Egon Schultz

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Egon Schultz

Egon Schultz (* 4. Januar 1943 in Groß Jestin, Landkreis Kolberg-Körlin; † 5. Oktober 1964 in Ost-Berlin) war ein Unteroffizier der Grenztruppen der DDR. Er wurde bei einem Schusswechsel mit Fluchthelfern versehentlich von einem anderen DDR-Grenzsoldaten erschossen. Von der DDR-Führung wurde wahrheitswidrig verbreitet, dass Schultz von einem Fluchthelfer erschossen wurde. Diese Propagandalüge wurde erst nach der Deutschen Wiedervereinigung aufgedeckt.

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Gedenkfeier am Schauplatz des Todes von Egon Schultz am 10. Jahrestag der Mauer (13. August 1971)
Gedenktafel am Haus Strelitzer Straße 55, in Berlin-Mitte
Das Grab von Egon Schultz (2018 Foto)
Dethardingstraße 16 (ehemals Karl-Marx-Straße 16), Rostock. Das letzte Zuhause von Egon Schultz vor seinem Tod.

Leben

Egon Schultz war der jüngere von zwei Söhnen des Kraftfahrers Alfred Schultz und dessen Frau Frieda, einer Serviererin, war von September 1962 bis November 1963 als Lehrer in Rostock-Dierkow tätig, bis er zum Wehrdienst einberufen wurde. Vor seinem Militärdienst hatte er seinen Wohnsitz in der Karl-Marx-Straße 16 in Rostock. Seinen letzten Besuch zu Hause machte er nur wenige Tage vor seinem Tod, als seine Eltern ihren 25. Hochzeitstag feierten.[1]

Bei einer Fluchtaktion, für die der Tunnel 57 gegraben worden war (mitfinanziert vom Stern-Chefredakteur Henri Nannen durch den Vorabkauf der Exklusivrechte am Tunnelbau), konnten innerhalb von zwei Nächten 57 Flüchtlinge von einem Hinterhof der Strelitzer Straße 55 in Ost-Berlin nach West-Berlin flüchten. Die Fluchthelfer waren mit Pistolen aus Polizeibeständen bewaffnet.[2] Als Schultz mit zwei MfS-Angehörigen und Maschinenpistolen im Anschlag den Hof der Strelitzer Straße 55 betrat, kam es zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf Schultz von einer Kugel aus der Pistole des Fluchthelfers Christian Zobel getroffen wurde. Er ging zu Boden und wurde beim Versuch, wieder aufzustehen, versehentlich von einem DDR-Grenzsoldaten mit dessen Kalaschnikow erschossen.

Propagandalüge in der DDR

Von der DDR-Führung wurde nach dem Tod von Schultz behauptet, er sei von „westlichen Agenten“ oder von dem Fluchthelfer Christian Zobel erschossen worden. Tatsächlich war ihr bekannt, dass Schultz von Zobel nur verletzt wurde, den tödlichen Schuss gab der DDR-Grenzer Volker M. ab.[3] Die SED-Führung unterschlug diese Tatsache und beschuldigte stattdessen die Fluchthelfer.[4] Öffentlich vertrat die Regierung der DDR stets ihre Version und propagierte Schultz als Volkshelden. Dazu wurden Beweise manipuliert. So wurde unter anderem ein Foto der Jacke von Schultz so beschnitten, dass die Einschusslöcher der Projektile nicht mehr zu sehen waren. Erst durch die Öffnung der Stasi-Unterlagen konnte richtiggestellt werden, dass die tödlichen Schüsse aus der Waffe eines Grenzsoldaten abgegeben wurden. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der Fluchthelfer, der den ersten Schuss abgegeben hatte und als Todesschütze dargestellt wurde, bereits verstorben. Einer der beteiligten Fluchthelfer war der spätere Astronaut Reinhard Furrer, der 1995 und ebenfalls vor der Aufklärung starb.

Wie Fotos zeigen, wurden die Eltern und einige seiner Schüler in die Propagandalüge eingebaut, ohne insbesondere bei seinen Eltern auf deren Emotionen Rücksicht zu nehmen.

1974 erschien im Ost-Berliner Kinderbuchverlag das Buch 172 Tage von Herbert Mühlstädt, in dem die Lebensgeschichte von Egon Schulz in heroisierender Weise erzählt und sein Tod in der offiziellen DDR-Version dargestellt wurde.[5]

Nachwirken

Nach Schultz Tod erhielten in der DDR mehrere Einrichtungen den Namen „Egon Schultz“, so die Rostocker Schule, an der er Lehrer war, eine Berliner Polytechnische Oberschule sowie die POS in Hangelsberg, eine Hönower Schule, ein Wehrlager in Prerow, ein Kinderheim in Rostock-Lichtenhagen und eine Unteroffiziersschule. 1976 wurde ein Jugendtouristenhotel am Berliner Tierpark nach Schultz benannt.[6] Außerdem wurden Brigaden, Straßen (eine davon 1966 in Berlin-Mitte[7] in unmittelbarer Nähe), Kasernen und Erholungsheime nach ihm benannt und ein Kinderbuch wurde über ihn verfasst.

Am 1. Dezember 1991 wurde die Berliner Egon-Schultz-Straße in Strelitzer Straße zurückbenannt, die ehemalige Rostocker Egon-Schultz-Oberschule trägt nun den Namen Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Der dortige Gedenkstein, der von Eltern und Schülern mitfinanziert wurde, existiert noch.

1995 wurde die Hönower Egon-Schultz-Oberschule bei Berlin von der Schulkonferenz in Gebrüder-Grimm-Grundschule umbenannt. Der gleichfalls von der Schulkonferenz vorgelegte Antrag, den Gedenkstein mit der Inschrift „Unser Vermächtnis – Vorbild der Jugend“ zu beseitigen, wurde vom Bürgermeister abgelehnt.[8]

Britta Wauer beleuchtet die dem tödlichen Schusswechsel vorausgehende Fluchtaktion Tunnel 57 aus dem Oktober 1964 in ihrer 2001 erstellten Dokumentation Heldentod – Der Tunnel und die Lüge (Arte/ZDF). Der Dokumentarfilm, der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, lief erstmals am 8. August 2001 auf Arte unter dem Titel Heldentod – Wer erschoss Egon Schultz?

2004 wurde auf Initiative von ehemaligen Fluchthelfern, Flüchtlingen und Freunden von Egon Schultz anlässlich der 40-jährigen Wiederkehr dieses Ereignisses in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Berliner Mauer eine Erinnerungstafel am Todesort angebracht. „Egon Schultz wurde in der DDR als Held idealisiert, die Fluchthelfer galten als Agenten und Mörder“, steht auf der Tafel.

Literatur

  • Michael Baade: Der Tod des Grenzsoldaten. Egon Schultz, der Tunnel und die Propagandalüge. Ch. Links Verlag, 2014, Zweite, stark erweiterte und aktualisierte Auflage, Oktober 2015, ISBN 978-3-86153-856-1.[9]
  • Christoph LinksSchultz, Egon. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Michael Baade: Mein Freund Egon. Leben und Sterben von Egon Schultz, die wahre Geschichte. Mit Briefen, Dokumenten und Fotos. Ingo Koch Verlag, Rostock 2012, ISBN 978-3-86436-014-5.
  • Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961–1989. Siedler, München 2005, ISBN 3-88680-834-3, S. 150–158.
  • Hans-Hermann Hertle, Maria Nooke: Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961–1989. Ein biographisches Handbuch. Ch. Links, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-517-1.

Weblinks

Commons: Egon Schultz – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Ein Sohn unserer Republik. In: Neues Deutschland, 10. Oktober 1964.
  2. Peter Kirschey: Keine Heldengeschichte. In: Neues Deutschland, 13. August 2012.
  3. Fluchthelfer vom „Tunnel 57“: 145 Meter in die Freiheit Spiegel Online
  4. Sven Felix Kellerhoff: Intrige – wie die Stasi einen DDR-Grenzer erschoss. Welt Online, 4. Oktober 2014
  5. 172 Tage. Kinderbuch von Herber Mühlstedt. Bibliografische Informationen im Zentralen Verzeichnis Antiquarischer Bücher
  6. Hotel im Wandel der Zeit – es begann vor 35 Jahren. Webseite des Marzahn-Hellersdorfer Wirtschaftskreises
  7. Egon-Schultz-Straße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
  8. Heftiger Streit um Namenswechsel. In: Berliner Zeitung, 26. Juni 1996.
  9. Verlagsmeldung

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Gedenktafel Strelitzer Str 55 (Mitte) Egon Schultz.JPG
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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
ADN-ZB / Brüggmann 13.8.1971
Berlin: Ehrung für Unteroffizier Egon Schultz. - Anlässlich des 10. Jahrestages der Errichtung des antifaschistischen Schutzwalles gedachten am 13. Aug. 1971 die Eltern, Soldaten und Offiziere der Grenztruppen sowie die Bevölkerung der DDR-Hauptstadt des am 5. Okt. 1964 bei der Ausübung seines Dienstes zum Schutz der Staatsgrenze von Westberliner Agenten ermordeten Unteroffiziers Egon Schultz.
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Dethardingstrasse 16 (formerly Karl-Marx-Strasse 16), Rostock. Last home of Egon Schultz before his death.
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The grave of Egon Schultz
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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Info non-talk.svg
Diese Beschreibung ist tendenziös oder falsch: Additional information: The last phrase is pure propaganda. Schultz was shot in friendly fire by his comrades.
Zentralbild -Repro 5.10.1964 Berlin: Feiger Mord an der Staatsgrenze Die Pressestelle des Ministeriums für Nationale Verteidigung gibt bekannt: Am 5. Oktober 1964, gegen 0.15 Uhr, wurde Unteroffizier Egon Schultz (unser Bild) bei der Ausübung seines Dienstes an der Staatsgrenze der DDR zum NATO-Stützpunkt Westberlin von Westberliner Agenten durch gezielte Schüsse meuchlings ermordet. Die Mörder drangen durch einen von Westberlin aus vorgetriebenen Agententunnel, der mit Billigung und aktiver Unterstützung der Westberliner Polizei angelegt wurde, im Abschnitt Strelitzer Straße in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ein, um im Auftrag Westberliner Spionageorganisationen Personen illegal, unter Verletzung der Staatsgrenze zu schleussen. Bei der Aufdeckung des Tunnels durch die Grenzsicherungskräfte der Nationalen Volksarmee wurden von den bewaffneten Banditen mehrere gezielte Schüsse abgegeben, die zum unmittelbaren Tod des Unteroffiziers Schultz führten.