Edzard Ernst

Edzard Ernst (2023)
Edzard Ernst stellt sich vor

Edzard Ernst (* 30. Januar 1948 in Wiesbaden) ist ein deutsch-britischer Mediziner und emeritierter Professor für die Erforschung von Alternativmedizin in Großbritannien.

Leben

Ernst wurde in Wiesbaden als Sohn von Wolfgang Ernst jun. (1910–1994), einem Kurarzt in Bad Neuenahr, geboren. Die Ausbildung zum Arzt schloss Ernst 1978 im Heimatland Deutschland ab. Seit 1999 ist er britischer Staatsbürger.

1993 wurde Ernst von seinem Lehrstuhl für Physikalische Medizin und Rehabilitation an der Universität Wien an die Universität Exeter berufen, um dort das Institut für Alternativmedizin einzurichten.[1] Er war der erste Inhaber des von Maurice Laing eingerichteten Lehrstuhls für Alternativmedizin. 2002 wurde er Direktor für den Bereich Alternativmedizin an der in der englischen Grafschaft Devon gelegenen Peninsula Medical School. 2011 wurde Ernst emeritiert.[2]

Ernst war bis 2005 Mitglied im Ausschuss für Humanarzneimittel der britischen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (bis 2003 MCA, danach MHRA),[3] ferner Mitglied im Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der irischen Arzneimittelbehörde (Irish Medicines Board).[4] Er ist externer Prüfer für mehrere universitäre Medizinschulen in mehreren Staaten und Mitglied im Beratungsausschuss der AlterMed Research Foundation,[5] einer Stiftung, die die wissenschaftliche Forschung im Bereich der Alternativmedizin fördert.

Ernst schrieb mehr als 50 Beiträge in der Tageszeitung The Guardian, vor allem in den Jahren 2004 und 2005,[6] in denen er seine Kritik an der Alternativmedizin aus der Perspektive der evidenzbasierten Medizin darlegte. Sein derzeit letzter Artikel im Guardian (Stand Juni 2021) erschien im März 2015 unter dem Titel There is no scientific case for homeopathy: the debate is over („Es gibt keine wissenschaftlichen Argumente für Homöopathie: Die Debatte ist beendet“). Anlass war eine besonders umfangreiche und sorgfältige Zusammenfassung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands durch den National Health and Medical Research Council in Australien, die Ernsts kritische Sicht bestätigte.[7]

Ernst ist Chefredakteur der beiden medizinischen Journale Perfusion und FACT (Focus on Alternative and Complementary Therapies, deutsch: „Fokus auf alternative und komplementäre Medizin“).

2015 gewann er gemeinsam mit Susan Jebb den John-Maddox-Preis der Organisation Sense about Science.[8] 2022 wurde Ernst zum Mitglied der Academia Europaea gewählt.

Forschung

Ernst forscht in verschiedenen alternativmedizinischen Gebieten mit dem Schwerpunkt auf Wirksamkeit und Sicherheit. Seine Arbeit umfasst klinische Versuche und systematische Übersichtsarbeiten bzw. Metaanalysen.

In Ernsts Institut wurde Alternativmedizin definiert als „Diagnose, Behandlung und/oder Prävention, die die Schulmedizin ergänzt, indem sie zu einem gemeinsamen Ganzen beiträgt, eine Nachfrage bedient, die von der gängigen Lehrmeinung nicht abgedeckt wird, oder den konzeptionellen Rahmen der Medizin erweitert“.[9] Ernst betont, dass Alternativmedizin ein Spektrum verschiedener Therapie- und Diagnoseverfahren umfasse, die alle einzeln zu betrachten seien.[10]

Ernst beschreibt seine Annäherung als angewandte Wissenschaft und nicht als Politik. Die wenigen alternativen Therapieansprüche und -techniken, die einer wissenschaftlichen Auswertung standhielten, hätten damit eine solide Grundlage zur Aufnahme in den Kanon der akademischen Medizin. Ernst kritisierte die Sichtweise seiner Kollegin Claudia Witt, Professorin für Komplementärmedizin an der Charité, die, anders als er, Wirksamkeitsnachweise nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin für alternativmedizinische Behandlungsmethoden für nicht angemessen halte.[11]

Kontroverse

2005 kam es zu einem „Skandal“, als Ernst wenige Tage vor der Veröffentlichung eines Berichts zum Potenzial der Alternativmedizin für den National Health Service (NHS) aus der federführenden Expertenkommission austrat. Der Bericht wurde von dem damaligen Thronfolger Prince Charles in Auftrag gegeben und kam zu dem Schluss, dass die Substituierung mehrerer Standardtherapien mit alternativen Methoden erhebliche Kosten sparen könnte. Ernst nannte den Bericht „skandalös und voller Fehler“. Beispielsweise schlüge der Bericht vor, Asthmapatienten mit Homöopathie zu behandeln, was laut Ernst 150 Todesfälle pro Jahr verursachen würde. Prince Charles’ Büro warf Ernst eine Verletzung der Diskretionsvereinbarung vor. Es folgte eine 13-monatige Untersuchung seitens der Universität Exeter, die schließlich kein Fehlverhalten bei Ernst feststellen konnte. Laut Ernst stoppte die Universität jedoch die Finanzierung der Forschung der Abteilung.[12] In der Folge erklärte sich Ernst unter der Bedingung der Fortsetzung der Finanzierung der Abteilung dazu bereit, in den Ruhestand zu gehen. Diejenigen, die seinen Weggang betrieben hatten, wurden in den britischen Adelsstand erhoben.[13][14] Das House of Commons beschloss 2010, dass Homöopathie nicht mehr vom NHS gefördert und homöopathische Mittel nicht mehr als wirksam beworben werden dürfen.[15] Eigener Aussage zufolge hat Ernst Morddrohungen von Homöopathieanhängern bekommen, nachdem in einer seiner Studien herausgekommen war, dass Arnika-Globuli wirkungslos sind.[14]

Mitgliedschaften

Ernst ist Mitglied im Münsteraner Kreis[16] und Unterstützer des Informationsnetzwerks Homöopathie.[17] Edzard Ernst trat am 29. Februar 2024 aus der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) aus, deren Wissenschaftsrat er angehörte.[18]

Publikationen (Auswahl)

Edzard Ernst hält einen Vortrag über Trick or Treatment (2012).
  • Komplementäre Medizin. In: Heilkunst. Band 106, 1993, S. 26–27.
  • Homoeopathy: A Critical Appraisal. ("Professional reference text on homoeopathy is a critical evaluation of the discipline, reviewing the known facts and defining the knowledge gaps. It offers a reliable analysis of the uses of traditional homoeopathic remedies. Illustrated. For medical and professional homoeopaths, students, general practitioners, and health care professionals." Amazon.) 1998, ISBN 0-7506-3564-9.
  • Praxis Naturheilverfahren: Evidenzbasierte Komplementärmedizin. Springer, 2005, ISBN 978-3-540-44170-0.
  • (Co-Autoren: Max H. Pittler, Barbara Wider): The Desktop Guide to Complementary and Alternative Medicine. An evidence based approach. Elsevier Mosby, 2006, ISBN 978-0-7234-3383-5.
  • (Co-Autor: Simon Singh): Trick or Treatment: The Undeniable Facts about Alternative Medicine (englisch). Bantam Press, 2008, ISBN 978-0-393-06661-6.
  • (Co-Autor: Simon Singh): Gesund ohne Pillen – was kann die Alternativmedizin? Carl Hanser Verlag, 2009, ISBN 978-3-446-24554-9.
  • A Scientist in Wonderland. A Memoir of Searching for Truth and Finding Trouble (englisch). Imprint Academic, 2015, ISBN 978-1-84540-777-3.
  • Nazis, Nadeln und Intrigen. Erinnerungen eines Skeptikers. JMB Verlag, 2015, ISBN 978-3-944342-56-6 (Print) bzw. ISBN 978-3-944342-63-4 (E-Book).
  • Homöopathie – die Fakten [unverdünnt]. Springer, 2017, ISBN 978-3-662-54945-2.
  • More Harm than Good? The Moral Maze of Complementary and Alternative Medicine (englisch). Springer, 2018, ISBN 978-3-319-69940-0.
  • Scam: So-Called Alternative Medicine (englisch). Societas, 2018, ISBN 978-1-84540-970-8.
  • SchmU. Schein-medizinischer Unfug. JMB Verlag, Hannover, 2019, ISBN 978-3-95945-008-9.
  • Heilung oder Humbug? 150 alternativmedizinische Verfahren von Akupunktur bis Yoga. Springer, 2021, ISBN 978-3-662-61708-3.
  • Charles, the Alternative Prince: An Unauthorized Biography (englisch). Imprint Academic, 2022, ISBN 978-1-78836-070-8.
  • Dubiose Heilmethoden bei Krebs: „Sie müssen sich nicht mit Gift vollpumpen lassen“, riet die Krankenschwester. Gastbeitrag in Spiegel.de, 20. Januar 2024.

Quellen

  1. „Homöopathie kann lebensgefährlich sein“, Geo 9/2015.
  2. Anke Fossgreen: «Ich bin sehr beeindruckt vom Placeboeffekt», in: SonntagsZeitung, 11. Dezember 2011.
  3. MHRA –Members of the Medicines Commission (Memento vom 26. September 2012 im Internet Archive).
  4. IMB Newsletter, Ausgabe 8, Oktober 2000 – März 2001 (PDF; 236 kB).
  5. AlterMed Advisory Board, abgerufen am 4. Mai 2016.
  6. Artikel von Edzard Ernst, The Guardian vom 12. März 2015 There is no scientific case for homeopathy: the debate is over auf theguardian.com.
  7. Edzard Ernst: There is no scientific case for homeopathy: the debate is over. theguardian.com, 12. März 2015.
  8. Prof Edzard Ernst and Prof Susan Jebb are the two winners of the 2015 John Maddox Prize for Standing up for Science. senseaboutscience.org, 2015.
  9. „diagnosis, treatment and/or prevention which complements mainstream medicine by contributing to a common whole, by satisfying a demand not met by orthodoxy or by diversifying the conceptual frameworks of medicine“E Ernst, K L Resch, S Mills, R Hill, A Mitchell: Complementary medicine — a definition. In: The British Journal of General Practice. Band 45, Nr. 398, September 1995, S. 506, PMC 1239386 (freier Volltext).
  10. Interview with Edzard Ernst. Archiviert vom Original am 27. September 2007; abgerufen am 19. Oktober 2018.
  11. Netzeitung.de:Tausende von Pfund für eine Gegen-Studie (Memento vom 31. Juli 2008 im Internet Archive) Interview vom Juli 2008 (Archiv-Version)
  12. Hinnerk Feldwisch-Drentrup: HOMÖOPATHIE-FORSCHUNG: „Placebos einzusetzen ist unethisch“, Interview mit Edzard Ernst in Faz.net, F+ >Wissen> Medizin & Ernährung > Homöopathie-Kehrtwende von Lauterbach: „Placebos sind unethisch“ vom 13. Januar 2024
  13. Max Rauner: Edzard gegen Charles. Porträt auf zeit.de, 6. Dezember 2011.
  14. a b »Was er sich rauspickt, ist alles Quacksalberei«. In: Der Spiegel. 15. September 2022, abgerufen am 15. September 2022.
  15. Kai Kupferschmidt: Scourge of Snake Oil Salesmen Bids an Early Farewell. In: Science. Band 333, Nr. 6043, 5. August 2011, S. 687–687, doi:10.1126/science.333.6043.687, PMID 21817027.
  16. Über uns - Münsteraner Kreis (Memento vom 26. August 2017 im Internet Archive)
  17. Unsere Unterstützer. In: Informationsnetzwerk Homöopathie. Abgerufen am 8. September 2019 (deutsch).
  18. Edzard Ernst: Edzard Ernst: Einige Klarstellungen zu meinem Austritt aus der GWUP. GWUP, 1. März 2024, abgerufen am 12. April 2024.

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