Die Opfer des Nationalsozialismus unter den Parlamentariern aus niedersächsischen Gebieten

Die 2007 installierte Gedenktafel „Die Opfer des Nationalsozialismus unter den Parlamentariern aus niedersächsischen Gebieten“ im Niedersächsischen Landtag

Die Opfer des Nationalsozialismus unter den Parlamentariern aus niedersächsischen Gebieten titelt eine Gedenktafel in Hannover in der Wandelhalle des Niedersächsischen Landtags. Die nicht öffentlich zugängliche Tafel[1] erinnert an 35 demokratisch gewählte Abgeordnete im Gebiet des heutigen Bundeslandes Niedersachsen, die zur Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 „von SA-Männern, Gestapo-Beamten oder KZ-Aufsehern ermordet […]“ oder in den Freitod getrieben wurden. Zusätzlich zu den auf der Tafel namentlich genannten soll die Gedenktafel zugleich an diejenigen Abgeordneten erinnern, die während der mehr als zwölf Jahre andauernden „staatsverbrecherischen Herrschaft [der Nationalsozialisten] schikaniert und verfolgt, ihrer Existenz beraubt und ins Exil getrieben wurden.“ Die ehemaligen Abgeordneten, „die mit knapper Not davongekommen waren und die nicht selten gerade erst aus Zuchthäusern und Konzentrationslagern befreit, körperlich wie seelisch schwer angeschlagen im Frühsommer 1945 noch einmal antraten, um eine gerechte, eine demokratische Gesellschaft zu gestalten.“[2]

Mit der 2007 eingeweihten Gedenktafel[1] – zugleich Mahnmal gegen eine „Diktatur, die Andersdenkenden keine Daseinsberechtigung zubilligte, sie ihrer Gesinnung wegen verfolgte bis in den Tod“ – war der Niedersächsische Landtag das erste Landesparlament der Bundesrepublik Deutschland, das auf diese Weise an die in seinen heutigen Wahlkreisen noch zur Zeit der Weimarer Republik gewählten und später durch die Nationalsozialisten ermordeten Abgeordneten verschiedener politischer Parteien erinnerte.[2]

Geschichte

Bereits 1933 als dem Jahr der „Machtergreifung“ entging fast kein Abgeordneter oder Funktionär insbesondere linker Parteien den Schikanen und Drangsalierungen vor allem „der SA, die sich im Rausch einer ‚nationalen Revolution‘ [mit Gewalt] austobte, ihre Gegner massenhaft und völlig ungesetzlich in sogenannte Schutzhaft nahm“. Einige der Opfer, die zum Teil erst nach Wochen oder sogar Monaten wieder aus der „Schutzhaft“ entlassen worden waren, engagierten sich dann im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, jedoch nur in geheimen Untergrundbewegungen, bis die Gestapo Mitte der 1930er Jahre auch diese Organisationen weitgehend zerschlagen hatte.[2]

Bei der Verfolgung parlamentarischer Abgeordneter tat sich vor allem der ehemalige Freistaat Braunschweig hervor unter dem Dreiergespann von Ministerpräsident Dietrich Klagges, Justizminister Friedrich Alpers und Friedrich Jeckeln, dem „Chef der Braunschweigischen Landespolizei“. Diese drei zeichneten „verantwortlich für den grausamen Tod von 15 ehemaligen sozialdemokratischen Parlamentsmitgliedern“.[2]

Auch das Land Oldenburg, in dem die NSDAP ebenfalls bereits vor 1933 die Regierung gestellt hatte, verfolgte unter Ministerpräsident Georg Joel massiv zahlreiche Abgeordnete der Linksparteien.[2]

Während aus dem Hannoverschen Provinziallandtag zehn ehemalige Abgeordnete durch die Nationalsozialisten zu Tode kamen, hatte das kleine Land Schaumburg-Lippe mit seinen 15 Abgeordneten zwar keine Todesopfer zu beklagen, allerdings gab es auch hier politisch motivierte Verfolgungen.[2]

Nachdem mitten im Zweiten Weltkrieg das Attentat vom 20. Juli 1944 gescheitert war, setzte durch die von Heinrich Himmler verfügte „Aktion Gewitter“ ein „maßloser Rachefeldzug“ ein gegen sämtliche ehemaligen Reichstags-, Landtags- und Stadtverordneten vor allem der SPD und der KPD sowie ehemaliger sozialdemokratischer Partei- und Gewerkschaftssekretäre: Am 22. August 1944 wurden auf dem Gebiet des Deutschen Reichs schlagartig rund 6000 Menschen festgenommen, darunter rund 60 auf dem Gebiet des späteren Niedersachsen. Wenngleich auch der größere Teil der Inhaftierten zumeist nach einigen Wochen wieder freigelassen wurde, „überlebte doch etwa ein Viertel diese Tortur nicht“.[2]

Von den insgesamt im Gebiet des heutigen Niedersachsens getöteten ehemaligen Abgeordneten waren manche „auf offener Straße mit Waffen niedergestreckt, aus dem Fenster gestürzt, an einem Baum erhängt oder in einem Konzentrationslager getötet“ worden.[1]

Daten der namentlich erwähnten Opfer

In der Reihenfolge ihrer Nachnamen nennt die Gedenktafel insgesamt 35 Abgeordnete mit ihren Geburts- und Sterbedaten sowie ihrer jeweiligen Parteizugehörigkeit:[3] 24 ehemalige Parlamentarier gehörten zuletzt der SPD an, sieben der KPD[2] und vier den bürgerlichen Parteien Deutsche Demokratische Partei (DDP), Deutsche Zentrumspartei (Zentrum) und Deutsche Volkspartei (DVP).[3]

15 ehemalige Abgeordnete waren Mitglieder des Braunschweigischen Landtages, 9 des Oldenburgischen Landtages und 10 des Hannoverschen Provinziallandtages. Der sozialdemokratische Abgeordnete Hermann Tempel vertrat den Wahlkreis Weser-Ems im Reichstag. Fünf Todesopfer schieden durch Suizid aus dem Leben.[2]

NameGeburtsdatumTodesdatumTodesortParteiParlamentBemerkungBild
Basse, Hermann1882-08-241933-07-01BraunschweigSPDBraunschweigischer Landtag, 1920–1922
Brennecke, Otto1882-20-291936-10-03HannoverSPDHannoverscher Provinziallandtag, 1929–1932
Brodek, Paul1884-10-161942-09-05BremenSPDOldenburgischer Landtag, 1923–1931
Domke, Ernst1882-03-211945-04-14KZ Bergen-BelsenKPDBraunschweigischer Landtag, 1918–1920
Drabent, Leo1899-06-151944-11-20Zuchthaus BrandenburgKPDHannoverscher Provinziallandtag, 1933
Eilts, Johann1894-05-061945-02-04KZ NeuengammeKPDOldenburgischer Landtag, 1931–1932
Erdmann, Henri1878-02-191937-06-10BraunschweigSPDBraunschweigischer Landtag, 1918–1930
Fick, Karl1881-12-031945-05-03Neustädter BuchtSPDOldenburgischer Landtag, 1922–1933
Frerichs, Friedrich1882-01-041945-05-03Vermutlich in der Lübecker Bucht[4]SPDOldenburgischer Landtag, 1920–1933[4]
Frommhold, Martin1880-06-201933-04-10Hannover[5]DDPHannoverscher Provinziallandtag, 1915–1929[2]Freitod[5]
Gerdes, Johann1896-04-141933-03-05OldenburgKPDOldenburgischer Landtag, 1932–1933
Gmeiner, Paul1892-08-261944-04-18KZ Sachsenhausen, Außenkommando HeinkelKPDBraunschweigischer Landtag, 1924–1933
Graeger, Friedrich1875-07-091933-07-16OldenburgSPDOldenburgischer Landtag, 1933
Henke, Hugo1888-06-091945-05-03Neustädter BuchtKPDOldenburgischer Landtag, 1932–1933
Jasper, Heinrich1875-08-211945-02-19KZ Bergen-Belsen[2]SPDBraunschweigischer Landtag, 1918–1933[2]
Heinrich Jasper
Kanter, Hugo1871-09-271938BerlinDVPBraunschweigischer Landtag, 1918–1919
Kanzler, Oswald1883-04-181944-09-16Gestapogefängnis FuhlsbüttelSPDHannoverscher Provinziallandtag, 1929–1933
Löhr, Rudolf1885-11-231945 (Frühjahr)KZ Bergen-BelsenUSPD, SPDBraunschweigischer Landtag, 1922–1930
Meier, Paul1880-07-251933-03-15WunstorfSPDHannoverscher Provinziallandtag, 1921–1925
Mey, Kurt1878-08-201944-10-24KZ NeuengammeSPDHannoverscher Provinziallandtag, 1921–1929
Meyer, Julius1875-11-161934-05-31Oldenburg[6]SPDOldenburgischer Landtag, 1908–1919, 1923–1932[6]Freitod[6]
Niedergesäß, Heinrich1883-03-251945-05-03Neustädter BuchtSPDHannoverscher Provinziallandtag, 1929–1932
Peix, Karl1899-03-271941-11-11KZ Buchenwald, Außenkommando GoslarKPDHannoverscher Provinziallandtag, 1931–1933
Regensburger, Norbert1886-05-251933-04-26BraunschweigDDPBraunschweigischer Landtag, 1919–1924, 1925–1926
Reupke, Wilhelm1877-07-061933-04-09VienenburgUSPDBraunschweigischer Landtag, 1919–1920ab 1922 Mitglied der SPD
Rieke, Kuno1897-07-151945-03-02KZ Dachau[7]SPDBraunschweigischer Landtag, 1924–1932
Gedenkplatte für Kuno Rieke auf dem Katholischen Friedhof in Braunschweig
Schopmeyer, Bernhard1900-09-021945-06-23OsnabrückZentrumHannoverscher Provinziallandtag, 1933
Schulz, Julius1876-10-121944-12-28KZ SachsenhausenUSPD, SPDBraunschweigischer Landtag, 1922–1933
Siems, Heinrich1877-12-241945 (Frühjahr)KZ Bergen-BelsenSPDBraunschweigischer Landtag, 1920–1933
Sporleder, Wilhelm1874-12-281945-01-24HannoverSPDHannoverscher Provinziallandtag,[1] 1919–1920, 1921–1932, 19331955 wurde der Sporlederweg in Linden-Süd angelegt[8]
Steinbrecher, Gustav1876-02-031940-01-30KZ MauthausenSPDBraunschweigischer Landtag, 1918–1933
Tempel, Hermann1889-11-291944-11-27OldenburgSPDReichstag, 1925–1933als Vertreter des Wahlkreises Weser-Ems[2]
Thielemann, Otto1891-01-121938-03-07KZ DachauSPDBraunschweigischer Landtag, 1924–1933
Wagner, Heinrich1886-02-011945-02-26KZ Bergen-Belsen[2]KPDOldenburgischer Landtag, 1931–1932[2]
Wiese, Wilhelm1891-06-051945-03-17KZ NeuengammeSPDHannoverscher Provinziallandtag, 1929–1932

Literatur

  • Beatrix Herlemann: Gedenktafel „Die Opfer des Nationalsozialismus unter den Parlamentariern aus niedersächsischen Gebieten“. Die Biografien der Opfer. Der Präsident des Niedersächsischen Landtages, Hannover 2007, S. 5.
  • N.N.: Gedenktafel / „Die Opfer des Nationalsozialismus unter den Parlamentariern aus niedersächsischen Gebieten“ / Landesgeschichte im Landtag. Handzettel, hrsg. vom Präsidenten des Niedersächsischen Landtages [o. O., o. D., Hannover: 2007?], herunterladbar als PDF-Dokument
  • Beatrix Herlemann, Helga Schatz: Biographisches Lexikon niedersächsischer Parlamentarier 1919–1945 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. Band 222). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2004, ISBN 3-7752-6022-6.

Einzelnachweise

  1. a b c d Karljosef Kreter (Ansprechpartner): Gedenktafel … (siehe unter dem Abschnitt Weblinks)
  2. a b c d e f g h i j k l m n o N.N.: Gedenktafel … (siehe Literatur)
  3. a b Vergleiche eines der Fotos der Gedenktafel
  4. a b Frerichs, Friedrich (Fritz) Boiken In: Hans Friedl u. a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Hrsg. im Auftrag der Oldenburgischen Landschaft. Isensee, Oldenburg 1992, ISBN 3-89442-135-5, S. 208–209 (online).
  5. a b Klaus Mlynek: FROMMHOLD, Martin. In: Hannoversches Biographisches Lexikon, S. 124; online über Google-Bücher
  6. a b c Wolfgang Günther: Meyer, Julius. In: Hans Friedl u. a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Hrsg. im Auftrag der Oldenburgischen Landschaft. Isensee, Oldenburg 1992, ISBN 3-89442-135-5, S. 457–458 (online).
  7. Vergleiche die Inschrift auf der Gedenkplatte für Kuno Rieke auf dem Katholischen Friedhof in Braunschweig
  8. Helmut Zimmermann: Sporlederweg, in derselbe: Die Strassennamen der Landeshauptstadt Hannover, Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1992, ISBN 3-7752-6120-6, S. 233

Koordinaten: 52° 22′ 12,5″ N, 9° 44′ 0,2″ O

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Heinrich Jasper (* 21. August 1875 in Dingelbe; † 19. Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen) Reichstagsabgeordneter (SPD)