De natura rerum (Beda Venerabilis)

De natura rerum ist eine naturwissenschaftliche Schrift, die Beda Venerabilis Anfang des 8. Jahrhunderts in lateinischer Sprache erstellte. Es werden Teilbereiche der Kosmologie (die Erde und die Himmelskörper) und eine Meteorologica im Sinne des Aristoteles behandelt.

Quellen

Weite Teile der Schrift sind Umformulierungen und fast wörtliche Exzerpte aus dem De natura rerum des Isidor von Sevilla und der Naturalis historia des Plinius des Älteren. Wahrscheinlich sind dies seine einzigen Quellen.[1] Die Angaben, die er bei Plinius findet, kürzt er stark, da sonst der Rahmen seines Werkes gesprengt würde. So streicht er in 47 De circulis Terrae, das hauptsächlich aus einer langen Liste von geographischen Begriffen besteht,[2] etwa zwei Drittel der Namen. Dass dabei Städte wie Mailand und Rom wegfallen, ist überraschend. Plinius wird im Werk nur einmal zitiert, im Kapitel 14 sogar mit einer Leseempfehlung:
De quibus si plenius scire uelis, lege Plinium Secundum ex quo et ista nos excerpsimus
Wenn du das umfassender wissen willst, dann lese Plinius Secundus, von dem wir das entnommen haben.
Die Kürzungen bei Isidor von Sevilla haben einen anderen Hintergrund. Beda Venerabilis schätzt diesen nicht. Es ist überliefert, dass er das Werk des Isidor von Sevilla gekürzt habe, damit seine Schüler keine mendacia = Unwahrheiten lesen.[3] So hat Beda Venerabilis alle Zitate antiker Autoren gestrichen, aber auch die zahlreichen Zitate von Kirchenvätern. Dadurch verliert der Text viel an dichterischem Schmuck. Deutlich wird das in Kapitel 8 Von den himmlischen Wassern. Während Isidor von Sevilla (14 Von den himmlischen Wassern) den Kirchenvater Ambrosius von Mailand zitiert, der erwägt, ob diese in der Bibel erwähnten Wasser vorhanden sein können, wegen der Gestalt des Himmels und der Hitze der Gestirne, heißt es bei Beda Venerabilis knapp: Diese Wasser sind da und dienen nötigenfalls zur Sintflut. Der Name Isidor von Sevilla wird in der ganzen Schrift nicht genannt.

Inhalt

Den Anfang des Werkes bilden zwei Kapitel mit einer sprachlich überhöhten Schilderung des vierfältigen Werkes Gottes und einer Darstellung der Genesis gemäß der Bibel. Mit dieser Einleitungssequenz stellt der Autor die Inhalte der christlichen Lehre über das folgende vorchristliche Wissen und erreicht so eine theosophische Legitimation des ganzen Werkes.[4]

Die folgenden 49 Kapitel folgen weitgehend den Kapiteln 8 bis 46 der Schrift De natura rerum von Isidor von Sevilla. Kapitel 3 bis 24 behandeln den Komplex Erde und Himmelskörper, die restlichen bilden eine Meteorologica.

Erde und Himmelskörper

Es werden Themen behandelt wie die Beschaffenheit und Gestalt von Himmel und Erde, der Zodiak, die Planeten, Größe von Sonne und Mond, Ursache von Sonnen- und Mondfinsternis. Beda Venerabilis folgt den Ausführungen bei Isidor von Sevilla und ergänzt im Bedarfsfall mit Exzerpten bei Plinius. So greift er in Kapitel 14 Von den Apsiden der Planeten auf Plinius Naturalis Historia, II, 63–64 zurück, um den verwirrenden Lauf der Planeten zu beschreiben. In Kapitel 20 findet sich ein Beleg dafür, dass Beda Venerabilis selbst den Himmel beobachtet hat:

Nouissimam uero primamque lunam ... nullo alio in signo Ariete conspici

Im Fühling habe ich das Neulicht des Mondes nur im Zeichen des Widders gesehen.

Meteorologica

Der zweite Teil ist eine Meteorologica im Sinne des Aristoteles, eine Darstellung der Geschehnisse in dem der „Gestirnsphäre benachbarten Raum“ und Vorgänge auf der Erde.[5] Behandelt werden Blitz, Donner, Regenbogen, Erdbeben, die Gezeiten und vieles mehr. Durch die Hinzuziehung der Exzerpte aus der Naturalis historia wird Isidor von Sevilla an wissenschaftlichem Gewicht übertroffen. In Kapitel 39 Über die Gezeiten z. B. schildert Beda Venerabilis die Auswirkungen des Mondes auf den Verlauf von Ebbe und Flut exakt,[6] während Isidor von Sevilla den Mond nur im Ungefähren zusammen mit anderen Begründungen nennt.

Weiterwirken und Überlieferung

Das Buch erreichte im Mittelalter ein hohes Ansehen, wurde über den ganzen Kontinent verbreitet und erst in der Zeit der Hochscholastik aus seiner führenden Stellung verdrängt.[7] Dies wird auch durch die über 130 Handschriften, die überliefert sind, belegt. 1563 erschien bei Hervagius in Basel die erste gedruckte Fassung, 1612 und 1688 Editionen in Köln, 1843 eine Edition durch Giles in London, und 1850 nahm Jacques Paul Migne das Werk in seine Patrologia Latina auf.[8]

Textausgabe

  • Ch. W. Jones: Bedae Venerabilis Opera, Turnholt, Brepols 1975

Literatur

  • Franz Brunhölzl: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, München 1975
  • Brigitte Englisch: Die artes liberales im frühen Mittelalter, Stuttgart 1994
  • Ch. W. Jones: Bedae Venerabilis Opera, Pars I Opera didascalica, Introduction, Turnholt, Brepols 1975
  • Paul Meyvaert: Benedict, Gregory, Bede and Others, London 1977
  • William H. Stahl: Roman Science, Wisconsin 1962

Einzelnachweise

  1. William H. Stahl: Roman Science, S. 227
  2. Plinius der Ältere: Naturalis historia, VI, 212-219
  3. Paul Mayvaert: Benedict, Gregory, Bede and Others, S. IX, 68
  4. Brigitte Englisch: Die artes liberales im frühen Mittelalter, S. 247
  5. Aristoteles: Meteorologie. Über die Welt, A1, 338 a25 - 339 a5
  6. Plinius der Ältere: Naturalis historia, II, 212-216
  7. Franz Brunhölzl: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, S. 211
  8. Ch. W. Jones: Bedae Venerabilis Opera, Pars I, Introduction, S. 174–185