Der Stadtneurotiker

Film
TitelDer Stadtneurotiker
OriginaltitelAnnie Hall
ProduktionslandVereinigte Staaten
OriginalspracheEnglisch
Erscheinungsjahr1977
Länge93 Minuten
Altersfreigabe
Stab
RegieWoody Allen
DrehbuchWoody Allen,
Marshall Brickman
ProduktionCharles H. Joffe,
Jack Rollins
MusikCarmen Lombardo,
Isham Jones
KameraGordon Willis
SchnittWendy Greene Bricmont,
Ralph Rosenblum
Besetzung
Synchronisation

Der Stadtneurotiker (Originaltitel: Annie Hall) ist ein US-amerikanischer Kinofilm von und mit Woody Allen aus dem Jahr 1977.

Handlung

Alvy Singer ist ein erfolgreicher Komiker, intellektuell geprägt, Jude und ein ziemlich neurotischer Kerl, der es sich mit Frauen regelmäßig verscherzt. Er lernt Annie Hall kennen, verliebt sich in sie und trifft mit ihr auf einen neurotischen Gegenpart. Höhen und Tiefen wechseln sich in ihrer Beziehung ab, in der sie sich gegenseitig mit ihren psychoanalytischen Weisheiten übertrumpfen. Alvy verliert auch Annie und nimmt sogar eine Reise ins verhasste Kalifornien auf sich, um sie zurückzugewinnen.

Die Besonderheit des Films besteht in seiner zeitlichen Flexibilität. Er beginnt damit, dass Woody Allen als Alvy Singer das Kinopublikum direkt anspricht, um danach in verschiedene Phasen seiner Biographie zurückzureisen und erst am Ende fazitähnlich wieder in der Jetztzeit den Film zu beschließen. Mehrere Beziehungen der Hauptfigur werden angerissen, dabei kann schon die bloße Erwähnung eines Namens zu einem Zeitsprung führen. Mehr als zwei Dutzend Zeitebenen durchreist der Film, der durch die Dialoge und die Fokussierung auf die Beziehungsleiden seiner Hauptfigur zusammengehalten wird. Als zentrale Beziehung erscheint die zu Annie Hall (Diane Keaton), die dem Publikum jedoch genauso wenig chronologisch, sondern ebenfalls sprunghaft in Episoden vorgeführt wird.

Um die Befindlichkeit seines Protagonisten zu verdeutlichen, greift Allen zu einer Vielzahl von Mitteln; so gibt es beispielsweise eine kurze Trickfilmsequenz oder Familienessenkarikaturen im Split-Screen-Verfahren. Oft kopiert ist die Szene, in der er als Erwachsener in seiner alten Schulklasse sitzt und die Überlegung „Ich frage mich manchmal, was aus meinen Mitschülern geworden ist“ dazu führt, dass einzelne Schüler nacheinander aus der Szenenhandlung aussteigen und in die Kamera ihre weitere Biographie erzählen.

Dieser Film ist also weniger eine sachlich korrekte Aufarbeitung von Geschehnissen als vielmehr die filmische Version einer Gedankenkette. Dabei gehen Realität, Gedankenspiel, verklärte Erinnerung und Gedankensprünge nahtlos ineinander über; der Film weist sie nicht explizit als solche aus.

Produktionsnotizen

Woody Allens New Yorker Townhouse, 118 East 70th Street (Foto von 2015)
  • Der Arbeitstitel des Films lautete lange Zeit Anhedonia, ehe ihn Allen in Annie Hall änderte.
  • Annie Halls Wohnung, die noch erhalten ist, befindet sich in der Upper East Side von Manhattan, East 70th Street, zwischen Lexington Avenue und Park Avenue – Woody Allens Lieblingsblock in der Stadt („his favorite block in the city“).[2] 2006 kaufte er direkt gegenüber für sich und seine Familie ein Townhouse, in dem er bis heute wohnt: 118 East 70th Street.[3]
  • Sigourney Weaver hatte in diesem Film in einer Kleinstrolle (Dauer: 6 Sekunden) ihr Filmdebüt.
  • Der Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan wird in einer Szene (Kontroverse in der Schlange vor der Kinokasse) von Alvy Singer zitiert und tritt plötzlich höchstpersönlich zu dessen Unterstützung auf (Gastauftritt). Alvys Reaktion: „Ach, wäre es doch einmal so im richtigen Leben“.
  • Der Film Harry und Sally aus dem Jahr 1989 kann in einiger Hinsicht als „Nachfolger“ von Der Stadtneurotiker gelten.[1] Die Konstellation der Figuren und ihre Sorgen sind ähnlich ausgerichtet; musikalische Themen und Modestil werden wieder aufgegriffen. Harry und Sally begegnen einander 1977 zum ersten Mal – das Jahr, in dem Der Stadtneurotiker ins Kino kam.
  • Jeff Goldblum hat auf der Party von Tony Lacey einen ganz kurzen Auftritt (er spricht am Telefon).
  • Die Achterbahn, die im Film über das Haus gebaut ist, war Thunderbolt auf Coney Island.
  • Howard Carpendale spielt in seinem Lied Die Geschichte von Annie Hall (Album Carpendale ’90) auf den Film an. Der Song handelt davon, dass Carpendale sich bei der Figur der Annie Hall an eine alte Bekannte erinnerte.

Kritiken

„Woody Allens stark autobiografisch getönte Komödie zeigt einen intellektuellen Clown, der mit todernsten Problemen hadert, aber letztlich immer nur komisch sein kann; beschrieben wird der Weg eines Träumers und geborenen Verlierers, der am Ende dennoch durch die Kraft der eigenen Kreativität sein Überleben sichert. Die sprunghafte Gagfolge früherer Allen-Filme ist einer ausgewogeneren Geschichte gewichen, in der pointierte Ironie den Slapstick weitgehend verdrängt. Dabei erweist sich Woody Allen als überaus versierter Regisseur, der spielerisch mit verschiedenen Stilen und Erzählformen jongliert. Ein Klassiker der modernen Filmkomik […].“

Auszeichnungen (Auswahl)

Deutsche Fassung

Die deutsche Synchronbearbeitung entstand 1977 unter der Synchronregie von John Pauls-Harding.[5]

RolleDarstellerSynchronsprecher
Alvy SingerWoody AllenWolfgang Draeger
Annie HallDiane KeatonHeidi Fischer
RobTony RobertsRüdiger Bahr
AllisonCarol KaneEva Kinsky
Tony LaceyPaul SimonJürgen Clausen
Duane HallChristopher WalkenLeon Rainer
Mr. HallDonald SymingtonDonald Arthur

Der Begriff Stadtneurotiker ist mittlerweile in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen und bezeichnet vor allem Bewohner von Großstädten, die sich durch besondere Macken auszeichnen, die angeblich auf Großstadtstress zurückzuführen sind.

Eckhard Henscheid, Co-Übersetzer des veröffentlichten Originaldrehbuchs, hält den Titel Der Stadtneurotiker jedoch für „ein Missverständnis bis hin zum flagranten Nonsens“, weil der Begriff zunächst alles und nichts bedeute, der Handlungsort Manhattan doch eher schon Weltstadt sei und es im Film auch gar nicht um einen Neurotiker gehe. Henscheid merkt zudem kritisch an, dass die meisten sprachlichen Späße des Films in der deutschen Fassung gar nicht von Allen und Brickman stammen, sondern den Darstellern erst durch die Synchronisation in den Mund gelegt wurden.[6]

Literatur

  • Vittorio Hösle: Woody Allen. Versuch über das Komische. dtv, München 2001, ISBN 978-3-423-34254-4.
  • Gerhard Pisek: Die große Illusion. Probleme und Möglichkeiten der Filmsynchronisation. Dargestellt an Woody Allens „Annie Hall“, „Manhattan“ und „Hannah and her sisters“. Wissenschaftlicher Verlag Trier WVT, Trier 1994, ISBN 3-88476-082-3 (Dissertation Universität Innsbruck 1992).
  • Woody Allen, Marshall Brickman: Der Stadtneurotiker. Drehbuch (Originaltitel: Annie Hall, übersetzt von Eckhard Henscheid und Sieglinde Rahm). Diogenes, Zürich 1988, ISBN 3-257-20822-7.

Einzelnachweise

  1. Freigabebescheinigung für Der Stadtneurotiker. Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Dezember 2011 (PDF; Prüf­nummer: 49 150 V).
  2. Joseph Meyers, Inside New York 2009, New York 2008, S. 76 (Digitalisat)
  3. Woody Allen, Ganz nebenbei. Autobiographie, Berlin 2020, ISBN 978-3-498-00222-0, S. 357f.
  4. Der Stadtneurotiker. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 12. Oktober 2023.
  5. Der Stadtneurotiker in der Deutschen Synchronkartei
  6. Eckhard Henscheid, Gerhard Henschel, Brigitte Kronauer: Kulturgeschichte der Missverständnisse. Reclam, Stuttgart 1997, ISBN 3-15-010427-0, S. 103.

Weblinks

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