Epaphroditos von Chaeronea

Epaphroditos von Chaeronea (Ἐπαφρόδιτοϲ, Χαιρωνεύϲ, geboren um 22/23 n. Chr. in Chaeronea; gestorben um 96/98 n. Chr. in Rom[1]) war ein in Rom lebender Lehrer für griechische Sprache und Literatur (Grammatiker).

Informationen der Suda

Die Suda[2] macht zu seiner Biografie folgende Angaben: Geboren in Böotien, wuchs er im Haushalt des Grammatikers Archias in Alexandria auf und wurde von diesem ausgebildet. Marcus Mettius Modestus, Präfekt von Ägypten, erwarb ihn als Sklaven. Epaphroditos unterrichtete Modestus’ Sohn Petelinus und wurde später von seinem Herrn freigelassen. Von der Regierungszeit Neros bis in die Regierungszeit Nervas wohnte Epaphroditos dann in Rom „in den sogenannten Phainianokoria[3], wo er zwei Häuser besaß. Er erwarb im Lauf der Zeit ungefähr 30.000 Bücher, darunter alte und schwer erreichbare Werke[1] (καὶ τούτων ϲπουδαίων καὶ ἀνακεχωρηκότων). Epaphroditos, der laut Suda „groß und dunkelhäutig, von massiger Gestalt“ war[1], starb im Alter von 75 Jahren an der Wassersucht. Er hinterließ zahlreiche Bücher.

Historische Einordnung

Identität des Patrons; sozialer Status

Eine Person namens Marcus Mettius Modestus ist in der Zeit Neros nicht bezeugt; ein Präfekt dieses Namens kann in den Fasti der Provinz Ägypten nicht eingeordnet werden. Damit ist der Patron des Epaphroditos unbekannt. Francis Cairns schlägt vor, dass die Falschinformation aus den Aufenthaltsorten Alexandria und Rom herausgesponnen wurde: Aus dem in Alexandria ausgebildeten Grammatiker sei ein Büchersammler in Rom geworden, weil er Sklave und dann Freigelassener des Präfekten von Ägypten gewesen sei. Dass ein späterer Präfekt Ägyptens das cognomen Mettius hatte, mag dabei verstärkend gewirkt haben.[4]

Der soziale Status eines Freigelassenen ist aber abhängig von dem seines Patrons; folglich ist Epaphroditos’ Status nicht bestimmbar. Als Besitzer einer großen Büchersammlung war er aber zweifellos wohlhabend.[5] Es ist anzunehmen, dass er nach seiner Freilassung in Rom eine Schule eröffnete, die zur Quelle seines Wohlstands wurde.[1]

Für seine Büchersammlung brauchte er, wie allgemein angenommen wird, zwei Häuser. Die Ortsangabe Horrea Faeniana verweist auf Getreidespeicher, die L. Faenius Rufus bauen ließ. Die Angabe der Suda bereitet Schwierigkeiten: weder ist es wahrscheinlich, dass neue Getreidespeicher abgerissen und durch Wohnhäuser ersetzt wurden, noch, dass eine teure Büchersammlung in Getreidespeichern gelagert wurde. Vielleicht war Horrea Faeniana Bezeichnung eines Stadtviertels.[6]

Eigene Werke

Eigene Schriften des Epaphroditos sind durch Erwähnungen in anderen Quellen bekannt:[7]

  • Kommentare zu den Büchern der Ilias;
  • Kommentare zu den Büchern der Odyssee;
  • Kommentar zu dem Schild des Pseudo-Hesiod;
  • Kommentar zu den Aitia des Kallimachos, ein Beitrag zum Verständnis alexandrinischer Poesie;
  • Alphabetisches lexikographisches Werk mit dem Titel Λέξεις;
  • Etymologisches Werk, das die Bedeutung von Wörtern durch die in der Kaiserzeit beliebte Ableitungsmethode erklärte.

„Was wir von seiner fachwissenschaftlichen Leistung noch fassen können, weist ihn als ernsthaften und beachteten Grammatiker aus.“ (Johannes Christes)[8] Die Kommentare zu den homerischen Schriften galten als Hauptwerk des Epaphroditos. Sie enthalten eine Fülle von Informationen zu Ortsnamen bei Homer und wurden daher von Stephanos von Byzanz ausgiebig zitiert.[9] In seinem Kommentar zu einer schwierigen Stelle der Ilias (19,77) zeigt er sich als Schüler des Archias von Alexandria.[10]

Kontakt zu Flavius Josephus

Flavius Josephus widmete drei seiner vier erhaltenen Werke einem Epaphroditos. In den Jüdischen Altertümern schrieb er eingangs, er sei von ihm zu diesem umfangreichen Werk ermutigt worden. Er charakterisierte ihn so: „Epaphroditus, ein Mann, der jede Art von Bildung liebgewonnen hat, der ja am meisten aber Freude hat am Miterleben von Ereignissen als einer, der ja selbst bei bedeutenden Ereignissen dabei war und bei mannigfachen Schicksalsschlägen, der aber in allen eine bewundernswürdige Stärke des Naturells bewies und einen unverbrüchlichen Entschluss zur Tugend.“[11] Die Identifikation mit Epaphroditos von Chaeronea ist nach Hannah M. Cotton und Werner Eck relativ wahrscheinlich.[12]

Statue

Der lateinische Name des Epaphroditos von Chaeronea lautete nach seiner Freilassung M. Mettius Epaphroditus. Eine Marmorstatue im Palazzo Altieri al Gesù, Rom,[13] trägt die Inschrift: M(arcus) Mettius / Epaphroditus / grammaticus Graecus / M(arcus) Mettius Germanus l(ibertus) fec(it).[14] Die Übereinstimmung mit den Angaben der Suda lässt es möglich erscheinen, dass die Statue Epaphroditos von Chaeronea darstellt.[15] Sie befand sich bis Ende des 18. Jahrhunderts in der Sammlung Jacopo Paluzzi Albertoni. Das Museo della Civiltà Romana besitzt einen Abguss des Werks. Epaphroditos ist als bärtiger Mann, gekleidet in ein Himation und auf einem erhöhten Lehrstuhl sitzend, dargestellt. In der Linken hält er ein Buch, der Kopf ist leicht seitwärts in meditativer Pose erhoben. Seit der Erstpublikation 1570 durch Fulvio Orsini ist die Identität des Dargestellten mit dem Epaphroditos der Suda oft akzeptiert worden.[16] Die Statue selbst stammt allerdings frühestens aus der Zeit der Antoninen;[17] dem Epaphroditos wäre also erst rund 40 Jahre nach seinem Tod dieses Denkmal gesetzt worden, vielleicht, weil die von ihm gegründete Schule später von dem Freigelassenen Germanus geleitet wurde. Dabei muss man aber auch mit der Möglichkeit rechnen, dass Epaphroditus gerade wegen der Bekanntheit des Grammatikers und Büchersammlers später als Name für Sklaven bzw. Freigelassene, die als Grammatiker arbeiteten, gewählt wurde.[18]

Literatur

  • Margarethe Billerbeck, Bruce Karl Braswell: The Grammarian Epaphroditus: testimonia and fragments. Peter Lang, Bern 2007.
  • Stephanos Matthaios: Greek Scholarship in the Imperial Era and Late Antiquity. In: Franco Montanari, Stefanos Matthaios, Antonios Rengakos (Hrsg.): Brill's Companion to Ancient Greek Scholarship, Band 1. Brill, Leiden / Boston 2015, S. 184–296.
  • Francis Cairns: Epaphroditus, Φαινιανοκορίοιϛ and 'Modestus' (Suda e 2004). In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 124 (1999), S. 218–222.
  • Johannes Christes: Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philologen im antiken Rom. Franz Steiner, Wiesbaden 1979, S. 103 f.

Einzelnachweise

  1. a b c d Johannes Christes: Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philologen im antiken Rom, Wiesbaden 1979, S. 103.
  2. Suda, Stichwort Ἐπαφρόδιτος, Adler-Nummer: epsilon 2004, Suda-Online
  3. ἐν τοῖϲ καλουμένοιϲ Φαινιανοκορίοιϲ, wohl korrumpierte Transkription für: Faeniana horrea.
  4. Francis Cairns: Epaphroditus, Φαινιανοκορίοιϛ and 'Modestus' (Suda e 2004), 1999, S. 221.
  5. Hannah M. Cotton, Werner Eck: Josephus’ Roman Audience: Josephus and the Roman Elites. In: Jonathan Edmondson, Steve Mason, James Rives (Hrsg.): Flavius Josephus and Flavian Rome, Oxford 2005, S. 37–52, hier S. 51 f.
  6. Francis Cairns: Epaphroditus, Φαινιανοκορίοιϛ and 'Modestus' (Suda e 2004), 1999, S. 218f.
  7. Stephanos Matthaios: Greek Scholarship in the Imperial Era and Late Antiquity, Leiden / Boston 2015, S. 230f.
  8. Johannes Christes: Sklaven und Freigelassene als Grammatiker und Philologen im antiken Rom, Wiesbaden 1979, S. 104.
  9. Stephanos Matthaios: Greek Scholarship in the Imperial Era and Late Antiquity, Leiden / Boston 2015, S. 231. Während die ältere Forschung davon ausging, dass Stephanos das Werk des Epaphroditos vorliegen hatte und auswertete, urteilte Hartmut Erbse 1960 vorsichtiger: der byzantinische Gelehrte schöpfe nur aus zweiter Quelle. Vgl. Margarethe Billerbeck, Arlette Neumann-Hartmann: Stephani Byzantii Ethnica, Band 5. Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2017, S. 159, mit Verweis auf: Hartmut Erbse: Beiträge zur Überlieferung der Iliasscholien (= Zetemata. Band 24). C. H. Beck, München 1960, S. 251–269.
  10. Margarethe Billerbeck, Bruce Karl Braswell: The Grammarian Epaphroditus: testimonia and fragments, Bern 2007, S. 25.
  11. Flavius Josephus: Jüdische Altertümer 1,7. Übersetzung nach der Vorveröffentlichung der projektierten Antiquitates-Übersetzung des Institutum Judaicum Delitzschianum (PDF).
  12. Hannah M. Cotton, Werner Eck: Josephus’ Roman Audience: Josephus and the Roman Elites. In: Jonathan Edmondson, Steve Mason, James Rives (Hrsg.): Flavius Josephus and Flavian Rome, Oxford 2005, S. 37–52, hier S. 52.
  13. Sitzstatue des M. Mettius Epaphroditus in der archäologischen Datenbank Arachne.
  14. CIL VI, 09454.
  15. Stephanos Matthaios: Greek Scholarship in the Imperial Era and Late Antiquity, Leiden / Boston 2015, S. 230; PIR² 5,2 Nr. 563 hält die Frage für offen (sub iudice manet).
  16. Margarethe Billerbeck, Bruce Karl Braswell: The Grammarian Epaphroditus: testimonia and fragments, Bern 2007, S. 27. Vgl. Museo della Civiltà Romana: Portrait statue of M. Mettius Epaphroditus (2nd Century A. D.)
  17. Gisela M. A. Richter: The Portraits of the Greeks. Band 3. Phaidon Press, London 1965, S. 285, Abb. 2033, hält die Statue für möglicherweise antoninisch (severisch?), stellt allerdings die Frage, ob der Dargestellte mit Epaphroditus aus Chaironeia zu identifizieren ist; ebenso datiert Hans Rupprecht Goette: Studien zu römischen Togadarstellungen (= Beiträge zur Erschließung hellenistischer und kaiserzeitlicher Skulptur und Architektur. Band 10). Philipp von Zabern, Mainz 1990, S. 78, die Statue in die antoninische Zeit; Paul Zanker: Die Maske des Sokrates. Das Bild des Intellektuellen in der Antiken Kunst. C.H. Beck, München 1995, S. 220 f. Abb. 126, hält die Statue für severisch.
  18. Francis Cairns: Epaphroditus, Φαινιανοκορίοιϛ and 'Modestus' (Suda e 2004), 1999, S. 219f.