Elisabeth Mann Borgese

Elisabeth Mann und Bruder Michael Mann mit Begleiter in Bandol. Foto von Annemarie Schwarzenbach (1936)

Elisabeth Veronika Mann Borgese, C.M., (* 24. April 1918 in München; † 8. Februar 2002 in St. Moritz, Schweiz) war eine Seerechtsexpertin und Ökologin sowie Publizistin, Sachbuchautorin, Autorin von Erzählungen und Gründerin der wissenschaftlichen Zeitschrift Ocean Yearbook. Im Laufe ihres Lebens hatte sie vier Staatsbürgerschaften, die deutsche, die tschechoslowakische, die US-amerikanische und die kanadische. Charakteristisch für Mann Borgese war, dass sie sich unabhängig davon in allen Ländern zuhause gefühlt hat.[1] Dass im internationalen Seerecht heute die Meere als schützenswertes und überlebenswichtiges Gemeingut angesehen werden, fußt auf Mann Borgeses Arbeiten ab Ende der 1960er Jahre. 1970 wurde sie Gründungsmitglied und erstes weibliches Mitglied des Club of Rome, und sie war maßgeblich an dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 beteiligt. Auch dass es seit 1996 einen Internationalen Seegerichtshof gibt, ist ihr zu verdanken.[2]

Leben

Katia Mann mit ihren sechs Kindern im Jahr 1919 (von links nach rechts: Monika, Golo, Michael auf dem Schoß von Katia, Klaus und Elisabeth auf dem Schoß von Erika Mann)

Elisabeth Mann wuchs als fünftes Kind und jüngste Tochter von Katia Mann geb. Pringsheim und Thomas Mann in München in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Dort besuchte sie das Luisengymnasium. Elisabeth Mann gilt als das Lieblingskind ihres Vaters Thomas, der sie im Gesang vom Kindchen und als „Lorchen“ in der Novelle Unordnung und frühes Leid porträtierte. Als einziges der sechs Geschwister konnte sie von einer glücklichen Kindheit und einem Leben berichten, das nicht durch die Berühmtheit ihres Vaters belastet wurde.[3]

1933 folgte sie ihren Eltern über Frankreich ins Schweizer Exil und machte 1935 am Freien Gymnasium in Zürich ihr Abitur. Mit fünfzehn Jahren verliebte sie sich unglücklich in Fritz Landshoff, den Freund und Verleger ihres Bruders Klaus, der ihre Liebe nicht erwiderte, während er ihre Schwester Erika sehr verehrte.

Im November 1936 erhielt Elisabeth Mann die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, kurz bevor das nationalsozialistische Regime ihr (zusammen mit ihren Geschwistern Golo und Michael und den beiden Eltern) die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannte. 1937 machte Elisabeth Mann ihr Lehrexamen am Konservatorium Zürich, an dem sie sich zur Pianistin ausbilden ließ. 1938 siedelte sie mit den Eltern in das US-amerikanische Exil nach Princeton über. Am 23. November 1939 heiratete sie dort Giuseppe Antonio Borgese, den antifaschistischen Intellektuellen, Literaturprofessor und Schriftsteller. Er war 1931 aus dem faschistischen Italien emigriert und sechsunddreißig Jahre älter als sie. Sein Buch Der Marsch des Faschismus hatte sie schon fasziniert, bevor sie ihn im Haus ihrer Eltern kennenlernte. Ihre Pianistenlaufbahn gab sie nach der Eheschließung endgültig auf. Mit Borgese hatte sie die Kinder Angelica (* 1940) und Dominica (* 1944) und lebte in Chicago. 1941 erhielt sie die US-amerikanische, 1983 wählte sie die kanadische Staatsbürgerschaft.

Nach Kriegsende kehrte sie mit ihrer Familie in die Heimat ihres Mannes nach Florenz zurück. Borgese verstarb 1952 an einem Hirnschlag, und Mann Borgese wohnte mit den beiden Töchtern vorübergehend bei ihren Eltern, die sich zwischenzeitlich am Zürichsee in Kilchberg niedergelassen hatten.

Mann Borgeses Grabstein.

1953 kehrte sie nach Italien zurück und ließ sich in San Domenico bei Fiesole nieder. Der italienische Psychiater, Autor und Redaktionskollege Corrado Tumiati (1885–1967) wurde ihr Lebensgefährte für die nächsten Jahre. Ab 1955 bis zu dessen Tod wohnte Mann Borgese mit Tumiati zusammen in San Domenico und in Forte dei Marmi, wo sie sich ein Ferienhaus gebaut hatte. Von 1964 bis 1967 lebte Mann Borgese aus beruflichen Gründen abwechselnd in San Domenico und in Kalifornien, in Santa Barbara. 1967 lernte Mann Borgese dort Arvid Pardo kennen, den UN-Botschafter Maltas, der später ihr Lebensgefährte wurde.

Ab 1967 bis zu ihrem Tod 2002 war Mann Borgese beruflich weltweit unterwegs zu internationalen meerespolitischen Konsultationen, Institutsgründungen, Festlichkeiten und Ehrungen, ab 1978 neben ihrer Tätigkeit als Professorin für Internationales Seerecht in Kanada.[4]

Elisabeth Mann Borgese starb mit 83 Jahren während eines Skiurlaubs im Engadin und wurde in Kilchberg bei Zürich im Familiengrab beigesetzt.[4][5]

Werk

In den 1940er Jahren arbeitete Mann Borgese als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Komitee für eine Weltverfassung an der Universität von Chicago und wurde Präsidentin dieser Organisation. In den 1950er Jahren war sie als Übersetzerin tätig, unter anderem erschien 1954 ihre Übersetzung aus dem Deutschen ins Englische von Heinrich Schenkers Standardwerk Harmonielehre (Harmony) bei der University of Chicago Press. Als Redakteurin arbeitete Mann Borgese in diesen Jahren bei der italienischen Ausgabe der Kulturzeitschrift Perspectives (Prospetti) sowie beim Kulturmagazin Diogenes der UNESCO.

1963 publizierte Mann Borgese ihren wissenschaftlichen Essay Ascent of Woman (dt. Aufstieg der Frau – Abstieg des Mannes? 1965), das Ergebnis aus zwei Jahrzehnten Forschung. Darin befasst sich Mann Borgese fachlich interdisziplinär mit der Frage, wie sich aus ungeschlechtlichem Leben im Tierreich im Laufe der Zeit Geschlechter entwickelt haben. Mann Borgese nutzt diese Perspektive, um aufzuzeigen, wie bei Menschen Geschlechterrollen funktionieren und welche Bedeutung dabei Reproduktionsaufgaben spielen. Im letzten Kapitel, Mein eigenes Utopia, schildert sie ihren persönlich-biografischen Antrieb für diese Studie und nennt den Grund, warum sie auf Fotos ihrer Kindheit nie lächelt. Mann Borgese kommt unter anderem zu dem Schluss, dass Familien krisenhafte Arrangements sind, und resümiert – in utopischer Sicht: „Letzten Endes siegte immer die Kooperation über den Konflikt, der einen Mangel an Kooperation darstellt.“[6]

Seit 1964 war Mann Borgese wissenschaftliche Assistentin von Robert Hutchins im kalifornischen Center for the Study of Democratic Institutions. Ab 1967 arbeitete Mann Borgese gegen die Verschmutzung und Überfischung der Weltmeere, konnte Hutchins von der Dringlichkeit dieses Themas überzeugen und legte 1968 einen Vorentwurf für eine Seerechtsverfassung vor.

Schon zwei Jahre später, 1970, im Jahr der Gründung des Club of Rome, in dem sie als einzige Frau Gründungsmitglied war, organisierte Mann Borgese die erste internationale Seerechtskonferenz, die in Malta stattfand.[7][8] Mann Borgese gründete 1972 das International Ocean Institute auf Malta und wurde dessen erste Direktorin. Außerdem rief sie die Unabhängige Weltkommission für Meere,[9] eine Organisation mit UN-Beobachterstatus, ins Leben.

Die dritte UN-Seerechtskonferenz von 1974 befasste sich zentral mit den von Mann Borgese ins Gespräch gebrachten umweltpolitischen Aspekten. Ihr Buch Das Drama der Meere von 1975 wurde in dreizehn Sprachen übersetzt.

1978 nahm sie eine Gastprofessur an der kanadischen Dalhousie University in Halifax an, 1980 wurde sie dort an der Fakultät für Politikwissenschaften als Professorin für Internationales Seerecht berufen. Ebenfalls 1978 gründete Mann Borgese die wissenschaftliche Zeitschrift Ocean Yearbook und fungierte als langjährige Mitherausgeberin.

Das UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 geht maßgeblich auf Mann Borgeses Arbeiten zurück.[10]

Breitenwirkung im deutschsprachigen Raum

In Deutschland wurde Elisabeth Mann Borgese einem breiten Publikum durch den Dokumentar-Spielfilm Die Manns – Ein Jahrhundertroman im Jahre 2001 bekannt, in dem sie erstmals, angeregt durch den Interviewer Heinrich Breloer, tiefe Einblicke in die Geschichte ihrer Familie gab.

In den 1990er Jahren regte Mann Borgese mit publizistischem Weitblick die Gründung einer deutschsprachigen Publikumszeitschrift zum Thema Meere an, wodurch mare. die Zeitschrift der Meere entstand, die seit 1999 monatlich erscheint.

Die meisten ihrer Bücher verfasste Mann Borgese auf Englisch, ebenso wie alle ihre wissenschaftlichen Arbeiten. Die deutsche Übersetzung ihrer populären Sachbücher erzielten teils hohe Auflagen und sind auch mehr als ein Jahrzehnt nach ihrem Tod weiterhin im Handel erhältlich.

Ehrungen

  • Elisabeth-Mann-Borgese-Meerespreis, wurde von 2006 bis 2009 von der Landesregierung Schleswig-Holstein an herausragende Persönlichkeiten verliehen, die sich um den Schutz und Erhalt der Meere kümmern.
  • Elisabeth Mann Borgese“, wurde 2011 ein deutsches Forschungsschiff des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) benannt, das vorher unter dem Namen „Schwedeneck“ bei der Marine im Einsatz war.[11]
  • Mann Borgese wurde im Jahr 2000 zum Ehrenmitglied der IUCN gewählt.[12]
  • Mit dem Erstausgabetag 12. April 2018 gab die Deutsche Post AG anlässlich des 100. Geburtstags von Elisabeth Mann Borgese ein Postwertzeichen im Nennwert von 370 Eurocent heraus. Der Entwurf stammt von der Grafikerin Nicole Elsenbach aus Hückeswagen.
  • 2004 wurde die Elisabeth-Mann-Borgese-Straße in München nach ihr benannt.[13]

Werke (Auswahl)

Bücher

  • To Whom it May Concern.
    • dt. Zwei Stunden. Geschichten am Rande der Zeit. Erzählungen. 1957.
  • Ascent of Woman. 1963.
    • dt. Aufstieg der Frau – Abstieg des Mannes? List Verlag, München 1965.
  • Wie man mit den Menschen spricht. 1965
  • The Drama of the Oceans. 1975.
    • dt. Das Drama der Meere. S. Fischer, Frankfurt am Main 1977.
  • Seafarm: The Story of Aquaculture. 1981
  • Die Zukunft der Weltmeere. Ein Bericht für den Club of Rome. 1985.
  • Der unsterbliche Fisch. Erzählungen. 1998.
  • Mit den Meeren leben. Über den Umgang mit den Ozeanen als globaler Ressource. 1999.
  • Wie Gottlieb Hauptmann die Todesstrafe abschaffte. Erzählungen. 2001.

Übersetzungen ins Englische

  • Heinrich Schenker: Harmonielehre. [1906]. Englischer Titel: Harmony. Chicago University Press, Chicago 1954.

Wissenschaftliche Publikationen (Auswahl)

Publizistische Arbeiten (Auswahl)

Literatur

Interviews und Gespräche mit Mann Borgese

  • Wolf Gaudlitz, Elisabeth Mann Borgese: Mein Vater der Zauberer – Meine Liebe das Meer. Im Gespräch mit Wolf Gaudlitz. Hörbuch. Produktion des BR. Audiobuch, Freiburg 2001, ISBN 3-933199-66-2.
  • Wolf Gaudlitz, Elisabeth Mann Borgese et al.: Elisabeth Mann Borgese – die jüngste Tochter von Thomas Mann. Ein Hörporträt. 4 CDs (245 Minuten). Audiobuch, Freiburg im Breisgau 2010, ISBN 978-3-89964-387-9.
  • Gero von Boehm: Elisabeth Mann Borgese. 1. Juli 1989. Interview in: Gero von Boehm: Begegnungen. Menschenbilder aus drei Jahrzehnten. Collection Rolf Heyne, München 2012, ISBN 978-3-89910-443-1, S. 210–217.

Zum wissenschaftlichen und weltpolitischen Werk

  • Visionäre Frauen im Einsatz für den Umweltschutz – 1899 bis heute. Katalog zur Ausstellung. Kuratierung: Sabine Diemer und Anna-Katharina Wöbse; Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), 2013, S. 96–98.
  • Holger Pils, Karolina Kühn (Hrsg.): Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere. Mare Verlag, Hamburg 2012, ISBN 978-3-86648-187-9.

Biographien

  • Kerstin Holzer: Elisabeth Mann Borgese. Ein Lebensportrait. Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-15725-0.

Mann Borgese im Familienbezug

  • Hans Wißkirchen: Die Familie Mann. Rowohlt, Reinbek 1999, ISBN 3-499-50630-0.
  • Hildegard Möller: Die Frauen der Familie Mann. Piper 2005, ISBN 3-492-24576-5.
  • Barbara Hoffmeister (Hrsg.): Die Familie Mann. Ein Lesebuch. Rowohlt, Reinbek 2001, ISBN 3-499-23197-2.
  • Michael Stübbe: Die Manns. Genealogie einer deutschen Schriftstellerfamilie. Degener & Co, 2004, ISBN 3-7686-5189-4.
  • Uwe Naumann (Hrsg.): Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum. Rowohlt, Reinbek 2005, ISBN 3-498-04688-8.
  • Da war dieses grässliche Gefühl der Unsicherheit. In: Ueli Haldimann (Hrsg.): Hermann Hesse, Thomas Mann und andere in Arosa. Texte und Bilder aus zwei Jahrhunderten. AS Verlag und Buchkonzept, Zürich 2001, ISBN 3-905111-67-5, S. 158 f.

Weblinks

Commons: Elisabeth Mann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolf Gaudlitz, Elisabeth Mann Borgese et al.: Elisabeth Mann Borgese – die jüngste Tochter von Thomas Mann. Ein Hörporträt. 4 CDs (245 Minuten). Audiobuch, Freiburg/Breisgau 2010, ISBN 978-3-89964-387-9
  2. Elisabeth Mann Borgese (Autorenporträt bei mare. die Zeitschrift der Meere), mare online, ohne Datum, abgerufen am 24. Mai 2013.
  3. Kerstin Holzer: Die Emanzipation der Elisabeth Mann Borgese. br.de/radio/bayern2, abgerufen am 24. Mai 2013.
  4. a b Wolf Gaudlitz, Elisabeth Mann Borgese et al.: Elisabeth Mann Borgese – die jüngste Tochter von Thomas Mann. Ein Hörporträt. 4 CDs (245 Minuten). Freiburg i. Br. 2010, ISBN 978-3-89964-387-9, CD 4.
  5. Deutsche Welle: Elisabeth Mann Borgese gestorben | DW | 12.02.2002. Abgerufen am 15. Oktober 2021 (deutsch).
  6. Elisabeth Mann Borgese: Aufstieg der Frau – Abstieg des Mannes? List Verlag, München, 1963, S. 261.
  7. Dalhousie University Obituaries, Elisabeth Mann Borgese In Memoriam, Dalhousie News Volume 32, Number 7; March 13, 2002, Archivlink (Memento vom 8. April 2014 im Internet Archive)
  8. Visionäre Frauen im Einsatz für den Umweltschutz – 1899 bis heute. Katalog zur Ausstellung. Kuratierung: Sabine Diemer und Dr. Anna-Katharina Wöbse, Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), 2013, S. 96
  9. Elisabeth Mann Borgese: Jüngste Tochter von Thomas Mann gestorben, faz.net, abgerufen am 27. Mai 2013
  10. Seine Kinder – Elisabeth, Monika, Michael In: thomasmann.de, ohne Datum, abgerufen am 25. Mai 2013.
  11. Volker Weidermann: Gegen den Salzwind in: DIE ZEIT vom 19. März 2022. S. 52–53.
  12. Honorary Membership of IUCN
  13. Landeshauptstadt München Stadtverwaltung: Elisabeth-Mann-Borgese-Straße. Abgerufen am 18. Mai 2023.
  14. Elisabeth Mann Borgese und das Drama der Meere. literaturhaus-muenchen.de, abgerufen am 24. Mai 2013.

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Das Grab der deutsch-kanadischen Meeresrechtlerin und Ökologin Elisabeth Mann Borgese (1918-2002) auf dem Friedhof von Kilchberg im Schweizer Kanton Zürich, wo sie im Familiengrab mit ihren Eltern sowie ihren Geschwistern Erika, Michael und Monika begraben ist.
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Frankreich, Bandol: Menschen; Elisabeth und Michael Mann mit Begleiter
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Katja Mann mit ihren sechs Kindern um 1919. Von links nach rechts: Monika, Golo, Michael, Katja, Klaus, Elisabeth, Erika.
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