Direktorialsystem
| Staats- und Regierungsformen der Welt |
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| (Angaben de jure laut Verfassung, nicht zwangsläufig de facto. Stand: 2024) |
Das Direktorialsystem ist zum einen in der Wirtschaft eine Organisationsform der Führungsspitze[1] mit einer Einzelperson – dem Direktor – als alleiniger Entscheidungsinstanz (im Gegensatz zu einem Kollegialsystem) – und zum anderen im politischen Kontext ein Regierungssystem mit einem aus mehreren Personen bestehenden Direktorium auf der obersten Entscheidungsebene. Deren Mitglieder – die Direktoren – sind in der Entscheidungsfindung gleichrangig und nach dem Kollegialsystem organisiert. Alternativbezeichnungen für letzteres sind direktoriales Regierungssystem oder Direktorialverfassung.
Organisationstheoretischer Begriff im Unternehmensumfeld
Im wirtschaftlichen Kontext (anders als im politischen Kontext) steht in einem Direktorialsystem[2] eine Einzelperson – der Direktor – an oberster Stelle der Entscheidungshierarchie – als Gegenentwurf zu einem Kollegialsystem.[3] Ein Direktor hat besondere Rechte bei der Willensbildung. Dies kann ein Alleinentscheidungsrecht sein, ein Entscheidungsrecht gegen eine qualifizierte Mehrheit, oder er kann eine Entscheidung gegen eine einfache Mehrheit herbeiführen. Beim Direktorialsystem in diesem Umfeld liegt die gesamte Entscheidungsbefugnis und somit auch die Verantwortung in einer Hand – beim Direktor. Die Führung ist üblicherweise straff und einheitlich, und die ihm nachgeordneten Stellen haben nur geringen Entscheidungsspielraum.
Politikwissenschaftlicher Begriff
Anders als im wirtschaftlichen Umfeld liegt im politischen Umfeld die Entscheidungsgewalt bei einem direktorialen Regierungssystem nicht bei einem (einzigen) Direktor, sondern bei einem mehrköpfigen Gremium von Direktoren – dem Direktorium. Es kann von seiner Funktion her in gewisser Hinsicht mit einem Vorstand oder der Geschäftsleitung einer Organisation verglichen werden.
Aufbauend auf der organisatorischen Vorstellung hat sich der Begriff in der Politikwissenschaft als ein Regierungssystem eingebürgert, bei dem die Regierung (Exekutive) vom Parlament (Legislative) nicht abhängig ist, das heißt, nicht durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden kann, oder direkt von Wählern[4] gewählt wird.
- Die Exekutivgewalt wird von einem Direktorium ausgeübt, das aus mehreren gleichberechtigten Mitgliedern besteht (siehe Kollegialsystem).
- In der Regel übernimmt die Regierung (als ganzes) zugleich die Aufgaben eines Staatsoberhaupts.
- Der Vorsitzende des Direktoriums besitzt als Primus inter pares innerhalb des Gremiums keine Sonderstellung, hat jedoch nach außen zusätzliche repräsentative Aufgaben und ist nur de jure Staatschef, hat aber de facto keine eigentliche Führungsposition. Als Staatschef sind ihm wesentlich weniger Aufgaben und Kompetenzen zugewiesen als in anderen Regierungsformen.
- Die nachfolgenden Verwaltungsbehörden sind an die Entscheidungen des Direktoriums gebunden.
In der Realität wurden die Direktorien oftmals nicht von einem demokratischen Parlament gewählt, sondern ernannt – oder sie haben sich selbst autonom eingesetzt.
Historische Beispiele
Zweiter Prager Fenstersturz
Das nach dem zweiten Prager Fenstersturz zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs von den oppositionellen protestantischen Ständen installierte System Böhmens war das erste Direktorialsystem im heute verstandenen Sinne.
Französische Revolution
Das Modell für alle weiteren Direktorialsysteme ist die Direktoriumsverfassung, mit der Frankreich nach dem Sturz der Jakobinerherrschaft von 1795 bis 1799 regiert wurde.[5]
Helvetik
Das von Frankreich installierte helvetische Direktorium war von 1798 bis 1803 die Exekutive in der Helvetischen Republik (Schweiz).
Russische Revolution
Die nach der Februarrevolution 1917 gebildete Provisorische Regierung Russlands war im Juli 1917 in ein Direktorium umgebildet worden.
Aktuelle Direktorialsysteme
Die heutige Schweiz
Das einzigartige Regierungssystem der Schweiz wird in der heutigen Politikwissenschaft ebenfalls in Anlehnung an die historischen Vorbilder als Direktorialsystem bezeichnet.[6][7] Hierbei stellt der Bundesrat auf Bundesebene bzw. der Regierungsrat auf kantonaler (a) sowie die Gemeinderäte auf kommunaler Ebene das Direktorium dar, deren Mitglieder an das Kollegialsystem gebunden sind. Es existiert kein Regierungschef; der jeweils für ein Jahr gewählte Bundespräsident ist nur ein Primus inter pares, also den anderen Exekutivmitgliedern in der Regierungsverantwortung gleichgestellt – er hat primär repräsentative Zusatzaufgaben. Dies gilt entsprechend bei den Regierungsratspräsidenten der Kantone sowie bei den Gemeindepräsidenten in den Gemeinden – wobei auf den unteren Ebenen nicht bei allen die Präsidentschaft im Jahresturnus wechselt.
Die schweizerische Konkordanzdemokratie zeichnet sich überdies dadurch aus, dass das Parlament weder einen Regierungschef noch die Regierung als Ganzes, sondern – auf Bundesebene – die einzelnen Regierungsmitglieder entsprechend der Parteistärke wählt. Von 1959 bis 2008 und erneut seit 2015 gilt eine als Zauberformel bezeichnete Parteienverteilung der Bundesräte, gemäss der die drei grössten Parteien je zwei und die viertgrösste einen Bundesrat stellen soll.
Auf kantonaler Ebene werden die Regierungsmitglieder – anders als der Bundesrat – nicht vom jeweiligen Kantonalparlament, sondern direkt vom Volk gewählt. Damit werden diese Wahlen zu Persönlichkeitswahlen, die Parteizugehörigkeit spielt nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch werden meist die Kandidaten der etablierten Parteien gewählt, so dass eine gewisse an der Parteienstärke orientierte Verteilung resultiert. Manchmal trifft letzteres nicht zu, und es kommt vor, dass eine grosse Partei nicht in der Regierung vertreten ist, stattdessen aber eine kleinere.[8] Auch auf Gemeinde-Ebene werden die Gemeinderäte direkt vom Volk gewählt. Wer die Zusatzaufgaben des Präsidenten wahrnimmt, wird i. d. R. unter den gewählten Gemeinderäten ausgemacht.
Verbreitung
Das Direktorialsystm ist auf Staatsebene eines der am wenigst verbreiteten Regierungssysteme. Die Zuordnung für eine Regierungsstuktur als Direktorialsystem ist uneinheitlich; Hauptanforderung ist i. d. R. zumindest das Kollegialsystem im Regierungsgremium mit einem Präsidenten als primus inter pares.
Mehrköpfige Regierungsgremien
Schweiz: auf allen Hierarchiestufen – Bund, Kantone & Gemeinden (siehe oben)
San Marino: Staatskongress (Congresso di Stato), siehe Liste der san-marinesischen Kabinette
: Europäischer Rat
: Europäische Kommission
Regierung durch Doppelspitze
Mitunter werden auch Ko-Präsidentschaften als Direktorialsystem eingeordnet, wenn de jure die Stellung der beiden gleich ist. De facto hat aber oft einer der beiden die Oberhand.
San Marino: Capitano Reggente
Andorra: Kofürsten
Bosnien und Herzegowina: Staatspräsidium
Eswatini: Ngwenyama & Ndlovukati, die Herrscher Eswatinis
Nicaragua: „Ko-Präsidentschaft“
Nordirland: Erster Minister und stellvertretender Erster Minister
Kein Direktorialsystem
Bisher wurde das Direktorialsystem oft als Parlamentarische Republik mit parlamentsgebundener Exekutivgewalt eingeordnet. Diese Zuordnung ist jedoch unzutreffend. Staaten wie Südafrika, Botswana, Guyana, Surinam, Kiribati, Nauru, die Marshallinseln oder die Föderierten Staaten von Mikronesien weisen kein Direktorialsystem auf.
Siehe auch
Literatur
- William Roberts Clark et al.: Principles of Comparative Politics. CQ Press, Washington 2009.
Einzelnachweise
- ↑ Erich Kosiol: Organisation der Unternehmung. Wiesbaden 1962, S. 117 f.
- ↑ Direktorialsystem. AlleAktien.com, abgerufen am 9. September 2025.
- ↑ Kollegialsystem. AlleAktien.com, abgerufen am 9. September 2025.
- ↑ Buchs, Aurélia, Sogue, Nils, Fiscal performance and the re-election of finance ministers–evidence from the Swiss cantons, Public Choice
- ↑ Carsten Lenz, Nicole Ruchlak: Direktorialsystem. In: Kleines Politik-Lexikon. Oldenbourg, München 2001, S. 39.
- ↑ Prof. Dr. iur. Klaus Mathis, Uni Luzern: Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Fachschaft Jus der Universität Luzern, abgerufen am 11. September 2025.
- ↑ Isa Germain: Le système politique Suisse, un régime d'assemblée. cours-de-droit.net, 21. März 2019, abgerufen am 11. September 2025 (französisch).
- ↑ Dies war im Februar 2023 der Fall, als im Kanton Basel-Landschaft der Kandidat der kleinen EVP gewählt wurde, und die wählerstärkste Partei SVP nicht in der Regierung der Legislatur bis 2027 vertreten ist.
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Die quadratische Nationalfahne der Schweiz, in transparentem rechteckigem (2:3) Feld.
Die Europaflagge besteht aus einem Kranz aus zwölf goldenen, fünfzackigen, sich nicht berührenden Sternen auf azurblauem Hintergrund.
Sie wurde 1955 vom Europarat als dessen Flagge eingeführt und erst 1986 von der Europäischen Gemeinschaft übernommen.
Die Zahl der Sterne, zwölf, ist traditionell das Symbol der Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit. Nur rein zufällig stimmte sie zwischen der Adoption der Flagge durch die EG 1986 bis zur Erweiterung 1995 mit der Zahl der Mitgliedstaaten der EG überein und blieb daher auch danach unverändert.The Ulster Banner is a heraldic banner based on former coat of arms from Northern Ireland. It was used by the Northern Ireland government in 1953-1973 with Edwardian crown since coronation of Queen Elizabeth II, based earlier design with Tudor Crown from 1924. Otherwise known as the Ulster Flag, Red Hand of Ulster Flag, Red Hand Flag.
The Ulster Banner is a heraldic banner based on former coat of arms from Northern Ireland. It was used by the Northern Ireland government in 1953-1973 with Edwardian crown since coronation of Queen Elizabeth II, based earlier design with Tudor Crown from 1924. Otherwise known as the Ulster Flag, Red Hand of Ulster Flag, Red Hand Flag.
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