Dux Belgicae secundae

Heerführer der Comitatenses und Limitanei im 5. Jahrhundert n. Chr.
Notitia Dignitatum: Die Festungsstädte Quartensis, Portuae Patiaci und die Kastelle am Litus Saxonicum (symbolisch als ein Kastell dargestellt) unter dem Kommando des Dux Belgicae secundae
Die spätantiken Provinzen in Gallien (400 n. Chr.)
Die Sachsenküste (Litus Saxonicum) um das Jahr 380
Der Frankenkönig Childerich in der Ausrüstung eines spätrömischen Offiziers des 5. Jahrhunderts (Rekonstruktionsversuch nach dem im 17. Jahrhundert entdeckten Grabbeigaben)
Siegelring mit dem Bildnis Childerichs und Aufschrift CHILDIRICI REGIS

Der Dux Belgicae secundae (wörtlich: „Heerführer der Provinz Belgica II“) war ein hoher Offizier in der spätrömischen Armee des Westens, Oberkommandierender der Limitanei und eines Flottengeschwaders an der sogenannten Sachsenküste im nordwestlichen Gallien.

Ein namentlich bekannter Dux war der fränkische König Childerich I. (spätes 5. Jahrhundert).

Das Amt wurde wahrscheinlich um 395 n. Chr. eingerichtet. Am kaiserlichen Hof zählte der Dux zur höchsten Rangklasse der viri spectabiles. In der Notitia Dignitatum werden für den gallischen Teil des Litus Saxonicum zwei hohe Kommandostellen und ihre Einheiten für die Sicherung der Küsten

aufgezählt, der o. a. Befehlshaber[1] und der benachbarte Dux tractus Armoricani et Nervicani.[2] Sie werden ansonsten in keinen anderen antiken Quellen erwähnt.

Entwicklung

Im Zuge der Reichsreform unter Kaiser Diokletian wurden in Britannien und Gallien neue Militärämter eingeführt. An beiden Seiten des Ärmelkanals entstand damals der Limes der sogenannten Sachsenküste. An stark exponierten Abschnitten und Flussmündungen wurden Kastelle teilweise neu errichtet oder schon vorhandene umgebaut. Deren Besatzungen hatten die Aufgabe Plünderer und Invasoren abzuwehren oder ihnen den Zugang zum Landesinneren so weit wie möglich zu erschweren. Die Hauptverantwortung für die Sicherung beider Küsten lag in der Mitte des 4. Jahrhunderts bei einem Comes Maritimi Tractus. 367 kam es zu einem Einfall mehrerer Barbarenvölker in Britannien, in dessen Verlauf die dortigen Einheiten der Provinzstreitkräfte zersprengt oder fast zur Gänze aufgerieben wurden. Auch ihre Oberbefehlshaber fanden dabei den Tod, darunter der „Graf der Küstenregionen“, Nectaridus. Sein Zuständigkeitsbereich muss danach – spätestens um 395 – in drei Militärbezirke geteilt worden sein. Man wollte damit auch verhindern, dass ein Heerführer zu viele Soldaten unter sein Kommando bekam und ihm damit ein Aufstand (wie z. B. die Usurpation des britischen Flottenbefehlshabers Carausius) ermöglicht werden konnte. Für den gallischen Teil der Sachsenküste wurden zwei neue Dukate geschaffen die bis ins frühe 5. Jahrhundert existierten.[3]

In der Endphase der römischen Herrschaft über Gallien fungierte der Heerführer der Salfranken, Childerich, als ziviler Verwalter und Befehlshaber einer nach römischer Art organisierten Streitmacht (exercitus) auf dem Territorium um die Stadt Tournai im Norden der Provinz. Die Stadt diente ihm als Residenz und Verwaltungsmittelpunkt. Seine Macht stützte sich u. a. auch auf hier ansässige Waffenschmieden. In seinem 1653 entdeckten Hügelgrab fand man u. a. oströmische Goldmünzen, einen goldurchwirkten Offiziersmantel (paludamentum) und eine goldene Zwiebelknopffibel. Erstere wurden in der Forschung als Sold für geleistete Kriegsdienste, letztere als Rangabzeichen der spätrömischen Armee gedeutet. Es ist jedoch unklar, ob Childerich noch als römischer General oder schon weitgehend unabhängig als König (rex gloriosissimus) agierte; sehr wahrscheinlich waren beide Ämter damals schon miteinander verschmolzen. Childerich fühlte sich aber wohl noch der spätrömischen Militäraristokratie Galliens verpflichtet. Letztendlich entscheidend waren ohnehin nicht die formalen Befugnisse, sondern die realen Machtverhältnisse gestützt auf militärische Ressourcen. Diese Bündelung ziviler und militärischer Ämter in seinen Händen lässt jedenfalls auf eine herausragende Stellung Childerichs unter dem barbarischen Heerführern schließen. Wahrscheinlich war er direkt von der Administration Odoaker's in Italien und auch dem oströmischen Kaiserhof in seinem Amt bestätigt worden. Es wird vermutet, dass er als dux vor den anderen Foederatenbefehlshaber rangierte. Als rex oder princeps wäre er auch berechtigt gewesen, kirchliche und weltliche Ämter und die damit verbundenen Titel wie patricius, comes und dux an verdiente Germanen oder Römer in seinem Herrschaftsbereich (regnum) zu vergeben.[4]

Verwaltungsstab

Das Officium (Verwaltungsstab) des Dux umfasste folgende Ämter:[5]

  • Principem xe eodem corpore (Kanzleivorsteher aus den Reihen der Armee)
  • Numerarium (zwei Buchführer)
  • Commentariensem (Rechtsbeistand)
  • Adiutorem (Assistent)
  • Subadiuuam (Hilfskraft)
  • Regrendarium (Verwalter)
  • Exceptores (Juristen)
  • Singulares et reliquos officiales (Leibwächter und sonstige Beamte)

Truppen

Der Dux dürfte ursprünglich noch mehr Truppen unter seinem Kommando gehabt haben. Arnold Hugh Martin Jones identifizierte die Herkunft einiger Einheiten aus der gallischen Feldarmee. Sie stammten alle aus der Belgica II. Ihre Namen sind dieselben wie die der bekannten römischen Städte in dieser Provinz:[6] Im Gegensatz zu Vexillationen anderer Duces werden diese Einheiten nicht mehr zusätzlich als unter dem Kommando des Dux Belgicae II stehend angegeben. Es scheint, dass diese Provinz nach der Zerschlagung der Grenzeinheiten am Rhein (Rheinübergang von 406 n. Chr.) als einer der ersten viele ihrer Einheiten an die Feldarmee abgeben musste. In der Notitia ist kein Dux Belgicae primae angeführt, obwohl sarmatische Siedler in dieser Provinz nachweisbar sind. Vermutlich wurden die dortigen römischen Einheiten schon sehr viel früher von dort abgezogen oder dem Kommando des Dux der Belgica II unterstellt. Die Schildembleme der germanischen Laeten werden in der Notitia nicht abgebildet.

Distributio Numerorum

Laut der ND Occ. standen dem Dux folgende Einheiten zur Verfügung:[7]

Kavallerie

Offiziere/Einheiten/KastelleBemerkungAbbildung
Equites Dalmatae in Marcis[8]In der ND wurde kein kommandierender Offizier für diese ursprünglich in Dalmatien rekrutierten Reitertruppe angegeben. Das Kastell war Bestandteil der Festungskette des Limes der Sachsenküste (litus saxonicum).
Schildzeichen unbekannt

Infanterie und Flotte

Offiziere/Einheiten/KastelleBemerkungAbbildung
Limitanei
Tribunus militum Nerviorum, Portus EpatiacusEine Einheit des indigenen Stammes der Nervier die im Kastell von Oudenburg stationiert war.
Schildzeichen unbekannt
Legiones Comitatenses
Geminiacenses, GeminiacumIn der ND wurde kein kommandierender Offizier für die Truppe angegeben. Ihr Name bezieht sich auf ihren Stationierungsort Geminiacum, das heutige Liberchies in Belgien. Die Geminiacenses wurden später in die gallische Feldarmee des Magister Equitum versetzt.
Schildzeichen unbekannt
Cotoriacenses, CotoriacumIn der ND wurde kein kommandierender Offizier für die Truppe angegeben. Ihr Name leitet sich von ihrem Stationierungsort Cortoriacum, das heutige Kortrijk/Courtrai in Belgien ab. Sie scheint auch in der Liste der gallischen Feldarmee des Magister Equitum auf.
Schildzeichen unbekannt
Prima Flavia, Metis (pseudocomitatenses)In der ND wurde kein kommandierender Offizier für die Truppe angegeben. A.H.M. Jones identifiziert Metis mit Divodurum Mediomatricum, die heutige Stadt Metz im Nordosten Frankreichs, in der Vita des Arnulf von Metz aus dem 10. Jahrhundert wird sie als Metis civitatis bezeichnet. Sie scheint auch in der Liste der gallischen Feldarmee des Magister Equitum auf. "Die erste Flavische..." kam im 4. Jahrhundert sehr häufig als Einheitsname vor. Andere Einheiten mit ähnlichen Bezeichnung sind z. B. die
  • Prima Flavia Pacis, eine legio comitatenses unter dem Kommando des Comes Africae. Die
  • Prima Flavia Theodosiana, eine weitere legio comitatenses unter dem Kommando des Magister Militum per Orientum. Die
  • Prima Flavia gemina, eine legio comitatenses unter dem Magister Militum per Thracias. Die
  • Prima Flavia Augustae, eine Flotteneinheit unter dem Dux Pannoniae secundae. Die
  • Prima Flavia Raetorum eine Reitertruppe unter dem Dux Raetiae. Die
  • Prima Flavia Sapaudica, eine Kohorte die zwar in Gallien stationiert, aber nicht Teil der gallischen Feldarmee unter dem Magister Equitum war und die
  • Prima Flavia, eine Kohorte unter dem Befehl des Dux Palaestinae.
Schildzeichen unbekannt
Classes
Praefectus classis SambricaeEine Flottille von Patrouillenschiffen (naves iusoriae), die wahrscheinlich seit dem 4. Jahrhundert an der Somme stationiert war. Ihre Stützpunkte lagen in Locus Quartensis oder Vicus ad Quantiam/Quentovicus (Etaples-sur-Mer, Frankreich, nördlich der Sommemündung, Funde von Ziegelstempel (CL(assis) Sam...) und Locus Hornensis (Cap Hornez, Frankreich)).[9]
Schildzeichen unbekannt
Gentes - Laeti
Praefectus Sarmatarum gentilium, inter (zwischen) Renos et Tambianos provinciae Belgicae secundae[10]Aufgebote sarmatischer Siedler.
Schildzeichen unbekannt
Praefectus laetorum Nerviorum, FanomantisEin Aufgebot germanischer Laeten.
Schildzeichen unbekannt
Praefectus laetorum Batavorum Nemetacensium, AtrabatisEin Aufgebot germanischer Laeten.
Schildzeichen unbekannt
Praefectus laetorum Batavorum Contraginnensium, NoviomagoEin Aufgebot germanischer Laeten.
Schildzeichen unbekannt
Praefectus laetorum gentilium in Remo et SilvanectasAufgebote germanischer Laeten.
Schildzeichen unbekannt

Literatur

  • Arnold Hugh Martin Jones: The Later Roman Empire, 284-602. A Social, Economic and Administrative Survey. 2 Bände. Johns Hopkins University Press, Baltimore 1986, ISBN 0-8018-3285-3 (Paperback-Ausgabe).
  • Heinrich Beck u. a. (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 18. de Gruyter, Berlin-New York 2001, ISBN 3-11-016950-9, S. 524.
  • Dieter Geuenich (Hrsg.): Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97). Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-015826-4, S. 97–98.
  • Stephen Johnson: The Roman Forts of the Saxon Shore, 1976 und J. C. Mann, in V. A. Maxfield (Hrsg.): The Saxon Shore, 1989, S. 45–77.
  • Stefanie Dick: Königtum, Barbaren auf dem Thron in: Spektrum der Wissenschaft Spezial/Archäologie - Geschichte - Kultur, Nr. 1/2015, S. 26ff
  • Eugen Ewig: Die Merowinger und das Frankenreich, 5. aktualisierte Auflage, Stuttgart 2006, S. 17.
  • Karen Ramsey Dixon, Pat Southern: The Late Roman Army, Batsford, London 1996, S. 60, ISBN 9780300068436.
  • Hans D. L. Viereck: Die Römische Flotte, Classis Romana. Köhlers Verlagsgesellschaft mbH, Hamburg 1996, S. 258. ISBN 3-930656-33-7.
  • Edith Mary Wightman: Gallia Belgica, University of California Press, Los Angeles 1985.
  • Peter Salway: History of Roman Britain, Oxford History of England, Oxford Paperbacks 2001.
  • Michael S. DuBois: Auxillae: A Compendium of Non-Legionary Units of the Roman Empire. Lulu Press 2015, ISBN 978-1-329-63758-0.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Notitia Dignitatum Occ. XXXVIII
  2. Notitia Dignitatum Occ. XXXVII
  3. barbarica conspiratio, Ammianus 27,8,1–6, Peter Salway 2001, S. 281
  4. Eugen Ewig, 2006, S. 17, Stefanie Dick, 2015, S. 29–30, Dieter Geuenich, S. 97–98
  5. Officium autem habet idem vir spectabilis dux hoc modo
  6. Insignia viri illustris magistri peditum, Occ. V
  7. sub dispositione
  8. Karen R. Dixon, Pat Southern, S. 60
  9. Mary Wightman, 1985, S. 207, Hans D. L. Viereck, 1996, S. 258.
  10. ND Occ. XLII. Item praepositurae magistri militum praesentalis a parte peditum

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Map of the Roman Empire ca. 400 AD, showing the administrative division into dioceses and provinces, as well as the major cities. The demarcation between Eastern and Western Empires is noted in red.
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Childerich I., König der Franken, Rekonstruktionsskizze seiner Ausrüstung nach den 1653 entdeckten Grabbeigaben. Sie zeigt einen hohen spätrömischen Offizier des 5. Jahrhunderts in Schuppenpanzer, langen Hosen und Toga. Die Zwiebelknopffibel als Verschluss eines Militärmantels gilt als Abzeichen seines militärischen Ranges (dux). Seine Bewaffnung besteht aus Spangenhelm, Speer, einem Kurzschwert (Sax) in granatbesetzter Scheide, einer Spatha (Langschwert), einem Wurfbeil (Franziska) und einem Schild.
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Magistri Milites, Comites rei militaris und Duces-Limites der spätrömischen Armee in West- und Ostrom (Stand Anfang des 5. Jahrhundert n.Chr.).
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Der Fingerring bzw. Siegelring (anulus) des merowingischen, fränkischen Königs Childerich (Hilderich) - Beschriftung: (Sigillum) CHILDERICI REGIS - Da die Buchstaben lesbar sind, handelt sich um eine spiegelverkehrte Abbildung des Ringes. Die Abbildung des Königs lässt zumindest erkennen, dass er sich den Bart schor und, wie bei fränkischen Königen üblich, langes Haar trug (rex crinitus). Kopie in der Französischen Nationalbibliothek in Paris, das Original wurde 1831 gestohlen.