Der Weißmeer-Ostsee-Kanal (Publikation)

„Stalin-Kanal“, russisch Канал имени Сталина / Kanal imeni Stalina (1. Ausgabe 1934) – Einbandvignette mit dem Porträt Stalins
Der Weißmeer-Ostsee-Kanal „Stalin“, russisch Беломорско-Балтийский канал имени Сталина – Titelseite der Erstausgabe (1934)

Der Weißmeer-Ostsee-Kanal „Stalin“[1] ist ein literarisches Werk der Sowjetzeit aus dem Jahr 1934, in dem der Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals (russ. Беломорско-Балтийский канал; auch Belomorkanal genannt) und die Arbeit der Kanalbauer geschönt beschrieben werden. Das seinerzeit massenhaft verbreitete Propaganda-Werk ist eine kollektive, dem „Stalin-Kanal“ gewidmete Monographie von 36 sowjetischen Schriftstellern, herausgegeben unter der Redaktion von Maxim Gorki, Leopold Awerbach und Semjon Firin. Das Werk fiel ein paar Jahre später in der Zeit des Großen Terrors der Zensur zum Opfer.

Das Werk

Eine Gruppe führender sowjetischer Schriftsteller, darunter Maxim Gorki, Wsewolod Iwanow, Walentin Katajew, Alexei Tolstoi, Wiktor Schklowski und Michail Soschtschenko, war an der Ausarbeitung des Werkes beteiligt.

Der Kanal wurde von November 1931 bis Juli 1933 in 20 Monaten erbaut und verband das Weiße Meer mit dem Baltischen Meer (Ostsee).[2] Der Kanalbau war ein Großprojekt, das durch den massenhaften Einsatz von Zwangsarbeit umgesetzt wurde.

Die neuartige Verbindung solcher Großbaustellen mit dem Lagersystem gilt als „Wendepunkt der Lagerpolitik“.[3] Bei dem Projekt starben aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen viele tausende Häftlinge.

Die Gefangenen stammten auch aus dem ersten Gulag-Lager auf der Insel Solowezki im Weißen Meer. Durch „Erziehung“ und „Besserungsarbeit“ sollten aus den Gefangenen neue sozialistische Menschen werden.

Trotz der triumphalen Propaganda scheint das Experiment das Sowjetregime nicht voll befriedigt zu haben: Die Notwendigkeit von Reparatur- und Verbreiterungsarbeiten war bereits bei der Eröffnung des Kanals offensichtlich, und es war kein Geheimnis für die Eingeweihten, dass das Kanalbett zu flach und für Kriegsschiffe ungeeignet war.[4]

Amerikanische Ausgabe des Buches

Das Buch wurde ins Englische übersetzt und 1935 in Großbritannien und den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Bereits im Jahr 1937 wurde die Publikation des Buches in der Sowjetunion gestoppt und verboten, es wurden fast alle Exemplare aus dem Verkehr gezogen. Einige der Autoren und Herausgeber waren selbst liquidiert worden (z. B. Firin, Awerbach[5]), ebenso wie der für den Kanalbau verantwortliche NKWD-Leiter Jagoda.

Der sowjetische Schriftsteller Alexander Solschenizyn bezeichnete das Buch in seinem Archipel Gulag als „schändlich“ und „den ersten Schritt in der russischen Literatur zur Verherrlichung der Sklavenarbeit“.[6]

In der Sowjetunion grassierte später der Witz:

„Армянское радио спрашивают:
- Кто строил беломоро-балтийский канал?
- Правый берег - те, кто задавал вопросы; левый - те, кто отвечал на них.[7]

Frage an Radio Eriwan:
- Wer hat den Weißmeer-Ostsee-Kanal gebaut?
- Das rechte Ufer - diejenigen, die die Fragen gestellt haben; das linke - diejenigen, die sie beantwortet haben.“

Autorengruppe

Leopold Awerbach, Boris Agapow, Sergei Alymow, Anna Bersin, Sergei Budanzew, S. Bulatow, Jewgeni Gabrilowitsch, Nikolai Garnitsch, Grigori Gausner, Semjon Gecht, Kusma Gorbunow, Maxim Gorki, Sergei Dikowski, N. Dmitrijew, Korneli Selinski, Michail Soschtschenko, Wsewolod Iwanow, Wera Inber, Walentin Katajew, Michail Kosakow, Grigori Korabelnikow, Boris Lapin, Alexander Lebedenko, Dmitri Mirski, Lew Nikulin, Wiktor Perzow, Jakow Rykatschow, Lew Slawin, Alexander Tichonow, Alexei Tolstoi, Konstantin Finn, Sachar Chazrewin, Wiktor Schklowski, Aron Erlich, N. Jurgin, Bruno Jassenski[8]

Literatur

  • Беломорско-Балтийский канал имени Сталина : История строительства, 1931–1934 гг. = [Репр. изд. 1934 г.] / под ред. М. Горького, Л. Авербаха, С. Фирина. — [Б. м.] : Б. и., 1998. — 616 с. – online abrufbar unter e-reading.mobi
  • Беломорско-Балтийский канал имени Сталина : История строительства, 1931–1934 гг. = [Заг. на обл. : Канал имени Сталина] / под ред. М. Горького, Л. Авербаха, С. Фирина. — М.: ОГИЗ, 1934. — 616 с. — (История фабрик и заводов).

Englische Übersetzung (Ausgaben)

  • Maxim Gorky, Leopold Averbakh, Semen Georgievich Firin, tr. Amabel Williams-Ellis: The White Sea canal: being an account of the construction of the new canal between the White Sea and the Baltic Sea. John Lane, London 1935. English edition prepared from the Russian version and edited, with a special introduction, by Amabel Williams-Ellis.
  • Gorky, Maxim, Leopold Auerbach and Semjon Grigorjewitsch Firin (Hrsg.): Belomor: An account of the construction of the new canal between the White Sea and the Baltic Sea. New York Harrison Smith and Robert Haas, 1935

Sekundärliteratur

  • Cynthia Ruder: Making history for Stalin : the story of the Belomor Canal. Gainesville: University Press of Florida 1998. ISBN 0-8130-1567-7.
  • Anne Applebaum: Der Gulag. Übersetzung aus dem Englischen Frank Wolf. Siedler-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-88680-642-1. Darin Kapitel Der Weißmeer Kanal, S. 96–109, zur Publikation Der Weißmeer-Ostsee-Kanal insbesondere S. 105–109.
  • Клейн И. Беломорканал: литература и пропаганда в сталинское время / пер. с нем. М. Шульмана под ред. автора // Новое литературное обозрение : журнал. — М., 2005. — № 71. (magazines.gorky.media)

Weblinks

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. vgl. Der Bau des Weißmeer-Kanals (spiegel.de). - Mit dem russischen Originaltitel Беломорско-Балтийский канал имени Сталина: История строительства, 1931–1934 гг. / Belomorsko-Baltijski kanal imeni Stalina: Istorija stroitelstwa, 1931–1934 gg., wiss. Transliteration Belomorsko-Baltijskij kanal imeni Stalina : Istorija stroitel'stva, 1931–1934 gg. / „Der nach Stalin benannte Weißmeer-Ostsee-Kanal: Baugeschichte, 1931–1934“
  2. Review zum Buch von Cynthia Ruder (1998)
  3. Irina Scherbakowa: Gefängnisse und Lager, S. 596.
  4. Беломорканал: литература и пропаганда в сталинское время (Иоахим Клейн); vgl. ders.: Беломорканал: литература и пропаганда в сталинское время: „по свидетельствам очевидцев, Сталин во время поездки по каналунедовольно сказал: «…мелкий и узкий»“.
  5. Awerbachs Schwester Ida war mit Jagoda verheiratet, sie wurde nach dessen Sturz ebenfalls erschossen.
  6. The Cambridge Introduction to Russian Literature. Caryl Emerson. 2008, S.225
  7. Julius Telessin: 1001 izbrannyj sovetskij političeskij anekdot. Tenafly, N. J. 1986 (Nr. 611)
  8. Беломорско-Балтийский канал…, 1998, S. 7.

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