Der Sandmann (Hoffmann)

Zeichnung von E. T. A. Hoffmann zu seiner Erzählung „Der Sandmann“

Der Sandmann ist eine Erzählung in der Tradition des Kunstmärchens der Schwarzen Romantik von E. T. A. Hoffmann, die erstmals 1816 veröffentlicht wurde. Sie erschien ohne explizite Nennung des Autornamens in Berlin, Realschulbuchhandlung, als erste Erzählung in dem Zyklus Nachtstücke. Herausgegeben von dem Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier. Ferner sind dort enthalten: Die Jesuitenkirche in G., Ignaz Denner, Das Sanctus. 1817 folgte ein zweiter Teil der Nachtstücke mit den Erzählungen Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde und Das steinerne Herz.

Inhalt

E.T.A. Hoffmann lässt die Erzählung Der Sandmann mit drei Briefen aus der Perspektive seiner Figuren beginnen. Der Student Nathanael, der sich von seinem Studienort aus schon lange nicht mehr bei seinen Angehörigen gemeldet hat, wendet sich brieflich an Lothar, den Bruder seiner Braut Clara, um sein ausdauerndes Schweigen zu begründen. Mit düsterem Unterton berichtet er über eine Begebenheit, der er selbst katastrophale Bedeutung für seine ganze Existenz zuschreibt, obwohl sie Unbeteiligten als völlig banal, ja belanglos erscheinen muss: nämlich über die Begegnung mit dem Wetterglashändler Coppola. Nathanael ist sich darüber im Klaren, dass sich das von ihm für so fatal gehaltene Ereignis nur durch die Mitteilung biographischer Zusammenhänge verständlich machen lässt. Deshalb gibt er in seinem Brief einen ausführlichen Rückblick auf Geschehnisse in seiner frühen Kindheit, die ihn schwer traumatisiert und dadurch die Basis für eine psychische Störung geschaffen haben.

Während seiner Kindheit wurde die Harmonie der Familie wiederholt durch einen extrem unsympathischen, ja sogar unheimlichen Fremden gestört, der gemeinsam mit seinem Vater alchimistische Experimente durchführte. Weder vermochte sich Nathanaels Vater selbst diesem Mann zu entziehen, noch war seine Mutter dazu in der Lage, dem geheimnisvollen Treiben Einhalt zu gebieten. Indem sie die Kinder mit der Begründung ins Bett schickte, der Sandmann komme, verhinderte sie jedes Mal, dass diese den abendlichen Besucher tatsächlich sehen konnten. Durch die ausweichende Antwort der Mutter auf seine Frage nach dem Gast fühlte sich Nathanael schließlich zu eigenen Nachforschungen veranlasst. Daraufhin erfuhr er das grauenvolle Ammenmärchen vom Sandmann, der Kindern, die nicht brav ins Bett gehen wollen, Sand in die Augen wirft, bis sie blutend aus dem Kopf herausspringen. Diese Geschichte löste einerseits tiefes Entsetzen in ihm aus, gab andererseits aber auch seiner Phantasie Nahrung. So wurde der Sandmann für ihn schon bald zu einer ambivalenten, zwischen Horror und Faszination schwankenden Vorstellung, die sogar poetische Kräfte in ihm weckte.

Jahre später versucht der Junge dem Geheimnis um die Identität des Fremden selbst auf die Spur zu kommen. Unmittelbar vor dem Erscheinen des unheimlichen Gastes, dessen Ankunft er aufgrund der gedrückten Atmosphäre zwischen den Eltern bereits erahnt, versteckt er sich im Zimmer des Vaters. Erst jetzt entdeckt Nathanael zu seinem Erstaunen, dass der rätselhaft-unheimliche Sandmann mit dem alten Advokaten Coppelius identisch ist, den er durch gelegentliche Besuche längst kannte. Entlastung verschafft ihm aber auch diese Erkenntnis nicht, weil ihm Coppelius von jeher als eine dämonische Gestalt erschienen ist. Zu diesem Eindruck trug außer dem bizarren Erscheinungsbild des Advokaten vor allem seine Neigung bei, sich bei jeder Gelegenheit mit teuflischem Lachen als Kinderschreck zu inszenieren. Obwohl Nathanael inzwischen schon längst nicht mehr an die Horrorfigur aus dem Ammenmärchen glaubt, ist das Bild des Sandmanns in ihm als eine Unheil verheißende Obsession erhalten geblieben.

In einer nicht nur durch den Schein des Herdfeuers unheimlich wirkenden Szenerie beobachtet Nathanael aus seinem Versteck die Vorbereitungen zu den alchimistischen Experimenten, die Coppelius mit seinem Vater durchführen will. Dabei wird die Realitätswahrnehmung des Jungen zusehends durch Horror-Phantasien überlagert, in denen das brutale Ammenmärchen weiterwirkt. Nur wenig später scheinen sie für Nathanael konkrete Gestalt anzunehmen, als er den Ausruf des Coppelius „Augen her!“, der auch harmlos als bloße Aufforderung zum Hinschauen verstanden werden könnte, entsetzt auf seine eigenen Augen bezieht, deren Verlust er fürchtet. Der Sadist Coppelius macht sich dieses Missverständnis zunutze, um das Kind zu quälen, dessen Angst sich nun bis ins Wahnhafte steigert. Die Szene endet schließlich mit einem schweren psychophysischen Zusammenbruch Nathanaels, von dem er sich erst Wochen später erholt.

Der traumatischen Erfahrung in der Alchimistenküche folgt etwa ein Jahr später der letzte Besuch des Coppelius. Nun scheint sich für Nathanael die Erwartung einer verhängnisvollen finsteren Macht zu bestätigen, die er seit jeher mit dem unheimlichen Gast verknüpft hat: Denn diesmal haben die Experimente eine katastrophale Explosion zur Folge, die den Vater das Leben kostet. Erst an dieser Stelle des Berichts erklärt Nathanael in seinem Brief an Lothar den Bezug der vergangenen Geschehnisse zur Erzählgegenwart: In dem Wetterglashändler Giuseppe Coppola, der ihn erst vor Kurzem aufgesucht hat, also viele Jahre nach dem Tod des Vaters und dem Verschwinden des Coppelius, glaubt Nathanael den unheimlichen Advokaten Coppelius wiederzuerkennen, mit dem er nach wie vor die schlimmsten Befürchtungen für seine eigene Zukunft verbindet.

Da Nathanael seinen Brief zwar an Lothar gerichtet, ihn aber aus Versehen an Clara adressiert hat, antwortet sie ihm mit einem Brief, in dem sie zunächst erschüttert und empathisch auf seine Schilderungen reagiert, dann aber mit Nachdruck rationale Gegenstrategien entwirft. Ihre psychologische Deutung zielt darauf, den düsteren Vorahnungen ihres Verlobten die dämonische Bedrohlichkeit zu nehmen, indem sie seine Ängste auf Phantasievorstellungen zurückführt, die von Vorkommnissen in der Außenwelt lediglich angeregt sind. Zugleich vermutet Clara intuitiv verhängnisvolle Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenwelt. Daher appelliert sie an Nathanael, seine Selbstregulierungs- und Abwehrkräfte zu nutzen, und versucht ihn davon zu überzeugen, dass die Gefahr allein in seinem rückhaltlosen Glauben an die vermeintlich bösen Mächte liege.

Nathanael jedoch reagiert in seinem Antwortbrief, den er erneut an Lothar richtet, skeptisch auf Claras Interpretation und verwirft ihren therapeutischen Rat, den obsessiven Angstvorstellungen inneren Widerstand entgegenzusetzen. Außerdem ist er darüber verstimmt, dass Clara und ihr Bruder Lothar seinen ‚Fall‘ so eingehend diskutiert haben. Die Identität des Deutschen Coppelius mit dem Italiener Coppola bestreitet Nathanael nun allerdings selbst ebenso entschieden, wie er sie zuvor behauptet hat. Eher beiläufig teilt er zugleich auch eine Beobachtung mit, die für den weiteren Verlauf des Geschehens zentrale Bedeutung erhalten wird: In einem Zimmer seines Physikprofessors Spalanzani hat Nathanael eine Frauengestalt mit bildschönem Gesicht entdeckt, die ihn aber zunächst noch durch ihren unheimlich starren Blick irritiert.

Den vorangestellten drei Briefen der Figuren Nathanael und Clara lässt Hoffmann eine explizite Leseransprache seines Erzählers folgen, in der dieser auch poetologische Überlegungen anstellt. Außerdem beruft sich der Erzähler auf seine Freundschaft mit Nathanael, Clara und Lothar und suggeriert den Lesern dadurch, er verfüge über eine authentische Kenntnis der Verhältnisse. Nathanaels Verlobte Clara beschreibt er mit unverkennbarer Sympathie als eine facettenreiche Persönlichkeit, die unbestechliche Rationalität, Urteilsfähigkeit, Phantasie und Gemüt in sich vereine. Zugleich klassifiziert er die Auffassung mancher Zeitgenossen, sie sei kalt und gefühllos, mit auktorialem Nachdruck als bloßes Vorurteil.

Die tiefreichenden Irritationen, die Nathanael durchlebt hat, wirken in der Folgezeit auch in seinen Gesprächen mit Clara weiter: So bezeichnet er jeden Anspruch auf individuelle Freiheit als Illusion, weil er selbst sich durch schicksalshafte Mächte determiniert glaubt und sich der dämonischen Übermacht des Coppelius nach wie vor rettungslos ausgeliefert fühlt. Vergeblich versucht ihm Clara Einschätzungen dieser Art auszureden. So geraten die Liebenden allmählich in einen Prozess fortschreitender Entfremdung. Bezeichnenderweise hat sich mittlerweile auch die poetische Qualität von Nathanaels Dichtungen nachhaltig verschlechtert, sodass ihn die Gestaltung seiner Angstvisionen nun unverhältnismäßig viel Mühe kostet. Auf Claras Befremden über ein von ihm vorgetragenes eigenes Gedicht reagiert er mit einem aggressiven Ausbruch. Die wechselseitigen Vorbehalte zwischen Nathanael und Lothar führen schließlich beinahe zu einem Duell, das nur Clara soeben noch zu verhindern vermag. So endet die konfliktreiche Episode schließlich doch versöhnlich.

Bei der Rückkehr an seinen Studienort sieht sich Nathanael zum Umzug genötigt, weil sein bisheriges Quartier durch einen Brand zerstört worden ist. Seine neue Wohnung liegt dem Haus von Professor Spalanzani gegenüber, sodass er direkt in das Zimmer Olimpias hineinschauen kann. Während Nathanael einen Brief an Clara schreibt, sucht ihn Coppola auf, um ihm Brillen und kleine Fernrohre zum Kauf anzubieten. Beim Ausprobieren eines Taschenperspektivs richtet Nathanael seinen Blick auf das Zimmer Olimpias und glaubt in ihren starren Augen plötzlich lebendige Blicke wahrzunehmen. In der Folgezeit wird dieser Eindruck für ihn zu einer fatalen Obsession: Er verliebt sich rettungslos in Olimpia und verzehrt sich in Sehnsucht so sehr nach ihr, dass sich schließlich seine gesamte Existenz auf sie konzentriert und Clara seinem Bewusstsein völlig entschwindet.

Zum Höhepunkt von Nathanaels Leidenschaft wird ein großes Fest, auf dem Professor Spalanzani seine ‚Tochter‘ Olimpia erstmals der Öffentlichkeit vorstellt. Viele Gäste registrieren mit Befremden ihren starren, seelenlosen Blick und ihre steifen Bewegungen. Auch wundern sie sich über die geradezu maschinenartige Präzision von Olimpias Gesang und Tanz. Nathanael jedoch nimmt von diesen Reaktionen keinerlei Notiz, weil ihm Olimpia inzwischen als die ideale Geliebte erscheint. Zwar wird der Tanz mit ihr zur verstörenden Erfahrung, solange ihre kalten Hände und Lippen ihn erschrecken. Aber dennoch schwärmt er von Olimpias vermeintlicher Gemütstiefe, meint in ihr seine Seelenverwandte gefunden zu haben und gerät dadurch in eine Kontroverse mit seinem Freund Siegmund.

Obwohl sie ihm die Frage, ob sie ihn liebe, nur mit einem lapidaren „Ach – Ach!“ beantwortet, glaubt Nathanael seine ganze Existenz von ihr widergespiegelt. Auch beim Vorlesen seiner Dichtungen fühlt er sich von ihr auf geradezu vollkommene Weise verstanden. Seine Liebesleidenschaft kulminiert schließlich in der Absicht, Olimpia einen Heiratsantrag zu machen. Als Nathanael ihr symbolisch einen Ring überreichen will, wird er allerdings zum Zeugen eines heftigen Streits zwischen Coppola und Spalanzani und muss dabei entsetzt die Zerstörung Olimpias miterleben, die ihn auf traumatische Weise desillusioniert: Denn nun erkennt selbst er, dass es sich bei der Geliebten bloß um eine Automatenpuppe handelt. Als ihm Spalanzani zwei blutige Augen gegen die Brust wirft, erleidet Nathanael einen Wahnsinnsanfall und wird im Zustand der Raserei ins Irrenhaus gebracht.

In einer expliziten Leseransprache erwähnt der Erzähler die durch den Vorfall unvermeidlich gewordene Entlassung Spalanzanis aus der Universität und beschreibt satirisch die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf die Entlarvung Olimpias als Puppe, die Rückschlüsse auf ein durch starre Verhaltensnormen entmenschlichtes Sozialverhalten erlauben: Durch die fundamentale Täuschung noch im Nachhinein irritiert, versucht man sich gegen künftige Erfahrungen dieser Art abzusichern, indem man in Partnerschaften Beweise für die menschliche Individualität des Gegenübers verlangt. So soll beispielsweise durch taktloses Singen und Tanzen das Nichtvorhandensein eines mechanischen Triebwerks im eigenen Inneren demonstriert werden.

Von seinem Wahnsinnsanfall allmählich genesen, weiß Nathanael die persönlichen Qualitäten Claras inzwischen offenbar zu schätzen und plant nun endlich die Hochzeit mit ihr. Dennoch endet die Erzählung mit einem katastrophalen Finale: Gemeinsam mit Clara besteigt Nathanael einen hohen Turm, um die weite Aussicht auf die Landschaft der Umgebung zu genießen. Durch eine phantasievolle Bemerkung reaktiviert Clara in ihm versehentlich wieder das alte Coppelius-Trauma: Denn sie weist ihren Verlobten auf einen "sonderbaren kleinen grauen Busch" hin, "der ordentlich auf uns los zu schreiten scheint", sodass Nathanael sich an den dämonisch wirkenden Coppelius mit seinen "buschigten grauen Augenbrauen" und seinem "aschgrauen Rocke" erinnert fühlen kann. Durch diesen Trigger-Effekt gerät Nathanael daher plötzlich erneut in einen pathologischen Zustand und versucht in seinem Wahnsinnsanfall sogar, Clara vom Aussichtsturm herabzustoßen. Mit enormer Anstrengung kann Lothar die Tötung seiner Schwester gerade noch verhindern. 'Riesengroß' erscheint Coppelius dem rasenden Nathanael, der schließlich über das Geländer des Turms in die Tiefe springt und dadurch zu Tode kommt. Dass der angeblich 'riesengroße' Coppelius dann plötzlich verschwunden ist, erklärt sich damit, dass Nathanaels Suizid sein Bewusstsein vernichtet: mithin auch die Coppelius-Projektion. Die Erzählung endet mit einer nur hypothetischen Perspektive auf ein mögliches späteres Familienglück Claras, die im Text allerdings ohne auktoriale Bestätigung präsentiert wird, also keinen harmonisierenden Märchen-Schluss bietet.[1]

Einordnung

Romantische Literaturtheorie

Maria M. Tatar sieht im „Sandmann“ die Umsetzung des von Friedrich Schlegel ausgerufenen Projekts der Romantik: Er habe das eine Werk geschaffen, das verwirre, reize und zum Nachdenken anrege.[2] Vor allem der Erzähler nutze ironische und humoristische Elemente[3], um so eine distanzierte Erzählebene zu schaffen.[4] Dementsprechend sieht sie auch die von Schlegel entwickelte „Transzendentalpoesie“, also die Literatur über Literatur verwirklicht.

Themen

E.T.A. Hoffmann verarbeitet in „Der Sandmann“ verschiedene Themen:

  • Das Augenmotiv: Die Bedeutung der Augen ist ein zentrales Thema: beim Sandmann im Ammenmärchen, bei Nathanaels Angstträumen, in seinem Gedicht, bei Olimpia und in weiteren Textstellen. Augen sind Sinnesorgane, mit welchen die objektive Realität wahrgenommen wird. Jemanden Sand in die Augen zu streuen, bedeutet, ihm die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu nehmen. Die Welt wird dann nur noch durch die eigenen Vorstellungen, schlimmstenfalls Angstträume oder Wahnsinn wahrgenommen. Ein ähnliches Mittel, um jemanden von der Wirklichkeit abzukoppeln, sind Brillen, die ideologisch eingefärbt sind, oder Coppolas Perspektiv. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Nathanael beim Hindurchsehen einen Automaten für einen Menschen hält. Augen spiegeln auch die eigene Lebendigkeit wider, vielleicht auch die Seele. Sie waren eine Schwachstelle an der Automatenpuppe Olimpia, die nur durch den Blick durchs Perspektiv vertuscht wurde.
Sigmund Freud beschäftigte sich mit Hoffmanns Erzählung in seiner Studie Das Unheimliche. Für Freud steht das Augenmotiv im Zentrum der Erzählung. Er schreibt: „Im Mittelpunkt der Erzählung steht […] ein […] Moment, nach dem sie auch den Namen trägt, und das an den entscheidenden Stellen immer wieder hervorgekehrt wird: das Motiv des Sandmannes, der den Kindern die Augen ausreißt.“ Freuds Deutung beruft sich auf die damalige „psychoanalytische Auffassung“: „Das Studium der Träume, der Phantasien und Mythen hat uns dann gelehrt, dass die Angst um die Augen, die Angst zu erblinden, häufig genug ein Ersatz für die Kastrationsangst ist.“[5]
  • Das Verhältnis Mensch – Maschine: Durch das Perspektiv, ein wissenschaftliches Instrument, wird der Wahnsinn Nathanaels immer wieder ungewollt hervorgerufen. Auch die Gäste auf Spalanzanis Ball scheinen nicht auf den ersten Blick den Unterschied von Mensch und Maschine zu erkennen. Weiterhin wird der damalige Wissenschaftler in Form des Spalanzani kritisiert, der die Grenzen der Wissenschaft nicht zu kennen scheint und seine Mitmenschen bewusst hintergeht.
  • Kritik an der aufklärerischen Gesellschaft
  • Motiv der Frau: „Der Sandmann“ ist mit kleineren ironischen Bemerkungen seitens des Erzählers gespickt, welche das damalige Frauenbild kritisieren. In einem Abschnitt wird hier zum Beispiel beschrieben, wie die verschiedenen männlichen Vertreter bestimmter Berufsgruppen (Nebler und Schwebler, Künstler etc.) Clara einschätzen. Hieraus geht hervor, dass diese Clara nicht als ganze Persönlichkeit wahrnehmen, sondern nur einige Eigenschaften für sich interpretieren. In einem weiteren Abschnitt des Werkes ist die Reaktion der Gesellschaft auf Spalanzanis Betrug beschrieben: Die Männer wünschen hier von ihren Frauen, dass sie schief singen, nicht im Takt tanzen und tiefsinnigere Konversation führen. Begründet wird dies dadurch, dass man sonst die Frauen nicht von Robotern wie Olimpia unterscheiden könne. Dies macht deutlich, wie wenig den Frauen zugetraut wurde.
  • Das Feuermotiv: Feuer steht in „Der Sandmann“ immer am Anfang einer Veränderung. Durch alchemistische Experimente stirbt Nathanaels Vater bei einer Explosion. Nathanael ist daraufhin wochenlang krank. Auch das Feuer in seinem Studentenzimmer führt dazu, dass er in das Haus gegenüber von Spalanzani einzieht und so auf Olimpia trifft. Feuer und Hitze stehen in Zusammenhang mit Nathanaels zunehmendem Wahnsinn. Zu Beginn empfindet er noch eine „glühende Liebeslust“ für Clara, später bezeichnet er Olimpias Augen als „lebendig flammend“. Der Höhepunkt des Wahnsinns wird erreicht, als Nathanael auf dem Turm mehrmals „Feuerkreis, dreh dich“ ruft und anschließend in den Tod springt.

Adaption

In der Musik

  • Die Erzählung Der Sandmann hat in den zweiten Akt der Oper Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach Eingang gefunden.
  • Die Oper in neun Szenen Der Sandmann von Andrea Lorenzo Scartazzini basiert ebenfalls auf Motiven dieser Erzählung.[6] – Uraufführung Theater Basel, 20. Oktober 2012, nach dem Libretto von Thomas Jonigk, Regie Christof Loy[7]
  • Nach dieser Erzählung entstand das Ballet Coppélia von Léo Delibes.
  • Ein weiteres Ballett, choreografiert und inszeniert von Christian Spuck, basiert ebenfalls auf der Erzählung. Es wurde am 7. April 2006 in Stuttgart mit dem Stuttgarter Ballett aufgeführt. Musik: Robert Schumann, Martin Donner.[8]
  • Die Kopenhagener Band „The Sandmen“ benannte sich nach dem „Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann, zu hören ist sie unter anderem auf dem Soundtrack zu dem Film Nightwatch.
  • Die Berliner Band Coppelius benannte sich nach einer Figur aus der Erzählung, zudem verwenden auch die Mitglieder der Band Namen von Figuren aus der Erzählung und nehmen auch einige ihrer Songs auf den Sandmann Bezug.
  • Das 2005 erschienene Konzeptalbum The Final Fall der Band DuskMachine behandelt in seinen Liedern inhaltlich Der Sandmann sowie Der Bergwerke zu Falun, welches ebenfalls von E. T. A. Hoffmann stammt.
  • Das 2007 erschienene Konzeptalbum The Voice of Midnight der amerikanischen Avantgarde-Band The Residents befasst sich thematisch und musikalisch mit der Erzählung, wobei der Name Nathanael in „Nate“ und Clara zu „Claire“ amerikanisiert wurde.
  • Auf dem 2013 erschienenen Album Das schwarze 1×1 der Mittelalterband Saltatio Mortis handelt das Stück Der Sandmann von dem von Hoffmann beschriebenen Märchen.
  • Der deutsche Rapkünstler Pyrin verwendet Ausschnitte aus E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ im Lied „Ein und Alles“ (Album: Der Rote Teppich im Nichts) und lässt den gesamten Text auf der Geschichte basieren.
  • Mein Herz brennt der deutschen Band Rammstein (2001)
  • Farin Urlaub beschreibt Olimpia in seinem Song Unscharf vom Album Die Wahrheit übers Lügen (2008)

Im Film

Im Theater

  • Robert Wilson wandelte die Literaturvorlage in das Musiktheater Der Sandmann um. – Premiere am 3. Mai 2017 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen / Düsseldorfer Premiere am 20. Mai 2017.[13]
  • Tobias Wolfgang hat die Literaturvorlage zu einem Kammer-Musical verdichtet. Die Musik stammt von dem Berliner Komponisten Bijan Azadian. Die Uraufführung fand am 1. Dezember 2018 in der Theaterwerkstatt Würzburg statt.[14]
  • Das Theaterstück Nathanael von Jannik Graf erzählt Hoffmanns Der Sandmann in einer zeitgenössischen Adaption neu (mit Musik von Margarethe Zucker[15]). Premiere war am 8. Februar 2022 im Staatstheater Stuttgart.[16]
  • Im Lise-Meitner-Gymnasium wurde vom 20. bis 23. März 2023 Der Sandmann von der Theaterlise unter der Regie von Christian Vos aufgeführt.[17][18]

Literatur

  • Sigmund Freud: Das Unheimliche (1919). In: Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Band 12: Werke aus den Jahren 1917–1920. Herausgegeben von Anna Freud. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-50300-0, S. 227–278.
  • Ulrich Hohoff: E. T. A. Hoffmann, Der Sandmann: Textkritik, Edition, Kommentar . De Gruyter, Berlin 1988, ISBN 3-11-011065-2.
  • Ernst Jentsch: Zur Psychologie des Unheimlichen. In: Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift. 22, 1906, ZDB-ID 200460-4, S. 203–205.
  • Friedrich Kittler: „Das Phantom unseres Ichs“ und die Literaturpsychologie. E. T. A. Hoffmann – Freud – Lacan. In: Friedrich A. Kittler, Horst Turk (Hrsg.): Urszenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-07475-X, S. 139–166.
  • Gert Mattenklott: Kalte Augen. In: Der übersinnliche Leib – Zur Metaphysik des Körpers. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1982, ISBN 3-499-25170-1, S. 74–77.
  • Barbara Neymeyr: Narzißtische Destruktion. Zum Stellenwert von Realitätsverlust und Selbstentfremdung in E.T.A. Hoffmanns Nachtstück „Der Sandmann“. In: Poetica 29 (1997), S. 499–531.
  • Barbara Neymeyr: E.T.A. Hoffmann: „Der Sandmann“ (= Schroedel Interpretationen, Bd. 27). Schroedel, Braunschweig 2014, ISBN 978-3-507-47725-4.
  • Ursula Orlowski: Literarische Subversion bei E. T. A. Hoffmann: Nouvelles vom „Sandmann“. Winter, Heidelberg 1988, ISBN 3-533-03980-3.
  • Günter Saße: Der Sandmann. Kommunikative Isolation und narzisstische Selbstverfallenheit. In: Günter Saße (Hrsg.): E. T. A. Hoffmann. Romane und Erzählungen. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-017526-7, S. 96–116 (Reclams Universal-Bibliothek 17526, Interpretationen).
  • Dieter Schrey: „Sköne Oke“. Die Überwältigung der Einbildungskraft durch die „ungeheure Wirklichkeit“ – E.T.A. Hoffmanns »Der Sandmann«. 2006, http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/hoffmann/sandmann-interpretation.html
  • Timotheus Schwake: E. T. A. Hoffmann, Der Sandmann. Herausgegeben von Johannes Diekhans. Schöningh, Paderborn 2006, ISBN 3-14-022357-9 (Einfach Deutsch – Unterrichtsmodell).
  • Peter Tepe, Jürgen Rauter, Tanja Semlow: Interpretationskonflikte am Beispiel von E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“. Kognitive Hermeneutik in der praktischen Anwendung. Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, ISBN 978-3-8260-4094-8 (Studienbuch Literaturwissenschaft 1).
Wikisource: Der Sandmann – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Barbara Neymeyr: E.T.A. Hoffmann: „Der Sandmann“ (= Schroedel Interpretationen, Bd. 27). Schroedel, Braunschweig 2014. S. 19-26 [die obige Inhaltsangabe].
  2. Maria M. Tatar: E.T.A. Hoffmann’s ‘Der Sandmann’: Reflection and Romantic Irony. In: MLN 95, Nr. 3, 1980, S. 585–608. JSTOR, hier: S. 585–586.
  3. Maria M. Tatar: E.T.A. Hoffmann’s ‘Der Sandmann’: Reflection and Romantic Irony. In: MLN vol. 95, Nr. 3, 1980, S. 585–608. JSTOR, hier: S. 589.
  4. Maria M. Tatar: E.T.A. Hoffmann’s ‘Der Sandmann’: Reflection and Romantic Irony. In: MLN vol. 95, Nr. 3, 1980, S. 585–608. JSTOR, hier: S. 594.
  5. Sigmund Freud: Das Unheimliche, Abschnitt II. (Vom Reclam-Verlag bereitgestellte PDF-Datei der Studie.)
  6. Über die Oper von Scartazzini im Theater Basel (Memento desOriginals vom 1. Januar 2013 im Webarchiv archive.today)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.theater-basel.ch
  7. Homepage Theater Basel (Memento desOriginals vom 1. Januar 2013 im Webarchiv archive.today)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.theater-basel.ch, abgerufen am 21. Oktober 2012
  8. Informationen aus dem Jahresprogramm des Staatstheaters Stuttgart, Spielzeit 2005/06.
  9. Der Sandmann bei IMDb
  10. Sandmann (2011). In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 10. Juli 2021.
  11. E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (2011)
  12. Der Sandmann. Ein animierter Kurzfilm. (2012)
  13. D’haus – Düsseldorfer Schauspielhaus, Junges Schauspiel, Bürgerbühne: Der Sandmann, von E. T. A. Hoffmann. Abgerufen am 17. Dezember 2017.
  14. TheaterWerkstatt Würzburg e. V. – Der Sandmann. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. September 2018; abgerufen am 14. September 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/theater-werkstatt.com
  15. Margarethe Zucker. In: schauspiel-stuttgart.de. Schauspiel Stuttgart, abgerufen am 20. Februar 2022.
  16. Schauspiel Stuttgart: Nathanael, nach Motiven aus Der Sandmann von E.T.A. Hoffmann. Abgerufen am 16. Februar 2022.
  17. Thomas Gutmann: Schultheater in Leverkusen: Lise-Meitner-Schüler führen den „Sandmann“ auf. 20. März 2023, abgerufen am 26. März 2023.
  18. Theater Lise präsentiert: Der Sandmann. Abgerufen am 9. April 2023 (deutsch).

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Zeichnung von E.T.A Hoffmann zu seiner Erzählung "Der Sandmann"

  • Zeichner: E.T.A Hoffmann