Eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot»

Die eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ist eine im Jahre 2017 eingereichte Volksinitiative in der Schweiz, welche vom Egerkinger Komitee (einer antiislamischen Organisation[1]) lanciert wurde. Die Initiative verlangt, dass an öffentlich zugänglichen Orten niemand sein Gesicht verhüllen darf.

Die Volksinitiative kam am 7. März 2021 zur Abstimmung und wurde von Volk und Ständen angenommen.

Die Initiative

Initiativtext

Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird wie folgt geändert:

Art. 10a Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts

1 Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen, die öffentlich zugänglich sind oder an denen grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistungen angeboten werden; das Verbot gilt nicht für Sakralstätten.

2 Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.

3 Das Gesetz sieht Ausnahmen vor. Diese umfassen ausschliesslich Gründe der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums.

Art. 197 Ziff.12 Übergangsbestimmung zu Art. 10a (Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts)

Die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 10a ist innert zweier Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände zu erarbeiten.[2]

Initiativkomitee

Das Initiativkomitee gemäss Art. 68 Abs. 1 Bst. e BPR besteht aus 27 Mitgliedern, grossenteils Mitgliedern der Schweizerischen Volkspartei (SVP).[3]

Hinter der Volksinitiative steht weiter eine überparteiliche Trägerschaft aus Mitgliedern der SVP, der EDU und der FDP sowie Parteilosen; das Co-Präsidium entspricht den Vorstandsmitgliedern des Egerkinger Komitees[4] im Jahre 2016: Walter Wobmann, Ulrich Schlüer, Roland Haldimann, Patrick Freudiger, Daniel Zingg.[5]

Argumente des Initiativkomitees

Das Initiativkomitee geht davon aus, dass in aufgeklärten Staaten wie der Schweiz gelte: «Freie Menschen – Frauen und Männer – blicken einander ins Gesicht, wenn sie miteinander sprechen.» Dass das auch für Frauen gelte, sei «ein Gebot elementarer Gleichberechtigung.» Durch die Initiative entstehe «kein Konflikt mit Religions- und Meinungsfreiheit», ein «Grossteil der Muslime» lehne die Ganzkörperverhüllung ebenfalls ab. Die Initiative richte sich «auch gegen jene Verhüllung, der kriminelle oder zerstörerische Motive zugrunde liegen.» Die Sicherheitsorgane erhielten «den Auftrag, gegen vermummte Straftäter konsequent vorzugehen».[6]

Behandlung der Initiative

Vorgeschichte

Im schweizerischen Parlament, der aus Nationalrat und Ständerat bestehenden Bundesversammlung, wurden verschiedene Vorstösse für ein Verhüllungsverbot abgelehnt: im Jahre 2012 eine Standesinitiative des Kantons Aargau,[7] im Jahre 2013 eine Motion von Nationalrat Hans Fehr (SVP)[8] und im Jahre 2017 eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Walter Wobmann (SVP).[9]

Der Kanton Tessin stimmte an einer Volksabstimmung am 22. September 2013 für die Verankerung eines Gesichtsverhüllungsverbots in der Kantonsverfassung. Das Ausführungsgesetz wurde am 23. November 2015 vom Kantonsparlament verabschiedet und trat am 1. Juli 2016 in Kraft.[10]

Der Kantonsrat (Parlament) des Kantons St. Gallen beschloss am 18. September 2017 ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum. Gegen das Gesetz wurde das Referendum ergriffen; in der Volksabstimmung vom 23. September 2018 wurde es von den Stimmberechtigten angenommen.[11]

Mehrere andere Kantone haben aber ein Verhüllungsverbot ausdrücklich abgelehnt (Zürich, Bern, Glarus und Basel-Stadt).[12]

Verschiedene andere europäische Länder haben auch bereits ein Verhüllungsverbot eingeführt.[13]

Einreichung der Volksinitiative

Mit der Publikation des Initiativtexts im Bundesblatt am 15. März 2016[14] begann der Fristenlauf von 18 Monaten für die Sammlung von mindestens 100'000 Unterschriften (Art. 139 Abs. 1 BV). Die gesammelten Unterschriften wurden am 15. September 2017 eingereicht. Mit Verfügung vom 11. Oktober 2017 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 105'553 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.[15]

Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat beantragte, der Bundesversammlung mit seinem Entwurf eines Bundesbeschlusses und der erläuternden Botschaft vom 15. März 2019 Volk und Ständen die Volksinitiative zur Ablehnung zu empfehlen. Gleichzeitig unterbreitete er den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Gesichtsverhüllung, welcher als indirekter Gegenentwurf das Anliegen der Volksinitiative zu einem kleineren Teil aufnahm (Pflicht zur Enthüllung des Gesichts zwecks Identifizierung gegenüber einer schweizerischen Behörde), aber auf Gesetzesstufe, nicht wie die Volksinitiative auf Verfassungsstufe.

Der Bundesrat argumentierte in seiner Botschaft vom 15. März 2019, die Gesichtsverhüllung sei ein Randphänomen. Ein schweizweites Verbot beschneide die Rechte der Kantone, schade dem Tourismus und helfe den betroffenen Frauen nicht. Die Initiative sei unnötig, weil die Vollverschleierung schon heute als Ausdruck mangelnder Integration betrachtet werden kann und damit zur Folge haben könnte, dass keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung erteilt oder die Einbürgerung verweigert wird. Wer eine Person zwingt, ihr Gesicht zu verhüllen, erfülle bereits heute den Straftatbestand der Nötigung (Art. 181). Die Initiative sei auch nicht nötig, um gegen vermummte Personen an Demonstrationen oder Sportanlässen vorzugehen; in 15 Kantonen gelte bereits ein Vermummungsverbot. Die bisher bestehende Kompetenz der Kantone zur Regelung dieser Frage nach ihren eigenen spezifischen Bedürfnissen werde unnötig eingeschränkt.[16]

Beratungen des Parlaments

Die Volksinitiative wurde zuerst vom Ständerat behandelt. Dieser folgte am 26. September 2019 mit 34 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen dem Antrag des Bundesrates auf eine ablehnende Abstimmungsempfehlung. Am 17. Juni 2020 beschloss auch der Nationalrat mit 114 zu 76 Stimmen bei 3 Enthaltungen, Volk und Ständen die Ablehnung der Initiative zu empfehlen. Für die Initiative stimmten die geschlossene Fraktion der SVP, zwei Drittel der Fraktion der Mitte, 2 Mitglieder der Fraktion FDP-Liberalen und 1 Mitglied der GLP, gegen die Initiative die geschlossene Fraktion der GPS, grosse Mehrheiten der Fraktionen der SP, der FDP-Liberalen und der GLP sowie ein Drittel der Fraktion der Mitte. Die Eidgenössischen Räte stimmten mit einigen Änderungen gegenüber dem Entwurf des Bundesrates dem indirekten Gegenentwurf zu, dem Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung. Das Gesetz kann, da es mit der durch die Volksinitiative vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung nicht vereinbar ist, nur in Kraft treten, falls die Volksinitiative zurückgezogen oder abgelehnt wird.[17]

Meinungsumfragen

InstitutAuftraggeberDatumJaEher JaUnentschieden
Keine Antwort
Eher NeinNein
LeeWas GmbHTamedia19. Februar 20215541337
gfs.BernSRG SSR14. Februar 2021381141136
LeeWas GmbHTamedia5. Februar 20215871628
LeeWas GmbHTamedia19. Januar 202152112728
gfs.BernSRG SSR18. Januar 2021411541228

Bemerkungen: Angaben in Prozent. Das Datum bezeichnet den mittleren Zeitpunkt der Umfrage, nicht den Zeitpunkt der Publikation der Umfrage.

Volksabstimmung

Die Volksinitiative kam am 7. März 2021 zur Abstimmung.

Die acht grössten Parteien hatten folgende Abstimmungsparolen beschlossen:[18]

  • Ja: SVP und EDU
  • Nein: FDP, GPS, glp, Mitte und SP
  • Stimmenthaltung: EVP
Abstimmungsergebnisse nach Kantonen

Das Schweizer Volk nahm die Initiative knapp mit 51,21 % Ja-Stimmen an. Die Wahlbeteiligung betrug 51,40 %. Bemerkenswert am Abstimmungsergebnis war dieses Mal, dass die sonst häufig zu beobachtende Trennung der «welschen» Westschweizer Kantone von der deutschsprachigen Schweiz aufgehoben war. Auch die französischsprachige Schweiz stimmte mehrheitlich für die Vorlage.[19]

  • Ja (16 42 Stände)
  • Nein (422 Stände)
  • «Verhüllungsverbotsinitiative» – vorläufige amtliche Endergebnisse
    KantonJa (%)Nein (%)Beteiligung (%)
    Kanton Aargau Aargau53,61 %46,39 %48,62 %
    Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden49,13 %50,87 %50,82 %
    Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden58,66 %41,34 %45,67 %
    Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft53,40 %46,60 %49,29 %
    Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt40,61 %59,39 %54,77 %
    Kanton Bern Bern49,58 %50,42 %49,47 %
    Kanton Freiburg Freiburg55,88 %44,12 %55,10 %
    Kanton Genf Genf48,70 %51,30 %52,70 %
    Kanton Glarus Glarus53,45 %46,55 %46,06 %
    Kanton Graubünden Graubünden49,60 %50,40 %44,89 %
    Kanton Jura Jura60,65 %39,35 %44,05 %
    Kanton Luzern Luzern50,45 %49,55 %51,56 %
    Kanton Neuenburg Neuenburg52,01 %47,99 %45,76 %
    Kanton Nidwalden Nidwalden56,08 %43,92 %55,69 %
    Kanton Obwalden Obwalden56,25 %43,75 %53,84 %
    Kanton Schaffhausen Schaffhausen52,23 %47,77 %68,87 %
    Kanton Schwyz Schwyz60,16 %39,84 %54,34 %
    Kanton Solothurn Solothurn52,56 %47,44 %51,62 %
    Kanton St. Gallen St. Gallen53,12 %46,88 %48,16 %
    Kanton Tessin Tessin60,49 %39,51 %45,39 %
    Kanton Thurgau Thurgau53,92 %46,08 %48,29 %
    Kanton Uri Uri58,82 %41,18 %43,75 %
    Kanton Waadt Waadt50,91 %49,09 %55,69 %
    Kanton Wallis Wallis58,28 %41,72 %60,96 %
    Kanton Zug Zug50,43 %49,57 %59,72 %
    Kanton Zürich Zürich45,21 %54,79 %51,93 %
    Eidgenössisches Wappen ÜÜÜSchweizerische Eidgenossenschaft51,21 %48,79 %51,40 %

    Umsetzung der angenommenen Volksinitiative

    Da die Verfassungsbestimmung nicht direkt anwendbar ist, unterbreitete der Bundesrat am 12. Oktober 2022 der Bundesversammlung Botschaft und Entwurf für eine Umsetzung durch ein Bundesgesetz. Er stellte unter anderem den Antrag, dass Menschen, die an öffentlichen Orten ihr Gesicht verschleiern, künftig mit einer Busse bis 1000 Schweizer Franken bestraft werden sollen; bestimmte Ausnahmen bleiben vorbehalten.[20]

    Siehe auch

    Weblinks

    Fussnoten

    1. Egerkinger Komitee – Über uns auf der Website des Egerkinger Komitees, abgerufen am 14. März 2021.
    2. BBl 2016 1669 – Eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Vorprüfung In: admin.ch
    3. Bundeskanzlei: Verfügung über die Vorprüfung der Volksinitiative. In: Bundesblatt. 1. März 2016, abgerufen am 21. Februar 2021.
    4. Webseite des Egerkinger Komitees. Abgerufen am 21. Februar 2021.
    5. Initiativkomitee Ja zum Verhüllungsverbot: Trägerschaft. In: verhuellungsverbot.ch. Abgerufen am 21. Februar 2021.
    6. Initiativkomitee Ja zum Verhüllungsverbot: Argumente. In: verhuellungsverbot.ch. Abgerufen am 21. Februar 2021.
    7. 10.333 Standesinitiative Aargau. Nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum. In: Geschäftsdatenbank Curiavista des Parlaments (mit Links zum Text der Initiative, zu den Verhandlungen der Räte und weiteren Parlamentsunterlagen). Abgerufen am 21. Februar 2021.
    8. 11.3042 Motion Fehr Hans. Nationales Vermummungsverbot. In: Geschäftsdatenbank Curiavista des Parlaments (mit Links zum Text der Motion, zur Stellungnahme des Bundesrates, zu den Verhandlungen der Räte und weiteren Parlamentsunterlagen). Abgerufen am 21. Februar 2021.
    9. 14.467 Parlamentarische Initiative Wobmann. Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts. In: Geschäftsdatenbank Curiavista des Parlaments (mit Links zum Text der Initiative, zu den Verhandlungen der Räte und weiteren Parlamentsunterlagen). Abgerufen am 21. Februar 2021.
    10. Bundesrat: Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und zum indirekten Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung). In: Bundesblatt. 15. März 2019, S. 2930–2932, abgerufen am 21. Februar 2021.
    11. Bundesrat: Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und zum indirekten Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung). In: Bundesblatt. 15. März 2019, S. 2932, abgerufen am 21. Februar 2021.
    12. Bundesrat: Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und zum indirekten Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung). In: Bundesblatt. 15. März 2019, S. 2930, abgerufen am 21. Februar 2021.
    13. Bundesrat: Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und zum indirekten Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung). In: Bundesblatt. 15. März 2019, S. 2922–2928, abgerufen am 21. Februar 2021.
    14. Bundeskanzlei: Verfügung über die Vorprüfung der Volksinitiative. In: Bundeskanzlei. 1. März 2016, abgerufen am 21. Februar 2021.
    15. Bundeskanzlei: Verfügung über das Zustandekommen der Volksinitiative. In: Bundeskanzlei. 11. Oktober 2017, abgerufen am 21. Februar 2021.
    16. Bundesrat: Botschaft zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und zum indirekten Gegenvorschlag (Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung). In: Bundesblatt. 15. März 2019, abgerufen am 21. Februar 2021.
    17. 19.023 Ja zum Verhüllungsverbot. Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag. In: Geschäftsdatenbank Curiavista des Parlaments (mit Links zur Botschaft des Bundesrates, zu den Verhandlungen der Räte und weiteren Parlamentsunterlagen). Abgerufen am 21. Februar 2021.
    18. Abstimmungen vom 7. März 2021. Parolenspiegel. Abgerufen am 21. Februar 2021.
    19. Vorlage Nr. 638 Provisorisches amtliches Ergebnis, Volksabstimmung vom 07.03.2021 Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Schweizerische Bundeskanzlei, abgerufen am 8. März 2021.
    20. Bundesrat: Medienmitteilung: Gesichtsverhüllungsverbot in neuem Gesetz. 12. Oktober 2022, abgerufen am 14. Oktober 2022.

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