Eurozentrismus

Ungewohntes Bild der Welt, da nicht eurozentrisch

Unter Eurozentrismus versteht man die Betrachtung und Einschätzung inner- und außereuropäischer Gesellschaften aus herkömmlicher europäischer Perspektive und gemäß den von Europäern entwickelten Werten und Normen. Diese Wertvorstellungen, Kategorienbildungen und Überzeugungen bilden im Eurozentrismus den Mittelpunkt des Denkens und Handelns.[1]

Doch umfasst der Begriff Eurozentrismus nicht nur das geografische Europa, sondern alle „neoeuropäischen“ industrialisierten Staaten der „Westlichen Welt“ mit Nordamerika und Australien.[2] Eurozentrisches Denken ist seit der Kolonialzeit vielfach die treibende Kraft für den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandel in den meisten Gesellschaften der Welt.

Gängige Erscheinungsformen von Eurozentrismus

  • Ungeachtet alternativer Möglichkeiten erscheint Europa in aller Regel etwa im Mittelfeld von Weltkarten. Als übliche Darstellung der Weltkarte dient die Mercator-Projektion, eine konforme, normalachsige Zylinderprojektion, bei der sich die Meridiane und Breitenkreise rechtwinklig schneiden und als Geraden dargestellt werden.[3] Dadurch erscheinen Regionen wie Europa, Nordamerika und Nordasien, die weiter vom Äquator entfernt sind, überproportional groß. Als Gegenentwurf entwickelte Arno Peters die Peters-Projektion.
  • Geographische Bezeichnungen wie „Naher“, „Mittlerer“ und „Ferner Osten“ sind von einer mitteleuropäischen Perspektive bestimmt.
  • Der Begriff „Entdeckung Amerikas“ bezieht sich grundsätzlich nur auf Entdecker aus dem europäischen Kulturraum.
  • In der Berechnung der Zeitzonen bildet London, das Zentrum des vormaligen British Empire, den Referenzpunkt und der Nullmeridian verläuft ebenfalls durch London.
  • Lexika, Schulbücher, Medienfokus, geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliche Theorien und anderes mehr beruhen oft auf einer hauptsächlich eurozentrischen Sichtweise und darin angelegten Stereotypen und Vorurteilen.[4]
  • Für Krankheitsklassifikationen, technische Bezeichnungen und viele andere wissenschaftliche Fachbegriffe werden weltweit Begriffe verwendet, die aus der lateinischen oder altgriechischen Sprache abgeleitet wurden. Etliche jüngere Schriftsysteme von vormals schriftlosen Kulturen basieren auf dem lateinischen Alphabet.
  • Wenn man von Ländern der „Dritten Welt“ spricht oder wenn Begriffe wie „Unterentwicklung“, „Entwicklungsprozesse“ und „Entwicklungshilfe“ fallen, wird meist unterstellt, dass diese Länder sich nach dem Vorbild Europas bzw. nach dem der sogenannten westlichen Welt entwickeln sollten.[5]
  • Laut Edward Goldsmith sind die Begriffe Wohlstand, Lebensstandard, Armut, Fortschritt, Wirtschaft, Wachstum oder Kultur – im Zusammenhang mit der Globalisierung der westlichen Lebensweise – im Wesentlichen „eurozentrisch geprägt“.[6]

Begriffsgeschichte

Während für Europa bzw. für den Westen von den Bewohnern herkömmlicherweise Kultiviertheit und Zivilisiertheit in Anspruch genommen wurden, betrachtete man andere Weltgegenden oft als „barbarisch“ oder „primitiv“. Als zentrale Merkmale von Zivilisation galten unter anderem Stadtentwicklung, Staatenbildung und Bildungseinrichtungen. Eurozentrismus war dann Ausdruck eines Bewusstseins oder Gefühls von Überlegenheit gegenüber Weltgegenden und ihren Bewohnern, die darüber nicht oder kaum verfügten.[7] Belege für eine solche Einschätzung finden sich unter anderem in alten Enzyklopädien. Zedler schrieb 1741 beispielsweise zum Lemma Europa:

„Obwohl Europa das kleinste unter allen 4 Theilen der Welt ist, so ist es doch um verschiedener Ursachen willen allen übrigen vorzuziehen. […] Es hat an allen Lebensmitteln einen Ueberfluß. Die Einwohner sind von sehr guten Sitten, höflich und sinnreich in Wissenschafften und Handwercken.“[8]

In der Brockhaus Enzyklopädie von 1854 heißt es zum Stichwort Europa, Europa sei seiner

„[…] terrestrischen Gliederung wie seiner kulturhistorischen und politischen Bedeutung nach unbedingt der wichtigste unter den fünf Erdtheilen, über die er in materieller, noch mehr aber in geistiger Beziehung eine höchst einflussreiche Oberherrschaft erlangt hat.“

Samir Amin, seit den 1980er Jahren Gewährsmann der Eurozentrismus-Kritik

Ella Shohat und Robert Stam charakterisierten 1994 den eurozentrischen Diskurs als komplex, widersprüchlich und historisch unbeständig.[9] Dementsprechend sind die Quellen – vor allem zur Entstehung des Paradigmas – teilweise uneinig.

Dieter Haller definierte im Jahr 2005 Eurozentrismus wie folgt:

„Von Eurozentrismus spricht man, wenn die europäische Kultur den Bewertungsmaßstab darstellt.“[10]

Samir Amin sieht im Eurozentrismus nicht die spezifische Summe der Vorurteile und Fehler der Europäer im Hinblick auf andere Völker; derartige Vorurteile existierten auch umgekehrt den Europäern gegenüber. Dabei handle es sich um ein verbreitetes kulturelles Phänomen. Doch sei Eurozentrismus mit einem uneingelösten und nur scheinbaren universalistischen Anspruch verbunden, da seine Verfechter nicht nach möglichen allgemeinen Gesetzen der menschlichen Evolution suchten. Darum erscheine ihnen als einzige Lösung der heutigen Probleme, dass alle Völker dem westlichen Modell nacheifern.[11] Eurozentrismus sei keine Gesellschaftstheorie, sondern eine Verzerrung der Sicht auf die Welt, die der Mehrheit der vorherrschenden Gesellschaftstheorien und Ideologien zugrunde liege. Es handle sich somit um ein sehr einflussreiches Paradigma, das aus sich selbst heraus funktioniere und sich oft in Grauzonen scheinbar augenscheinlicher Fakten und gängigen Allgemeinwissens bewege.[12] Laut Karl-Heinz Kohl muss Eurozentrismus jedoch nicht in allen Fällen mit der Bevorzugung der eigenen kulturellen Gewohnheiten einhergehen; stattdessen könne er auch zu ihrem kritischen Infragestellen führen und unter Umständen zur Idealisierung des Fremden.[13]

Kolja Lindner differenziert am Beispiel von Karl Marx vier Dimensionen des Eurozentrismus: einen Ethnozentrismus, der die Überlegenheit westlicher Gesellschaften behauptet (s. u.); einen „orientalistischen“ Blick auf nicht-westliche Weltgegenden (anschließend an Edward Said); ein Entwicklungsdenken, das europäische Geschichte als Vorbild für weltweite Entwicklungen universalisiert; und eine Unterschlagung nicht-westlicher Geschichte bzw. ihres Einflusses auf die Entwicklung Europas (anschließend an Ansätze aus der Globalgeschichte).[14]

Entwicklungsaspekte eurozentrischer Perspektiven

Die gefühlte Allmacht der Kolonialmächte war ein entscheidender Nährboden für die weltweite Verbreitung eurozentrischen Denkens.
Die Demokratie wird vorwiegend auf die europäischen Kulturen zurückgeführt. Das „Great Law of Peace“ des Irokesenbundes – einer sehr alten demokratischen Verfassung – wird höchstens als Randnotiz erwähnt.

Nach Shohat und Stam ist der eurozentristische Diskurs durch einen linearen historischen Verlauf gekennzeichnet, der von dem als „westlich“ und „demokratisch“ konstruierten klassischen Griechenland über das Römische Reich zu den Metropolen Europas und der Gründung der USA führt. Immer wird Europa als Motor fortschrittlicher Entwicklungen gesehen (z. B. Klassengesellschaft, Feudalismus, Demokratie, Kapitalismus, industrielle Revolution)[9] und über seine besten Errungenschaften und Leistungen in Wissenschaft, Entwicklung und Humanismus definiert.[15]

Kochanek sieht den Eurozentrismus als Resultat eines langen Prozesses. Während der Norden im Alten Testament gleichzeitig als heilig und als dämonisch dargestellt wird – das „Gelobte Land“ steht dem Norden hier als Zentrum gegenüber – und in der griechischen und römischen Antike vor allem die Vorstellung von nördlichen Barbaren vorherrscht, wird dieses Bild in der Zeit der Völkerwanderungen von einem theologisch-anthropologischen Christozentrismus ersetzt, in dem der Norden nicht mehr so stark abgegrenzt und weniger negativ gesehen wird. Im Mittelalter entstand das Bild des christlichen Europas mit nur einzelnen nicht-christlichen Regionen. Mit der Annahme eines christlichen Missionsauftrags sei es zur Ausbildung eines eurozentristischen Selbstverständnisses gekommen; demnach ist der Eurozentrismus laut Kochanek stark vom Christozentrismus beeinflusst.[16]

Blaut bezeichnet Eurozentrismus als das Weltbild der Kolonisatoren („the colonizer’s model of the world“).[17] Auch nach Shohat und Stam entstand Eurozentrismus zunächst als diskursive Grundlage des Kolonialismus, durch den die europäischen Mächte die Hegemonie in weiten Teilen der Welt erlangten.[9] Mit eurozentristischen Perspektiven gehen oft Wahrnehmungsdefizite und Verharmlosungen von Kolonialismus, Sklaverei oder Imperialismus einher.

In eurozentristischer Forschung wird davon ausgegangen, dass das Aufkommen der Moderne allein der Wegbereitung durch die Europäer – ohne Beteiligung von Nicht-Europäern – zuzuschreiben ist.[18] Für Amin ist der Eurozentrismus ein spezifisches Phänomen der Moderne, dessen Wurzeln zwar bis in die Renaissance reichen, dessen Blütezeit aber ins 19. Jahrhundert fällt. Damit wäre er als eine Dimension der Kultur und Ideologie der modernen kapitalistischen Welt zu betrachten.[11]

Eurozentrismus in den Sozialwissenschaften

Die europäische intellektuelle Tradition der Sozialwissenschaften ist heute die an den Universitäten dominierende. Sie wird somit als Standard gesetzt, und andere Traditionen werden dabei vernachlässigt.[19]

Obwohl in der Soziologie, wie auch in der Sozialpsychologie, davon ausgegangen wird, dass man sein eigenes Selbst und somit auch die eigene Gesellschaft nur durch die Einbeziehung der Betrachtung von außen gänzlich verstehen kann, wird dies laut Hauck in der Wissenschaftspraxis kaum reflektiert.[20]

„Man glaubt, die Charakteristika der eigenen Gesellschaft erkennen zu können, ohne jemals ernsthaft über den eigenen Tellerrand hinaus geschaut zu haben.“[20]

Auch wenn die Sozialwissenschaft eine gesamtgesellschaftliche Analyse in ihre Forschung einbezieht, sieht Hauck die Gefahr einer eurozentristischen Sichtweise. Denn oft wird dann bei der Beschreibung des „Westens“ oder der „Moderne“ eine Abgrenzung zu etwas oder jemand „anderem“ vorgenommen.

„Wir sind X, die anderen Nicht-X (Y oder Z).“[20]

Häufig werde über diesen „anderen“ aber nicht tiefgründig geforscht, stattdessen die eigene Gesellschaft dargestellt, und das Gegenteil wiederum auf ‚die Anderen‘ projiziert. In einigen Theorien und Veröffentlichungen wird laut Hauck zwischen den verschiedenen „anderen“ gar nicht weiter differenziert, wie beispielsweise in der Modernisierungstheorie, wo die „Moderne“ den „traditionellen Gesellschaften“ ohne nähere Unterscheidungen gegenübergestellt wird. Und auch wenn weiter differenziert wird, bedeute das nicht unbedingt eine tiefgehende historische Prüfung der Darstellungen der „anderen“.[21] Bemerkenswerterweise weist auch die Psychologie diese Mängel auf, obwohl die Entstehung, Auswirkung und Eindämmung von kognitiven Schemata, Stereotypen und Vorurteilen wie sie auch den Eurozentrismus prägen, zu ihren zentralen Forschungsthemen gehört.[22]

Eurozentrismus findet sich auch in einigen Evolutionstheorien. Dabei handelt es sich um Theorien, die davon ausgehen, dass der gegenwärtige Zustand der eigenen Gesellschaft Maß und Ziel der anderen Gesellschaften ist (z. B. Comte, Spencer, Stalin, Rostow). Es wird von einer kumulativen Entwicklung ausgegangen, wobei die eigene Gesellschaft stets als die von allen Gesellschaften am höchsten entwickelte angesehen wird.[23]

Die größten Nährboden für Eurozentrismus sieht Hauck im Naturalismus bzw. in dem Hang, die eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu naturalisieren, was vor allem ökonomischen Theorien oft zu Grunde liege.[24]

„Methodisch erscheint als wichtigstes Einfallstor für den Eurozentrismus in den Sozialwissenschaften die Wissenschaftsauffassung, die Alfred Schütz als „Naturalismus“ charakterisiert und kritisiert hat.“[25]

Dadurch würden Intersubjektivität, Interaktion, Interkommunikation und Sprache als gegeben angesehen und nicht hinterfragt. Handlungsinterpretationen würden demnach nur vor dem eigenen kulturellen Hintergrund vorgenommen, mit dem Risiko, dass die Bedeutungen, die andere Kulturen Handlungen zuschreiben, nicht ausreichend verstanden und fehlinterpretiert werden.[26]

Hauck kommt nach näherem Betrachten der Theorien von Comte, Mill, Pareto und Durkheim zu dem Schluss, aller soziologischer Positivismus sei Naturalismus und somit sehr anfällig für eine unreflektierte eurozentristische Sichtweise.[27]

Diskursaspekte zum Eurozentrismus

Die Menschenrechte: Historisch eurozentrisch, derzeit jedoch universell gültig

Für Jörn Rüsen gehört es „zu den fundamentalen Einsichten in die Kontextabhängigkeit des historischen Denkens und in die Logik seiner Vernunftansprüche“, sich auf interkulturelle Kommunikation unter dem Vorzeichen der Globalisierung einzustellen. Es gehe nicht mehr an, die westliche Wissenschaftstradition „unbesehen für transkulturell wirksam zu halten.“ Nicht-westliche Traditionen hätten in den letzten Jahrzehnten neue Kontexte des historischen Denkens erschlossen. Rüsen plädiert dafür, „kulturelle Differenz als Inspiration und nicht als Grenze der historischen Erkenntnis“ zur Geltung zu bringen.[28]

Der ägyptische Ökonom Samir Amin hat sich einer umfassenden und grundlegenden Kritik des Eurozentrismus gewidmet. Er betrachtet Eurozentrismus als einen modernen Mythos, der im Wesentlichen anti-universal und herrschaftssichernd motiviert ist. Dabei werde die Rekonstruktion der Geschichte Europas und der Welt im Kontext der ideologischen Konstruktionen des Kapitalismus legitimiert und als vermeintlicher Universalismus dargestellt.

Shohat und Stam setzen sich für einen anti-eurozentristischen Multikulturismus ein. In Unthinking Eurocentrism untersuchen sie, welche Rolle die Medien bei der Reproduktion des Eurozentrismus spielen, aber auch, wie diese genutzt werden können, um dem Eurozentrismus entgegenzuwirken.[29]

Vor allem von afrikanischen, asiatischen und islamischen Autoren wird der Vorwurf des Eurozentrismus der Menschenrechte erhoben, die nicht den Traditionen aller Kulturen entsprächen. Tatsächlich sind die Menschenrechte zuerst in Europa und Nordamerika als Mittel zur Macht- und Herrschaftsbegrenzung entwickelt worden und demnach eurozentrischen Ursprungs. Laut dem Sozialwissenschaftler Dieter Senghaas wurden die Menschenrechte jedoch offensichtlich nicht in die ursprünglichen „Kulturgene“ Europas eingepflanzt, denn der überwiegende Teil europäischer Geschichte zeige keinerlei Sympathien für das, wofür die Menschenrechte stünden.[30] Doch auch gegen die Kritik am Eurozentrismus werden – im Sinne der Ablehnung von Kulturrelativismus – Einwände erhoben, vor allem was die Universalität der Menschenrechte betrifft. Auf die Wendung gegen einen kulturellen Relativismus geht Dipesh Chakrabarty ein. Es gehe nicht darum zu behaupten, dass der Rationalismus der Aufklärung in sich unvernünftig sei; vielmehr solle dokumentiert werden, wie und durch welch historischen Prozess der Eindruck – der schließlich nicht für jeden zu allen Zeiten evident war – erweckt werden konnte, dass die „Vernunft“ der Aufklärung auch weit über den Ort hinaus, an dem sie entwickelt wurde, „offenkundig“ sei.[31]

Eurozentristisches Denken wird unter mehreren Gesichtspunkten kritisiert. Neuere Autoren sehen es teilweise als eine Variante des Ethnozentrismus, der (in diversen Schattierungen) bei allen menschlichen Gesellschaften zu beobachten sei, beispielsweise im Selbstbild des chinesischen Kaiserreichs als „Reich der Mitte“, das sich als überlegener Mittelpunkt der Welt betrachtet und auf die umgebenden „barbarischen Völker“ herabgesehen habe (Sinozentrismus). In dieser Parallelisierung außer Acht gelassen werden allerdings einige konstitutive Merkmale des Eurozentrismus (europäische Expansion, koloniale Penetration, imperialistische Herrschaft, weltweite Dominanz).

Die Forschungen einer Gruppe lateinamerikanischer Wissenschaftler um Enrique Dussel, Walter D. Mignolo und Aníbal Quijano, die als Modernidad/Colonialidad (M/C) bekannt wurde, betrachten Eurozentrismus nicht nur als Ausdruck europäischer Selbstwahrnehmung, sondern als auferlegte Perspektive auch für die Menschen, die den Einflüssen westlicher Hegemonie ausgesetzt sind.[32] Der Eurozentrismus sei mit einem „Mythos der Moderne“ versehen, der ein Anderssein auf gleicher Stufe negiert. Daraus werde die Legitimation abgeleitet, die Entwicklung der als „Primitive“, „Ungebildete“ und „Wilde“ angesehenen Gesellschaften im Sinne eurozentristischer Grundmuster zu beeinflussen.[32][33]

Eine Überwindung des Eurozentrismus in Forschung und Wissenschaft strebt die Nord-Süd Forschungszusammenarbeit an. Durch eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Forschern aus dem Globalen Süden und dem Globalen Norden sollen unterschiedlichen Perspektiven berücksichtigen werden, um Themen zu erforschen, die stark mit Werten aufgeladen oder mit gegensätzlichen Interessen und Machtansprüchen verbunden sind.[34]

Verwandte Begriffe und Abgrenzungen

Ethnozentrismus

Der Hamburger: Nahrungsmittel einer eurozentrischen Weltkultur?

Eurozentrismus kann als eine spezielle Form des Ethnozentrismus aufgefasst werden. Von Ethnozentrismus spricht man, wenn das Verhalten anderer aus den Traditionen und Werten der eigenen kulturellen Realität heraus interpretiert wird. Dabei wird – unbewusst – die eigene Gruppe durch Zuschreibung positiver und negativer Eigenschaften von „den Anderen“ abgegrenzt. Die eigene Kultur wird meist wie selbstverständlich als besser empfunden.[35] Im Falle des Eurozentrismus umfasst die Gruppenzugehörigkeit nicht eine bestimmte (historisch gewachsene) Kultur, sondern viele verschiedene Kulturen unterschiedlicher Herkünfte, die sich mit der europäischen Kultur identifizieren.

Weitere Begriffe

Eurozentrismus ist auch mit Nationalismus vergleichbar, der die eigene Nation ins Zentrum stellt; im Falle des deutschen Nationalismus ist auch von „Teutozentrismus“ (auch Germanozentrismus oder Deutschtümelei) die Rede.[36] Eurozentrismus ist nicht zu verwechseln mit Rassismus: Es ist durchaus möglich, antirassistisch eingestellt zu sein und dennoch eine eurozentrische Sichtweise innezuhaben.[37]

Literatur

  • Karl-Heinz Kohl: Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Beck, München 1993. (3. Aufl. München 2012, ISBN 978-3-406-46835-3)
  • Wolfgang Schmale: Gender and Eurocentrism. A conceptual approach to European history. Steiner, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-515-11461-5.
  • Ngugi wa Thiong'o: Die Befreiung der Kulturen vom Eurozentrismus. In: Moving the Centre. Essays über die Befreiung afrikanischer Kulturen. Unrast, Münster 1995, ISBN 3-928300-27-X.
  • Vassilis Lambropoulos: The rise of eurocentrism: anatomy of interpretation. Princeton Univ. Press, Princeton NJ 1993.
  • Dieter Haller: dtv-Atlas Ethnologie, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 3-423-03259-6.
  • Dipesh Chakrabarty: Provincializing Europe – Postcolonial thought and historical difference Princeton University Press, Princeton, Oxford 2000.
  • Ella Shohat, Robert Stam: Unthinking Eurocentrism: multiculturalism and the media, Routledge 1994, ISBN 0-415-06325-6.
  • Gerhard Hauck: Die Gesellschaftstheorie und ihr Anderes: wider den Eurozentrismus der Sozialwissenschaften, Münster 2003, ISBN 3-89691-551-7.
  • James Morris Blaut: Eight Eurocentric Historians. Guilford Press, 2000, ISBN 1-57230-591-6.
  • Kolja Lindner (2011): Eurozentrismus bei Marx. Marx-Debatte und Postcolonial Studies im Dialog, in: Bonefeld, Werner; Heinrich, Michael (Hg.): Kapital & Kritik. Nach der „neuen“ Marx-Lektüre, Hamburg, VSA-Verlag, S. 93–129.
  • Michael Wintle: Eurocentrism. History, Identity, White Man's Burden. Routledge, London / New York 2021, ISBN 978-0-367-85698-4
  • John Hobson: Revealing the Cosmopolitan Side of Oriental Europe. The Eastern Origins of European Civilisation. In: Gerard Delanty (Hrsg.): Europe and Asia beyond East and West Routledge, London 2007, ISBN 978-0-415-37947-2.
  • Stefan Gandler: Alltag in der kapitalistischen Moderne aus peripherer Sicht. Nicht-eurozentrische Theoriebeiträge aus Mexiko. In: Review. A Journal of the Fernand Braudel Center. Binghamton, N.Y., Jg. XXVI, Nr. 3, Herbst 2003, S. 407–422. ISSN 0147-9032.
  • Pradeep Chakkarath: Stereotypes in social psychology: The “West-East“ differentiation as a reflection of western traditions of thought. In: Psychological Studies 55(1), 2010, S. 18–25. DOI: 10.1007/s12646-010-0002-9
  • Samir Amin: L’eurocentrisme, critique d’une idéologie. Paris 1988, engl. Eurocentrism, Monthly Review Press 1989, ISBN 0-85345-786-7.
  • Georg Hansen: Ethnozentrismus, Eurozentrismus, Teutozentrismus, VernUniversität 1993.
  • Piotr Kochanek: Die Vorstellung vom Norden und der Eurozentrismus: eine Auswertung der patristischen und mittelalterlichen Literatur, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2004, ISBN 3-8053-3456-7.
  • James Morris Blaut: The Colonizer’s Model of the World: Geographical Diffusionism and Eurocentric History. Guilford Press 1993, ISBN 0-89862-348-0.
  • Hans-Adolf Jacobsen: Karl Haushofer – Leben und Werk, Harald Boldt Verlag, Boppard 1979.
  • Sebastian Conrad, Shalini Randeria, Regina Römhild (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. 2. Auflage, Campus, Frankfurt 2013, ISBN 978-3-593-39517-3.
  • Rajiv Malhotra: [[Being Different]]: An indian challenge to western universalism. Harpercollins India., Noida 2013.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. IIKD Glossar: Eurozentrismus
  2. Ella Shohat, Robert Stam, 1994, S. 1
  3. vgl. Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden 2001, Bd. 14: 256
  4. vgl. Amin 1989: vii f
  5. vgl. Kohl 1993: 152
  6. Edward Goldsmith: Der Weg. Ein ökologisches Manifest. 1. Auflage, Bettendorf, München 1996, S. 201ff
  7. vgl. Hansen 1993: 14
  8. Europa. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 8, Leipzig 1734, Sp. 2192–2196. – Zitat Spalte 2195 unten
  9. a b c Ella Shohat, Robert Stam, 1994, S. 2
  10. Haller 2005: 17
  11. a b vgl. Amin 1989: vii
  12. vgl. Amin 1989: viiff.
  13. vgl. Kohl 2000: 32
  14. vgl. Lindner 2011: 95f
  15. Ella Shohat, Robert Stam, 1994, S. 3
  16. vgl. Kochanek 2004.
  17. Blaut 1993: 10
  18. vgl. Hobson 2007: 109
  19. Vgl. Chakrabarty 2000: 5
  20. a b c Hauck 2003: 7
  21. Hauck 2003: 7 f.
  22. Pradeep Chakkarath: Stereotypes in social psychology: The “West-East“ differentiation as a reflection of western traditions of thought. Nr. 55 (1), 2010, S. 18–25, doi:10.1007/s12646-010-0002-9.
  23. vgl. Hauck 2003: 9
  24. vgl. Hauck 2003: 8
  25. Hauck 2003: 11
  26. Hauck 2003: 11f
  27. Hauck 2003: 20ff.
  28. Jörn Rüsen: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2013, S. 19 f.
  29. Ella Shohat, Robert Stam, 1994
  30. Yayrator Glover Ist die Universalität der Menschenrechte eine Utopie?. Philosophisches Seminar der Universität Zürich, Willisau (CH) 2002. S. 55.
  31. Dipesh Chakrabarty: Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference - New Edition. Princeton University Press, 2009, ISBN 1-4008-2865-1 (google.de [abgerufen am 23. Juni 2018]).
  32. a b Sebastian Garbe: Das Projekt Modernität/Kolonialität - Zum theoretischen/akademischen Umfeld des Konzepts der Kolonialität der Macht. In: Pablo Quintero, Sebastian Garbe (Hrsg.): Kolonialität der Macht. De/Koloniale Konflikte: zwischen Theorie und Praxis. Unrast Verlag, Münster 2013, S. 35–37
  33. Enrique Dussel: Europa, Modernidad y eurocentrismo. In: Edgardo Lander: La colonialidad del saber: eurocentrismo y ciencias sociales; perspectivas latinoamericanas. Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales, Buenos Aires 2000, S. 41–53 (hier S. 49)
  34. Alexandra Hofmänner: A Short Hostory of the KFPE 1994 – 2019. In: swiss academies communication. Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern, 2020, abgerufen am 13. Dezember 2021 (englisch).
  35. vgl. Haller 2005: 17
  36. vgl. Hansen 1993.
  37. Ella Shohat, Robert Stam, 1994, S. 4

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