Deutschsoziale Partei

Die Deutschsoziale Partei (DSP, auch: Deutschsoziale Antisemitische Partei) war eine antisemitische Partei im deutschen Kaiserreich. Sie ging 1889 auf dem Bochumer Kongress unter der Regie von Max Liebermann von Sonnenberg und Theodor Fritsch aus der 1886 in Kassel gegründeten Deutschen Antisemitischen Vereinigung hervor. Sie fusionierte 1894 mit der ähnlich ausgerichteten Deutschen Reformpartei zur Deutschsoziale Reformpartei, wurde 1900 aber wieder selbstständig. 1914 ging sie in der Deutschvölkischen Partei auf.

1889–1894

Max Liebermann von Sonnenberg

Die Partei vertrat einen rassistischen Antisemitismus und forderte die Aufhebung oder zumindest starke Einschränkung der Judenemanzipation in Deutschland. Außerdem trat sie für Sozialreformen zugunsten von Landwirtschaft und Mittelstand auf sozialkonservativ-monarchischer Grundlage ein. 1890 zog der Vorsitzende der DSP, Max Liebermann von Sonnenberg, für den Wahlkreis FritzlarHombergZiegenhain (Hessen-Nassau) in den Reichstag ein.

Auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutung erhielten die Antisemitenparteien 1893 3,4 % der Stimmen und 16 Sitze im Reichstag.[1] Bei der Reichstagswahl von 1893 gewann die DSP vier Mandate (Liebermann von Sonnenberg, Paul Förster, Adolf König, Hans Leuss) und bildete mit den 11 Abgeordneten der Deutschen Reformpartei eine Fraktion. Als Parteizeitung diente die Hannoversche Post. 1894 schlossen sich die beiden Parteien auch offiziell zur Deutschsozialen Reformpartei (DSRP) zusammen, allerdings ohne ihre Programme und ihre organisatorischen Strukturen zu vereinheitlichen.

1900–1914

Die Zeit nach der Jahrhundertwende war insgesamt geprägt vom Verfall des parlamentarischen Antisemitismus, von Querelen und Streitigkeiten. „Die nicht-antisemitischen Parteien haben die Antisemiten geschlagen und verdrängt und die Wähler zurückgewonnen“, notierte Thomas Nipperdey. „Diese Tatsache soll man nicht, wie gewöhnlich, verdrängen oder herunterspielen. Der Antisemitismus war parlamentarisch geworden, darum ist seine Niederlage auf diesem Felde wichtig genug, eine wirkliche Niederlage.“[2]

Auf dem Magdeburger Parteitag im Oktober 1900 spaltete sich die DSRP, nachdem Liebermann von Sonnenberg seinen Führungsanspruch in der Partei nicht hatte durchsetzen können. Die nun erneut eigenständige DSP lehnte sich eng an die Deutschkonservative Partei, den Bund der Landwirte und den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband an. Mit den beiden letztgenannten Organisationen bestanden auch enge personelle Verflechtungen, insb. durch Ludwig zu Reventlow und Wilhelm Schack. Bei der Reichstagswahl von 1903 gewann die DSP zwei Mandate und bildete im Reichstag gemeinsam mit den Abgeordneten des Bundes der Landwirte, der Christlichsozialen Partei und des Bayerischen Bauernbundes die „Wirtschaftliche Vereinigung“, um sich den Fraktionsstatus zu sichern.

Agrarprotektionismus und Forderungen nach einer aggressiven imperialistischen Außenpolitik traten in Partei und Fraktion gegenüber dem Antisemitismus immer stärker in den Vordergrund. Mit dieser Strategie konnte der Niedergang in der Wählergunst zeitweilig aufgehalten werden, so dass die Partei 1907 wieder acht Reichstagsabgeordnete stellen konnte. Nach dem Tod Liebermanns 1911 und der Wahlniederlage von 1912 („Judenwahlen“) radikalisierte sich der Antisemitismus der DSP wieder. Im März 1914 schlossen sich die Deutschsozialen erneut mit den „Reformern“ zusammen und bildeten die Deutschvölkische Partei. Diese wiederum ging nach der Novemberrevolution 1918 teils in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), teils im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund auf.

Wählerschaft und Hochburgen

Die DSP hatte fast drei Viertel ihrer Wählerschaft in ländlichen Regionen, wo sie vor allem von Bauern, Handwerkern, kleinen Gewerbetreibenden, Angestellten und Beamten unterstützt wurde. Der Schwerpunkt der Parteitätigkeit lag auf Nord- und Westdeutschland und Teilen Hessens. In der Regel war die DSP aber nur mit Unterstützung der Konservativen und des Bundes der Landwirte in der Lage, einen Wahlkreis zu gewinnen. Parteiorgane waren das Deutsche Blatt (Hamburg) und die Deutschsozialen Blätter (Leipzig, später Hamburg). Kandidaten der DSP konnten bei Reichstagswahlen im Kaiserreich folgende Wahlkreise gewinnen:

Provinz Hessen-Nassau:

Provinz Pommern:

Großherzogtum Hessen:

Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach:

Literatur

  • Martin Broszat: Die antisemitische Bewegung im wilhelminischen Deutschland. Köln 1952.
  • Kurt Wawrzinek: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien (1873–1890). Berlin 1927.
  • Hans-Christian Gerlach: Agitation und parlamentarische Wirksamkeit der deutschen Antisemitenparteien 1873–1895. Kiel 1956.
  • Gerald Kolditz: Zur Entwicklung des Antisemitismus in Dresden während des Kaiserreichs,. In: Dresdner Hefte. 45. Jg., 1996, S. 37–45.
  • Dieter Fricke: Deutschsoziale Reformpartei (DSRP) 1894–1900. In: Dieter Fricke (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 759–762.
  • Inge Schlotzhauer: Ideologie und Organisation des politischen Antisemitismus in Frankfurt am Main 1880–1914. (= Studien zur Frankfurter Geschichte. Band 28). Frankfurt am Main 1989.
  • Dieter Fricke: Deutschsoziale Partei 1900–1914. In: Fricke, Dieter (Hrsg.): Die .bürgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 754–756.
  • Kurt Düwell: Zur Entstehung der deutschen Antisemitenparteien in Deutschland und Österreich. Christlich – sozial – National – Deutsch – sozialistisch. In: Günther B. Ginzel (Hrsg.): Antisemitismus Erscheinungsformen der Judenfeindschaft gestern und heute. Köln 1991, S. 170–180.
  • Thomas Klein: Der preußisch-deutsche Konservatismus und die Entstehung des politischen Antisemitismus in Hessen-Kassel (1866–1893). Ein Beitrag zur hessischen Parteiengeschichte. Marburg 1995.
  • Stefan Scheil: Die Entwicklung des politischen Antisemitismus in Deutschland zwischen 1881 und 1912. Eine wahlgeschichtliche Untersuchung. (= Beiträge zur politischen Wissenschaft. Band 107). Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-09483-2.
  • Helmut Walser Smith: Alltag und politischer Antisemitismus in Baden 1890–1900. In: ZGO. 141, 1993, S. 280–303.
  • Stefan Scheil: Aktivitäten antisemitischer Parteien im Großherzogtum Baden zwischen 1890 und 1914. In: ZGO. 141, 1993, S. 304–335.
  • Kurt-Gerhard Riquarts: Der Antisemitismus als politische Partei in Schleswig-Holstein und Hamburg 1871–1914. Kiel 1975.
  • Dieter Fricke: Deutsche Reformpartei 1900–1914. In: Dieter Fricke (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 429–431.
  • Thomas Weidemann: Politischer Antisemitismus im deutschen Kaiserreich Der Reichstagsabgeordnete Max Liebermann von Sonnenberg und der nordhessische Wahlkreis Fritzlar–Homberg–Ziegenhain. In: Hartwig Bambey (Hrsg.): Heimatvertriebene Nachbarn Beiträge zur Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain. Schwalmstadt 1993, S. 113–184.
  • Grundsätze und Forderungen der Antisemitischen Deutsch-sozialen Partei 1889. In: Wilhelm Mommsen (Hrsg.): Deutsche Parteiprogramme. München 1960, S. 73–78.
  • Dieter Fricke: Deutschvölkische Partei (DvP) 1914–1918. In: Dieter Fricke (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 771–773.
  • James Retallack: Conservatives and Antisemites in Baden and Saxony. In: German History. 17. Jg., 1999, S. 507–526.
  • Matthias Piefel: Antisemitismus und völkische Bewegung im Königreich Sachsen 1879–1914. Göttingen 2004.
  • Thomas Gräfe: Deutschsoziale Partei. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 5: Organisationen, Institutionen, Bewegungen. Berlin 2012, S. 201–203.
  • Daniela Kasischke-Wurm: Antisemitismus im Spiegel der Hamburger Presse während des Kaiserreichs (1884–1914). Hamburg 1997.
  • Peter Straßheim: Die Reichstagswahlen im 1. Kurhessischen Reichstagswahlkreis Rinteln–Hofgeismar–Wolfhagen von 1866 bis 1914. Eine Wahlanalyse. Frankfurt am Main 2001.
  • Daniela Kasischke: Die antisemitische Bewegung in Hamburg während des Kaiserreichs 1873–1918. In: Arno Herzig (Hrsg.): Die Juden in Hamburg 1590–1990. Hamburg 1991, S. 475–485.
  • Carl-Wilhelm Reibel: Handbuch der Reichstagswahlen 1890–1918. Bündnisse, Ergebnisse, Kandidaten (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 15). Droste, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-7700-5284-4.
  • Richard S. Levy: The downfall of the antisemitic parties in Imperial Germany. New Haven/ London 1974.
  • Werner Bergmann: Völkischer Antisemitismus im Kaiserreich. In: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Handbuch zur Völkischen Bewegung 1871–1918. München u. a. 1996, S. 449–463.
  • Dieter Fricke: Antisemitische Parteien 1879–1894. In: Dieter Fricke (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 36–40.
  • Erwin Knauß: Der politische Antisemitismus im Kaiserreich (1871–1900) unter besonderer Berücksichtigung des mittelhessischen Raumes. In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins. 53./54. Jg., 1969, S. 43–68.
  • Hansjörg Pötzsch: Antisemitismus in der Region Antisemitische Erscheinungsformen in Sachsen, Hessen, Hessen-Nassau und Braunschweig 1870–1914. Wiesbaden 2000.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band II: Machtstaat vor der Demokratie. München 1992, S. 298.
  2. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band II: Machtstaat vor der Demokratie. München 1992, 299.

Auf dieser Seite verwendete Medien

Max Liebermann von Sonnenberg c1910.jpg
Max Liebermann von Sonnenberg