Der Schatten

Der Schatten (dänisch: Skyggen) ist ein Kunstmärchen des dänischen Dichters und Schriftstellers Hans Christian Andersen. Das Märchen wurde erstmals 1847 veröffentlicht.

Inhalt

Einst ging ein gelehrter Mann aus den nördlichen Regionen Europas auf eine Reise gegen Süden. Eines Nachts saß er auf dem Altan seines Hauses, während das Feuer hinter ihm seinen Schatten auf den Altan des gegenüberliegenden Hauses warf. Wie er da saß, beobachtete der Mann amüsiert, wie sein Schatten jede seiner Bewegungen nachahmte, als würde er wirklich auf dem anderen Balkon sitzen. Als er schließlich müde wurde und schlafen ging, stellte er sich den Schatten vor, wie er dies ebenfalls im Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite tat.

Am nächsten Morgen jedoch stellte der Mann mit Bestürzung fest, dass er wirklich seinen Schatten über Nacht verloren hatte. Als ihm allerdings ein neuer Schatten aus seinen Zehenspitzen wuchs, dachte er nicht weiter darüber nach und kehrte in seine nordische Heimat zurück, um wieder zu schreiben.

Mehrere Jahre vergingen, bis eines Nachts ein Mann an seiner Türe klopfte. Zu seiner Überraschung war es sein Schatten, den er vor Jahren im Süden verloren hatte. Dieser Schatten stand nun mit fast vollkommenem menschlichem Aussehen in seiner Haustüre. Erstaunt von seinem plötzlichen Wiederauftauchen lud der gelehrte Mann ihn in sein Haus ein. Beide setzten sich an den Kamin, wo der Schatten dem Mann erzählte, wie er selbst ein Mann geworden war.

Der gelehrte Mann war ein ruhiger und sanftmütiger Mensch. Seine Hauptinteressen lagen im Guten, Wahren und Schönen. Dies waren die Themen, über die er oft schrieb, die aber niemanden sonst zu interessieren schienen. Der Schatten sagte seinem Herrn, dass dieser die Welt nicht verstünde, dass er aber selbst im gegenüberliegenden Haus, wo die Poesie wohne, die wahre Welt gesehen habe, mit ihrer Bosheit und den schlechten Menschen darin.

Nach einigen Jahren wurde der Schriftsteller ernsthaft krank. Sein ehemaliger Schatten schlug ihm einen Reise zu einem Badekurort auf seine Kosten vor, allerdings unter der Bedingung, dass der ehemalige Schatten selbst als Herr auftreten dürfe, während der Schriftsteller so tun müsse, als wäre er der Schatten. So absurd dieser Vorschlag sich auch anhörte, am Ende nahm der gelehrte Mann ihn an. Zusammen gingen sie auf Reisen und der Schatten spielte den Herrn. Im Kurort lernte der Schatten eine wunderschöne Prinzessin kennen. Nachdem beide sich eine Nacht lang zusammen unterhalten und getanzt hatten, verliebte sich die Prinzessin in den Schatten.

Kurz bevor die Hochzeit anstand, bot der Schatten seinem ehemaligen Herrn eine hohe Stellung im Palast an, unter der Bedingung, dass dieser nun endgültig sein eigener Schatten werde. Der Schriftsteller lehnte sofort ab und drohte damit, der Prinzessin alles zu sagen, doch der Schatten ließ ihn verhaften. Seine Bestürzung heuchelnd traf er sich mit der Prinzessin und sagte ihr:

Im Original heißt es:

"Jeg har oplevet det Grueligste, der kan opleves!" sagde Skyggen, "tænk Dig - ja, saadan en stakkels Skyggehjerne kan ikke holde meget ud! - Tænk Dig, min Skygge er blevet gal, han troer at han er Mennesket og at jeg - tænk dig bare, - at jeg er hans Skygge!"
"Det er frygteligt!" sagde Prindsessen, "han er dog spærret inde?" "Det er han! Jeg er bange han kommer sig aldrig."
"Stakkels Skygge!" sagde Prindsessen, "han er meget ulykkelig; det er en sand Velgjerning at frie ham fra den Smule Liv han har, og. Naar jeg rigtig tænker over det, saa troer jeg det bliver nødvendigt at det bliver gjort af med ham i al Stilhed!"

Auf Deutsch:

„Ich habe das Greulichste erlebt, was man erleben kann!“ sagte der Schatten, „denke Dir – ja so ein armes Schattengehirn kann nicht viel aushalten! – denke Dir, mein Schatten ist verrückt geworden. Er glaubt, er wäre der Mensch und ich – denke Dir nur – ich wäre sein Schatten!“
„Das ist ja furchtbar“, sagte die Prinzessin, „er ist doch eingesperrt?“
„Das ist er! Ich fürchte, er wird nie wieder zu Verstand kommen.“
„Armer Schatten!“ sagte die Prinzessin, „er ist sehr unglücklich. Es würde eine wahre Wohltat sein, ihn von dem bisschen Leben zu befreien, das er hat. Wenn ich es recht bedenke, glaube ich, es wird notwendig sein, es mit ihm in aller Stille abzumachen.“

Als der Schatten und die Prinzessin später in dieser Nacht heirateten, war der gelehrte Mann bereits tot.

Interpretation

Der Schatten ist beispielhaft für Andersens eher düstere Märchen. In der Geschichte wird der Schriftsteller als eine moralische Person gezeichnet, der sich mit dem Guten und dem Wahren in der Welt beschäftigt. Aber die Menschen um ihn herum schienen nicht so viel Interesse daran zu haben. Sein Schatten behauptet sogar, dass der Schriftsteller die Welt nicht sehe, wie sie wirklich sei.

Der Schatten behauptet von sich, die Welt und alles, was darin ist, gesehen zu haben, doch eine eigene Seele besitzt er nicht. Er giert nach einem eigenen Schatten und bringt später seinen alten Herrn dazu, die Rollen auf ihrer Reise zu tauschen. Als der gelehrte Mann endlich erkennt, wie tief sein Schatten schon herabgesunken ist, ist es bereits zu spät.

Das Ende ist besonders düster für ein Märchen, da Andersen darauf hindeutet, dass es nicht immer das Gute ist, das triumphiert und dass das Böse tatsächlich eine große Macht über das Gute und Gerechte ausübt.

Film

  • Der Schatten bzw. Stín Märchenfilm unter der Regie von Ludvík Ráza, Tschechien 1998

Siehe auch

Liste der Märchen

Weblinks

Commons: The Shadow – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Text auf Deutsch [2]
  • Text auf Englisch [3]
  • Original Text auf Dänisch [1]