanz-Zwergfalke (Neohierax insignis)[13]
    • Polihierax
      • Halsband-Zwergfalke (Polihierax semitorquatus)
  • Tribus Geierfalken/Karakaras (Polyborini)
    • Daptrius
      • Gelbkehlkarakara (Daptrius ater)
    • Ibycter
    • Schopfkarakaras (Caracara) – 4 Arten
    • Chimangos (Milvago) – 2 Arten
    • Bergkarakaras (Phalcoboenus) – 4 Arten
      • Streifenkarakara (Phalcoboenus carunculatus)
      • Bergkarakara (Phalcoboenus megalopterus)
      • Weißkehlkarakara (Phalcoboenus albogularis)
      • Falklandkarakara (Phalcoboenus australis)
    • Spiziapteryx
      • Tropfen-Zwergfalke (Spiziapteryx circumcinctus)

Die innere Systematik der Falkenartigen zeigt das folgende Kladogramm:[2][12]

 Falconidae 
 Herpetotherinae 

Waldfalken (Micrastur)


   

Lachfalken (Herpetotheres)



 Falconinae 
 Falconini 

Microhierax


   

Polihierax


   

Falken (Falco)




 Polyborini 

Spiziapteryx


  

Schopfkarakaras (Caracara)


  

Ibycter


   

Phalcoboenus


   

Milvago


   

Daptrius









Stammesgeschichte

Einen ersten Nachweis der Familie in Form fragmentarischer Überreste eines Vogels, der kleiner als die Eigentlichen Zwergfalken (Microhierax) war, gibt es aus dem unteren Eozän aus England vor 55 Millionen Jahren. Besser dokumentiert ist ein Fossil aus Frankreich aus dem oberen Eozän vor 36 Millionen Jahren. Erste Nachweise aus Nord- und Südamerika gibt es aus dem Miozän vor etwa 23 Millionen Jahren. Darunter ist Badiostes, ein früher Repräsentant der Karakaras und auch Angehöriger der großen Gattung Falco. Da alle Falco-Arten nah miteinander verwandt sind, nimmt man eine schnelle Adaptive Radiation im Pliozän und im Pleistozän an. Im Pleistozän lassen sich 20 rezente Arten nachweisen.[15]

Literatur

  • Charles M. N. White, P. D. Olsen, L. F. Kiff: Family Falconidae (Falcons and Caracaras). In: Josep del Hoyo et al.: Handbook of the Birds of the World. Band 2: New World Vultures to Guinea Fowl. Lynx Edicions, 1994, ISBN 84-87334-15-6, S. 216–247.
  • James Ferguson-Lees, David A. Christie: Die Greifvögel der Welt. (Deutsch von Volker Dierschke und Jochen Dierschke). Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-440-11509-1
  • Theodor Mebs: Greifvögel Europas. Biologie – Bestandsverhältnisse – Bestandsgefaehrdung. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-440-06838-2
  • Benny Génsbøl, Walther Thiede: Greifvögel. Alle europäischen Arten, Bestimmungsmerkmale, Flugbilder, Biologie, Verbreitung, Gefährdung, Bestandsentwicklung. BLV Verlag, München 1997, ISBN 3-405-14386-1.
Commons: Falkenartige – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
  • Animal Diversity Web: Kirschbaum, K. 2004. Falconidae

Einzelnachweise

  1. James Ferguson-Lees, David Christie: Die Greifvögel der Welt. 1. Aufl. (deutsch bearbeitet von Volker und Jochen Dierschke). Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-440-11509-1.
  2. a b David W. Winkler, Shawn M. Billerman, Irby J. Lovette: Bird Families of the World: A Guide to the Spectacular Diversity of Birds. Lynx Edicions (2015), ISBN 978-84-941892-0-3, S. 254–256.
  3. C. M. White et al. (1994), S. 217
  4. C. M. White et al. (1994), S. 221.
  5. C. M. White et al. (1994), S. 220.
  6. Per G. P. Ericson, Cajsa L. Anderson, Tom Britton, Andrzej Elzanowski, Ulf S. Johansson, Mari Källersjö, Jan I. Ohlson, Thomas J. Parsons, Dario Zuccon, Gerald Mayr: Diversification of Neoaves: integration of molecular sequence data and fossils. Biology Letters, Bd. 2, Nr. 4, 2006, S. 543–547, DOI: 10.1098/rsbl.2006.0523
  7. S.J. Hackett, R.T. Kimball, S. Reddy, R.C.K. Bowie, E.L. Braun, M.J. Braun, J.L. Chojnowski, W.A. Cox, K.-L. Han, J. Harshman, C. Huddleston, B.D. Marks, K.J. Miglia, W.S. Moore, F.H. Sheldon, D.W. Steadman, C.C. Witt and T. Yuri: A Phylogenomic Study of Birds Reveals Their Evolutionary History. Science. Bd. 320 (Nr. 5884), 2008, S. 1763–1768 DOI: 10.1126/science.1157704
  8. Frank Gill, Minturn Wright: BIRDS OF THE WORLD Recommended English Names. Princeton University Press, 2006, ISBN 0-7136-7904-2
  9. WorldBirdNames.orgIOC World Bird List (Memento desOriginals vom 22. Dezember 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.worldbirdnames.org
  10. AOU Committee on Classification and Nomenclature (North & Middle America) Proposals 2008-C (PDF; 109 kB)
  11. Richard O. Prum et al. A comprehensive phylogeny of birds (Aves) using targeted next-generation DNA sequencing. Nature, Oktober 7, 2015; doi: 10.1038/nature15697
  12. a b Carole S. Griffiths, George F. Barrowclough, Jeff G. Groth & Lisa Mertz: Phylogeny of the Falconidae (Aves): a comparison of the efficacy of morphological, mitochondrial, and nuclear data. Molecular Phylogenetics and Evolution 32 (2004) 101–109, DOI: 10.1016/j.ympev.2003.11.019
  13. Jérôme Fuchs, Jeff A. Johnson, David P. Mindell: Rapid diversification of falcons (Aves: Falconidae) due to expansion of open habitats in the Late Miocene. Molecular Phylogenetics and Evolution Volume 82, Part A, Januar 2015, S. 166–182. doi: 10.1016/j.ympev.2014.08.010
  14. Storrs L. Olson: A New Species of Large, Terrestrial Caracara from Holocene Deposits in Southern Jamaica (Aves: Falconidae). Journal of Raptor Research. Bd. 42, Nr. 4, 2008, S. 265–272, doi:10.3356/JRR-08-18.1
  15. C. M. White et al. (1994), S. 216

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