Diokletians Edikt gegen die Manichäer

Das Edikt gegen die Manichäer ist ein um die Wende vom 3. auf das 4. Jahrhundert n. Chr. entstandener und an einen Prokonsul[1] der römischen Provinz Africa gerichteter Gesetzesnachtrag des Kaisers Diokletian.

Im Rom der frühen römischen Kaiserzeit hatte Astrologie als „Disziplin“ für weltanschauliche Deutungsversuche noch große Popularität in allen Bevölkerungsschichten genossen. Dies galt auch für verschiedene Kaiser dieser Zeit, wie Augustus oder Tiberius. Während sich parallel allerdings das Christentum und dessen Dogmen und Glaubensgrundsätze entwickelten, änderte sich zunehmend die Einstellung zu allen Erklärungsversuchen, die außerhalb eines göttlich abgeleiteten kaiserlichen Deutungsmonopols lagen. Als erster Kaiser wandte sich mit Beginn der Spätantike Diokletian per Gesetz gegen die Theorien, die ihm im Zusammenhang mit den „Fachbereichen“ der Astrologie und des aufbegehrenden Manichäismus missfielen. Letzterem widmete Diokletian ein eigenes Edikt mit der Maßgabe, die kaiserliche Deutungshoheit gezielt hervorzuheben und abtrünnige Welterklärungen der drohenden Konkurrenz im Keim zu ersticken.[2]

Fundstellen

Das Reskript fand zunächst Einlass im Codex Gregorianus, später als Volltext nebst Proömium in der Mosaicarum et Romanarum legum collatio. Letzterer ist es zu verdanken, dass die Nachwelt heute über detaillierte Kenntnisse darüber verfügt, wie die römische Obrigkeit in der diokletianischen Ära gegen die Lehren der novella secta (etwa: neue Schule) des Religionsstifters Mani und den von ihm begründeten Manichäismus rechtlich vorging.[3]

Der Gesetzesnachtrag lässt sich nicht zuverlässig datieren. So wird in der Forschung einerseits das Entstehungsdatum 297 n. Chr. angenommen,[4][5][6] andererseits das Jahr 302 n. Chr.[7] Da der Codex Gregorianus wohl 291 (möglicherweise erst 292) geschaffen wurde, passen beide Datierungen in den Kontext. Das Gesetz entstand damit etwa 25 Jahre nach dem Tod des persischen Religionsstifters.

Inhalt des Edikts

Diokletian richtete sich gegen das Christentum und den Manichäismus gleichermaßen; allein Gesetze des Kaisers gegen die Christen sind nicht erhalten geblieben.[3][8] Die Beweggründe, gegen sie vorzugehen, können allenfalls bedingt aus dem Toleranzedikt von 311 rekonstruiert werden, welches wiederum von Eusebios[9] und Laktanz überliefert worden war. Anders das Edikt gegen die Manichäer, das erhalten geblieben ist. Es verdeutlicht, dass Diokletian vornehmlich um das kaiserliche Deutungsmonopol rang. Er rechtfertigte es, indem er auf die Bewahrung altrömischer Traditionen pochte. Er war der Auffassung, dass die Strukturen des menschlichen Denkens und Glaubens der kaiserlichen Verfügungsmacht unterfielen. Diese wiederum sah er durch Magie und Zauberei von Astrologen und sonstige abtrünnige Kulte und Bräuche bedroht.[5] Zwar predigte Mani eine in sich komplex gestaltete, aber an grundsätzlich bereits vorhandene Vorstellungen und Überzeugungen von „Welt“, „Gott“ und „Mensch“ angelehnte, gnostische Deutung des Kosmos. Dagegen intervenierte Diokletian grundsätzlich aber ebenso wenig wie gegen die Auffassung, dass der in eine umfängliche Welturssprungsgeschichte hineingeborene Urmensch sich nach Mani im Spannungsverhältnis einer streng dualistisch geteilten Welt der Reiche der Finsternis und des Lichts wiederfindet, innerhalb dessen es gelte, Anteile des Lichts zurückzuerobern, was nur wenigen Auserwählten (electi) gelinge.[6] Diokletian soll die Lehre im Zweifel nicht einmal gekannt haben,[10] wehrte sich aber gegen die sittenstreng ausgerichteten und unerschütterlich einhergehenden Moral- und Sozialnormen der Manichäer. Der Kaiser wehrte sich gegen das Neue an sich.[3] Umgekehrt ging es Diokletian allerdings auch nicht darum, selbst den „richtigen Weg“ zu weisen oder gar zu missionieren. Sinn seiner Konstitution war, den Anspruch der kaiserlichen Macht als gut und wahr zu definieren und intellektuelle Angriffe darauf abzuwehren (resistere, reprehendi, retractare).

Das Edikt richtet sich durchgängig gegen die Manichäer und äußert sich unverhohlen streng: maximi criminis est retractare, quae semel ab antiquis statuta et definita (das größte Verbrechen ist die Infragestellung des einmal und endgültig Festgesetzten und Definierten).[3] Verfehlungen wie die superstitio, der error, die doctrina, die secta oder das arbitrium werden mit der kaiserlichen Machtvollkommenheit konfrontiert, rückversichert über antike Gelehrtenmeinungen. Aus der Machtvollkommenheit leitete Diokletian gar ab, dass die Natur des Menschen dem Willen des Kaisers unterliege und von ihm als Bestandteil seines gesetzgeberischen Programms zu verteidigen sei (modus humanae naturae), damit sie nicht mit Irrtum oder Aberglauben infiziert werden könne. Nicht Taten, sondern Gesinnungen galten die strafrechtlichen Sanktionen (pertinaciam pravae mentis nequissimorum hominium punire ingens nobis studium est – frei übersetzt: die Bestrafung gilt der Hartnäckigkeit der verkehrten Gesinnung allernichtsnutzigster Menschen).[3]

Die Rechtsfolgen: In der politischen Betrachtung ordnet Diokletian die verfeindeten Perser als Verbrecher ein, womit das persische Großreich der Sassaniden gemeint war. Deren manichäische Schriftzeugnisse über „offenkundige Zauberei“ sollten verbrannt und die Urheber und Aufrührer, letztlich auch die bloßen Sympathisanten, mit dem Tode bestraft und ihr Vermögen dem Fiskus einverleibt werden. Sollten Würdenträger der römischen Gesellschaft sich auf die Sekte eingelassen haben, so sollte deren Vermögen ebenfalls eingezogen werden, während ihnen persönlich die Arbeit in den Bergwerken von Prokonessos oder Phaene blühte.[3]

Späteres Edikt gegen die Manichäer

Etwa siebzig Jahre später wurde die Weltanschauung der Manichäer erneut in einem Kaisergesetz aufgegriffen und verurteilt. Die Konstitution, die Valentinian I. 372 dekretierte, wählte die gegenüber dem Tod entschärfte Sanktion der Isolierung von Anführern und Anhängern des Manichäismus (a coetu hominum segregari). Enthalten ist das Dekret im Codex Theodosianus.[11] Ausweislich dieser Gesetzessammlung, sollten Manichäer von der Gemeinschaft ehrbarer römischer Bürger separiert werden und an deren Rechtsleben keinen Anteil haben (testandi ac vivendi iure Romano), gebrandmarkt als „Herde“ (grex), die nicht nur aus Rom, sondern vom ganzen Erdkreis vertrieben gehört (ex omni quidem orbe terrarum).[12]

Literatur

  • Kocku von Stuckrad: Geschichte der Astrologie. Verlag C. H. Beck, München 2003. S. 122 ff.; 150 ff.
  • Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-58155-4, S. 26–34 (Gesetzestextübersetzung auf S. 28 und 29).

Anmerkungen

  1. Namentlich genannt wird Iulianus.
  2. Kaiser Konstantin dehnte die Verbote später auf die „Disziplinen“ der Magie und der seherischen und wahrsagenden Haruspizin aus. Sein Sohn Constantius unterschied die Zuordnungen zu den „Fachbereichen“ nicht mehr und erließ die Verbote in einer einzigen Konstitution (vergleiche: CTh. 9,16,4).
  3. a b c d e f Marie Theres Fögen: Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-58155-4, S. 26 ff.
  4. William Seston: De l’authenticité et de la date de l’édit de Dioclétien contre les Manichéens. In: Mélanges de philologie, de littérature et d’histoire anciennes offert à Alfred Ernout. C. Klincksieck, Paris 1940, S. 345–354 (Neuabdruck von 1980 online).
  5. a b Joachim Molthagen: Der römische Staat und die Christen im zweiten und dritten Jahrhundert (= Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben. Heft 28). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970, S. 114 f.
  6. a b Erich-Hans Kaden: Die Edikte gegen die Manichäer von Diokletian bis Justinian. In: Festschrift Hans Lewald. Bei Vollendung des vierzigsten Amtsjahres als ordentlicher Professor im Oktober 1953. Helbing und Lichtenhahn, Basel 1953, S. 55–68.
  7. Timothy D. Barnes: Sossianus Hierocles and the Antecedents of the „Great Persecution“. In: Harvard Studies in Classical Philology. Band 80, 1976, S. 239–252, hier S. 246 ff.
  8. Kocku von Stuckrad: Geschichte der Astrologie. Verlag C. H. Beck, München 2003. S. 122 ff.
  9. Eusebius von Caesarea, Historia ecclesiastica 7,31.
  10. Hans-Georg Beck: Actus fidei. Wege zum Autodafé (= Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse: Sitzungsberichte. Jahrgang 1987, Heft 3). Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1987, ISBN 3-7696-1545-X (PDF).
  11. CTh. 16,5,3.
  12. CTh. 16,5,7, anno 381; CTh. 16,5,9, anno 382; CTh. 16,5,11, anno 383.