Rüsttag

Der Begriff Rüsttag (gr. παρασκευή paraskeuḗ „Zurüstung, Herrichtung, Rüsttag, Freitag“) ist in erster Linie durch die Verwendung in der Lutherübersetzung des Neuen Testamentes bekannt und im Judentum ungebräuchlich.

Obwohl es keinen wissenschaftlichen Konsens über das genaue Datum des Todestages Jesu gibt, kann man allgemein vermuten, dass seine Todesstrafe am oder um das Pessach-Fest (14. oder 15. Nisan) juristisch vollstreckt wurde, während der Statthalterschaft von Pontius Pilatus, der zwischen 26 und 36 n. Chr. in Judea regierte.[1] In der modernen Wissenschaft wurde Einigkeit darüber erzielt, dass die widersprüchlichen neutestamentlichen Berichte und andere Quellen eine nicht authentische römische Kreuzigung darstellen, die wahrscheinlich an einem Freitag, den Tag vor einem Schabbat, stattfand, aber es wurde auch eine Kreuzigung für Donnerstag oder Mittwoch vorgeschlagen.[2][3]

Erev (hebräisch ערב; aram. aruvta; beide „Abend“ jeweils in der Zusammensetzung mit Festtagen) ist im Judentum die Bezeichnung für den Vorabend eines jüdischen Festes oder Feiertags, denn im jüdischen Kalender dauert der Tag vom Vorabend bis zum Abend des Tages – nicht von 0 bis 24 Uhr. Beispielsweise beginnt Rosch ha-Schana (19. – 20. September 2020), das Neujahrsfest, am 18. September abends (am Ende des 29. Elul abends). Der Vorabend heißt demzufolge Erev Rosch ha-Schana.

Begriffsgeschichte und Bedeutung

Der Begriff „Rüsttag“ ist wohl mit der Übersetzung des Neuen Testaments in die deutsche Sprache durch Martin Luther eingeführt oder zumindest bekannt gemacht worden.[4] Luther suchte einen passenden Ausdruck für das griechische παρασκευή (paraskeuḗ), mit dem im griechischen Neuen Testament die Vorbereitung eines jüdischen Festtags am Vortag gemeint ist. Der griechische Begriff wird aber auch in jüdischen zeitgenössischen Quellen, z. B. bei Flavius Josephus (Jüdische Altertümer 16,163), verwendet, so dass es sich nicht um einen spezifisch christlichen Sprachgebrauch handelt.

Die Sprache der Juden in Galiläa zur Zeit Jesu von Nazaret war Aramäisch. In der aramäischen Sprache gibt es den Begriff aruvta. In der Zusammensetzung mit Festtagen hat er ebenso wie das hebräische Wort erev die Bedeutung von Vorabend.[5]

Paraskeué (Παρασκευή) ist darüber hinaus als Vortag des Sábbato (Σάββατο „Samstag“) bis heute der im Griechischen gebräuchliche Name für den Freitag.

Vorbereitungen der jüdischen Festtage

Vortag des Sabbat

Am Freitag wird bis zum Anbruch des Abends der von Gott gesegnete und geheiligte Ruhetag (Gen 2,2f ), der Sabbat in jüdischen Haushalten vorbereitet. Der Vortag des Sabbats spielt eine wichtige Rolle für die Einstimmung auf den Sabbat.[6] Es werden alle Dinge erledigt, die zu tun am Sabbat verboten sind. Dazu gehört zum Beispiel das Kochen und Warmhalten der festlichen Speisen oder die Reinigung des Hauses, die Reinigung der Familienmitglieder und das Anlegen neuer sauberer Kleidung. Der Festtagstisch wird feierlich bereitet, die Kerzen und die Challot, die zwei Brote, und der Kiddusch-Wein werden bereitgestellt. Auch auf Reisen treffen Juden Vorbereitungen zum anstehenden Sabbat. Zum Zeichen, dass der Sabbat naht, ertönen in Jerusalem am Freitagnachmittag Signale in der ganzen Stadt.

„Die Wohnung wird gerichtet wie zu einem Fest, alle Geräte werden geputzt, und der Tisch wird weiß gedeckt. Man badet und zieht möglichst von Kopf bis Fuß frische Kleidung an. Man tut Geld und was man sonst in den Taschen hat, heraus und bereitet sich in jeder Weise auf den Sabbat vor, an dem nicht gehastet und nicht gearbeitet wird, an dem kein Geschäft und keine Alltagssorge existiert.“

Leo Hirsch[7]

Vortag des Pessach

Einen Tag vor Pessach sollen alle Erstgeborenen fasten und sich daran erinnern, dass die israelitischen Erstgeborenen gerettet wurden, während die ägyptischen Erstgeborenen getötet wurden (Ex 12,29 ). Die Vorzeit des Pessachfestes ist eine geschäftige Zeit, die der Vorbereitung für die Festtage dient, von denen nur der erste und der letzte Pessachtag Hauptfeiertage sind, an denen jegliche Werktagsarbeit vermieden wird. Am Erev Pessach findet der Sederabend statt. Im Christentum ist die Sederfeier zu Pessach als letztes Herren- oder Abendmahl neutestamentlich tradiert.

Historische Bedeutung bis zur Tempelzerstörung

Der Jerusalemer Tempel vor der Zerstörung

Zur Zeit des Jerusalemer Tempels, bis zu dessen Zerstörung im Jahre 70, wurde freitags ab 15.00 Uhr aus dem Tempel und außerhalb der Stadt aus den Synagogen mit Trompeten oder Hörnern geblasen. Nach dem ersten Signal hörte die Feldarbeit auf, nach dem zweiten wurden in der Stadt die Geschäfte und Werkstätten geschlossen.

„Aber noch immer steht Gewärmtes auf dem Herd und stehen Kochtöpfe auf dem Herd. Hat er begonnen, das dritte Hornsignal zu blasen, so wird weggenommen, was wegzunehmen ist, warm gestellt, was warm zu stellen ist und angezündet, was anzuzünden ist. Dann hält er inne, solange wie es braucht, einen kleinen Fisch zu braten, oder solange wie es braucht, um ein Teigstück in den Ofen zu kleben. Dann bläst er, dann trillert er, dann bläst er. Dann beginnt man den Schabbat.“

Talmud, Schabbat[8]

Nach dem sechsten Signal mussten alle Vorkehrungen zum Sabbat getroffen sein. Jeder Hausvater versammelte sich nun mit seiner Familie am Tisch und begann den Sabbat mit einem Gebet. Am Rüsttag war auch der Wechsel der so genannten Wöchner im Tempel, denn der Tempeldienst der Priester betrug eine Woche. Alle diensthabenden Priester versammelten sich hier, die abgehenden um alles zu reinigen und zu ordnen, die neu antretenden, um die Schaubrote zu backen.[9]

Zu den Vorbereitungshandlungen speziell für das Pessachfest gehörte es, die Schlachttiere für den Sederabend zu besorgen (Ex 12,6 ).

Der neutestamentliche Rüsttag

An einem Rüsttag „hauchte er den Geist aus“.

Der Begriff kommt im NT je einmal bei den Synoptikern (Mt 27,62 , Mk 15,42 , Lk 23,54 ) und dreimal bei Johannes (Joh 19,14 , Joh 19,31 , Joh 19,42 ) vor. Nach allen vier Evangelien ist Jesus von Nazaret an dem Rüsttag zu einem Sabbat gekreuzigt worden und gestorben:

„Jesus aber schrie laut auf. Dann hauchte er den Geist aus. [...] Da es Rüsttag war, der Tag vor dem Sabbat, und es schon Abend wurde, ging Josef von Arimathäa, ein vornehmer Ratsherr, der auch auf das Reich Gottes wartete, zu Pilatus und wagte es, um den Leichnam Jesu zu bitten.“

Mk 15,37-42 

Nach den synoptischen Evangelien fand das letzte Abendmahl an einem Sederabend statt (Mk 14,12 ) und Jesus starb am 15. Nisan. Nach dem Johannesevangelium fand das letzte Abendmahl vor dem Passahfest statt (Joh 13,1 ), und der Todestag Jesu war sowohl der Rüsttag zu einem Sabbat (Joh 19,31 ) als auch der Rüsttag zu Pessach und damit der 14. Nisan (Joh 18,28 , Joh 19,14 ). Deshalb wird dort der auf den Rüsttag folgende Tag als ein besonders hoher Feiertag bezeichnet:

„Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf. Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag.“

Joh 19,31 

Die griechische Fassung des Textes[10] bedeutet wörtlich: „als der Tag jenes Sabbats groß war“.[11] Ob das Johannesevangelium mit dieser Hochschätzung des folgenden Tages als Pessach- und Sabbattages auf zeitgenössischen jüdischen Sprachgebrauch zurückgreift oder den Ausdruck selbst geprägt hat, ist unklar.[12] Es fehlen dazu jedenfalls Belege aus dem rabbinischen Judentum.[13]

Im Christentum galt später der „Sabbatum magnum“ oder „Sabbatum sanctum“ als der Tag, an dem Jesus im Grab lag.[14] In mittelalterlichen Urkunden des Rats von Lübeck wird der Sabbatum magnum als „in deme hl. avende der hochtyd tho Paschen“ (1380) und als „up den avent des hl. Paschen“ (1442) bezeichnet. In den Stadtbüchern der Stadt Zürich findet sich dafür die Wendung „an den hohen Samstag“ (1319). Der Begriff Karsamstag war damals noch nicht gebräuchlich.[15]

Einzelnachweise

  1. J.P. Lémonon: Pilate et le gouvernement de la Judée: textes et monuments, Études bibliques. Gabalda, Paris 1981, S. 29–32.
  2. Niswonger "which meant Friday" – Google Search.
  3. The Cradle, the Cross, and the Crown: An Introduction to the New Testament by Andreas J. Köstenberger, L. Scott Kellum 2009 ISBN 978-0-8054-4365-3 pp. 142–143
  4. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Wörterbuch der deutschen Sprache, achter Band, Hirzel, Leipzig 1893, S. 1552.
  5. „Aus Abend und Morgen“ wird der erste Tag, 1. Mos. 1, 5.
  6. Berel Wein, Besondere Zeit. Was der Freitagnachmittag zur Atmosphäre des Schabbats beiträgt, in: Jüdische Allgemeine vom 22. Mai 2008
  7. Leo Hirsch, Jüdische Glaubenswelt, 1966, S. 86
  8. Schabbat 35 b; Reinhold Mayer, Der babylonische Talmud, 1963, S. 569
  9. Pierer's Universal-Lexikon, Band 14, S. 627
  10. οι ουν ιουδαιοι επει παρασκευη ην ινα μη μεινη επι του σταυρου τα σωματα εν τω σαββατω ην γαρ μεγαλη η ημερα εκεινου του σαββατου ηρωτησαν τον πιλατον ινα κατεαγωσιν αυτων τα σκελη και αρθωσιν.
  11. Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung, Fußnote zu Johannes 19, Vers 31
  12. Udo Schnelle: Das Evangelium nach Johannes = ThHK 4. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 1998, ISBN 3-374-01673-1, S. 292.
  13. Hermann L. Strack, Paul Billerbeck: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch. Band 2, C.H. Becksche Verlagsbuchhandlung München 1924, S. 581
  14. Pierer's Universal-Lexikon, Band 14, S. 643
  15. Peter Browe, Die Kommunion an den letzten Kartagen, in: Peter Browe, Hubertus Lutterbach, Thomas Flammer, Die Eucharistie im Mittelalter, Berlin-Hamburg-Münster, 2003, S. 323

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Idealtypische Rekonstruktion des herodianischen Tempels