Disintermediation

Disintermediation ist ein Konzept aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, das allgemein den Wegfall einzelner Stufen der Wertschöpfungskette beschreibt. Disintermediation beschreibt einen Bedeutungsverlust von Intermediären (Vermittlern zwischen verschiedenen Akteuren) in einem Wirtschaftssystem.

Disintermediation im Informationsmarkt

Die Möglichkeit der direkten Kommunikation von Marktteilnehmern mittels des Internets in der Informationsgesellschaft fördert die Disintermediation digitalisierbarer und nicht digitalisierbarer Güter im globalen Informationsmarkt. Dazu gehört beispielsweise der Direktvertrieb von Informationsgütern wie Filmen, Musik, Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Computer- und Videospielen über elektronische Marktsysteme wie eBay oder Amazon. Zur Disintermediation zählt auch die Herauslösung von Kleinanzeigen, Stellenanzeigen, Immobilienanzeigen aus dem Medium Zeitung hin zur Konzentration auf Online-Informationsplattformen wie Craigslist, Monster Worldwide oder Zillow.

Disintermediation im Finanzwesen

Insbesondere im Finanzwesen findet der Begriff Anwendung. Dort beschreibt er einen relativen Bedeutungsverlust von Finanzintermediären in einem Finanzsystem als Vermittler zwischen Wirtschaftssubjekten mit Kapitalbedarf und Kapitalüberschuss zu Gunsten der steigenden Bedeutung des Geld- und Kapitalmarkts.

Die Diskussion über das Auftreten von Disintermediation findet insbesondere in Bezug auf den Markt der strukturierten Finanzprodukte statt, bei dem das Risiko gesehen wird, dass durch den zunehmenden Einsatz solcher Finanzprodukte (z. B. Finanzierungen über die Ausgabe von sog. Asset Backed Securities) direkt durch Subjekte mit Kapitalbedarf die Intermediationsfunktion von Banken ausgeschaltet wird und diese entweder überhaupt nicht oder nur noch als Dienstleister z. B. bei der Emission von Wertpapieren beteiligt sind.

Der Begriff wird in der Diskussion mit unterschiedlicher Nuancierung gebraucht. Ob und in welcher Form Disintermediation tatsächlich stattfindet, ist umstritten.

Disintermediation in anderen Bereichen

In Verbindung mit Wertschöpfungsketten spricht man dann von Disintermediation, wenn einige Knoten (Vermittler) dieser Kette wegfallen – so zum Beispiel den Wegfall von den Vermittlern (Großhandel, Einzelhandel und Discounter) durch direkten Vertrieb.

Disintermediation in der Medientheorie

Der deutsche Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski (* 1963) wendet den Begriff der Disintermediation ebenfalls auf das Internet an. Er beschreibt damit dem Wegfall von Knoten im Netz, das Aufkommen des großen Stimmengewirrs.

Die Schrift erlaube einen öffentlichen Diskurs über Dinge, die durch ihre Fixierung immer wieder auf Gegenargumente warten. Texte antworten auf Texte. Um aber diesem Stimmengewirr etwas entgegnen zu können bzw. die wichtigen Meldungen von den weniger wichtigen zu trennen, habe sich mit der Zeit eine sogenannte „Polizei des Diskurses“ entwickelt. Lektoren, Verlage, Redakteure bildeten eine Barriere zwischen Text und Öffentlichkeit, einen Filter den Foucault als „Verknappung der sprechenden Subjekte“ kritisierte. Es gebe in einer Demokratie immer wieder Orte, wo Texte, die von anderen abgelehnt wurden, veröffentlicht werden können, jedoch müsse auch hier eine Barriere überschritten werden. Der Ort, der sich in den 90er Jahren etabliert habe und auf den ersten Blick jegliche Barrieren der Veröffentlichung aufgebe, sei das Internet. Ein virtueller Raum wurde geschaffen, zu dem, wenn er es sich leisten kann, beinahe jeder einen Zugriff hat. Dies nennt Simanowski Disintermediation, also Polizeilosigkeit, wodurch jeder mit Internetzugang Texte veröffentlichen kann.

Mit Disintermediation beschreibt Simanowski den Verlust der Mittelsmänner, was bedeutet, dass Informationen, die an die Öffentlichkeit gehen, keiner Prüfung unterzogen werden. Der Leser steht also einem Überangebot von guten bis weniger guten Texten und Informationen gegenüber und muss selbst entscheiden, was brauchbar ist und was nicht.

Reintermediation

Reintermediation ist ein weiteres Schlagwort, das im Gegensatz zum kompletten Wegfall nur eine Verschiebung einzelner Stufen der Wertschöpfungskette beschreibt. Reintermediation beschreibt eine Wiedereinführung von Zwischenhändlern und somit eine Verschiebung der Vermittlerrolle innerhalb der Wertschöpfungskette zu einem anderen, neuen Träger.

Hyperintermediation

Der in den USA arbeitende weißrussische Medienwissenschaftler Evgeny Morozov hat den Begriff der Hyperintermedation ins Spiel gebracht. Damit wird der Umstand beschrieben, dass der Wegfall klassischer Intermediäre im Medienbereich, also die traditionellen Gatekeeper, nicht zu einem Verschwinden aller Filter- und Kontrollinstanzen in der digitalen Kommunikation führt, sondern stattdessen neue und unter Umständen viel stärkere Filterinstanzen wirksam werden. Dazu zählen beispielsweise die Algorithmen der großen Suchmaschinen oder die Filteroperationen der Social Media-Plattformen: "It’s the proliferation—not elimination—of intermediaries that has made blogging so widespread.  The right term here is 'hyperintermediation', not 'disintermediation'".[1]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Evgeny Morozov: How Big Data and Spam Bots Threaten Online Discussion. 26. Oktober 2012, abgerufen am 7. Dezember 2019 (englisch).