Didaktische Reduktion

Der Begriff Didaktische Reduktion wird im Rahmen der Didaktik, insbesondere der schulischen Fachdidaktik, verwendet.

Es geht um die Methode, eine komplexe Wirklichkeit zu vereinfachen, zu reduzieren, um eine schülergemäße Präsentation des jeweiligen Lerninhaltes zu ermöglichen. Die Didaktische Reduktion führt dabei komplexe Sachverhalte auf ihre wesentlichen Elemente zurück, um sie für Lernende überschaubar und begreifbar zu machen.

Hinführung

Im Zusammenhang mit Didaktischer Reduktion werden häufig die folgenden methodischen Begriffe und Aspektbegriffe verwendet: Elementarisierung, Fasslichkeit, Vereinfachung, Isolierung der Schwierigkeiten, Gegenstandsaufbereitung, Transformation. Bei der Didaktischen Reduktion geht es aber nicht um Simplifizierung, Trivialisierung (Trivialität) oder Ausdünnung des Stoffes, sondern um eine qualitative bzw. quantitative Anpassung des Lernstoffes an die Lerngruppe.

Der Begriff „Didaktische Reduktion“

Dietrich Hering wendete in seinem 1958 veröffentlichten Aufsatz Zur Fasslichkeit naturwissenschaftlicher und technischer Aussagen den Begriff „Didaktische Vereinfachung“ am Beispiel des Hochofenprozesses an (für den Bereich der Chemiedidaktik bzw. den Chemieunterricht). Seine Hauptaussage: „Didaktische Vereinfachung einer wissenschaftlichen Aussage ist der Übergang von einer differenzierten Aussage zu einer allgemeinen Aussage gleichen Gültigkeitsumfanges über den gleichen Gegenstand unter dem gleichen Aspekt.“[1] Hans Bokelmann griff 1963 unter diesem Namen entsprechende Gedanken von Wolfgang Klafki und Josef Derbolav auf.[2]

Geprägt wurde der Begriff „Didaktische Reduktion“ erstmals 1967 von Gustav Grüner. Er nahm die Gedanken Herings auf und entwickelte sie weiter. Er gliedert die Didaktische Reduktion in „Die didaktische Reduktion als Kernstück der Didaktik“ in zwei Reduktionsrichtungen, die vertikale und die horizontale didaktische Reduktion.

Grundlegende Einsichten der didaktischen Reduktion werden in den Ansätzen von Hering (1958) und Grüner (1967) sowie dem mehr bildungstheoretisch, methodisch-orientierten Ansatz Salzmanns (1970) referiert. Weiterhin haben Kirschner (1971) und Jung (1973) wesentliche Beiträge zur didaktischen Reduktion geliefert. Anschließend fand noch der curricular orientierte Ansatz von Hauptmann/Kell/Lipsmeier (1975) Beachtung.

Den aktuellen Diskussionsstand spiegelt die Darstellung von Bleichroth (1991) wider.[3]

Qualitative/Quantitative Reduktion

Didaktische Reduktion ist eine Tätigkeit des Lehrenden mit dem Ziel, Fachinhalte entsprechend aufzubereiten, um ihre Verständlichkeit zu verbessern. Dabei kann es sich sowohl um eine quantitative als auch um eine qualitative Reduktion des Lernstoffes handeln.

Quantitative Reduktionen stellen Begrenzungen des Lernstoffes dar, mit dem Ziel, die wesentlichen Aspekte eines Lernstoffes zu vermitteln und die für das Lernziel irrelevanten Aspekte zu vernachlässigen. Diese Methode wird immer dann angewendet, wenn der Gegenstandsbereich zu komplex ist. Es werden vor allem Einzelaspekte reduziert, damit der Lernende sich mit einem überschaubaren Lerngegenstand auseinandersetzen kann. Der Lehrende trifft dabei Entscheidungen, welche Schwerpunkte eines Lernstoffes er besonders hervorhebt und welche er vernachlässigt. Wichtig ist bei dieser Reduktion, dass der Lernende über den Prozess der Schwerpunktsetzung informiert wird, so dass der Prozess transparent wird.

Qualitative Reduktionen beeinflussen die Strukturierung der Lerninhalte. Derartige Veränderungen zielen darauf ab, die Art und Weise der Aufbereitung eines Lernstoffes zu modifizieren. Bei einer qualitativen Veränderung geht es eher darum, eine andere Lehrmethode anzuwenden, um den Lernstoff so auf eine andere Weise zu vermitteln.

Die Qualitative Reduktion wird von Gustav Grüner weiter aufgeteilt in die vertikale didaktische Reduktion und in die horizontale didaktische Reduktion. Die vertikale didaktische Reduktion (Inhaltsreduktion) beschreibt eine ausschnitthafte Darstellung eines Sachverhaltes. Die Inhaltsreduktion kann dabei sowohl den Schwierigkeitsumfang als auch den Gültigkeitsumfang einschränken. Bei der horizontalen didaktischen Reduktion (Darstellungsreduktion) bleibt der fachwissenschaftliche Sachverhalt gleich. Die Veränderung erfolgt in dem Versuch des Lehrenden, abstrakte Aussagen durch geeignete Hilfsmittel vereinfacht darzustellen. Dies kann zum Beispiel durch Medien, wie Skizzen, Bilder, Grafiken, oder aber durch bestimmte Methoden geschehen.

Prinzipien

Als Prinzipien der Didaktischen Reduktion gelten fachliche Richtigkeit, fachliche Ausbaufähigkeit und Angemessenheit.

Fachliche Richtigkeit

Fachliche Richtigkeit bedeutet im didaktischen Sinn nicht unbedingt, auf dem neuesten Stand der Forschung zu lehren. Sie bedeutet aber, dass der Stoff widerspruchsfrei mit dem aktuellen Wissen der Schüler sein muss und bis zum neusten Stand der Forschung erweitert werden kann.[4] Außerdem bedeutet fachliche Richtigkeit natürlich auch, dass das Darstellungsniveau des Lehrers dem Kenntnisstand und dem Denkvermögen der Lerngruppe angepasst sein muss.

Fachliche Ausbaufähigkeit

Prozesse nach dem Schema „vergiss, was du bisher weißt“ sind wenig förderlich beim Lernen. Deshalb sollte das wichtigste Kriterium für die Unterrichtsplanung sein, solche Inhalte zu vermitteln bzw. Beispiele und Modelle auszuwählen, die später nur verbessert, nicht aber bedeutend widerrufen werden müssen.

Angemessenheit

Bei der Planung eines Unterrichts ist es wichtig, das Vorwissen der Lerngruppe zu kennen, um so den Unterricht diesem Vorwissen nach angemessen zu gestalten.

Maßnahmen zur didaktischen Reduktion

  • Elementarisierung
  • Vernachlässigung: (Vorerst) werden Teilaspekte eines fachlichen Inhalts nicht betrachtet.
  • Partikularisierung: Aufgliedern in Teilaspekte und Berücksichtigung nach ihrem Komplexitätsgrad. Zunächst betrachtet man einen Teilaspekt, der zu grundlegenden Erkenntnissen und Gesetzmäßigkeiten führt.
  • Generalisierung: durch Verallgemeinerung eines geeigneten Einzelbeispieles wird ein fachlicher Inhalt für einen bestimmten Schülerkreis verständlich
  • Beschränkung auf die qualitative Ebene
  • Rückgriff auf historische Erkenntnisstufen
  • Vernachlässigung begrifflicher Differenzierung

Typische Anwendungssituationen

  • Alltägliche Unterrichtsplanung
  • Entwicklung von Unterrichtsmaterialien
  • Schreiben von anwenderbezogenen Lehrbüchern
  • Schreiben von wissenschaftlichen Zusammenfassungen
  • Journalistische Arbeiten im weitesten Sinne

Beispiele

  • Beispiel: Reaktionsgleichungen: Wenn sie in der einführenden Chemie (Jahrgangsstufe 9 Realschule und Gymnasium) eingesetzt werden, erfahren Schüler nichts über
    • Verunreinigungen der Edukte
    • Zwischenstufen im Reaktionsverlauf
    • Nebenprodukte
    • Aktivierungsenergien zum Starten der Reaktion
    • Katalysatoren
    • die Rolle des Reaktionsmediums (Lösungsmittel, pH, Phasen, Temperatur)
    • die Gleichgewichtslage
    • quantitative Aspekte wie etwa molare Verhältnisse und Ausbeute.

Die „Quantifizierung“ etwa kann dann in Stufen nachgeschoben werden: erst als einfache Beziehung („mehr als…, größer als…, schneller als…“), dann als Je-mehr-desto-Beziehung und schließlich ausgedrückt in Zahlenwerten, Tabellen, Diagrammen, Gesetzen und mathematischen Formeln.

Im begrifflichen Bereich ist das gleiche Prinzip anwendbar: zunächst besteht Materie aus Teilchen, dann aus Atomen und Atomverbänden (Molekülen), schließlich auch aus geladenen Teilchen (Anionen und Kationen, atomar oder molekular) oder übergeordneten Strukturen (Elementarzellen, Mizellen, Mikrokristalliten).[5]

Verwandte Begriffe: Didaktische Transformation, Didaktische Rekonstruktion

Literatur

  • Dietrich Hering: Zur Faßlichkeit naturwissenschaftlicher und technischer Aussagen. Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin 1959
  • Gustav Grüner: Die didaktische Reduktion als Kernstück der Didaktik. In: Die deutsche Schule. 1967.
  • Horst Rumpf: Zum Problem der didaktischen Vereinfachung. 1968. In: Kahlke/Kath (1984).
  • Jochen Kahlke, Fritz M. Kath: Didaktische Reduktion und methodische Transformation. Quellenband, Darmstadt 1984.
  • Karl Aschersleben: Welche Bildung brauchen Schüler? Vom Umgang mit dem Unterrichtsstoff. Bad Heilbrunn 1993.
  • Gerhard Hauptmeier, Adolf Kell, Lipsmeier Antonius: Zur Auswahlproblematik von Lerninhalten und zur didaktischen Reduktion wissenschaftlicher Aussagen. In: Die Deutsche Berufs- und Fachschule 71. (1975), 12, S. 897–922.
  • Gerhard Hauptmeier: Didaktische Reduktion bzw. Pädagogische Transformation. F.-J. Kaiser, 1999.
  • Fritz M. Kath, Jochen Kahlke: Das Umsetzen von Aussagen und Inhalten. Didaktische Reduktion und methodische Transformation – Eine Bestandsaufnahme. Alsbach/Bergstraße 1985.
  • Martin Lehner: Didaktische Reduktion. 1. Auflage. Haupt, Bern/Stuttgart/Wien 2012.
  • Peter Vogel: Didaktische Reduktion. Haller/Meyer, 1986.
  • Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der Schule. Aulis-Verlag, Köln 2005, Heft 8.
  • Hans Ahlborn, Jörg-Peter Pahl (Hrsg.): Didaktische Vereinfachung. Eine kritische Reprise des Werkes von Dietrich Hering. Kallmeyer'sche Verlagsbuchhandlung, 1998.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dietrich Hering: Zur Faßlichkeit naturwissenschaftlicher und technischer Aussagen. Berlin 1959. Seite 17. In: Beiträge zur Theorie und Praxis der Barufsausbildung Heft 2. Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1959.
  2. Hans Bokelmann: Askese und Erziehung: Beitrag zur anthropologischen Fundierung der Bildung. In: Bildung und Erziehung. Band 16, 1963, doi:10.7788/bue-1963-jg74.
  3. Horst Friedrich Rösler, Heinz Schmidkunz: Die didaktische Reduktion – eine Bestandsaufnahme. In: Praxis der Naturwissenschaften, 2005, Heft 8.
  4. Jung, W.: Fachliche Zulässigkeit aus didaktischer Sicht. Seminar II. Hrsg.: IPN. Kiel (Erstausgabe: 1973).
  5. Vorlesung: Fachdidaktik Chemie auf daten.didaktikchemie.uni-bayreuth.de.