Der Blaue Vogel

Plakat von Iwan Bilibin von 1926

Der Blaue Vogel (russisch Синяя птица) war ein russisches Kleinkunsttheater in Berlin von 1921 bis etwa 1930.

Geschichte

1921 gründeten russische Exilkünstler das Theater Der blaue Vogel. Es wurde wahrscheinlich nach dem gleichnamigen Märchenstück von Maurice Maeterlinck benannt, das 1908 in Moskau uraufgeführt worden war. Leiter wurde Jakov Jushny. Spielstätte wurde ein ehemaliges Kino in Berlin-Schöneberg in der Goltzstraße 9 mit 200 Parkettplätzen und zwei Rängen.

Es wurden Unterhaltungsprogramme gespielt. Diese bestanden aus Parodien zum westlichen Alltagsleben und vor allem Szenen und Liedern aus dem alten Russland. Die meisten Texte waren in russischer Sprache, mit einigen Erläuterungen in gebrochenem Deutsch, besonders durch den Conferencier Jakov Jushny, der humorvoll durch den Abend führte. Besonders eindrucksvoll waren die aufwändig gestalteten Dekorationen und Kostüme, meist in bunten Farben, die jede Vorstellung zu einem optischen Erlebnis machten. Die meisten Zuschauer waren in Deutschland lebende Russen, dazu kamen einige deutsche Besucher. Das Theater gab Gastspiele in vielen deutschen Städten, sowie in Österreich (jedes Jahr), in der Schweiz (über 200 Vorstellungen), in den Niederlanden (über 200 Vorstellungen), in den USA (seit 1924 über 100 Vorstellungen), in Schweden, Spanien, Litauen, Jugoslawien und weiteren Ländern.

Schriftsteller und Publizisten wie Robert Musil, Alfred Polgar, Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky, Stefan Grossmann waren begeistert, auch Bertolt Brecht besuchte öfter Vorstellungen.[1]

Ab etwa 1924 ließ die besondere Intensität der russischen Szenen nach, einige beteiligte Künstler zogen wahrscheinlich nach Paris, in die USA oder in andere Länder. 1928 waren etwa 80 Programme in über 2400 Vorstellungen weltweit gespielt worden. Um 1930 löste sich das Theater auf, wahrscheinlich wegen der Weltwirtschaftskrise, wie viele andere Kultureinrichtungen auch.[2] Der Theaterleiter Jakov Jushny verließ Berlin und lebte später in Prag. 1936 gab es offenbar noch einmal Vorstellungen des Blauen Vogels in Wien-Schönbrunn.

1947 gab es noch einmal den Versuch einer Neugründung durch ehemalige Beteiligte mit russischen Künstlern in Berlin, die jedoch keinen Bestand hatte.[3]

Zitate

Else Lasker-Schüler

Die bekannte Schriftstellerin Else Lasker-Schüler schwärmte

„Der Blaue Vogel ist das Herrlichste, was man hier auf der Welt sehen kann!“

Kurt Tucholsky

Der Kritiker Kurt Tucholsky gab zu

„Ich muss Ohren und Nase aufsperren vor dem, was sie da alles machen (...) Nein, das können wir nicht. Da packe ich neidlos ein.[4]

Stefan Großmann

Der österreichische Schriftsteller und Volksbühnenleiter Stefan Großmann schrieb 1924

„Berlin, Hauptversammlung aller grauen Vögel, versucht seit der Bejubelung des „Blauen Vogels“ auf wilden Bühnen und auf dem Wege des Größenwahns farbenfroh und romantisch zu werden. Aber es ist ein Unterschied zwischen einem von Natur aus leuchtenden Vogel und einem Spatzen, der einmal in einen grellen Farbtopf geworfen wurde.“

Ferdinand Hager

Der Publizist Ferdinand Hager (der ansonsten nicht bekannt ist, möglicherweise ein Pseudonym), schrieb 1924 einen längeren Artikel über den Flug des Blauen Vogels

„Sie opfern für eine Miniature nicht weniger Zeit, Arbeit und Geist als für ein ganzes Schauspiel nötig wäre, – alles nur, um einige Minuten lang durch Licht, Gestus, Farbe, Bewegung, Ton die Sinne, die Seele zu fesseln. (...) Es ist kein Zufall, daß wir heute gerade die russische Kunst schätzen. Sie ist der Ausdruck einer tiefen Sehnsucht, für die wir in der westeuropäischen Kunst keinen Widerhall mehr finden. Sie spielen einen ganzen Abend mit fast keinem Wort in der Sprache des Landes, wo sie sich befinden und man versteht sie doch, von Grund auf, wie man selten glaubt, verstanden zu haben. (...) Was ist aber dieses Merkwürdige, daß dieses kalte, verwöhnte Publikum der europäischen Zentralen seine innere Reserve aufgibt um hier mitzufühlen...?“[5]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jan Knopf: Schluckspecht Bert Brecht, in Der Freitag, 06/2020 Text, mit ausführlicher Darstellung, einige Textpassagen übernommen aus Eurasisches Magazin, 01/2006 (!)
  2. Goltzstraße 9. In: Berliner Adreßbuch, 1929, III, S. 361. „Blaue Vogel, Der“., letzter Eintrag im Berliner Adressbuch, 1930 war J. Elbling-Jushny noch als Eigentümer des Hauses angegeben, seit 1931 wurde er dort nicht mehr erwähnt; 1930 gab es wahrscheinlich noch Aufführungen in Wien
  3. Blauer Vogel Nr. 2, in Der Spiegel, 32, vom 8. August 1947
  4. Der blaue Vogel Der blaue Vogel Filmproduktionsfirma Berlin, mit diesen vier Zitaten (unten), ohne Herkunftsangaben, lies auch: Peter Panther [d. i. Kurt Tucholsky]: Der blaue Vogel, in Die Weltbühne, Nr. 12, vom 23. März 1922, S. 305 (Text)
  5. Anton Kaes, und andere (ed.): The Weimar Republic Sourcebook, University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London, 1994, p. 557f., mit englischer Übersetzung und Angabe des Originaltextes

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