England, England

England, England ist ein satirischer, postmoderner Roman des britischen Schriftstellers Julian Barnes. Der Roman erschien 1998 und wurde im gleichen Jahr für den britischen Booker Prize nominiert. Die erste deutsche Ausgabe wurde 1999 publiziert.

Inhalt

England, England gliedert sich in drei Kapitel mit den Überschriften „England“, „England, England“ und „Anglia“. Der erste Teil konzentriert sich auf die Protagonistin Martha Cochrane und ihre Kindheitserinnerungen. Martha wächst in einer ländlichen Gegend Englands als Einzelkind auf. Ihre Kindheit erfährt einen jähen Einschnitt, als ihr Vater die Familie verlässt. Marthas Erinnerungen an ihren Vater sind eng verbunden mit dem gemeinsamen Zusammensetzen eines Puzzles, das die Grafschaften Englands abbildet.

Die Handlung des zweiten und längsten Kapitels, „England, England“, wird zeitlich in eine nahe Zukunft verlagert, die deutlich von der Postmoderne geprägt ist. Die erwachsene Martha wird Mitarbeiterin für ein Projekt des Multimillionärs und Großunternehmers Sir Jack Pitman, der England in einem gigantischen Freizeitpark auf der südenglischen Insel Isle of Wight nachbilden und für den Qualitätstourismus vermarkten möchte. Dabei sollen Dinge, die im Ausland als typisch englisch angesehen werden, durch kurze Wege in einem Miniaturengland nachgebaut und nachgestellt werden. In dem Freizeitpark entstehen Repliken von Englands bekanntesten Persönlichkeiten, Mythen und Orten. Die Attraktionen und Symbole englischer nationaler Identität werden so für Touristen einfach zugänglich und an einem Ort geballt präsentiert.

Martha arbeitet an der Umsetzung des Projekts mit und beginnt eine Affäre mit ihrem Kollegen Paul Harrison. Gemeinsam entdecken sie Sir Jacks skandalöse sexuelle Vorlieben und erpressen ihn mit den Beweisen, als Sir Jack Martha kündigen möchte. Auf diese Weise wird Martha Geschäftsführerin des Inselprojekts, das mittlerweile den Betrieb aufgenommen hat und sich als überaus beliebte Touristenattraktion erweist. Aufgrund des großen Erfolgs wird der Freizeitpark ‚England, England‘ zu einem unabhängigen Staat und Mitglied der Europäischen Union, während das eigentliche ‚alte England‘ wirtschaftlich verfällt und zunehmend in politische Vergessenheit gerät. Nach einem Skandal im Freizeitpark wird Martha von Sir Jack von der Insel verbannt.

Schauplatz des letzten Kapitels des Romans, „Anglia“, ist ein Dorf im ‚alten England‘, in dem sich eine gealterte Martha nach Jahren der rastlosen Wanderschaft für ihren Lebensabend niedergelassen hat. Die Nation ist zu einem entvölkerten, vorindustriellen Agrarstaat ohne politischen Einfluss verkommen, während ‚England, England‘ weiterhin floriert. Die Handlung konzentriert sich auf die Bemühungen der Dorfbewohner, mit Hilfe von Marthas Erinnerungen an frühere Zeiten die vergessene Tradition eines Dorffestes aufleben zu lassen.

Interpretation

Der Roman verhandelt Themen wie nationale Identität, erfundene Traditionen sowie Mythenbildung und hinterfragt die scheinbare Authentizität von Geschichte, individueller und kollektiver Erinnerung.[1] Auch gibt England, England Anstoß zur Reflexion über Jean Baudrillards Konzept des Simulacrum und über den Einfluss von Repliken in Zeiten der Postmoderne.

Während in literaturwissenschaftlichen Analysen die Nähe des Romans zu Genres wie Satire, Dystopie und Farce hervorgehoben wird,[2] bezeichnete Julian Barnes in einem Interview England, England als eine „Semi-Farce“.[3]

Ausgaben

  • Julian Barnes: England, England. Köln: Kiepenheuer und Witsch 1999. Übersetzt von Gertraude Krueger. 345 S. ISBN 3-462-02830-8.[4]
  • Julian Barnes: England, England. München: Goldmann 2001. Taschenbuch. 350 S. ISBN 3-442-72757-X.[5]

Literatur

  • James J. Miracky: Replicating a Dinosaur: Authenticity Run Amok in the 'Theme Parking' of Michael Crichton's Jurassic Park and Julian Barnes's England, England. In: Critique: Studies in Contemporary Fiction 45:2, 2004. S. 163–71.
  • Frederick M. Holmes: Julian Barnes. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2009.
  • Sarah Henstra: The McReal Thing: Personal/National Identity in Julian Barnes's England, England. In: Nick Bentley (Hrsg.): British Fiction of the 1990s. Routledge, London und New York 2004. S. 95–107.
  • Barbara Korte: Julian Barnes' England, England: Tourism as a Critique of Postmodernism. In: H. Berghoff, C. Harvie, B. Korte, & R. Schneider (Hrsg.): The Making of Modern Tourism: The Cultural History of the British Experience, 1600-2000. Palgrave Macmillan, Houndmills 2002. S. 285–303.
  • Silvia Mergenthal: A Fast-Forward Version of England. Constructions of Englishness in Contemporary Fiction. Winter, Heidelberg 2003.
  • Elena Semino: Representing Characters' Speech and Thought in Narrative Fiction: A Study of England, England by Julian Barnes (PDF; 364 kB). In: Style 38:4, 2004. S. 428–51.
  • Christoph Henke: Remembering Selves, Constructing Selves: Memory and Identity in Contemporary British Fiction. In: Journal for the Study of British Cultures 10:1, 2003. S. 77–100.
  • Vera Nünning: The Invention of Cultural Traditions: The Construction and Deconstruction of Englishness and Authenticity in Julian Barnes' England, England (PDF; 220 kB). 2001.
  • Nick Bentley: Re-writing Englishness: Imagining the Nation in Julian Barnes's England, England and Zadie Smith's White Teeth. In: Textual Practice 21:3, 2007. S. 483–504.
  • Vanessa Guignery: The Fiction of Julian Barnes. A Reader's Guide to Essential Criticism. Palgrave Macmillan, Basingstoke 2006.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Nünning 2001 (englisch, PDF-Datei; 220 kB)
  2. Korte 2002: 285, Henke 2003: 90, Mergenthal 2003: 101, Guignery 2006: 3, Holmes 2009: 91.
  3. The Observer 1998.
  4. Nachweis in der Deutschen Nationalbibliothek
  5. Nachweis in der Deutschen Nationalbibliothek