Die Maske des Roten Todes

Illustration von Aubrey Beardsley, 1894

Die Maske des Roten Todes (engl. The Masque of the Red Death) ist eine Erzählung von Edgar Allan Poe, die erstmals im Mai 1842 in Philadelphia in Graham’s Magazine erschien, in dessen New Yorker Redaktion E. A. Poe ein Jahr lang als Chefredakteur arbeitete. In ihr beschreibt Poe das Scheitern des Versuchs einer Gruppe von Privilegierten, sich vor einer Seuche, einem Unheil in Sicherheit zu bringen.

Inhalt

Ungeachtet der Tatsache, dass eine Krankheit (der Rote Tod, Red Death) die Hälfte der Untertanen dahinrafft, gibt Prinz Prospero, der sich in eine von ihm entworfene Abtei zurückgezogen hat und in Sicherheit wiegt, einen pompösen Maskenball. Prinz Prospero liebt das Außergewöhnliche, sein Geschmack ist sonderbar. Er hat einen guten Blick für Licht und Farben. Durch die Gestaltung der Räumlichkeiten nimmt er beträchtlichen Einfluss auf die Erscheinung der Maskierten, durch fein abgestimmte Stimmungen („finely tuning the atmosphere“) – zum Beispiel das Licht etc. Die Veranstaltung findet in sieben Räumen statt, von denen nie mehr als einer vollständig gesehen werden kann. Im ersten Raum befinden sich gotische Fenster mit blauen Gläsern, die der Farbe der Fensterdekoration entsprechen. Der zweite Raum ist purpur, der dritte grün, der vierte orange. Ein weiterer Festsaal ist weiß, der nächste violett und schließlich gibt es einen schwarzen Saal mit scharlachroten Fenstern.

Während das ausschweifende Fest stattfindet, schlägt jede volle Stunde eine Uhr, deren Ton auch den Ausgelassensten und Verrücktesten erschreckt. Nach dem Glockenschlag gibt es in der Festgesellschaft jedes Mal erleichtertes Gelächter. Als die Uhr zwölf schlägt, erscheint eine Gestalt in der Maske des Roten Todes. Ihre Anwesenheit löst Angst aus. Die erschreckende Gestalt fällt aus Prosperos Festgestaltung heraus, sie erinnert an die Seuche und ihre Opfer. Infolgedessen fordert der Prinz dazu auf, den Unbekannten zu demaskieren. Dieser jedoch schreitet durch mehrere Räume, und die Gäste weichen zurück. Also zieht Prinz Prospero selbst einen Dolch und nimmt die Verfolgung auf, die Maske jedoch wendet sich ihrem Verfolger zu, ein scharfer Schrei ertönt – und Prospero sinkt tot zu Boden. Nun endlich versuchen die Gäste den Unbekannten zu demaskieren, müssen aber erkennen, dass er tatsächlich der Rote Tod ist. Unter der Maske befindet sich nichts: kein Gesicht, kein Skelett – die Maske ist nur sie selbst. Der Rote Tod ist ins Schloss eingezogen und herrscht unumschränkt.

Hintergrund und Interpretation

Poe war 1831 in Baltimore Zeuge einer großen Cholera-Epidemie und der von ihr ausgelösten Reaktionen geworden. Ähnlichkeiten weist Poes Kurzgeschichte zur Rahmenhandlung von Boccaccios Decamerone auf, in der sich vermögende Florentiner in ein Landhaus/Schloss zurückziehen, um nicht mit der Pest angesteckt zu werden. Auch der italienische Name Prospero, der so viel wie „wohlhabend“ bedeutet, verweist auf Italien vergleichbar dem Fortunato in Das Fass Amontillado. Weitere Bezüge finden sich zu Thomas Campbells Life of Petrarch. In einer Besprechung des Buches hatte Poe 1841 gerügt, der Verfasser habe die Pest in seinem Werk nicht angemessen dargestellt. Außerdem ist es kaum ein Zufall, dass Poes Protagonist den Namen des allmächtigen Zauberers aus William Shakespeares Romanze Der Sturm trägt.

Der Name „Red Death“ ist mit Bedacht gewählt, sterben seine Opfer doch an einer Art hämorrhagischen Fiebers unter furchtbaren Blutungen. Poe hatte Mutter und Ziehmutter durch Tuberkulose verloren, seine Ehefrau litt ebenfalls an dieser Krankheit und den mit ihr verbundenen Blutstürzen. Zugleich verweist der Name auf den „Schwarzen Tod“. Der Ich-Erzähler, der sich nur dreimal beiläufig ins Spiel bringt, ist allwissend wie ein auktorialer Erzähler.

Die Krankheit, der „Rote Tod“, kann siegen, weil der Prinz, selbst wohlhabend („prosperous“), sich vor allem um sich und sein eigenes Vergnügen kümmert. Statt Verantwortung für das leidende Land zu übernehmen, gibt er einen aufwändigen Maskenball. Und statt die Masken für sich und aus sich selbst wirken zu lassen, nimmt er wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung des Festes, indem er dessen äußere Umstände bestimmt. Der Prinz sieht also nur sich selbst, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse, nicht die des Landes, der Bevölkerung oder seiner Gäste.

Als allegorische Erzählung, die in dem zeitlosen Raum einer gotizistischen Fantasiearchitektur angesiedelt ist und den Einbruch der Pest in das vermeintlich sicher abgeriegelte Schloss Prosperos zeigt, kann The Masque of the Red Death dementsprechend als existenzielle Parabel über die Unvermeidlichkeit des Todes wie auch als Studie eines wahnsinnigen Exzentrikers verstanden werden.[1] Betrachtet man allerdings Die Maske des Roten Todes im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk Poes, in dem immer wieder die Apokalypse des Individuums dessen Apotheose in der zeitgenössischen amerikanischen Weltanschauung bzw. Ideologie entgegengesetzt wird, so kann diese Erzählung Poes Zapf zufolge auch als „Parodie und apokalyptische Umkehrung eines verabsolutierten pursuit of happiness und damit als Apokalypse des amerikanischen Traums“ gedeutet werden. Angeführt von Prinz Prospero jagen die Menschen in The Masque of the Red Death allesamt unter Verwandlung ihrer individuellen Persönlichkeiten in leere Masken nur vergeblich den Verheißungen eines falschen Glückstraums nach,[2] der in der Realität ebenso wenig erfüllbar ist wie der „American Dream“.[3]

Deutsche Übersetzungen (Auswahl)

  • um 1900: Johanna Möllenhoff: Die Maske des roten Todes. Reclams Universal-Bibliothek, Leipzig.
  • 1901: Hedda Moeller und Hedwig Lachmann: Die Maske des roten Todes. J.C.C. Bruns, Minden.
  • 1909: Bodo Wildberg: Der rote Tod. Buchverlag für das Deutsche Haus, Berlin.
  • 1912: unbekannter Übersetzer: Die Maske des roten Todes. Kiepenheuer, Weimar.
  • 1922: M. Bretschneider: Die Maske des roten Todes. Rösl & Cie. Verlag, München.
  • 1922: Gisela Etzel: Die Maske des roten Todes. Propyläen, München
  • 1923: Wilhelm Cremer: Die Maske des roten Todes. Verlag der Schiller-Buchhandlung, Berlin.
  • 1925: unbekannter Übersetzer: Die Maske des Roten Todes. Mieth, Berlin.
  • 1925: Stefan Hofer: Die Maske des roten Todes. Interterritorialer Verlag „Renaissance“, Wien
  • ca. 1930: unbekannter Übersetzer: Die Maske des roten Todes. Fikentscher, Leipzig.
  • 1947: Wolf Durian: Die Maske des roten Todes. Ullstein, Wien
  • 1948: Ruth Haemmerling und Konrad Haemmerling: Die Maske des Roten Todes. Schlösser Verlag, Braunschweig.
  • 1953: Richard Mummendey: Die Maske des Roten Todes. Hundt, Hattingen.
  • 1953: Günther Steinig: Die Maske des Roten Todes. Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig.
  • 1958: Gerhard Hermann: Die Maske des Roten Todes. Hoffmann, Heidenheim.
  • 1966: Hans Wollschläger: Die Maske des Roten Todes. Walter Verlag, Freiburg i. Br.
  • 1989: Gerlinde Völker: Die Maske des Roten Todes. Reclams Universal-Bibliothek, Stuttgart.

Rezeption

Sprache und Literatur
  • Die Erzählung endet mit dem berühmten Satz „And Darkness and Decay and the Red Death held illimitable dominion over all“. (dt. „Und unbeschränkt herrschte über alles mit Finsternis und Verwesung der Rote Tod.“)
  • In Gaston Leroux’ Roman Das Phantom der Oper (1909/10) erscheint das Phantom als Roter Tod verkleidet auf dem Maskenball.
  • Im Roman Shining (1977) von Stephen King vergleicht Jack Torrance einen Maskenball, der im Overlook Hotel stattgefunden hat, mit dem Maskenball der Erzählung Poes.
  • Tom Wolfe betitelte ein Kapitel seines Romans Fegefeuer der Eitelkeiten (1984/85) mit Die Maske des roten Todes. Kulisse der Handlung ist dabei eine New Yorker Gesellschaftsparty.
  • In Stephen Kings Susannah – Der Dunkle Turm (2004) erzählt Mia Susannah, dass die Einwohner des Dorfes Fedic vor tausend und mehr Jahren am „Roten Tod“ gestorben sind. Hierauf erstaunt Susannah und erinnert sich an Edgar Allan Poes Kurzgeschichte.
  • In Dan Simmons’ Roman Terror (2007) lenken sich die im Eis eingeschlossenen Matrosen mit einem Maskenball ab, der von der Lektüre von Poes Kurzgeschichte inspiriert wurde. Jedoch kommt es zu einer Gewalteskalation, und das Fest wird abgebrochen.
  • Die Fantasy-Comiczeichnerin Wendy Pini gestaltete Masque of the Red Death als Graphic Novel (2007–2010).
Musik
  • 1908 wurde der französische Komponist André Caplet von Poes Erzählung zu einem Orchesterwerk mit Harfe inspiriert: Légende – Étude symphonique d’après « Le Masque de la Mort rouge » de Poë. Es ist heute vor allem in der späteren Kammermusikversion bekannt: Conte fantastique für Streichquartett und Harfe.[4]
  • Die deutsche Heavy-Metal-Band Stormwitch veröffentlichte auf ihrem Album Tales of Terror von 1985 einen Song mit dem Titel Masque of the Red Death. Sie beendete den Text ebenfalls mit der Zeile „Darkness and decay, and the Red Death holds dominion over all“.
  • Die amerikanische Heavy-Metal-Band Hades hatte auf ihrem Debüt-Album Resisting Success von 1987 einen aus drei Teilen bestehenden Song mit dem Titel Masque of the Red Death.
  • Auch die amerikanische Metal-Band Crimson Glory veröffentlichte einen Song mit dem Titel Masque of the Red Death auf ihrem 1988 erschienenen Album Transcendence.
  • Die schwedische Death-Metal-Band Entombed verwendete 1991 Samples aus der Verfilmung von 1964 auf dem Album Clandestine.
  • Die norwegische Gothic-Metal-Band Theatre of Tragedy verwendete 1996 einige Dialoge im Song And When He Falleth auf dem 1996 veröffentlichten Album Velvet Darkness They Fear.
  • Der italienische Komponist Francesco Filidei komponierte ein Oratorium The Red Death. A Passion für Solostimmen, Chor, Orchester und Elektronik, das 2021 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt wurde.[5]
Film

Literatur

  • Hans Galinski: Beharrende Strukturzüge im Wandel eines Jahrhunderts amerikanischer Kurzgeschichte (dargelegt an E. A. Poes „The Masque of the Red Death“ und Ernest Hemingways „The Killers“). In: Heinz Galinski und Klaus Lubbers (Hrsg.): Zwei Klassiker der amerikanischen Kurzgeschichte · Interpretationen zu Edgar Allan Poe und Ernest Hemingway. Diesterweg Verlag Frankfurt a. M. 1971, ISBN 3-425-04213-0, S. 5–51.
  • L. Cassuto: The Coy Reaper: Un-masque-ing the Red Death. in: Studies in Short Fiction, 25, 1988, S. 317–320.
  • P.H. Wheat: The Mask of Indifference in “The Masque of the Red Death”. in: Studies in Short Fiction, 19, 1982, S. 51–56.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. z. B. die Deutungsansätze in The Masque of the Red Death by Edgar Allan Poe (Memento vom 8. Oktober 2013 im Internet Archive), S. 7, 9, 16 und 28 ff.
  2. Vgl. z. B. die Deutungsansätze in The Masque of the Red Death by Edgar Allan Poe (Memento vom 8. Oktober 2013 im Internet Archive), S. 22 ff.
  3. Vgl. zu diesem alternativen Deutungsansatz Hubert Zapf: Edgar Allan Poe: Romantische Autonomieästhetik und amerikanische Apokalypse. In: Hubert Zapf u. a.: Amerikanische Literaturgeschichte. Metzler Verlag, 2. akt. Auflage, Stuttgart und Weimar 2004, ISBN 3-476-02036-3, S. 110–116, hier S. 114.
  4. Die Entstehungszeit des Kammermusikwerks wird widersprüchlich angegeben: 1919 oder 1923. – Conte fantastique. In: andre-caplet.fr. (französisch). – A. Hoérée: Caplet, André Léon. In: Marc Honegger, Günther Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik in acht Bänden. Band 2. Herder, Freiburg/Basel/Wien 1979, ISBN 3-451-18052-9, S. 37–38, hier S. 37.
  5. SWR2: Francesco Filidei: The Red Death. Abgerufen am 18. Oktober 2021. Siehe auch The Red Death: Passion nach Edgar Allan Poe. Abgerufen am 18. Oktober 2021.

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