Ethnische Minderheit

Ethnische Minderheiten sind Ethnien, die als Minderheit auf dem Territorium eines Staates leben. Als Teil eines Staatsvolkes unterscheidet sich die Minderheit vom Rest der Bevölkerung in mehreren Merkmalen wie Sprache, Kultur oder Religion. In Nordamerika spricht man auch dann von ethnischen Minderheiten, wenn lediglich eine Herkunft aus derselben Weltgegend vorliegt und die Bevölkerungsgruppe eine zahlenmäßige Minderheit darstellt, z. B. bei den Gruppen der Afroamerikaner oder der Lateinamerikaner. Die Angehörigen verbleiben in der ethnischen Minderheit, auch wenn keine sprachlichen, kulturellen oder religiösen Unterschiede zur übrigen Bevölkerung feststellbar sind.

In vielen Fällen verteilen sich ethnische Minderheiten auf mehrere Staaten. Beispiele dafür sind Basken und Katalanen (die hauptsächlich in Spanien und Frankreich leben), Ungarn in Rumänien und diverse Volksgruppen im Nahen Osten (Kurden, Jesiden, irakische Turkmenen, Assyrer, Mandäer, Schabak, Faili-Luren (Luren im Irak) und Luren im Iran)[1][2][3][4][5] oder in Vietnam (annamitische Gebirgsvölker).

Wenn in Europa eine ethnische Minderheit unter das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates fällt und staatsrechtlich anerkannt ist, so wird sie völkerrechtlich oft als nationale Minderheit bezeichnet. In vielen Fällen gelten dann Minderheitenschutzrechte.

Kriterien

Eine ethnische Minderheit kann sich durch folgende Merkmale von weiteren Ethnien unterscheiden:

Oft liegen jedoch nicht alle dieser Merkmale gleichzeitig vor – nimmt man jedoch als Basis die gemeinsamen Punkte aus den Minderheitsdefinitionen von Europarat und UNO, so sind als objektive Merkmale eindeutige Abgrenzungen hinsichtlich ethnischer, religiöser oder sprachlicher Charakteristika und die numerische Unterlegenheit bzw. Nicht-Dominanz vonnöten, während subjektive Kriterien wie z. B. die Selbstdefinition allein nicht ausreichend sind. Es kann sich also bei einer Gruppe auch im Falle nur eines objektiv feststellbaren charakteristischen Unterschiedes wie z. B. Sprache oder Religion trotzdem um eine ethnische Minderheit handeln.

Typen ethnischer Minderheiten

Nach der Genese lassen sich unterscheiden:

  1. Minderheiten, die einer seit unvordenklich langer Zeit bestehenden Ethnie zugerechnet werden: Diese Minderheiten bilden teils hochstabile Volksgruppen. Beispiele in Westeuropa wären Basken und keltische Nationen (wohl aus vorchristlicher Zeit) oder Zimbern (etwa 11./12. Jahrhundert)
  2. Minderheiten ohne gemeinsame Vorgeschichte: Typisch für solche Minderheiten ist die Herausbildung von Kreolsprachen. Klassisches Beispiel: Schwarze Bevölkerungsgruppen Amerikas

Ein Spezialfall ist die Diaspora, bei der eine bestimmte Bevölkerung ihr angestammtes Gebiet – aus welchen Gründen auch immer – verlässt und sich in der Folge verstreut über den Erdball niederlässt. Die gemeinsame Kultur und Identität wird bewusst gepflegt und erhalten, so dass Kultur und kultureller Zusammenhalt trotz der Verstreutheit erhalten bleiben. Typisches Kennzeichen ist auch eine gewisse Absicht, einst in die „Heimat“ zurückzukehren.

Beispiele dafür sind Juden, Armenier, Assyrer[6], Kurden und Auslandschinesen.

Entstehung von Minderheiten

Minderheiten können auf verschiedene Weisen entstehen. Die Entstehungsgeschichte einer bestimmten Minderheit hat in der Folge Auswirkungen auf ihre soziale Identität sowie auf das Konfliktpotenzial, das von ihr ausgeht.

Je nachdem, ob die Individuen weiterhin Kontakt mit Angehörigen ihrer Ethnie haben oder nicht, bleibt die kulturelle Identität mehr oder weniger erhalten. Es kann jedoch auch geschehen, dass sich in der Fremde eine neue kulturelle Identität entwickelt.

Invasion und Immigration

Eine existierende, auf einem bestimmten Territorium vorhandene Bevölkerung kann durch militärische Invasion oder massive Immigration eines anderen Volkes verdrängt respektive dezimiert werden. Die Einwanderer installieren ihre politische, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Struktur und die bereits zuvor einheimische Bevölkerung lebt als Minderheit auf ihrem Territorium weiter.

Beispiel: Indianervölker auf dem amerikanischen Kontinent, Aborigines in Australien.

Erzwungene Migration

Menschen oder ganze soziokulturelle Einheiten werden von ihrem angestammten Gebiet vertrieben und siedeln sich in der Folge auf einem anderen Territorium an oder werden systematisch umgesiedelt.

Beispiel: Amische und Mennoniten

Freiwillige Migration

Angehörige bestimmter soziokultureller Gruppen verlassen freiwillig ihr angestammtes Gebiet und migrieren an einen Ort, an dem sich bereits Menschen mit gemeinsamer Sprache, Kultur, Religion etc. befinden. Dabei kann unter Umständen eine neue kulturelle Identität entstehen, die sich von der ursprünglichen unterscheidet.

Beispiel: Frankophone Kanadier

Territoriale Veränderungen

Durch kriegerische oder diplomatische Aktionen wie Staatenbildung oder Grenzverschiebungen werden Teile einer Volksgruppe, ohne ihr angestammtes Siedlungsgebiet zu verlassen, politisch, wirtschaftlich und kulturell vom Rest ihrer Kultur durch eine Staatsgrenze abgeschnitten. Sprachlich-kulturelle Grenzen verlaufen zumeist anders als staatliche Grenzen.

Beispiel: Rumänien, Slowakei, Serbien (Ungarn) oder Litauen und Weißrussland mit der polnischen Minderheit in Litauen

Verschwinden von Minderheiten

Assimilation

Beispiele: Die Griechen des Hellenismus, die Mogulen Indiens

Verschmelzen zu neuen Ethnien

Klassisches Beispiel: Die Nation USA

Mehrheitsbildung

Beispiele: Die Anglosaxons Australiens, Neuseelands, die Bewohner der Westindies

Weltweit

Europa:

Asien:

Literatur

  • Stephan Maninger: Ethnische Konflikte entlang der Entwicklungsperipherie. In: Ordo Inter Nationes. Nr. 6, Juni 1998, Institut für internationale Politik und Völkerrecht, München.
  • Klemens Ludwig: Ethnische Minderheiten in Europa. Ein Lexikon. C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1995, ISBN 3-406-39215-6.
  • Andreas Heinemann-Grüder: Föderalismus als Konfliktregelung. Indien, Russland, Spanien und Nigeria im Vergleich. Opladen 2012, ISBN 978-3-86649-420-6.
  • Martina Boden: Nationalitäten, Minderheiten und ethnische Konflikte in Europa. Olzog Verlag, München 1993, ISBN 3-7892-8640-0.

Spezialfälle:

  • Csaba Földes: Ethnic, Cultural and Linguistic Diversity Problems in the Carpathian Basin. In: Sarolta Lipóczi, Ingelore Oomen-Welke (Hrsg.): Students East – West. Language, Society, Arts, Education. Fillibach, Freiburg im Breisgau 1999, S. 31–54.
  • Heiko Faust, Johannes Winter: Ursachen und Wirkungen ethnischer Konflikte im Pazifik. Gesellschaftliche Desintegration in Fidschi. In: W. Kreisel, P. H. Marsden, M. Waibel (Hrsg.): Wandel, Werte und Wirtschaft im pazifischen Raum. (= Pazifik Forum. 8). Duehrkohp & Radicke, Göttingen 2003, S. 153–168. (PDF) (Memento vom 20. Juli 2007 im Internet Archive)
  • Csaba Földes, Ewa Drewnowska-Vargáné: Deutsch als Nationalitätensprache/Minderheitensprache. Eine Komponente in der Auslandsgermanistik. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. 25/1999, S. 417–426.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Auswärtiges Amt: Auswärtiges Amt - Irak. In: Auswärtiges Amt DE. (auswaertiges-amt.de [abgerufen am 10. Oktober 2018]).
  2. Auswärtiges Amt: Auswärtiges Amt - Armenien. In: Auswärtiges Amt DE. (auswaertiges-amt.de [abgerufen am 10. Oktober 2018]).
  3. Bayerisches Verwaltungsgericht Bayreuth: Keine Gruppenverfolgung der Schabak im gesamten Irak. 7. März 2017, abgerufen am 10. Oktober 2018.
  4. Bundeszentrale für politische Bildung: Religiöse Minderheiten im Iran | bpb mobil. Abgerufen am 11. Oktober 2018.
  5. Henner Fürtig: Großmacht Iran: Der Gottesstaat wird Global Player. BASTEI LÜBBE, 2016, ISBN 978-3-7325-2935-3 (google.com [abgerufen am 11. Oktober 2018]).
  6. deutschlandfunk.de: Assyrische Interessenvertretung gegründet - Verbund eines vertriebenen Volkes. Abgerufen am 7. November 2023.