Eva Schumann (Juristin)

Eva Schumann (* 19. Juli 1967 in Stuttgart-Bad Cannstatt) ist eine deutsche Juristin und Rechtshistorikerin. Sie lehrt als Professorin für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht an der Georg-August-Universität Göttingen.

Leben und Werk

Schumann studierte Rechtswissenschaft in Tübingen und Berlin. Nach Referendariat und zweitem Staatsexamen in Stuttgart war sie ab 1992 als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Bernd-Rüdiger Kern tätig, zunächst in Tübingen, dann ab 1994 in Leipzig. 1997 wurde sie mit einer Arbeit über das Recht der nichtehelichen Familien in auch rechtshistorischer Perspektive promoviert. 2003 habilitierte sie sich in Leipzig. Im darauffolgenden Jahr nahm sie einen Ruf aus Göttingen als Nachfolgerin von Wolfgang Sellert an und leitet seitdem die Abteilung für Deutsche Rechtsgeschichte des Instituts für Grundlagen des Rechts.

Seit 2007 ist sie Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.[1] Sie ist Vorsitzende der Forschungskommission „Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“[2] und hat in dieser Eigenschaft mehrere Sammelbände mit Forschungsergebnissen dieser Kommission herausgegeben.[3]

2007 veranstaltete Schumann eine Ringvorlesung zum Thema „Kontinuitäten und Zäsuren“ unter Mitwirkung von u. a. Joachim Rückert, Ralf Frassek, Werner Heun, Ewald Grothe, Peter Derleder, Joachim Perels und Helmut Kramer.[4] Der anschließend herausgegebene Sammelband wurde positiv rezensiert.[5][6] Schumann selbst steuerte eine Untersuchung über die Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät bei. Sie wies drei Zäsuren in der Fakultätsgeschichte nach: Ab 1933 wurde der sich in überdurchschnittlich hohen Maße aus jüdischen Rechtswissenschaftlern zusammensetzende Göttinger Lehrkörper bis 1938 weitgehend ausgetauscht durch eine Gruppe von jungen, der NS-Ideologie nahestehenden Juristen (Wilhelm Saure, Georg Erler, Wilhelm Ebel, Ulrich Scheuner u. a.), die nach 1945 alle aus dem Dienst entfernt und ihrerseits ersetzt wurden durch Unbelastete (Werner Flume, Ludwig Raiser, Hans Thieme u. a) oder ehemals aus der Fakultät Vertriebene (Gerhard Leibholz, Julius von Gierke, Herbert Kraus); ab Mitte der 1950er Jahre stellt sie aber erneut eine Zäsur fest mit der Wiedereinstellung NS-belasteter Professoren wie Wilhelm Ebel sowie der Berufung von mehreren Mitgliedern der ehemaligen Kieler Schule wie Friedrich Schaffstein.[7] Auch später beschäftigte sich Schumann mit der Rechtsgeschichte der Zeit des Nationalsozialismus, u. a. in einem öffentlichen Vortrag über die Arbeit der Akademie für Deutsches Recht (2018)[8][9]. In der Lehre setzt sie sich für eine Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht und dessen Umgang in der Nachkriegszeit ein.[10]

Im geltenden Recht forscht sie vor allem zum Medizin- und Familienrecht. Ihr Ansatz ist es dabei, Antworten auf rechtliche Fragen aus rechtshistorisch und rechtsvergleichend informierter Perspektive zu entwickeln. So stellt ihre Göttinger Antrittsvorlesung einen interdisziplinären Zugang zur Sterbehilfe dar, in dem sie auch mögliche Reformvorschläge aufzeigte.[11]

Schumann äußerte sich mehrfach zur Familienpolitik. Sie ist der Meinung, dass seit dem 7. Familienbericht der Bundesregierung 2006 eine neue Familienpolitik in Deutschland eingeleitet worden sei, in deren Zuge zunehmend Kriterien zur Bewertung wirtschaftlicher Vorgänge auf die Familie übertragen werden.[12] Diesen Vorgang hat sie medienwirksam als „Ökonomisierung der Familie“ thematisiert.[13] Des Weiteren erstellte sie für den 72. Deutschen Juristentag 2018 ein Gutachten, das nach Reformbedarf bezüglich gemeinsam getragener Elternverantwortung fragt.[14] Die von Schumann geäußerten Überlegungen fanden auch außerhalb der juristischen Fachwelt Beachtung.[15] Zwischen 2017 und 2020 war sie an einem Kooperationsprojekt der Georg-August-Universität Göttingen und der Stiftung Universität Hildesheim zur Erforschung der geschlechterdifferenten Regulierung von Elternschaft im Recht beteiligt.[16] Im August 2021 wurde sie in den Wissenschaftlichen Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend berufen.[17]

Sie ist Mitglied der Initiative Niedersächsischer Ethikrat, einem bei der Ärztekammer Niedersachsen eingerichteten Expertengremium zur Bearbeitung von ethischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in Deutschland.[18]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Die nichteheliche Familie. Reformvorschläge für das Familienrecht mit einer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung und unter Berücksichtigung des Völker- und Verfassungsrechts. München 1998 (Dissertation).
  • Unrechtsausgleich im Frühmittelalter. Die Folgen von Verletzungen der Person im langobardischen, alemannischen und bayerischen Recht. (Habilitationsschrift, unveröffentlicht).
  • Als Herausgeberin: Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Juristen im »Dritten Reich« und in der Nachkriegszeit. Göttingen 2008.
  • Ökonomisierung der Familie. In: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2011. Berlin 2012, S. 444–481.
  • Als Herausgeberin: Justiz und Verfahren im Wandel der Zeit. Gelehrte Literatur, gerichtliche Praxis und bildlicher Symbolik. Festgabe für Wolfgang Sellert zum 80. Geburtstag, Berlin 2017 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Neue Folge, Bd. 44).
  • Familienleitbilder in der Bundesrepublik. In: Winfried Kluth (Hrsg.): Die Familie als Wirtschaftsfaktor – Untersuchungen zu den Leitbildern der Familienpolitik und ihrem verfassungsrechtlichen Rahmen. Halle-Wittenberg 2018, S. 9–60.

Einzelnachweise

  1. Prof. Dr. Eva Schumann auf den Seiten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
  2. Forschungskommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ auf den Seiten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
  3. Publikationen der Forschungskommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“.
  4. Ringvorlesung „Kontinuitäten und Zäsuren“. Vorlesungsankündigung auf den Seiten von Schumanns Lehrstuhl.
  5. Friedrich-Christian Schroeder: Menschlicher Sumpf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Januar 2010, abgerufen am 23. April 2019.
  6. Wolfgang Form: Rezension von Schumann (Hrsg.): Kontinuitäten und Zäsuren. In: H-Soz-Kult, 1. Oktober 2009, abgerufen am 23. April 2019.
  7. Eva Schumann: Die Göttinger Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1933–1955. In: dies. (Hrsg.): Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Juristen im »Dritten Reich« und in der Nachkriegszeit. Göttingen 2008, S. 121.
  8. Michael Caspar: Schumann über Juristen im Nationalsozialismus. In: Göttinger Tageblatt, 7. Januar 2018, abgerufen am 23. April 2019.
  9. Die „Akademie für Deutsches Recht.“ Video-Aufzeichnung des Vortrag von Prof. Dr. Eva Schumann.
  10. Weblog CampusPost der Georg-August-Universität Göttingen: 3 Fragen an Eva Schumann. Der NS-Schatten auf den Gesetzeskommentaren (8. Juli 2021).
  11. Sterbehilfe aus rechtshistorischer, interdisziplinärer und rechtsvergleichender Sicht. Presseinformation der Georg-August-Universität Göttingen, 25. Januar 2006, abgerufen am 23. April 2019.
  12. Vortrag von Prof. Dr. Eva Schumann: Die Ökonomisierung der Familie. Vortragsankündigung auf den Seiten des Oberlandesgerichts Celle, abgerufen am 23. April 2019.
  13. Franziska Brüning: Interview mit Prof. Dr. Eva Schumann: Die Ökonomisierung der Familie. In: Süddeutsche Zeitung, 19. August 2016, abgerufen am 23. April 2019.
  14. Gemeinsam getragene Elternverantwortung nach Trennung und Scheidung – Reformbedarf im Sorge-, Umgangs- und Unterhaltsrecht? Tagesordnungspunkt auf den Seiten des Deutschen Juristentages, abgerufen am 23. April 2019.
  15. Z. B.: Annette Wilmes: Reform des Kindschaftsrechts: Mit welchen Problemen Trennungsfamilien heute kämpfen. In: Deutschlandfunk Kultur, Zeitfragen vom 25. März 2019, abgerufen am 23. April 2019.
  16. Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Stiftung Universität Hildesheim: Projekt MOM – Macht und Ohnmacht der Mutterschaft, abgerufen am 26. August 2021.
  17. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen.
  18. Initiative Niedersächsischer Ethikrat: Prof. Dr. iur. Eva Schumann.