Dobergast

Ortslage Dobergast und Umgebung um 1893

Dobergast war ein ehemaliges Kirchdorf im heutigen Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. Der Ort lag rund fünf Kilometer östlich von Hohenmölsen. Zwischen den Jahren 1983 und 1984 wurden in Auswirkung des Braunkohlebergbaus 285 Einwohner umgesiedelt, die Gemeinde devastiert und anschließend vollständig überbaggert. Die Löschung aus dem Gemeinderegister erfolgte 1985.

Geschichte

Dobergast wurde erstmal im Jahre 1100 urkundlich erwähnt.[1] Das Gemeindegebiet war dicht bewaldet. Den Ortskern des Rundlingsdorfs prägte die Kirche. Während des Dreißigjährigen Kriegs wurde das Gotteshaus zerstört und vollständig erst 1764 wieder aufgebaut. Im Turm befanden sich zwei Glocken, eine kleine aus dem Jahr 1452 und eine größere aus dem Jahr 1675. Zur Parochie Dobergast gehörte die Kirche in Steingrimma.[2] In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich das Sommerweiß‘sche Gut, ein kursächsisches Vorwerk. Im Jahr 1789 lebten in Dobergast 116 Einwohner über zehn Jahre alt, davon unter anderem fünf Gemüsebauern und 26 Großbauern, mit insgesamt 51 Pferden, 92 Kühen und 185 Schafen.[3]

Nach dem Wiener Kongress wurde Dobergast im Zuge der preußischen Verwaltungsreformen zum 1. Oktober 1816 dem Landkreis Weißenfels zugeordnet, der zum Regierungsbezirk Merseburg der preußischen Provinz Sachsen zählte. Um das Jahr 1900 lebten 230 Menschen in Dobergast.[4] Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war der Ort ausschließlich landwirtschaftlich geprägt. Bis dahin betrieben die Einwohner überwiegend Ackerbau und Viehzucht. Die Felder der Gemeinde galten als äußerst ertragsreich, da der Lössboden in der gesamten Umgebung sehr fruchtbar war.[5]

Nach Gründung der DDR erfolgten ab dem Jahr 1950 verschiedene Kreisreformen, in deren Folge Dobergast am 25. Juli 1952 dem neu gebildeten Kreis Hohenmölsen im Bezirk Halle zugeordnet wurde. Erst zu dieser Zeit erreichte der Braunkohlenabbau eine neue Dimension. Zur Energieerzeugung setzte die DDR nahezu ausschließlich heimische Braunkohle ein. Die Maximierung der Fördermengen führte zur Inanspruchnahme riesiger Flächen. Orte, die in den Kohlefeldern lagen, wurden konsequent abgebaggert. Die größte Zahl der Ortsabbrüche und Umsiedlungen in Mitteldeutschland fiel daher in die Zeit der DDR. Jahrhunderte alte Gutshöfe, Kirchen und Kulturdenkmale wurden zerstört, Friedhöfe entweiht, ganze Wälder gerodet, Flüsse und Bäche verlegt, kanalisiert oder eingedeicht. Der Abbau der Braunkohle erfolgte in der DDR praktisch ohne Rücksicht auf Menschen oder Umweltbelange.[6][7]

Als erste Nachbargemeinden von Dobergast fielen 1957 Mutschau, 1960 Köttichau und 1967 Döbris dem Tagebau Pirkau zum Opfer. Die Auskohlung dieses Tagebaus war 1969 abgeschlossen.[8] Zu dieser Zeit fiel der Entschluss, den Tagebau Profen in südliche Richtung zu erweitern und die Orte Queisau, Steingrimma und Dobergast zu devastieren. Eine Werksbahn vom Tagebau Profen zum Braunkohlekraftwerk Deuben bestand bereits seit Mitte der 1950er Jahre. Im Jahr 1984 erreichte das Südfeld des Tagebaus Profen den Ort. Etwa 285 Einwohner von Dobergast wurden überwiegend in die neu entstandene Plattenbausiedlung Hohenmölsen-Nord umgesiedelt.[9][10] Katasteramtsrechtlich ging die Flur der 1984 devastierten Gemeinde Dobergast zum 1. Januar 1985 auf Großgrimma über.[11] Ende des 20. Jahrhunderts fiel der Beschluss, diesen Ort ebenfalls zu überbaggern, sodass am 1. Juli 1998 eine Eingemeindung der Flur von Großgrimma zur Stadt Hohenmölsen erfolgte.[12]

Die Kohleförderung im betreffenden Abbaufeld Profen-Süd/D1 wird, nach Angaben des Tagebau-Betreibers, im Jahr 2020 beendet. Die Gestaltung der Bergbaufolgelandschaft soll anschließend durch die MIBRAG schrittweise erfolgen.[13][14]

Nachwirken

Zeitzeugen hielten fest, dass keiner der Dorfbewohner mit der Umsiedlung Dobergasts einverstanden war. Den Berichten zufolge, konnten die Betroffenen jedoch nichts der SED-Diktatur entgegensetzen. Insbesondere den Bauern des Dorfes, deren Höfe sich seit Generationen im Familienbesitz befanden, widerstrebte der grundsätzlich entschädigungslose Zwangsumzug. Sehr viele der rund 600 aus den Dörfern Dobergast, Steingrimma und Queisau nach Hohenmölsen-Nord umgesiedelten Menschen fühlten sich in den Plattenbauten niemals zu Hause. Nur wenige fanden Kontakt zu alteingesessenen Stadtbewohnern. Einige „Zugezogene“ fühlten sich von den Einheimischen nicht nur sprichwörtlich an den Rand gedrängt. Sie lebten in einer Notgemeinschaft isoliert und weit entfernt vom Stadtzentrum. Es gab auch Dobergaster, die sich vehement weigerten, nach Hohenmölsen-Nord zu ziehen und vorübergehend eine Bleibe auf dem Land beispielsweise in Großgrimma fanden, was später zu Missgunst und neidvollen Debatten führte.[15][16][17]

Dass es sich bei diesen Aussagen um keine Einzelfälle handelte, unterstrichen verschiedene Tatsachen. Als nach 1989 die Möglichkeit gegeben war, verließen sehr viele Bewohner die Plattenbausiedlung. Bei einer im Jahr 1995 erfolgten Befragung gaben 60 Prozent der Bewohner an, mit ihrem Wohnumfeld nicht zufrieden zu sein. Gar nur 37 Prozent der Befragten wollten in Hohenmölsen-Nord wohnen bleiben, alle anderen zogen einen Wohnortwechsel zumindest in Erwägung.[18] Tatsächlich war der folgende Bevölkerungsrückgang dermaßen gravierend, dass die Stadtverwaltung von Hohenmölsen in den Jahren 1996, 2003, 2014 und 2017 den Rückbau mehrerer Plattenbauten anordnete. Viele der ehemals Umgesiedelten zogen wieder in Eigenheime auf dem Land.[19][20] Letztlich wurde aufgrund der unverändert rückläufigen Einwohnerzahlen in einem Stadtentwicklungskonzept fest verankert, in Hohenmölsen-Nord bis zum Jahr 2020 noch deutlich umfangreichere Vollrückbau-Maßnahmen von Plattenbauten durchzuführen.[21]

Wie sehr sich die in der Region lebenden Menschen unverändert mit den in ihrer Umgebung zerstörten Dörfern identifizieren und wie bedeutsam die Aufarbeitung der bergbaulichen Vergangenheit ist, bezeugen die ab 2014 entstandenen Wandelgänge am Mondsee. Sie sind den Menschen gewidmet, die aufgrund der Braunkohlenförderung ihr angestammtes Zuhause verlassen mussten und nicht selten noch immer unter dem Verlust der alten Heimat leiden. Die Wandelgänge führen symbolisch zu 15 durch die Tagebaue Pirkau und Profen zerstörte Ortschaften. Jedes Dorf wird durch eine Steinplatte gekennzeichnet, die mit dem Ortsnamen versehen ist und den Umriss des Dorfes wiedergibt. Die Steinplatten sind maßstabsgerecht entsprechend der Landkarte vor Beginn der Devastierung angeordnet und durch einen umlaufenden Weg miteinander verbunden. Die Fläche innerhalb des umlaufenden Weges ist als Labyrinth aus Hainbuchenhecken gestaltet. Seit September 2017 befinden sich neben den Steinplatten 15 Metallstelen. Durch ihre Höhe von 2,20 Meter ragen sie gleichsam Kirchtürmen aus dem Labyrinth hervor und sind von einem Aussichtspodest sowie aus größerer Entfernung gut zu sehen.[22][23]

Persönlichkeiten

In Dobergast wurde der religiöse Visionär Johann Tennhardt (1661–1720) geboren.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Mitteldeutsches Braunkohlenrevier, Wandlungen und Perspektiven, Heft 19, Profen, S. 30. LMBV, abgerufen am 13. März 2019
  2. Gustav H. Heydenreich: Kirchen- und Schul-Chronik der Stadt und Ephorie Weißenfels seit 1539. Leopold Kell, Weißenfels, 1840, S. 219–223.
  3. Verlag der Stettinischen Buchhandlung (Hrsg.): Geographisches Statistisch-Topographisches Lexikon von Obersachsen und der Ober- und Niederlausiz. Band 2. Ulm, 1801, S. 753.
  4. Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (Hrsg.): Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte. Ausgabe 35. Akademie-Verlag Halle, 1984, S. 134.
  5. Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Hrsg.): Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte. Band 77. Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1995, S. 295.
  6. Umsiedlungen: Politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der DDR Archiv verschwundener Orte, abgerufen am 11. März 2019
  7. Rolf Dieter Stoll, Christian Niemann-Delius, Carsten Drebenstedt, Klaus Müllensiefen: Der Braunkohlentagebau: Bedeutung, Planung, Betrieb, Technik, Umwelt. Springer, 2008, S. 442 f.
  8. Carsten Drebenstedt: Rekultivierung im Bergbau. Technische Universität Bergakademie Freiberg, 2010, S. 130 f.
  9. Mitteldeutsches Braunkohlenrevier, Wandlungen und Perspektiven, Heft 19, Profen, S. 30. LMBV, abgerufen am 13. März 2019
  10. Schülerprojekt Neue Heimat Hohenmölsen Kulturstiftung Hohenmölsen, abgerufen am 13. März 2019
  11. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Gemeinden 1994 und ihre Veränderungen seit 01.01.1948 in den neuen Ländern. Verlag Metzler-Poeschel, 1995.
  12. Gebietsänderungen 1998 Statistisches Bundesamt, abgerufen am 13. März 2019
  13. Mitteldeutsches Braunkohlenrevier, Wandlungen und Perspektiven, Heft 19, Profen, S. 30. LMBV, abgerufen am 13. März 2019
  14. Schülerprojekt Neue Heimat Hohenmölsen Kulturstiftung Hohenmölsen, abgerufen am 13. März 2019
  15. Die Umsiedlung Dobergasts Schülerprojekt der Kulturstiftung Hohenmölsen, abgerufen am 13. März 2019
  16. Großgrimma im Umsiedlungsprozess Schülerprojekt der Kulturstiftung Hohenmölsen, abgerufen am 13. März 2019
  17. Mit dem Bagger kommt die Kohle Focus vom 28. August 1995, abgerufen am 14. März 2019
  18. Flächennutzungsplan Hohenmölsen vom 20. Februar 2003 (S. 220 f.) Stadt Hohenmölsen, abgerufen am 13. März 2019
  19. Stadtumbau in Hohenmölsen Mitteldeutsche Zeitung vom 11. Mai 2014, abgerufen am 13. März 2019
  20. Hohenmölsen schrumpft Mitteldeutsche Zeitung vom 12. Juli 2017, abgerufen am 13. März 2019
  21. Stadtentwicklungskonzept der Stadt Hohenmölsen (s. 77 f.) Homepage Stadt Hohenmölsen, abgerufen am 14. März 2019
  22. Zeitz/Weißenfels. In: Mitteldeutsches Braunkohlenrevier – Wandlungen und Perspektiven. Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), Dezember 2015, S. 13, abgerufen am 13. März 2019 (Band 18 der Reihe). (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttps%3A%2F%2Fwww.lmbv.de%2Findex.php%2FWandlungen_Perspektiven_Mideu.html%3Ffile%3Dfiles%2FLMBV%2FPublikationen%2FPublikationen%2520Mitteldeutschland%2FWandlungen%2520und%2520Perspektiven%2520MD%2Fdoku%252018_Zeitz-Weissenfels.pdf~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D)
  23. Die Wandelgänge am Mondsee Kulturstiftung Hohenmölsen, abgerufen am 13. März 2019

Koordinaten: 51° 8′ 56,3″ N, 12° 9′ 36,5″ O

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Lage Siebenhügel Köttichau bei Hohenmölsen