Endoreplikation

Endoreplikation (auch Polyploidisierung im weiteren Sinn) ereignet sich in somatischen Geweben durch Programmänderungen des mitotischen Zellzyklus zum Endozyklus. Zwar repliziert die DNA (in mehreren Zyklen), aber der Zellkern und somit auch die Zelle teilen sich nicht und werden größer. Den Vorgang nennt man Endoreduplikation, wenn der DNA-Gehalt jeweils exakt verdoppelt wird, und zwar von 2 C nach 4 C8 C16 C32 C usw. Der DNA-Gehalt wird an Interphase-Kernen mittels Durchfluss- oder Mikroskop-Fotometrie bestimmt. Der C-Wert steht für die Größe des (haploiden) Genoms einer bestimmten biologischen Art.[1] Ein C-Wert wird in Pikogramm (pg) oder Megabasenpaaren (Mbp) angegeben (Pflanzen-Genome[2], Tier-Genome[3]). Da der Wert 4 C dem DNA-Gehalt gleicht, den eine S-Phase im mitotischen Zyklus produziert, ist ein endoreplizierter Interphasekern erst ab 8 C zu erkennen.

Endoreplikation kommt in der normalen Entwicklung bei Eukaryoten vor: bei Einzellern, bei Pflanzen und bei Tieren.[4] Beispiele sind die Endosperm- und die Trichom-Entwicklung in Pflanzen generell, das Fruchtgewebe der Tomate.[5][6] Die Kerne der larvalen Spinndrüsen der Mehlmotte erreichen mit 12 Endozyklen bis zu 8.192 C DNA,[7] die des Seidenspinners mit 17 Endozyklen etwa 300.000 C.[8] Der Anteil der Endoreplikation am globalen Biomassewachstum dürfte bis zu fünfzig Prozent betragen. Der Vorteil liegt in einer erhöhten Proteinbiosynthese und damit einem leistungsfähigeren Stoffwechsel. Der Nachteil ist das Risiko, dass Zellen unkontrolliert wachsen; dies erfordert eine genaue Regulation der Endoreplikation.

Lässt ein endoreplizierter Zellkern Chromosomen erkennen, sind an deren Gestalt zwei Typen der Endoreplikation zu unterscheiden: die offensichtliche Polyploidie und die Polytänie. Zwischen beiden kann es Übergangsformen geben.

Polyploidie

Auf eine Endoreplikation des lockeren Chromatins in einer S-Phase (Interphase) folgt wie stets eine G-Phase. Die Endomitose beginnt mit einer Endoprophase, in der die Chromosomen kondensieren. Ihre Tochter-Chromatiden trennen sich und können in einer Endometaphase gezählt werden. Echte polyploide (vielfache) Sätze zeigen bei vorhandenen Kernmembranen 4 n, 8 n, 16 n, 32 n usw. Chromosomen. Solche Kerne heißen (griechisch) tetraploid, oktoploid, dekaexiploid, trianta-dyo-ploid usw. Den Zahlen entsprechend sollte der gesamte DNA-Gehalt solcher Zellkerne 4 C, 8 C, 16 C, 32 C usw. betragen. Endomitosen beschrieb erstmals Lothar Geitler.[9][10]

Polytänie

Nach Endoreplikationen in zeitlich getrennten S-Phasen bleiben die mütterlichen und die väterlichen Chromatiden verbunden. Deswegen zeigen solche Zellkerne vielsträngige (polytäne) Riesenchromosomen in diploider Anzahl (2 n). Wenn sich darüber hinaus die mütterlichen mit den väterlichen Chromatiden verbinden, zeigen solche Zellkerne somatisch gepaarte Polytänchromosomen[11] in haploider Anzahl (1 n). Beim letzteren Chromosomentyp sind mitunter Paarungslücken zwischen den elterlichen Chromatidensträngen zu beobachten. Unvollständige Paarung ergibt sich zwingend, wenn sich die Partner durch mutierte Abschnitte unterscheiden.[12]

Polytänie ist etwa ab einem DNA-Gehalt von 32 C (nach der vierten Endoreplikation) im Lichtmikroskop zu erkennen. Da die verbundenen Chromatiden kaum zu zählen sind, werden Polytäniestufen durch Mikrofotometrie bestimmt. Polytäne Chromosomen wurden erstmals bei der Gartenhaarmücke nachgewiesen.[13] Vor allem mit der Taufliege Drosophila melanogaster wurde die Zytogenetik der Polytänie etabliert.[14][15][16] Grundsätzliche Erkenntnisse über die Genaktivität in polytänen Chromosomen kamen von der Zuckmücke Chironomus tentans.[17][18]

Eine Besonderheit weisen die endoreplizierenden Nährzellkerne im Ovar einiger Dipteren auf. Anfangs zeigen sie Endometaphasen mit oligotänen Chromosomen. Diese primären Riesenchromosomen zerfallen nach wenigen Endozyklen in ihre wenigen Chromatiden, mit denen nachfolgende Endozyklen morphologisch polyploide Chromosomensätze produzieren.[19][20]

Selektive Endoreplikation

Jede chromosomale Replikation unterliegt strenger genetischer Kontrolle. Deswegen ist es möglich, dass nicht alle genomischen DNA-Sequenzen gleicherweise, sondern ausgewählt multipliziert werden. Solche selektive Endoreplikation gehört zum normalen Entwicklungsprogramm und wird nach ihrem relativen Ausmaß unter zwei Aspekten beschrieben: als Amplifikation oder als Unterreplikation.

Amplifikation

Hierbei endorepliziert lediglich kurzfristig ein kleiner Abschnitt eines Chromosoms. Solch eine lokale Genvermehrung schafft die Voraussetzung, einen entwicklungsbedingten hohen Bedarf an bestimmten Proteinen zu decken.[21][22]

Unterreplikation

Erstmals wurde dieses Phänomen an Drosophila virilis beobachtet, bei der die Hälfte der genomischen DNA nicht an der Polytänisierung teilnimmt.[23][24] Der spezifische Ausschluss heterochromatischer, repetitiver DNA von der Endoreplikation beginnt bereits in der späten Embryonalentwicklung.[25] Besonders augenfällig wirkt sich Unterreplikation aus, wenn sie hauptsächlich ein einziges Chromosomenpaar betrifft.[26][27] Die Unterreplikation interkalaren Heterochromatins ist schwierig zu quantifizieren, gibt sich aber durch Schwachstellen (weak points) der Riesenchromosomen zu erkennen.[28]

Unterreplikation gibt es nicht nur in polytänen Strukturen, sondern kommt auch in polyploiden Zellkernen vor. Endometaphasen geben darüber Aufschluss.[29] Hypothese: Heterochromatisch repetitive DNA-Sequenzen bedingen große Zellkerne und erlauben, die Embryonalentwicklung mit entsprechend großen Zellen zu beginnen. Sobald Endoreplikation einsetzt, wird auf diese Platzhalter-DNA verzichtet. Den gleichen Effekt wie Unterreplikation hat die DNA-Elimination (Chromatin-Diminution).[30]

Humanbiologie

Auch beim Menschen (wie bei anderen Wirbeltieren, Säugern) sind endoreplizierte Zellkerne in Geweben zu finden, die offensichtlich physiologische Hochleistung erbringen. Dazu zählen Herzmuskelzellen,[31] die Megakaryozyten (Riesenzellen des Knochenmarks),[32] auch bestimmte Neuronen im Nervensystem.[33] Endoreplikative Zellkerne von extravillösen Trophoblasten der humanen Plazenta mit polytänen Chromosomen ermöglichen die Implantation in die Gebärmutter am Beginn einer Schwangerschaft.[34][35]

Endoreplizierte Zellkerne mit mutierten Chromosomen begleiten nicht selten die Tumorentstehung. Im Gegensatz zu den oben genannten Beispielen aus der normalen Entwicklung sind sie pathologisch.[36][37][38]

Literatur

  • Dmitrij Dedukh, Marie Altmanová, Jiří Klíma, Lukáš Kratochvíl: Premeiotic endoreplication is essential for obligate parthenogenesis in geckos. In: Development 149, 7, 2022: dev200345. PDF.
  • Lukáš Koprivý, Viera Fráková, Vladislav Kolarčik, Lenka Mártonfiová, Matej Dudáš, Pavol Mártonfi: Genome size and endoreplication in two pairs of cytogenetically contrasting species of Pulmonaria (Boraginaceae) in Central Europe. In: AoB Plants 14, 5, 2022: plac036. PDF.
  • Walter Nagl: Endopolyploidy and polyteny in differentiation and evolution. North-Holland, Amsterdam 1978.
  • Zau Ullah, C Y Lee, M A Lilly, Melvin L DePamphilis: Developmentally programmed endoreduplication in animals. In: Cell Cycle 8, 2009: 1501–1509.
  • Wenliang Qian, Hao Li, Xing Zhang, Yaohao Tang, Dongqin Yuan, Zhu Huang, Daojun Chen: Fzr regulates silk gland growth by promoting endoreplication and protein synthesis in the silkworm. In: PloS Genet 19, 1, 2023: e1010602. PDF.
  • Brodsky V. Y., Uryvaeva I. V.: Genome multiplication in growth and development. Biology of polyploid and polytene cells. Cambridge University Press, Cambridge, London, New York 1985. ISBN 0-521-25323-3
  • Norman Zielke, Bruce A Edgar, Melvin L DePamphilis: Endoreplication. In: Cold Spring Harb Perspect Biol 5, 1, 2013: a012948. PDF.
  • Kubiak Jacek Z.: Cell Cycle in Development. Springer, 2011, ISBN 3-642-19064-2, S. 551 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Eeva Therman, Millard Susman: Human chromosomes. Structure, behavior, and effects. Third edition. Springer, New York/Berlin/Heidelberg 1993. ISBN 0-387-97871-2.

Einzelnachweise

  1. Swift Hewson Hoyt: The constancy of desoxyribose nucleic acid in plant nuclei. In: Proceedings of the National Academy of Sciences USA. 36/1950, S. 643–654.
  2. MD Bennett and IJ Leitch: Plant DNA C-values Database. Royal Botanic Gardens, abgerufen am 27. März 2019 (englisch).
  3. Animal Genome Size Database. T. Ryan Gregory, abgerufen am 27. März 2019 (englisch).
  4. Lee H.O., Davidson J.M., Duronio Robert J.: Endoreplication - Polyploidy with purpose. In: Genes & Development. 23/2009, S. 2461–2477. doi:10.1101/gad.1829209.
  5. FAZ: Kaum bekannt, weit verbreitet (gesehen am 23. November 2011).
  6. Inzé Dirk: The cell cycle control and plant development. Wiley, ISBN 1-4051-5043-2 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Buntrock Lydia, Marec František, Krueger Sarah, Traut Walther: Organ growth without cell division – Somatic polyploidy in a moth, Ephestia kuehniella. In: Genome. 55/2012, S. 755–763. doi:10.1139/g2012-060.
  8. Niranjanakumari Somashekarappa and Gopinathan Karumathil P.: Characterisation of the DNA-polymerase-alpha-primase complex from the silk glands of Bombyx mori. In: European Journal of Biochemistry. 201/1991. S. 431–438. doi:10.1111/j.1432-1033.1991.tb16301.x.
  9. Geitler Lothar: Die Analyse des Kernbaus und der Kernteilung der Wasserläufer Gerris lateralis und Gerris lacustris (Hemiptera Heteroptara) und die Somadifferenzierung. In: Zeitschrift für Zellforschung und mikroskopische Anatomie. 26/1937, S. 641–672.
  10. Geitler Lothar: Die Entstehung der polyploiden Somakerne der Heteropteren durch Chromosomenteilung ohne Kernteilung. In: Chromosoma. 1/1939, S. 1–22.
  11. Bauer Hans und Beermann Wolfgang: Die Polytänie der Riesenchromosomen. In: Chromosoma. 4/1952, S. 630–648.
  12. Beermann Wolfgang: Riesenchromosomen. Springer, Wien 1962. S. 54 ff: Der Paarungsmodus und seine Varianten.
  13. Heitz Emil und Bauer Hans: Beweise für die Chromosomennatur der Kernschleifen in den Knäuelkernen von Bibio hortulanus L. Cytologische Untersuchungen an Dipteren: I. In: Zeitschrift für Zellforschung und mikroskopische Anatomie. 17/1933, S. 67–82.
  14. Koltzoff Nikolai K.: The structure of the chromosomes in the salivary glands of Drosophila. In: Science. 80/1934, S. 312–313.
  15. Bridges Calvin B.: Salivary chromosome maps. With a key to the banding of the chromosomes of Drosophila melanogaster. In: Journal of Heredity. 26/1935, S. 60–64.
  16. Zielke Norman, Kim Kerry J. u. a.: Control of Drosophila endocycles by E2F and CRL4CDT2. In: Nature. 2011, S. , doi:10.1038/nature10579.
  17. Pelling Claus: Ribonucleinsäure-Synthese in Riesenchromosomen. Autoradiographische Untersuchungen an Chironomus tentans. In: Chromosoma. 15/1964, S. 71–122
  18. Pelling Claus and Allen Terrence D.: Scanning electron microscopy of polytene chromosomes. In: Chromosome Research. 1/1993, S. 221–237.
  19. Bier Karl: Endomitose und Polytänie in den Nährzellkernen von Calliphora erythrocephala Meigen. In: Chromosoma. 8/1957, S. 493–522.
  20. Dej Kimberley J. and Spradling Allan C.: The endocycle controls nurse cell polytene chromosome structure during Drosophila oogenesis. In: Development. 126/1999, S. 293–303.
  21. Spradling Allan C. and Mahowald Anthony P.: Amplification of genes for chorion proteins during oogenesis in Drosophila melanogaster. In: Proceedings of the National Academy of Sciences USA. 77/1980, S. 1096–1100.
  22. Santelli Robert V., Machado-Santelli Glaucia M., Pueyo Manuel T., Navarro-Cattapan Luci Deise, Lara F. J. S.: Replication and transcription in the course of DNA amplification of the C3 and C8 DNA puffs of Rhynchosciara americana. In: Mechanisms of Development. 36/1991, S. 59–66.
  23. Heitz Emil: Über α- und β-Heterochromatin sowie Konstanz und Bau der Chromomeren bei Drosophila. In: Biologisches Zentralblatt. 54/1934, S. 588–609: dort S. 596.
  24. Steinbrecher Ricarda A.: Mikrophotometrische Untersuchung der DNA-Gehalte mitotischer und polytäner Zellkerne bei der Taufliege Drosophila virilis. Diplomarbeit. Universität Kiel 1985.
  25. Smith A. V. and Orr-Weaver Terry L.: The regulation of the cell cycle during Drosophila embryogenesis. The transition to polyteny. In: Development. 112/1991, S. 997–1008.
  26. Cordeiro-Stone Marila and Lee C. S.: Studies on the satellite DNAs of Drosophila nasutoides. Their buoyant densities, melting temperatures, reassociation rates and localizations in polytene chromosomes. In: Journal of Molecular Biology. 104/1976, S. 1–24.
  27. Zacharias Helmut: Tissue-specific schedule of selective replication in Drosophila nasutoides. In: Roux’s Archive of Developmental Biology. 195/1986, S. 378–388.
  28. Belyaeva Elena S., Andreyeva E. N., Belyakin S. N., Volkova E. I., Zhimulev Igor F.: Intercalary heterochromatin in polytene chromosomes of Drosophila melanogaster. In: Chromosoma. 117/2008, S. 411–418. doi:10.1007/s00412-008-0163-7.
  29. Nur Uzi: Nonreplication of heterochromatic chromosomes in a mealy bug, Planococcus citri (Coccoidea: Homoptera). In: Chromosoma. 19/1966, S. 439–448.
  30. Beermann Sigrid: The diminution of heterochromatic chromosomal segments in Cyclops (Crustacea, Copepoda). In: Chromosoma. 60/1977, S. 297–344.
  31. Sandritter Walter und Adler Claus-Peter: Polyploidization of heart muscle nuclei as a prerequisite for heart growth and numerical hyperplasia in heart hypertrophy. In: Kobayashi T., Ito Y., Rona G. (eds): Cardiac structure and metabolism, vol 12. University Park Press, Baltimore 1978, S. 115–127.
  32. R. Bermejo, N. Vilaboa, C. Calés: Regulation of CDC6, geminin, and CDT1 in human cells that undergo polyploidization. In: Molecular biology of the cell. Band 13, Nummer 11, November 2002, S. 3989–4000, doi:10.1091/mbc.E02-04-0217, PMID 12429841, PMC 133609 (freier Volltext).
  33. López-Sánchez Noelia, Ovejero-Benito M. C., Borreguero L., Frade José M.: Control of neuronal ploidy during vertebrate development. In: Results and Problems in Cell Differentiation. 53/2011, S. 547–563. doi:10.1007/978-3-642-19065-0_22.
  34. Zybina Eugenia V. and Zybina Tatiana G.: Polytene chromosomes in mammalian cells. In: International Review of Cytology. 165/1996, S. 53–119.
  35. Philipp Velicky, Gudrun Meinhardt, Kerstin Plessl, Sigrid Vondra, Tamara Weiss: Genome amplification and cellular senescence are hallmarks of human placenta development. In: PLOS Genetics. Band 14, Nr. 10, 12. Oktober 2018, ISSN 1553-7404, S. e1007698, doi:10.1371/journal.pgen.1007698 (plos.org [abgerufen am 12. November 2018]).
  36. Politzer Georg: Pathologie der Mitose. Borntraeger, Berlin 1934. Dort S. 154: Die Kerngröße im Karzinom; S. 157: Die Zahl der Chromosomen in malignen Geschwulstzellen.
  37. Steinbeck Rüdiger G. und Auer Gert U.: Genome instability in human tumorigenesis. Microphotometry of interphase nuclei and pathologic mitoses reveals dysplasia. In: European Journal of Histochemistry. 44/2000, S. 133–142.
  38. Fox Donald T. and Duronio Robert J.: Endoreplication and polyploidy: insights into development and disease. In: Development. 140/2013, S. 3–12. doi:10.1242/dev.080531.