Ernst Sellin

Ernst Franz Max Sellin (* 26. Mai 1867 in Alt Schwerin, Mecklenburg; † 1. Januar 1946 in Epichnellen, Thüringen) war ein deutscher Theologe und Biblischer Archäologe. Als einer der ersten Hochschullehrer verband er die alttestamentliche Wissenschaft mit der Archäologie.

Leben

Ernst Sellin, ein Sohn des evangelischen Theologen und Pastors Wilhelm Sellin (1838–1931) und der Apothekertochter Ida, geb. Rötger (1844–1923), sowie Enkel Carl Wilhelm Sellins, wuchs in Dassow auf, besuchte die Lauenburgische Gelehrtenschule in Ratzeburg und studierte Evangelische Theologie und Orientalistik an der Universität Rostock[1], der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und der Universität Leipzig. In Leipzig wurde er 1889 zum Dr. phil. promoviert. Nachdem er dann in Leipzig und Erlangen die Studien fortgesetzt und vom 1. Oktober 1890 bis 1891 sein Jahr als Einjährig-Freiwilliger in Marburg abgedient hatte, erwarb er sich im November 1891 in Erlangen den Grad eines Lizentiaten der Theologie mit einer in lateinischer Sprache verfassten Dissertation über die Psalmen.[2]

Von 1891 bis 1894 arbeitete er als Gymnasiallehrer am Friedrich-Franz-Gymnasium in Parchim. Anschließend war er von 1894 bis 1897 Privatdozent in Erlangen und lehrte dann als Professor an den Universitäten Wien (1897–1908), Rostock (1908–1913), Kiel (1913–1921)[3] und Berlin (1921–1935). Von 1919 bis 1921 war er zweimal Rektor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.[4]

Sellin erkannte früh die Wichtigkeit der Archäologie in Bezug auf seine theologischen Arbeiten und leitete von 1902 bis 1904 die Ausgrabungen auf dem Tell Taʿannek in Palästina. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Arbeit bildete die archäologische Erforschung der Stadt Jericho (Tell es Sultan) von 1907 bis 1909 und Sichem (Tell Balata) von 1913 bis 1914. Sellin veröffentlichte zahlreiche Werke, sein wichtigstes, das Lehrbuch Einleitung in das Alte Testament (1910; zuletzt 12. Auflage 1979 bearbeitet von Georg Fohrer), galt über Generationen als Standardwerk.

Sellin stellte Anfang des 20. Jahrhunderts die These auf, Mose sei als „Märtyrer“ von den Israeliten getötet worden. In seiner Studie Der Mann Moses und die monotheistische Religion stützt sich Sigmund Freud auch auf Erkenntnisse Sellins.

Sellin sei ein heute „zu Unrecht“ vergessener Alttestamentler, meinte Jan Assmann.[5] Sigmund Freuds Mosesbuch sei „offenbar viel stärker von Sellin beeinflusst … als bisher angenommen“.[6] An Sellins These von der Identität des leidenden Gottesknechts bei Deutero-Jesaja mit Mose knüpfte später Klaus Baltzer an.[7]

Ein Theologe, der sich heute noch mit Sellin beschäftigt, ist Hermann Michael Niemann.[8]

Schriften (Auswahl)

  • Beiträge zur israelitischen und jüdischen Religionsgeschichte, 1896
  • Studien zur Entstehungsgeschichte der jüdischen Gemeinde, 1901
  • Tell Taʿannek. Bericht über eine mit Unterstützung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht unternommene Ausgrabung in Palästina, Wien 1904; Nachdruck in: S. Kreuzer (Hg.), Taanach / Tell Taʿannek. 100 Jahre Forschungen zur Archäologie, zur Geschichte, zu den Fundobjekten und zu den Keilschrifttexten, Wiener Alttestamentliche Studien 5, Wien-Frankfurt am Main 2006, 131–270. ISBN 978-3631551042
  • Eine Nachlese auf dem Tell Taʿannek in Palästina, Wien 1906; Nachdruck in: S. Kreuzer (Hg.), Taanach / Tell Taʿannek. 100 Jahre Forschungen zur Archäologie, zur Geschichte, zu den Fundobjekten und zu den Keilschrifttexten, Wiener Alttestamentliche Studien 5, Wien-Frankfurt am Main 2006, 271–317. ISBN 978-3631551042
  • Das Rätsel des deuterojesajanischen Buches, 1907
  • Die israelitisch-jüdische Heilandserwartung, 1909
  • Der alttestamentliche Prophetismus. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1912.
  • Jericho. Die Ergebnisse der Ausgrabungen, 1913 (mit Carl Watzinger)
  • Einleitung in das Alte Testament, 1910, 12 Auflagen bis 1979 (bis 7. Aufl. 1935 aktualisiert von Sellin, danach von Leonhard Rost und Georg Fohrer).
  • Mose und seine Bedeutung für die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte, A. Deichersche Verlagsbuchhandlung Dr. Werner Scholl, Leipzig, 1922
Die Ausgrabung von Sichem – Der Tempel (Frühjahr 1927)

Literatur

  • Siegfried Kreuzer: Palästinaarchäologie aus Österreich. Ernst Sellins Ausgrabungen auf dem Tell Taʿannek in Israel (1902-1904). In: Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-theologischen Fakultät in Wien 1821–1996. [Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Bd. 10]. Wien 1997. S. 257–276, ISBN 978-3851143140.
  • Siegfried Kreuzer: Die Ausgrabungen des Wiener Alttestamentlers Ernst Sellin in Tell Taʿannek (Taanach) von 1902 bis 1904 im Horizont der zeitgenössischen Forschung. In: Protokolle zur Bibel 13 (2004), S. 107–130.
  • Siegfried Kreuzer (Hrsg.): Taanach / Tell Taʿannek. 100 Jahre Forschungen zur Archäologie, zur Geschichte, zu den Fundobjekten und zu den Keilschrifttexten. Mit Beiträgen von Frank S. Frick, Wayne Horowitz, Siegfried Kreuzer, Takayoshi Oshima, Regine Pruzsinszky, Mark S. Ziese und Wolfgang Zwickel sowie einem Nachdruck der Grabungsberichte von Ernst Sellin und der Textedition von Friedrich Hrozný. (Wiener Alttestamentliche Studien; 5). Lang, Wien/Frankfurt 2006. ISBN 978-3-631-55104-2.
  • Siegfried Kreuzer: Ernst Sellin und Gottlieb Schumacher. In: Charlotte Trümpler (Hrsg.): Das große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860-1940). Essen 2008. S. 136–145, 655f. ISBN 978-3-8321-9063-7.
  • Siegfried Kreuzer: Das Verständnis des biblischen Monotheismus bei Ernst Sellin. In: Wiener Jahrbuch für Theologie 2012. Wien 2013. S. 175–187. ISBN 978-3-8471-0065-2.
  • Ulrich Palmer: Ernst Sellin – Alttestamentler und Archäologe. Mit einem Beitrag von Hermann Michael Niemann Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des Antiken Judentums. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2012. ISBN 978-3-631-61078-7.
  • Georg Sauer: Sellin, Ernst Franz Max. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 9, Bautz, Herzberg 1995, ISBN 3-88309-058-1, Sp. 1370–1372.

Einzelnachweise

  1. Eintrag im Rostocker Matrikelportal
  2. Disputatio de origine carminum, quae primus psalterii liber continet
  3. Im Ersten Weltkrieg hatte auch er sich freiwillig gemeldet und war er Soldat im Reserve-Jäger-Bataillon Nr. 18; so Gustav Stoffleth: Geschichte des Reserve-Jäger-Bataillons Nr. 18; Verlag Bernard & Graefe, Berlin 1937, DNB 362821119
  4. Rektoratsreden (HKM)
  5. Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt. München 2015, S. 330.
  6. Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt. München 2015, S. 334.
  7. Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt. München 2015, S. 438.
  8. https://www.theologie.hu-berlin.de/de/professuren/professuren/at/online-archiv/handout-niemann.pdf@1@2Vorlage:Toter Link/www.theologie.hu-berlin.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Dezember 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.

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Heinz Johannes ‚Sichem – Die Ausgrabung von Sichem Der Tempel (Frühjahr 1927).‘ In E. Sellin ‚Die Ausgrabung von Sichem. Kurze vorläufige Mitteilung über die Arbeit im Frühjahr 1927‘