Egotismus
Egotismus (entlehnt dem engl. egotism, frz. égotisme) bezeichnet die übertriebene Neigung, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. In der Psychologie wird er klar von Egoismus und Egozentrismus abgegrenzt,[1][2][3] bildungssprachlich aber teils synonym zu Egoismus verwendet.[4][5]
Herkunft
Geprägt wurde der Begriff 1714 von dem englischen Essayisten Joseph Addison. In seinen literarisch-moralischen Wochenschriften kritisiert Addison mit dem Begriff den überzogenen Gebrauch des Ich-Pronomens und der egozentrischen Eigendarstellung mancher seiner Zeitgenossen. Im 18. Jahrhundert war es kaum üblich, in literarischen Werken das Wort „ich“ zu benutzen. So schreibt beispielsweise Horace Walpole 1764 im Vorwort zur zweiten Auflage seines Romans Das Schloss von Otranto: „Die geneigte Aufnahme, deren die Lesewelt diese kleine Erzählung würdigte, fordert den Dichter auf, die Grundsätze zu erklären, nach welchen er sie verfertigte.“[6] Die Verwendung der „dritten Person“ statt des Wortes „ich“ hindert den Autor jedoch nicht daran, sich selbst, bis dahin der Öffentlichkeit als Politiker bekannt, schon im ersten Satz als „Dichter“ zu bezeichnen und eine weitschweifige Selbstdarstellung folgen zu lassen.
Der Begriff wurde 1832 von dem französischen Schriftsteller und Philosophen Stendhal (1783–1842) in seinem autobiografischen Text Souvenirs d’Égotisme (dt. Erinnerungen eines Egotisten) aufgegriffen und in einen ehrlichen und einen abscheulichen Egotismus differenziert. Mit dem ehrlichen Egotismus hinterfragt er kritisch sein eigenes literarisches Wirken und die Wichtigkeit seiner Botschaft, während er den abscheulichen Egotismus im Sinne Addisons deutet.
Egotismus ist heute im Sprachgebrauch oft mit seinen negativen Konnotationen belegt. Der Begriff beschreibt die Motivation, für sich selbst nur positive Eigenschaften in den Vordergrund zu stellen und diese weitschweifig und verstärkt zu beschreiben. Dies kann zu Selbstüberschätzung und Realitätsverlust führen. In Bezug zur Umwelt kann sich Egotismus destruktiv auswirken und oft das Gegenteil von dem erreichen, was ursprünglich durch die Selbstdarstellung bezweckt werden sollte. Der Egotismus ist in diesem Sinne nahe verwandt mit dem Narzissmus, einem Begriff, der 1914 von Sigmund Freud als psychologischer Fachbegriff eingeführt worden ist.[7]
Der prominente britische Intellektuelle Bryan Magee ist Egotist genannt worden.[8]
Siehe auch
- Attributionaler Egotismus
- Ambiversion
- Mitläufereffekt
- Looking-glass self
- Selbstigkeit[9] (selbstisch)
Literatur
- Otto Behaghel, Fritz Neumann, Karl Bartsch: Der pathologische Egotismus bei Stendhal (H. Beyle), in Literaturblatt für Germanische und romanische Philologie, Bearbeitet von Fr. von Oppeln-Bronikowski, S. 167, 1944
- Otto Flake: Versuch über Stendhal, 1947
- Rudolf Kayser: Stendhal: Oder, das Leben eines Egotisten, 1928
Weblinks
- Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik: 'Egotismus'. In: Stangl, W. (2020).
Einzelnachweise
- ↑ Egotismus im Dorsch Lexikon der Psychologie. 2016 (hogrefe.com [abgerufen am 29. November 2024]).
- ↑ egozentrisch im Dorsch Lexikon der Psychologie. 2022 (hogrefe.com [abgerufen am 29. November 2024]).
- ↑ Egoismus im Dorsch Lexikon der Psychologie. 2022 (hogrefe.com [abgerufen am 29. November 2024]).
- ↑ Enzyklopädie - Brockhaus.de. Abgerufen am 29. November 2024.
- ↑ Synonyme zu Egoismus | Anderes Wort für Egoismus | Duden. Abgerufen am 29. November 2024.
- ↑ Horace Walpole: Das Schloss von Otranto. Berlin, 1810. Vorrede der zweyten Ausgabe (deutsche Übersetzung bei zeno.org)
- ↑ Vgl.: Sigmund Freud: Zur Einführung des Narzißmus. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig, Wien, Zürich 1924
- ↑ Mark Nayler: Why we need a biography of philosopher Bryan Magee. In: spectator.co.uk. The Spectator (1828) Ltd, 23. Januar 2023, abgerufen am 16. April 2023 (englisch).
- ↑ Wörterbuchnetz. Abgerufen am 16. April 2023.