Einfache Sprache
Einfache Sprache ist eine vereinfachte Version der deutschen Standardsprache, bei der die Verständlichkeit im Vordergrund steht. In diesem Sprachstil wird auf komplizierte Satzstrukturen oder wenig bekannte Fremdwörter verzichtet. Zielgruppe der Einfachen Sprache sind Menschen, die das Thema eines Textes in einer anspruchsvollen Fachsprache nicht umfänglich erfassen könnten. Das können beispielsweise fachliche Laien sein oder Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen oder Sprachverständnis haben. In Deutschland, nicht aber in Österreich und der Schweiz, ist insbesondere im Zusammenhang mit Bürgerbeteiligung und der öffentlichen Kommunikation von Behörden und öffentlichen Einrichtungen die Bezeichnung Bürgernahe Sprache verbreitet, bei der die Vermeidung von Behördendeutsch im Vordergrund steht.
Die sogenannte Einfache Sprache erinnert im Wesentlichen an die Ratschläge, die es seit langem für das Verständliche Schreiben gibt. Sie ist nicht zu verwechseln mit der sogenannte Leichten Sprache, die deutlich von der Standardsprache abweicht und sich an Menschen richtet, die ausgeprägte Schwächen beim Lesen oder beim Verstehen eines Textes haben.
Hintergrund
Schwierigkeiten beim Lesen
Die Menschen können unterschiedlich gut lesen und schreiben. Besondere Schwierigkeiten haben die rund 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland. Das sind unter anderem Menschen mit einer schweren Lese- und Rechtschreibschwäche, Menschen mit einer geistigen Behinderung und Menschen, die Deutsch als Fremdsprache sprechen. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 13 Millionen Menschen mit schwacher Lesekompetenz in zahlreichen Abstufungen.
Laut Grundbildungsstudie LEO 2010[1] reiche bei einem Viertel der Menschen in Deutschland die Lesekompetenz nicht aus, um einen literarisch anspruchsvollen Text zu verstehen. Dabei gehören diese Menschen nicht einmal zum Personenkreis des funktionalen Analphabetismus. Nach den Ergebnissen der PISA-Studien 2010 für Deutschland haben 18,5 % der 15-Jährigen keine ausreichenden Lesefähigkeiten und nur 7,6 % der Schülerinnen und Schüler können sehr gut lesen. Bei den Erwachsenen kommt die Level One Studie von 2011 zu dem Ergebnis: „Fehlerhaftes Schreiben trotz gebräuchlichen Wortschatzes zeigt sich bei […] fünfundzwanzig Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung, dies betrifft vor allem die Rechtschreibung (Lage auf Alpha-Level 4, 18–64 Jahre). Das entspricht über 13 Millionen Menschen in Deutschland.“[2]
Diese Menschen sind die Zielgruppen für Einfache Sprache. Einige von ihnen sind während der Schulbildung nicht über ein niedriges Leseniveau hinausgekommen. Andere müssen das Lesen nach schwerer Krankheit wieder ganz neu erlernen.
Gesellschaftliche Bedeutung von Einfacher Sprache
Geringe Lesefähigkeit erschwert oder versperrt den Zutritt zu vielen Lebensbereichen, beispielsweise Erwerbsarbeit, Mediennutzung, öffentliches Leben, soziale Dienstleistungen und demokratische Mitgestaltung des Gemeinwesens. Einfache Sprache soll diesen Personen einen Einstieg in die Schriftsprache erleichtern und ist damit eine wesentliche Grundlage für die Herstellung von Niedrigschwelligkeit und der tatsächlichen Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe dieser Menschen.
Texte in Einfacher Sprache ermöglichen einem größeren Teil der Bevölkerung Zugang zu Informationen oder Literatur. Dabei geht es nicht ausschließlich darum, Texte für bildungsferne Gruppen zu verfassen, sondern ganz allgemein schwierige Texte für möglichst breite Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Einfache Sprache in der Kommunikation zwischen öffentlichen Stellen und der Bevölkerung soll demokratische Teilhabe über die gebildeten Schichten hinaus ermöglichen.
Merkmale
Texte in Einfacher Sprache haben kürzere Sätze und einfachere Satzstrukturen als die Standardsprache. Fremdwörter, schwer verständliche Stilfiguren wie Redewendungen oder Metaphern werden ebenso vermieden wie bildhafte Wendungen sowie Anspielungen. Boulevardmedien haben meist das Niveau von Einfacher Sprache. Vergleicht man Einfache Sprache mit dem Erwerb einer Fremdsprache, so ist sie im gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen etwa auf dem Niveau A2-B1.
Häufige Empfehlungen für Einfache Sprache
Da es kein geschlossenes Regelwerk für Einfache Sprache gibt, können die vorhandenen Leitfäden und Handreichungen zum Thema durchweg nur Empfehlungen aussprechen. Häufig geht dies mit Appellen an die Absender Einfacher Texte einher, die Regeln mit einem empathischen Blick für die Leser des Textes sinngemäß anzuwenden.
Nachfolgende Empfehlungen finden sich dabei in vielen Ratgebern wieder:
- Die Satzstruktur soll einfach und logisch sein, Gedankensprünge werden vermieden.
- Die Satzlänge beschränkt sich auf rund zehn bis elf Wörter, bei Verwendung von Nebensätzen auf etwa fünfzehn Wörter.
- Jeder Satz enthält nur einen Gedanken.
- Sätze sind im Aktiv geschrieben.
- Die Wortwahl ähnelt derjenigen der gesprochenen Sprache.
- Die Wörter sollten allgemein bekannt und möglichst eindeutig sein: „Geld“ statt „Zahlungsmittel“ oder „Kirche“ statt „Gotteshaus“.
- Fremdwörter, schwierige Begriffe oder lange zusammengesetzte Wörter sollen durch einfache und eindeutige Wörter ersetzt werden. Wenn die Verwendung dieser Wörter notwendig ist, sollten sie kurz erklärt und durch Beispiele verdeutlicht werden.
- Metaphern, Ironie und Redewendungen werden nicht verwendet.
- Abstrakte Begriffe werden durch konkrete Ausdrücke ersetzt.
- Abkürzungen, auch weit verbreitete, werden stets ausgeschrieben.
Beispieltext
Folgender Auszug aus einem literarischen Text zeigt beispielhaft die Verwendung von Einfacher Sprache:
„Immer größer wurde der Tumult. Leute hielten Plakate mit der Aufschrift «Keine Gewalt» in die Höhe. Polizisten prügelten mit Schlagstöcken auf sie ein. Einige versuchten, aus der Menge auszubrechen. Die Polizisten waren sofort hinter ihnen her und rissen sie zu Boden. Menschen schrien. Sirenen heulten. Polizeiwagen fuhren vor. Es herrschte ein entsetzliches Durcheinander. Zwei Polizisten packten mich und wollten mich wegschleifen. In dem Moment sah ich sie. Im feinen roten Abendkleid, die Handtasche über dem Arm. Meine Mutter.“
Unterschiede zur Leichten Sprache
Leichte Sprache wurde in den 1970er Jahren in den USA für und mit Menschen mit geistiger Behinderung entwickelt und gilt als wichtiger Bestandteil von Barrierefreiheit und Inklusion. Etwa 20 Jahre später kam das Konzept auch nach Deutschland.[3] Leichte Sprache hat klare Regeln, die für Deutschland vom Netzwerk Leichte Sprache empfohlen werden. Leichte Sprache geht in der Vereinfachung der Sprache noch deutlich weiter als Einfache Sprache. Texte in Leichter Sprache sind schon optisch gut zu erkennen: Die Sätze sind sehr kurz (kürzer als eine Zeile), nach jedem Satz folgt ein Zeilenumbruch. Der Genitiv wird nicht genutzt, zusammengesetzte Wörter werden mit Bindestrichen geschrieben, zur Veranschaulichung des Texts werden Bilder und Illustrationen verwendet.
Einfache Sprache besitzt im Gegensatz zur Leichten Sprache kein festes Regelwerk.
Die Abgrenzung der beiden Sprachen ist nicht immer eindeutig, und die beiden Begriffe werden nicht konsequent verwendet. Ansätze einer Definition finden sich in der Studie Leichte Sprache – Einfache Sprache[4] von Andreas Baumert, der sich zudem für die wissenschaftliche Entwicklung einer sogenannten Standardisierten Einfachen Sprache Deutsch (SESD) einsetzt.
Verwendung
Medienangebote
Die erste Zeitung in Einfacher Sprache war im Jahr 2009 die Monatszeitung "Klar & Deutlich" des Spaß am Lesen Verlages[5]. Seit 2016 sendet der Deutschlandfunk einmal pro Woche Nachrichten in einfacher Sprache (ursprünglich begann die Seite als Studentenprojekt mit Leichter Sprache und bewegt sich heute im Spektrum zwischen Einfacher und Leichter Sprache).[6][7] Die österreichische Zeitung Kurier bietet auf ihrem Internetangebot ausgewählte Nachrichten und Geschichten in einfacher Sprache, die von der Inklusiven Lehrredaktion verfasst werden.[8] Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt das Internetangebot „Politik. Einfach für alle“ heraus, auf der Hefte, Hörbücher und Nachrichten in einem sprachlichen Kontinuum zwischen leichter und einfacher Sprache erhältlich sind.[9][10][11] Die Hansestadt Herford hat 2019 einen Stadtführer in Einfacher Sprache herausgebracht.[12] Gesundheitsratgeber in Einfacher Sprache finden sich seit September 2019 auf der Website der Apotheken Umschau.[13]
Verwaltung und Bürgerbeteiligung (Deutschland)
Im Zusammenhang mit der Einführung des Neuen Steuerungsmodells und der Forderung nach mehr Bürgernähe in den öffentlichen Verwaltungen Deutschlands in den 2000er Jahren, wurden auch Rufe nach einer Bürgernahen Sprache in der Kommunikation zwischen Behörden und Bürgerschaft laut. Das sogenannte „Amtsdeutsch“ wurde dabei als dem Alltag der Menschen entfremdet und Ausdruck eines veralteten Selbstverständnisses kritisiert. In der Folge begannen eine ganze Reihe von Behörden Ratgeber für eine Bürgernahe Sprache zu publizieren, so beispielsweise das Bundesverwaltungsamt[14], das Bayerische Staatsministerium des Inneren[15] oder die Stadt Bochum[16].
Im Feld der Bürgerbeteiligung gilt die Nutzung von Bürgernaher Sprache ausdrücklich als wesentliche Grundlage für die erfolgreiche und breite Einbeziehung verschiedener Gruppen.[17] So gehöre Bürgernahe Sprache mittlerweile zu den unverzichtbaren Fähigkeiten, die eine öffentliche Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben beherrschen müsse.[18]
Literatur
Wissenschaftliche Literatur über Einfache Sprache
- Anke Grotlüschen, Klaus Buddeberg (Hrsg.): LEO 2018. Leben mit geringer Literalität. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-7639-6071-2 (378 S.).
- Anke Grotlüschen, Wibke Riekmann (Hrsg.): Funktionaler Analphabetismus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo. - Level-One-Studie. Waxmann, New York, München, Berlin 2012, ISBN 978-3-8309-2775-4.
- Andreas Baumert: Leichte Sprache – Einfache Sprache. Literaturrecherche • Interpretation • Entwicklung. o. O. 2016 (294 S., hs-hannover.de [PDF]).
- Leichte und Einfache Sprache. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. 64. Jahrgang, Nr. 9-11, 24. Februar 2014 (40 S., bpb.de).
Handreichungen zum Verfassen
- Baumert, Andreas: Einfache Sprache. Verständliche Texte schreiben. 1. Auflage. Spaß am Lesen Verlag, Münster 2018, ISBN 978-3-944668-87-1.
- Bundesverwaltungsamt (Hrsg.): Arbeitshandbuch Bürgernahe Verwaltungssprache. 4. Auflage. Köln 2002 (bund.de [PDF]).
- Stadt Bochum (Hrsg.): Tipps zum einfachen Schreiben. o. O. (moderne-verwaltungssprache.de [PDF]).
- Martina Ziegler, Karl-Heinz Eser, Sonja Abend, Peter Piasecki, Mechthild Ziegler (Hrsg.): Einfache Sprache in Bildung und Ausbildung. Herausforderungen, Voraussetzungen, Möglichkeiten. Lernen fördern – Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Lernbehinderung e.V., Stuttgart 2015, ISBN 978-3-943373-06-6 (176 S.).
- Bayerisches Staatsministerium des Innern (Hrsg.): Freundlich, korrekt und klar – Bürgernahe Sprache in der Verwaltung. Neuauflage Auflage. München 2008 (uni-wuerzburg.de [PDF]).
Literatur in Einfacher Sprache
- Alissa Walser, Anna Kim, Arno Geiger, Henning Ahrens, Jens Mühling, Judith Hermann, Julia Schoch, Kristof Magnusson, Maruan Paschen, Mirko Bonné, Nora Bossong, Olga Grjasnowa, Ulrike Almut Sandig: LiES. Literatur in einfacher Sprache. Hrsg.: Hauke Hückstädt. Piper, München 2020, ISBN 978-3-492-07032-4 (283 S.).
Weblinks
- Stadt Herford: Herford entdecken. Stadtführer in Einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- Deutschlandfunk: nachrichtenleicht. Der Wochenrückblick in einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021 (deutsch).
- Apothekenumschau: Apotheken-Umschau.de in Einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- Bundeszentrale für politische Bildung: Politik. Einfach für alle. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- Infoportal Einfache Sprache. Einfach lesen, einfach schreiben, einfach mitmachen! Abgerufen am 18. März 2023.
- Kurier: Kurier.at in einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021.
Einzelnachweise
- ↑ Anke Grotlüschen, Wibke Riekmann (Hrsg.): Funktionaler Analphabetismus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo. - Level-One-Studie. Waxmann, New York, München, Berlin 2012, ISBN 978-3-8309-2775-4.
- ↑ Anke Grotlüschen, Klaus Buddeberg (Hrsg.): LEO 2018. Leben mit geringer Literalität. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-7639-6071-2 (378 S.).
- ↑ Die Geschichte der Leichten Sprache. In: Internetangebot des Netzwerks Leichte Sprache e.V. Netzwerk leichte Sprache e.V., abgerufen am 28. Februar 2021.
- ↑ Andreas Baumert: Leichte Sprache – Einfache Sprache. Literaturrecherche • Interpretation • Entwicklung. o. O. 2016 (294 S., hs-hannover.de [PDF]).
- ↑ Klar & Deutlich für Institutionen. Abgerufen am 9. März 2022.
- ↑ Deutschlandfunk: nachrichtenleicht. Der Wochenrückblick in einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021 (deutsch).
- ↑ Informationsdienst Wissenschaft: Studentisches Nachrichtenportalprojekt nachrichtenleicht.de der FH Köln wird mit DLF fortgesetzt. Abgerufen am 10. September 2022 (deutsch).
- ↑ Kurier: Kurier.at in einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- ↑ Infoportal Einfache Sprache: Interview zur Reihe einfach Politik. Abgerufen am 11. März 2023.
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung: Einfach für Alle! Politische Bildung und Inklusion. Abgerufen am 19. September 2022.
- ↑ Bundeszentrale für politische Bildung: Politik. Einfach für alle. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- ↑ Stadt Herford: Herford entdecken. Stadtführer in Einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- ↑ Apothekenumschau: Apotheken-Umschau.de in Einfacher Sprache. Abgerufen am 28. Februar 2021.
- ↑ Bundesverwaltungsamt (Hrsg.): Arbeitshandbuch Bürgernahe Verwaltungssprache. 4. Auflage. Köln 2002 (bund.de [PDF]).
- ↑ Bayerisches Staatsministerium des Innern (Hrsg.): Freundlich, korrekt und klar – Bürgernahe Sprache in der Verwaltung. Neuauflage Auflage. München 2008 (uni-wuerzburg.de [PDF]).
- ↑ Stadt Bochum (Hrsg.): Tipps zum einfachen Schreiben. o. O. (moderne-verwaltungssprache.de [PDF]).
- ↑ Nils Jonas: Beziehungsweise Bürgerbeteiligung. Gute Beteiligung fußt auf einem gelingenden Miteinander. In: eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung. Nr. 03, 2018, S. 5 (8 S., netzwerk-buergerbeteiligung.de [PDF; abgerufen am 28. Februar 2021]).
- ↑ Anna Renkamp: Vom Besserwissen zum Bessermachen – wie Infrastrukturbeteiligung gelingt. In: Einwurf. Zukunft der Demokratie. Nr. 01, 2015, S. 7 (8 S., bertelsmann-stiftung.de [PDF]).