Evangeliar

Buchdeckel des Evangeliars Kaiser Ottos III.
Seite aus dem Evangeliar Heinrichs des Löwen

Ein Evangeliar (Evangelienbuch) oder Tetraevangelion (Τετραευαγγέλιον) sind verbreitete Bezeichnungen für einen Codex mit dem vollständigen Text der Evangelien des Neuen Testaments. Es enthält den vollständigen Text der vier Evangelien (Tetraevangeliar) in der ursprünglichen Textfolge. Die ältesten Handschriften sind aus der Spätantike erhalten.

In einigen Codices sind auch andere Texte enthalten, die oft von späterer Hand hinzugefügt wurden. Diese konnten Interlinearglossen (z. B. Übersetzung des Textes in die einheimische Sprache), Anmerkungen zu Ereignissen am Entstehungsort der Handschrift oder Notizen zum gottesdienstlichen Gebrauch enthalten. Manchmal wurden die im Gottesdienst zu lesenden Abschnitte durch die Kapiteleinteilung und Rubrizierung besonders kenntlich gemacht. In einzelnen Exemplaren finden sich auch Konkordanztabellen (Kanontafeln) des Eusebius, die Vorreden des Hieronymus zur Vulgata (praefationes), Kurzviten der vier Evangelisten (als prologus oder argumentum bezeichnet), Inhaltsangaben der einzelnen Evangelien (capitulationes) sowie das Verzeichnis der für die gottesdienstliche Lesung vorgesehenen Evangelienperikopen (capitulare evangeliorum).

Evangeliare sind oft sehr kunstvoll gestaltet und mit Abbildungen versehen. Diese stellen häufig am Beginn des jeweiligen Evangeliums die Evangelisten und einzelne Szenen aus dem Text dar. Diese Abbildungen zählen zu den frühesten und hochwertigsten erhaltenen Zeugnissen der spätantiken und frühmittelalterlichen Buchmalerei. Beispiele sind der Codex Aureus aus Echternach; der Hitda-Codex und das Lorscher Evangeliar. Einzelne Widmungs- und Stiftungsexemplare für Könige und Fürsten gehören zu den kostbarsten Büchern, die überhaupt hergestellt wurden (z. B. das Evangeliar Heinrichs des Löwen).

Evangelienlektionare

Aus den Perikopenverzeichnissen entstanden die verbreitet als Evangelistare bezeichneten Evangelienlektionare, die nur die für den Gottesdienst benötigten Textabschnitte der Evangelien wiedergeben und diese nach den Tagen und Festen des Kirchenjahres anordnen. Diese werden manchmal ebenfalls als Evangeliare bezeichnet.

In der heutigen römisch-katholischen Liturgie ist Evangeliarium bzw. Evangeliar der amtliche lateinische bzw. deutsche Name des liturgischen Perikopenbuches mit den Schriftlesungen aus den vier Evangelien des Neuen Testamentes.[1]

Evangeliare

Literatur

  • Klaus Gereon Beuckers: Zur Verwendung von Evangeliaren des Früh- und Hochmittelalters anhand von Beispielen aus Essen und anderen Frauenstiften, in: Fragen, Perspektiven und Aspekte der Erforschung mittelalterlicher Frauenstifte (= Essener Forschungen zum Frauenstift, Bd. 15), hg. v. Klaus Gereon Beuckers und Thomas Schilp, Essen 2018, S. 67–110.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Die Bischofskonferenzen des deutschen Sprachraumes (Hrsg.). Evangeliar. Die Evangelien der Sonntage und Festtage in den Lesejahren A, B und C. Ausgabe A. 2. Auflage. Verlag Herder. Freiburg 1985. ISBN 3-451-20460-6; https://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/en/speeches/2000/oct-dec/documents/hf_jp-ii_spe_20001215_evangeliario.html
  2. Judith S. McKenzie, Francis Watson: The Garima Gospels: Early Illuminated Gospel Books from Ethiopia. Manar al-Athar, Oxford 2016
  3. Klaus Gereon Beuckers et al.: Das Gießener Evangeliar und die Malerische Gruppe der Kölner Buchmalerei. In: Beuckers, Bihrer und Felber (Hrsg.): Forschung zu Kunst, Geschichte und Literatur des Mittelalters. 1. Auflage. Band 9. Vandenhoeck & Ruprecht, Köln 2023, ISBN 978-3-412-52487-6.
  4. K. G. Beuckers, A. Pawlik (Hrsg.): Das Jüngere Evangeliar aus St. Georg in Köln. 1. Auflage. Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln 2019, ISBN 978-3-412-51581-2, S. 9 ff.

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Evangeliar otto III klein.jpg
Evangeliar Ottos III Einband
Die Elfenbeintafel mit der Darstellung des Marientodes war ursprünglich Teil eines Triptychons und stellt eines der bedeutendsten Werke der byzantinischen Elfenbeinschnitzerei des zehnten Jahrhunderts dar, das wohl aus dem Besitz Ottos III. stammt. Die ausgewogene Komposition zeigt unter einem Baldachin im Vordergrund die auf dem Totenbett ruhende Gestalt Mariens, seitlich die trauernden Apostel und mittig Christus, der die Seele der Verstorbenen emporhebt, welche durch zwei von oben herabschwebende Engel mit verhüllten Händen empfangen wird