Der Zauberlehrling (Kästner)

Der Zauberlehrling ist ein Romanfragment von Erich Kästner aus dem Jahre 1936.[1] Das Werk wurde erstmals im Jahre 1957 in dem Band Gesammelte Schriften für Erwachsene veröffentlicht.[2]

Hintergrund

Die Arbeit am Zauberlehrling begann Kästner, als der Verkehrsverein von Davos ihn zu einem Vortrag einlud. Die Gastgeber baten um einen heiteren Roman über die Stadt, da Der Zauberberg von Thomas Mann den Ort in Verruf gebracht habe.[3] Davos ist dementsprechend im Zauberlehrling Schauplatz des größten Teils der Handlung.

Im Jahre 2016 wurde Der Zauberlehrling bei Atrium unter diesem Titel gemeinsam mit Die Doppelgänger, einem weiteren Fragment von Kästner, sowie seinen Briefen an mich selber neu aufgelegt.[4]

Handlung

Luftbild von Davos (1923), Hauptschauplatz des Zauberlehrling

Prof. Dr. Alfons Mintzlaff, ein junger Kunsthistoriker, befindet sich auf der Durchreise durch München in einem Café, als sich ein ihm unbekannter Herr zu ihm an den Tisch setzt. Irritiert vom aufdringlichen Verhalten des Fremden will Mintzlaff zunächst hastig gehen, bemerkt dann jedoch, dass der Unbekannte, der sich als Baron Lamotte vorstellt, in der Lage ist, Gedanken zu lesen. Nachdem Lamottes übersinnliche Fähigkeiten eine Szene an einem Nachbartisch auslösen, verschwindet er plötzlich aus dem Café und hinterlässt Mintzlaff verblüfft. Im Zug nach Davos begegnen die beiden sich wieder; Lamotte demonstriert nun, dass er Gedanken nicht nur liest, sondern auch mit ihrer Kraft Türen verriegelt und Bäume fällt. Mintzlaff ist überzeugt, dass es sich bei Lamotte nicht um einen Menschen handeln kann, was dieser bestätigt.

Als sie in Davos eintreffen, bemerken sie, dass der Vortrag, den Mintzlaff halten soll, anscheinend vorverlegt wurde, und ein Doppelgänger unter Mintzlaffs Namen bereits seit einer Woche in der Stadt weilt. Mintzlaff mietet sich daraufhin unter falschem Namen ein. Bei einer Wanderung begegnet er seiner Freundin Sumatra Hoops, genannt Hallo, und die beiden verabreden sich. Mintzlaff gesteht Lamotte, dass er Hallo liebt, und wird daraufhin von Lamotte mit seiner Unfähigkeit, sein eigenes Glück zuzulassen, konfrontiert. Nach diesem Zusammentreffen hat Mintzlaff einen Traum von einer Szene auf dem Olymp, in dem offenbart wird, dass es sich bei Baron Lamotte in Wahrheit um den Göttervater Zeus handelt. Darauf angesprochen berichtet Lamotte Mintzlaff von den Reisen, die er bereits mit seinen Alter Egos gemacht hat, und über die begrenzte Macht der Götter – so weist er Mintzlaff auf seine Möglichkeiten hin, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Mintzlaff und Hallo gehen schließlich zum Vortrag des falschen Mintzlaff. Auch Baron Lamotte erscheint und bringt den Hochstapler mittels seiner Zauberkräfte dazu, sich selbst zu demaskieren. Das Fragment endet damit, dass Lamotte den falschen Mintzlaff gegen dessen Willen dazu bringt, den Saal zu verlassen.

Interpretation

Autobiografische Elemente

Zwischen Erich Kästners persönlicher Situation zu der Zeit, als er den Zauberlehrling verfasst hat, und den Inhalten des Fragments lassen sich Verbindungen erkennen. Ein wichtiges Thema des Werkes ist etwa die Isolation des Protagonisten.[3] Dieser Umstand wird im Zauberlehrling zutage gefördert, als Lamotte Mintzlaff damit konfrontiert, dass er sein wahres Wesen zugrunde gerichtet habe und kein empfindsamer Mensch mehr sei. Mintzlaff bekommt von Lamotte zu hören, er solle werden, was er ist. Diese Aufforderung kann auch als Erinnerung an Kästner selbst und an Gleichgesinnte in der Lebenswirklichkeit im Deutschland des Jahres 1936 gelesen werden, selbst in der Umgebung einer nationalsozialistischen Diktatur die eigenen humanistischen Werte nicht aufzugeben – gleichsam also zu bleiben, was man ist.[5] Auch die Metapher der „Mauer aus Glas“ als trennendes Element zwischen der eigenen Person und der Umwelt lässt sich auf Kästners Dasein als „entarteter Autor“ in der Zeit des Nationalsozialismus übertragen.[6]

Parallelen zu anderen Werken

Der Zauberlehrling weist einige Parallelen zum Fragment Der Doppelgänger, das ebenfalls von Kästner in den 1930er Jahren verfasst wurde, auf. Hauptfigur ist in beiden Fällen ein junger, gebildeter Mann, der in einer Identitätskrise steckt. Diese wird mit der Hilfe von Figuren übermenschlicher Herkunft erörtert oder bewältigt.[7] Diese mythischen Elemente und ihre Kräfte sind in beiden Fragmenten sehr präsent – hier in Form des Zeus, der durch Baron Lamotte verkörpert wird.[8]

Mintzlaff lässt sich darüber hinaus mit der Figur des Fabian aus dem gleichnamigen Roman von Kästner vergleichen. Beide haben nicht nur einige biografische Details (Anfang bis Mitte 30, ledig, Akademiker) gemein; sie eint auch ein Dasein als Skeptiker und Zweifler, die die realen gesellschaftlichen Verhältnisse zwar für ungerecht halten, sich jedoch nicht in der Lage sehen, sie zu verändern.[9][10] Auch die Anordnung der beiden Schriften in der Werkausgabe – hier erschienen Fabian und Der Zauberlehrling in einem Band – kann als Hinweis auf die thematische Nähe der beiden Werke verstanden werden.[2]

Rezeption

„»Der Zauberlehrling« […] liest sich selbst in seiner Rohfassung wie eine perfekt konstruierte und ambitioniert komponierte Verwechslungskomödie.“

Christian Baron, Neues Deutschland[4]

Einzelnachweise

  1. Erich Kästner. In: Daten der deutschen Literatur. Abgerufen am 10. August 2020.
  2. a b Helga Bemmann: Humor auf Taille. Erich Kästner – Leben und Werk. Verlag der Nation, Berlin 1983, S. 344.
  3. a b Michael Gans, Harald Vogel: Erich Kästner lesen. Lesewege und Lesezeichen zum literarischen Werk. 2. Auflage. Schneider Verlag Hohengehren, Bartmannsweiler 2013, ISBN 978-3-8340-1261-6, S. 103.
  4. a b Christian Baron: Der Professor, der Magier und die Summe des Lebens. In: Neues Deutschland. 29. Dezember 2016.
  5. Helga Bemmann: Humor auf Taille. Erich Kästner – Leben und Werk. Verlag der Nation, Berlin 1983, S. 343.
  6. Michael Gans, Harald Vogel: Erich Kästner lesen. Lesewege und Lesezeichen zum literarischen Werk. 2. Auflage. Schneider Verlag Hohengehren, Bartmannsweiler 2013, ISBN 978-3-8340-1261-6, S. 111.
  7. Dieter Mank: Erich Kästner im nationalsozialistischen Deutschland. 1933–1945: Zeit ohne Werk? Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1981, ISBN 978-3-8204-7072-7, S. 169.
  8. Dieter Mank: Erich Kästner im nationalsozialistischen Deutschland. 1933–1945: Zeit ohne Werk? Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1981, ISBN 978-3-8204-7072-7, S. 164–165.
  9. Helga Bemmann: Humor auf Taille. Erich Kästner – Leben und Werk. Verlag der Nation, Berlin 1983, S. 342.
  10. Dieter Mank: Erich Kästner im nationalsozialistischen Deutschland. 1933–1945: Zeit ohne Werk? Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1981, ISBN 978-3-8204-7072-7, S. 171–172.

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