Deutsche Turfanexpeditionen
Die Deutschen Turfanexpeditionen waren vier Expeditionen nach Turfan und in umliegende Gebiete, die zwischen 1902 und 1914 stattfanden und vom damaligen Direktor der Indischen Abteilung des Museums für Völkerkunde in Berlin, Albert Grünwedel, initiiert und zusammen mit dem Turkologen Albert von Le Coq organisiert wurden. Beide brachten Tausende Reste von Malereien und anderen Kunstobjekten sowie insgesamt mehr als 40.000 Textfragmente nach Berlin.
Verlauf
1902 ging das erste Forscherteam nach Turfan und kehrte ein Jahr später mit 46 Kisten voller Schätze zurück. Kaiser Wilhelm II. war begeistert und finanzierte die zweite Expedition; die dritte wurde durch Hilfe des Kultusministeriums finanziert.
Le Coq fand auch ein Fresko des Religionsstifters Mani aus dem 9. Jahrhundert, das ihn im Kreis seiner Jünger zeigt. Er meißelte das Bild von der Wand und ließ es nach Deutschland bringen. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zerstört. Heute befinden sich die meisten der Ausgrabungsobjekte entweder in Berlin (Museum für Indische Kunst in Berlin-Dahlem) oder Delhi. Viele Exponate sind im Humboldt Forum ausgestellt.
- 1. Expedition: November 1902 – März 1903 (Leiter: Grünwedel)
- 2. Expedition: November 1904 – August 1905 (Leiter: Le Coq)
- 3. Expedition: vereinigte sich mit 2. Expedition Dezember 1905 - April 1907 (Leiter: Grünwedel)
- 4. Expedition: Dezember 1913 – Januar 1914 (Leiter: Le Coq)
- 2. Expedition: November 1904 – August 1905 (Leiter: Le Coq)
Der Museumsmitarbeiter Theodor Bartus, der unter anderem für die Ablösung von Wandgemälden zuständig war, begleitete alle vier Expeditionen. Stationen der verschiedenen deutschen Turfan-Expeditionen waren (in alter Schreibung) unter anderem die Orte Andidschan, Kaschgar, Maralbaschi, Tumschuk, Ak-su, Kyzil, Kumtura, Kutscha, Sim-sim, Kirisch, Schortschuk, Karaschahr, Toksun, Turfan, Chotscho, Murtuk, Sängim, Toyok, Komul, Urumtschi und Kuldscha.
Verbleib der Exponate
Die Exponate kamen zum ursprünglich 1873 gegründeten Museum für Völkerkunde (heute: Ethnologisches Museum) und begründeten den neuen Sammlungsbestand zu Zentralasien. Im Zweiten Weltkrieg kam es zu Bestandsverlusten durch Luftangriffe und Abtransport als Beutekunst. 1956/1957 wurden die Sammlungen in Dahlem zusammengeführt und zuerst im Rahmen einer selbstständigen „Indischen Kunstabteilung“, später im „Museum für Indische Kunst“ präsentiert. Inzwischen sind viele Exponate im Museum für Asiatische Kunst innerhalb des Humboldt Forums in Berlin-Mitte zu sehen.
Verbleib der Textfunde
Einige Textfragmente kamen in die Ausstellung, die Masse der verschnürten Päckchen wurde der damaligen Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zur Bearbeitung übergeben. Die Koordination übernahm die 1912 gegründete „Orientalische Kommission“. Die Fragmente wurden ausgepackt, zwischen Glasplatten gelegt und mit schwarzem Spezialband verschlossen. Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Turfanfragmente nach Wintershall, Solvayhall und Schönbeck/Elbe ausgelagert. Nach dem Krieg wurde der größte Teil der Fragmente an die 1946 neu gegründete Deutsche Akademie der Wissenschaften übergeben; kleinere Teile kamen an die Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur, an das Orientalische Seminar der Universität Hamburg und nach Göttingen. Nach der Gründung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz kamen einige Fragmente hierher. 1992 wurden die Fragmente bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wieder vereint.
- Die Berliner Turfansammlung wurde im 1947 gegründeten Institut für Orientforschung an der Deutschen Akademie der Wissenschaften erforscht, insbesondere in der 1965 von Wolfgang Steinitz und Georg Hazai gegründete Turfanforschungsgruppe.
- 1969 bis 1991 wurden die Berliner Turfantexte vom Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR erforscht.
- Die meisten Sanskrit-Fragmente wurden in Göttingen durch das 1957 von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft begründete Projekt „Katalogisierung der Orientalischen Handschriften in Deutschland“ (KOHD) bearbeitet. Ein weiteres Projekt ist das „Sanskrit-Wörterbuch der buddhistischen Texte aus den Turfan-Funden und der kanonischen Literatur der Sarvāstivāda-Schule“.
- Die Arbeit des Akademienvorhabens „Turfanforschung“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften konzentriert sich seit 1992 auf die Edition der iranischen und alttürkischen Fragmente.
2002 fand aus Anlass des 100. Jahrestages der ersten deutschen Turfan-Expeditionen unter dem Titel „Turfan Revisited. The First Century of Research into the Arts and Cultures of the Silk Road“ in Berlin eine internationale Konferenz statt.[1]
Beispielexponate
Manichäische Tempelfahnen „MIK III 6286“ und „MIK III 6283“
Siehe auch
Literatur
- H. Härtel/M. Yaldız: Die Seidenstraße: Malereien und Plastiken aus buddhistischen Höhlentempeln. Aus der Sammlung des Museums für Indische Kunst Berlin. Berlin: Reimer, 1987.
- M. Yaldız: Archäologie und Kunstgeschichte Chinesisch-Zentralasiens (Xinjiang). Leiden, 1987.
- Albert Grünwedel: Altbuddhistische Kultstätten in Chinesisch Turkistan, Bericht über archäologische Arbeiten von 1906 bis 1907 bei Kucha, Qaraæahr und in der Oase Turfan. Berlin, 1912.
- H. G. Franz: Kunst und Kultur entlang der Seidenstraße. Graz, 1986.
- Cordula Gumbrecht: Acta Turfanica: Die deutschen Turfan-Expeditionen gesehen in den Archiven von Urumchi und Berlin. Berlin, 2002.
- Choros Zaturpanskij (i. e. A. v. Le Coq): Reisewege und Ergebnisse der deutschen Turfanexpeditionen, Orientalisches Archiv 3, 1912, pp. 116–127.
- Albert v. Le Coq: Auf Hellas Spuren in Ostturkistan. Berichte und Abhandlungen der II. und III. Deutschen Turfan-Expedition. Leipzig, 1926.
Weblinks
- Ausstellungsstücke des Museums für Indische Kunst (engl.)
- Die deutschen Turfanexpeditionen (IDP)
- Silkroad Foundation: Turkan (engl.)
Einzelnachweise
Auf dieser Seite verwendete Medien
Deities of Earth and Moon Scene (H: 10.4 cm, W: 20.3 cm). Fragment of a Turpan Manichaean Textile Display; SMPK, Museum für Indische Kunst (Berlin), MIK III 6278.
"Zorniger Arhat" collected by German expedition to Turkestan in the early 20th century. Painting on silk, from the foothills near Turfan. Dating from the 8/9th centuries CE.
29.0 x 47.5 cm
Located in the Museum für Indische Kunst, Berlin-Dahlem. Item 367; III 7241Icon of the Light Maiden: digital reconstruction of the enthroned Light Maiden image on a Manichaean temple banner from ca. 10th-century Kocho.
Icon of Jesus: digital reconstruction of the enthroned Jesus image on a Manichaean temple banner from ca. 10th-century Kocho.
Manichäisches Buchblatt. Khocho, Ruine K. 8./9. Jh. n.Chr. Malerei auf Papier. 17,2 x 11,2 cm. III 6368.
Fragment of Uygur Manichaean hanging scroll, Salvation of the Light and the Light Maiden (left), Kocho, mid 9th / early 11th century (MIK III 6251, Asian Art Museum, Berlin).
Fragment of Uyghur Manichaean service book illuminated with Two Plaintiffs from Judgment and Rebirth of Laity, leaf from a Manichaean book, Khocho, Temple α., ca. 8th-9th. Manuscript painting, 8.2 x 11.0 cm. MIK III 4959.
9th century fresco from the Bezeklik Thousand Buddha Caves near Turfan, Xinjiang, China. Two details from Praņidhi scene no. 6 in Temple no. 9.
According to Mariachiara Gasparini, the men depicted to the righthand side (one with a black beard and hair, the other with red hair and beard) are ethnic Sogdians (an Eastern Iranian people), wearing silk robes with embroidery patterns that were typical of contemporary textiles from Turfan, Xinjiang, China:
- Gasparini, Mariachiara. "A Mathematic Expression of Art: Sino-Iranian and Uighur Textile Interactions and the Turfan Textile Collection in Berlin," in Rudolf G. Wagner and Monica Juneja (eds), Transcultural Studies, Ruprecht-Karls Universität Heidelberg, No 1 (2014), pp 134-163. ISSN: 2191-6411. See also endnote #32. (Accessed 3 September 2016.)
Wandbilder aus einem christlichen Tempel, Chotscho.
Einzelnachweis: http://dsr.nii.ac.jp/toyobunko/LFc-42/V-1/page-hr/0046.html.en
Wall painting of a Manichaean Leader and followers from Chotcho, depicting members of the Manichaean Church, photograph of a now-lost original (H: 88 cm, W: 168.5 cm). Fragment of a Turpan Manichaean Wall Painting; SMPK, Museum für Indische Kunst (Berlin), MIK III 6918.
bw photo of Albert Grunwedel, German archaeologist
Uyghur Manichaean “Sermon Scene”, shown from picture-viewing direction. Leaf from a Manichaean book (MIK III 8259 folio 1 recto), detail with intracolumnar book painting. Museum für Indische Kunst, Berlin.
Albert von Le Coq (1860–1930), German archaeologist and explorer of Central Asia.
Leaf from an illuminated Manichaean codex “MIK III 6368” verso. Museum of Indian Art, Berlin.
Two Manichaean banners, from left to right: MIK III 6286 side 1; MIK III 6286 side 2; MIK III 6283 side 1. The images depicting Light Maiden Awaits the Righteous and Jesus Awaits the Righteous. An icon of enthroned Light Maiden depicted on the top of MIK III 6286 side 1; an icon of enthroned Jesus depicted on the top of MIK III 6286 side 2.
Fragment of a Turpan Manichaean Illuminated Codex depicting a church ceremony; SMPK, Museum für Indische Kunst (Berlin), MIK III 4979 recto.
A Caucasian Central Asian monk, possibly an Indo-European Sogdian or Tocharian, teaching an East Asian monk, perhaps a Turkic Uyghur or Chinese, on a 9th-century AD fresco from the Bezeklik Thousand Buddha Caves near Turfan, Xinjiang, China. A detail from Praņidhi scene no. 5 in Temple no. 9. The book that this painting is reproduced in has full descriptions of these two figures. Relevant details, along with the German descriptions, are found below.
The figure on the right is a young Buddhist monk painted in a stereotypical East Asian style. He stands with downcast eyes directed in reverence as he hears the teachings of the figure on the left. The figure on the left is painted in a style that is not East Asian in character. The two circles on either side of his chin are remarkably unusual (piercings?). He features a strongly-set nose and clear blue eyes. His skin color is darker. His hair and beard color is reddish brown with brown shades. He stands looking at the younger monk, raising his hand in a teaching gesture as he speaks.
Figure on Right: Über den Schirmen erheben sich die Gestalten zweier Mönche. Der rechts stehende ist ein Jüngling mit schablonenhaft gemaltem Gesicht ostasiatischen Typs; er trägt mehrere verschiedenartig gefärbte Unterkleider und daruber einen grünen, rot gestreiften Flickenrock. Er steht mit niedergeschlagenen Augen nach links gewendet in anbetender Stellung da und scheint andächtig den erklärenden Worten zu lauschen, die sein Begleiter an ihn richtet.
In "Tafel 19" of his Chotscho: Facsimile Reproduction of Important Findings of the First Royal Prussian Expedition to Turfan in East Turkistan] (Berlin, 1913), Albert von le Coq identified the figure on the right as a "Tocharer" (i.e. Tocharian) and the figure on the left as "Ostasiate" (i.e. East Asian). In other murals of the Bezeklik Budda Caves, however, foreign-looking Caucasian men have been identified as ethnic Sogdians (an Eastern Iranian people). For instance, Scene No. 6 in Temple 9, in the same temple as the aforesaid mural, modern scholars have identified the kneeling men draped in silk robes as Sogdians (see Gasparini, Mariachiara. "A Mathematic Expression of Art: Sino-Iranian and Uighur Textile Interactions and the Turfan Textile Collection in Berlin," in Rudolf G. Wagner and Monica Juneja (eds), Transcultural Studies, Ruprecht-Karls Universität Heidelberg, No 1 (2014), pp 134-163. ISSN: 2191-6411. See also endnote #32 for further information on source material.)Figure on Left: Dieser, ein alterer Mann im gelb und braunen Flickenrock, besitzt wiederum einen der auffallenden, nicht schablonenhalf gemalten Köpfe, die einen nichtostasiatischen Typus tragen. Er hat rotes Haar und einen roten Bart, dessen Stoppeln in einer sonderbar stilisierten Malweise wiedergegeben werden (man beachte auch die auffälligen nackten Stellen, die rechts und links von der Mitte des Kinnes erscheinen!). Seine Nase ist stark und hervorspringend; die geradestehenden Augen von klarer, blauer Farbe; die Hautfarbe ist rötlichbraun mit braunen Schattierungen. Er steht, den Blick auf seinen jüngeren Begleiter gewendet, mit erhobener Hand lehrend oder erklärend da.
Description 1: Manichaean ritual before an alter, from Turpan Manichaean Illuminated Codex. Museum für Indische Kunst (Berlin), MIK III 4979 verso. Description 2: Bema Scene, full-page book painting shown from picture-viewing direction (H: 12.4 cm, W: 25.2 cm). Fragment of a Turpan Manichaean Illuminated Codex; SMPK, Museum für Indische Kunst (Berlin), MIK III 4979 verso.
Fragment of Uyghur Manichaean picture book in horizontal codex format with Icon of the Light Maiden (recto) and Icon of an Unidentified Deity under Arch (verso), Kocho, mid 8th / early 11th century (MIK III 4965, Asian Art Museum, Berlin).