Etruskische Zahlschrift

Etruskische Zahlzeichen für die Zahl 106

Die etruskische Zahlschrift diente der Zahldarstellung in der etruskischen Schrift und wurde von den Etruskern seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. bis zur Assimilation durch die Römer im 1. Jahrhundert v. Chr. verwendet. Wie die römische Zahlschrift ist auch die etruskische Zahldarstellung eine additive Zahlschrift ohne Stellenwertsystem und ohne Zeichen für Null. Zugrunde liegt ein kombiniert quinär-dezimales bzw. biquinäres Zahlensystem mit den Basiszahlen 5 und 10.

Ursprung der Zahlschrift

Etruskische Zahlzeichen für die Zahl 63

Etruskische Buchstaben lassen sich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. nachweisen, etruskische Zahlzeichen erst etwa 100 Jahre später. Die Zahlschrift könnte sich unabhängig von anderen kumulativ-additiven Dezimalsystemen aus dem Mittelmeerraum entwickelt haben. Dafür spricht, dass in keinem früheren Zahlensystem die Basiszahlen 5 und 10 verwendet wurden. Alternativ könnten die etruskischen Ziffern von der Linearschrift B der Mykener abstammen. Bemerkenswert ist die Übereinstimmung der Zahlzeichen für 10000. Allerdings gibt es keine weitere Gemeinsamkeit hinsichtlich der verwendeten Zahlsymbole. Einflüsse des mykenischen Griechenlands auf die etruskische Kultur sind zwar vorhanden, betreffen aber nicht die Verwendung von Schriftzeichen. Zudem ist die Blütezeit der mykenischen Siedlungen in Süditalien zeitlich so früh anzusetzen, dass ein direkter kultureller Kontakt mit den Etruskern unwahrscheinlich ist.[1]

Die etruskischen Zahlsymbole weisen strukturell einige Gemeinsamkeiten mit den akrophonischen Zahlen der frühen griechischen Zahlschrift auf. Beide Zahldarstellungen verwendeten die Basiszahlen 5 und 10. Es gab gleichermaßen Zahlzeichen für 1, 5, 10, 50, 100, 500, 1000, 5000 und 10000. Im späten 6. Jahrhundert v. Chr. lassen sich in Süditalien frühgriechische Ziffern epigraphisch beim kulturellen Kontakt mit den Etruskern nachweisen. Die etruskische Schrift hat sich aus einem westgriechischen Alphabet der griechischen Kolonisten in Süditalien entwickelt. Somit könnten die Etrusker auch die Zahlschrift von den Griechen adaptiert haben. Allerdings ist es bisher nicht möglich, den Griechen oder Etruskern bei der Entwicklung der Zahlschrift die chronologische Priorität zuzuordnen. Dass die Entwicklung der Zahlschrift bei Etruskern und Griechen unabhängig voneinander erfolgte, erscheint unwahrscheinlich.[2]

Etruskische Zahlzeichen

Etruskische Zahlzeichen

Die Zahlzeichen für ½, 1, 5, 10, 50 und 100 sind durch Münzfunde und Grabinschriften belegt. Die Symbole für 5 und 50 entsprechen jeweils der unteren Hälfte der Zeichen für 10 und 100. Die Zahlzeichen für 1000 und 10000 finden sich sehr selten und sind nicht ganz gesichert. Die Symbole für 500 und 5000 konnten bisher nicht nachgewiesen werden und dürften sich wieder aus der unteren Hälfte der Zeichen für 1000 und 10000 ergeben.[3]

Ein Indiz für die Angabe des Zahlenwerts 500 durch einen Halbkreis, der sich als Zahlenangabe auf zwei Inschriften findet, ist die spätere römische Schreibweise D. Das seltene Symbol C für 100 wurde vermutlich erst im 3. Jahrhundert verwendet. Wahrscheinlich entwickelten zuerst die Römer dieses Zahlzeichen, woraufhin es in die etruskische Schrift übernommen wurde.[4]

Epigraphisch überliefert sind etwa 200 Zahldarstellungen mit Zahlsymbolen und etwa 40 Zahlwörter in Lautschrift mit Buchstaben. Bei Grabinschriften handelt es sich meistens um Altersangaben für die Verstorbenen. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurden Münzen mit den Wertangaben ½, 1, 5, 10, 50 und 100 in uneinheitlichen Schreibweisen geprägt. Auf einigen Tonscherben von Behältnissen finden sich Angaben zur Menge oder zum Wert des Inhalts.[5]

Zahldarstellung

In der etruskischen Schrift wurden die Buchstaben linksläufig, d. h. von rechts nach links geschrieben. Ebenso gingen die Etrusker bei der Zahldarstellung vor und ordneten die Ziffern von rechts nach links mit absteigendem Zahlenwert an. Dabei verwendeten sie größtmögliche Ziffern bzw. eine möglichst kleine Anzahl an Zahlsymbolen. Beispielsweise ist 66 die Summe 50 + 10 + 5 + 1, in etruskischen Ziffern 𐌣 + 𐌢 + 𐌡 + 𐌠. Damit ergibt sich von rechts nach links die Schreibung 𐌠𐌡𐌢𐌣.[6]

Bei der Darstellung von Zahlen wurde gelegentlich eine Subtraktionsregel angewandt, wie man sie von der römischen Zahlschrift kennt. Ist das Zahlzeichen 𐌠 dem Zahlzeichen 𐌢 vorangestellt, so wird ihr Zahlwert 1 von 10 abgezogen. Dadurch soll vermieden werden, mehrere gleiche Zahlzeichen in direkter Aufeinanderfolge zu schreiben. Überliefert sind Darstellungen der Zahl 28 mit 𐌢𐌢𐌠𐌠𐌢 und 𐌢𐌠𐌠𐌢𐌢 jeweils in der Bedeutung 10 + 10 + 10 – 1 – 1.[7]

Es wurde auch 𐌢 dem 𐌣 vorangestellt, so dass sich der Zahlenwert 50 − 10 gleich 40 ergibt, wie z. B. bei der Darstellung der Zahl 42 als 𐌠𐌠𐌣𐌢.[8] Wie auch bei den Römern kam die Subtraktionsregel nicht konsequent zur Anwendung, wie die etruskische Schreibungen der Zahlen 38 als 𐌠𐌠𐌠𐌡𐌢𐌢𐌢, 39 als 𐌠𐌠𐌠𐌠𐌡𐌢𐌢𐌢 und auch 42 als 𐌠𐌠𐌢𐌢𐌢𐌢 belegen.[9]

Nachwirkung

Die Römer übernahmen bei der Entwicklung ihrer Zahlschrift offenbar neben der Zahldarstellung mit den Basiszahlen 5 und 10 auch die etruskischen Zahlsymbole von 1 bis 100, wobei sie die Ziffern nicht nur umgekehrt von links nach rechts, also rechtsläufig anordneten, sondern anscheinend die gesamte Zahldarstellung um 180° drehten. Für die Zahl 50 wurde das etruskische Pfeilsymbol 𐌣 auf den Kopf gestellt, dann dafür ⊥ geschrieben und später das bekannte Symbol L verwendet. Aus dem etruskischen Zahlsymbol ⨂ für 1000 mit der Kurzschreibweise ⨝ entwickelte sich wahrscheinlich das frührömische Zeichen , woraus das Zahlsymbol M für 1000 entstanden ist.[10] Ebenso dürfte das römische Zahlsymbol D für 500 seinen Ursprung im entsprechenden etruskischen Zeichen haben.

Römisches ZahlzeichenIVXLCDM
Zahlenwert1510501005001000

Die Zahl 66 wurde in römischer Zahlschrift als LXVI geschrieben, da 50 + 10 + 5 + 1 in römischen Ziffern L + X + V + I entspricht. Diese Zahldarstellung entspricht einer 180°-Drehung der etruskischen Schreibweise 𐌠𐌡𐌢𐌣. Die etruskische Zahldarstellung mit den Basiszahlen 5 und 10 und die etruskischen Zahlsymbole wurden auch nahezu unverändert von den Italikern übernommen wie z. B. von den Oskern, Umbrern und Faliskern.[11]

Quellen

  • IPA AMA HEN NAPER 𐌠𐌠𐌢
Was hier 12 Flächenmaße ist.
  • SEMNI RAMTHA SPITUS LARTHAL PUIA AMCE LUPU AVILS 𐌠𐌠𐌢𐌢 HUŚUR CI ACNANASA
Ramtha Semni war die Ehefrau von Larth Spitu, verstorben mit 22 Jahren, drei Kinder gehabt.
  • ANES ARNTH VELTHURU(S) CLAN LUPU AVILS 𐌣
Anes Arnth, Sohn des Velthur, verstorben mit 50 Jahren.
  • ATNAS VEL LARTHAL CLAN SVALCE AVIL 𐌠𐌠𐌠𐌢𐌣
Vel Atnas, Sohn des Larth, lebte 63 Jahre.
  • METLI ARNTHI PUIA AMCE SPITUS LARTHAL SVALCE AVIL 𐌠𐌠𐌠𐌠𐌢𐌣 CI CLENAR ANACNAS ARCE
Arnthi Metli war die Ehefrau von Larth Spitu, sie lebte 64 Jahre, drei Kinder gehabt, sie machte (dieses Grab).
Inschrift in einer Grabkammer bei Tarquinia aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.
  • VELTHUR PARTUNUS ZILCH CECHANERI TENTHAS AVIL SVALTHAS 𐌠𐌠𐌢𐌢𐌢𐌣
Velthur Partunus, das Amt des Prätors mit sakraler Funktion ausgeübt, 82 Jahre gelebt.
  • FELSNAS LA(RIS) LETHES SVALCE AVIL 𐌠𐌡 MURCE CAPUE TLECHE HANIPALUSCLE
Laris Felsnas, (Sohn) des Lethe, lebte 106 Jahre, wohnte in Capua, kämpfte (?) für (oder gegen) Hannibal.
Sog. Hannibal-Inschrift aus einem Grab bei Tarquinia

Siehe auch

Literatur

  • Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: The Etruscan Language: An Introduction. 2. Auflage. Manchester University Press, Manchester/New York 2002, ISBN 0719055407.
  • Stephen Chrisomalis: Numerical Notation: A Comparative History. Cambridge University Press, Cambridge 2010, ISBN 9780521878180.
  • Massimo Pittau: La Lingua Etrusca: Grammatica e Lessico. Insula Edizioni, Nuoro 1997, ISBN 9788886111072.

Weblinks

Commons: Etruskische Zahlschrift – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Stephen Chrisomalis: Numerical Notation: A Comparative History, S. 95.
  2. Stephen Chrisomalis: Numerical Notation: A Comparative History, S. 96 und S. 103.
  3. Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: The Etruscan Language: An Introduction, S. 97–98.
  4. Stephen Chrisomalis: Numerical Notation: A Comparative History, S. 95.
  5. Stephen Chrisomalis: Numerical Notation: A Comparative History, S. 96.
  6. Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: The Etruscan Language: An Introduction, S. 98.
  7. Massimo Pittau: La Lingua Etrusca: Grammatica e Lessico, S. 76.
  8. Massimo Pittau: La Lingua Etrusca: Grammatica e Lessico, S. 107.
  9. Massimo Pittau: La Lingua Etrusca: Grammatica e Lessico, S. 76.
  10. Giuliano Bonfante, Larissa Bonfante: The Etruscan Language: An Introduction, S. 98.
  11. Stephen Chrisomalis: Numerical Notation: A Comparative History, S. 96.

Auf dieser Seite verwendete Medien

Tomb inscription from Tarquinia.jpg

Inscription on the wall of a tomb in Tarquinia.
Etruscan: METLI ARNTHI PUIA AMCE SPITUS
LARTHAL SVALCE AVIL LXIIII CI CLE
NAR ANACNAS ARCE

English: Metli Arnthi was the wife of Larth Spitus, she lived for sixty-four years, having had three sons, she made (the grave).
Populonia 50 Asses 90020011 front.jpg
(c) Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com, CC BY-SA 2.5
Italy,Etruria, Populonia. Circa 380-350 BC.
AV 50 Asses (2.75 g).
Lion’s head to right with open jaws and extended tongue; below Etruscan numeral for 50.
Rev. Blank. AMB 8 (same dies).
Populonia AR 10 asses 92000172 front.jpg
(c) Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com, CC BY-SA 2.5
Italy,Etruria, Populonia. 3rd century BC.
AR 10 Asses (Denarius?) (17mm, 4.18 g).
Laureate head of Aplu left; X (mark of value) behind
Blank.
Sarcophagus inscription from Tuscania detail 2.jpg
Inscription on a stone sarcophagus from Tuscania: 𐌣XIII = 63
Hannibal Inscription from Tarquinia completed.jpg

Hannibal Inscription from Tarquinia, painted on the wall of a tomb at Tarquinia.
Etruscan: FELSNAS LA(RIS) LETHES SVALCE AVIL CVI MURCE CAPUE TLECHE HANIPALUSCLE

English: Felsnas Laris, (son) of Lethe, lived 106 years, lived in Capua, fought (?) for (or against) Hannibal.
Polulonia 25 asses 74000022 front.jpg
(c) Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com, CC-BY-SA-3.0

Etruria, Populonia. Circa 211-206 BC.

AV 25 Asses (1.40 g)
Second Punic War issue. Lion's head right; X-XV (mark of value) below and behind
Blank.

Vecchi I 47; HN Italy 128; SNG ANS 2; SNG France -; SNG Copenhagen 36.

This Etruscan gold coin dates from the Second Punic War. The series it belongs to has denominational marks related to the bronze As, issued on the Roman sextantal standard (an As of two ounces) introduced circa 211 BC. Issued contemporaneously with the Roman Head of Mars/Eagle types of 60, 40 and 20 Asses, they probably did not circulate long after the cessation of the Roman types, as by circa 209 BC relations between Rome and Etruria had been strained considerably. The Etruscan types of the series differ from their Roman counterparts by the archaizing blank reverse which is shared by the silver coinage of Populonia as well, but is without parallel outside Etruria.
Etruskische Zahlzeichen.jpg
Autor/Urheber:

unbekannt

, Lizenz: PD-Schöpfungshöhe

Etruskische Zahlzeichen

Populonia 5 asses Turms 77000007 front.jpg
Autor/Urheber: CNG, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Etruria, Populonia. 3rd century BC.

AR 5 Asses (3.30 g).
Head of Turms left, wearing winged petasos; mark of value to right
Blank.
Vecchi 1-5 var. (unlisted obv. die); HN Italy 123; SNG ANS -; SNG Copenhagen 40; BMC 31.
Good VF, toned. Extremely rare, only 12 examples recorded by Vecchi, 9 of which are in museums.
Hannibal Inscription from Tarquinia detail.jpg

Detail of Hannibal Inscription from Tarquinia, painted on the wall of a tomb at Tarquinia.

Number 106 shown in etruscan numerals.