Corps Palatia Gießen

Das Corps Palatia Gießen war eine Studentenverbindung an der Hessischen Ludwigs-Universität.

Geschichte

Palatia ging aus der nach dem Frankfurter Wachensturm aufgelösten Gießener Burschenschaft hervor[1][2][3] und wurde gegen Zusicherung der Aufhebung der gegenseitigen Verrufserklärungen am 31. Mai 1833 in den Gießener Senioren-Convent (SC) aufgenommen[4], der damit aus den vier Corps Hassia, Starkenburgia, Rhenania und Palatia bestand.[5]

Die Farben der Palatia waren grün-rot-gold, die an die Stelle der verbotenen burschenschaftlichen Farben Schwarz-Rot-Gold traten. Der gewählte Name war kein landsmannschaftlicher – die meisten Mitglieder stammten aus Darmstadt –, sondern eine Reminiszenz an das Hambacher Fest und die Freiheitsbewegung in der Pfalz.[6] Name und Satzung sollen dem im November 1831 gestifteten Corps Palatia (II) in Heidelberg entlehnt worden sein.

Während sich eine Minderheit innerhalb des Corps, zu der auch der spätere Paulskirchen-Abgeordnete Carl Vogt gehörte, von revolutionären Zielsetzungen abwandte, hielten etwa zwei Drittel in alter burschenschaftlicher Tradition an den politischen Forderungen fest[7], und gerieten damit in Gegensatz zu den altlandsmannschaftlichen Corps Hassia und Rhenania. Tätliche Auseinandersetzungen nach dem Holzkomment zwischen beiden Parteien am 21. Februar 1834[8] führten zur Auflösung des Corps, um einer behördlichen Untersuchung zu entgehen[9]. Trotzdem leitete das Großherzogliche Universitätsgericht auf der Grundlage der Anfang 1834 unter Kanzler Linde erlassenen neuen Disziplinarstatuten ein Verfahren ein. 80 Burschenschafter, Starkenburger und Pfälzer wurden am 9. Dezember 1836 freigesprochen, gegen sieben Angeklagte wurde auf Fortsetzung der Untersuchung erkannt. Erst 1837 wurden die Prozesse wegen Teilnahme an der Palatia endgültig eingestellt.

Besondere Bedeutung erlangte das Corps durch die Beziehungen mehrerer seiner Mitglieder zu Georg Büchner[10], der im gleichen Zeitraum an der Gießener Universität immatrikuliert war. Mit Ausnahme von August Becker und Büchners Schulfreund Hermann Wiener waren sämtliche studentischen Mitglieder der beiden Sektionen der von Bücher gegründeten Gesellschaft für Menschenrechte zugleich Mitglied des Corps Palatia[11], darunter Franz Josef Amand Appiano, Hermann Trapp und Ludwig Christian Becker. Die Pfälzer Gustav Clemm und Karl Minnigerode wirkten bei der Verteilung des Hessischen Landboten mit, Clemm war derjenige, der durch seine Aussagen vor Gericht Büchners Agitation später publik machte.

Trotz ihrer kurzen Bestandsdauer spielte Palatia damit für die Geschichte der Universität Gießen in der Zeit des Vormärz eine wichtige Rolle und war von nachhaltiger Bedeutung auch für die spätere Entwicklung des Gießener SC. Als Nachfolger gilt das 1839[12] gestiftete Corps Teutonia, das die Farben und die Constitution der Palatia übernahm und in seiner progressistischen Ausrichtung bis 1849 ganz in der Tradition der Palatia stand.[13]

Bekannte Mitglieder

NameLebensdatenTätigkeitBild
Gustav Baur1816–1889Ev. Theologe
Gustav Baur
Ludwig Christian Becker1808–1861Revolutionär und Mitverschworener Georg Büchners
Christian Gustav Clemm1814–1866Chemiker
Gustav Clemm
Georg Geilfus1815–1891deutsch-schweizerischer Pädagoge
Johann Baptist Müller-Melchiors1815–1872Abgeordneter der 2. Kammer der Landstände des Großherzogtums Hessen
Karl Minnigerode1814–1894Mitverschworener Georg Büchners, Prediger der Episkopalkirche in Richmond (Virginia)
Ernst Elias Niebergall[14]1815–1843Schriftsteller
Ludwig Rosenstiel1806–1863Revolutionär
Carl Vogt[15]1817–1895deutsch-schweizerischer Naturwissenschaftler und Demokrat, Professor für Zoologie in Gießen, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung
Carl Vogt
Ludwig Franz Alexander Winther1812–1871Professor für Pathologie in Gießen
Ludwig Franz Alexander Winther

Mitgliederverzeichnisse:

  • Kösener Korpslisten 1910, 55.
  • Paul Wentzcke: Burschenschafterlisten. Zweiter Band: Hans Schneider und Georg Lehnert: Gießen – Die Gießener Burschenschaft 1814 bis 1936. Görlitz 1942, K. Palatia.

Literatur

  • Hans-Georg Balder: Die deutschen Burschenschaften. Ihre Darstellung in Einzelchroniken. Hilden 2005, S. 159.
  • Georg Fritz: Corps Teutonia zu Gießen 1839–1935. Gießen 1939.
  • Florian Hoffmann: Corps oder Burschenschaft? Zur Verortung der Gießener Palatia (1833–1834). In: Beiträge der 67. Deutschen Studentenhistorikertagung 2007 in Gießen, o. O., o. J., S. 11–20.
  • Hans-Reinhard Koch: Der Gießener SC zwischen Urburschenschaft und Progress. In: Einst und Jetzt. Band 15 (1970), S. 97–103.
  • Ernst Kornemann: Geschichte des Corps Teutonia. Gründungszeit bis 1850. Gießen 1914.
  • Carl Vogt: Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke (= Studia Giessenia 7). Gießen 1997.

Weblinks

Commons: Corps Palatia Gießen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Georg Lehnert, Herman Haupt: Chronik der Universität Giessen, 1607 bis 1907. Gießen 1907, S. 30.
  2. Steffen Haßlauer: Polemik und Argumentation in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Eine pragmalinguistische Untersuchung der Auseinandersetzung zwischen Carl Vogt und Rudolph Wagner um die "Seele". Reihe Germanistische Linguistik Band 291, Berlin, New York 2010, S. 61.
  3. Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins. Gießen 1961, S. 108.
  4. Ernst Kornemann: Geschichte des Corps Teutonia. Gründungszeit bis 1850. Gießen 1914, S. 8
  5. Erich Zimmermann: Für Freiheit und Recht!. Der Kampf der Darmstädter Demokraten im Vormärz (1815–1848). Hrsg. von der Hessischen Historischen Kommission. Darmstadt 1987, S. 139
  6. Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner. Biographie. Stuttgart, Weimar 1993, S. 243
  7. Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner. Biographie. Stuttgart, Weimar 1993, S. 244
  8. Paul Wentzcke: Burschenschafterlisten. Zweiter Band: Hans Schneider und Georg Lehnert: Gießen – Die Gießener Burschenschaft 1814 bis 1936. Görlitz 1942, S. 34.
  9. Paul Wentzcke: Burschenschafterlisten. Zweiter Band: Hans Schneider und Georg Lehnert: Gießen – Die Gießener Burschenschaft 1814 bis 1936. Görlitz 1942, S. 35.
  10. Jürgen Seidel: Georg Büchner dtv, München 1998, ISBN 3-423-31001-4, S. 70
  11. Thomas Michael Mayer: Georg Büchner. Leben, Werk und Zeit. Marburg. 2. Auflage. 1986, S. 109
  12. E. H. Eberhard: Handbuch des studentischen Verbindungswesens. Leipzig, 1924/25, S. 47.
  13. Ernst Kornemann: Geschichte des Corps Teutonia. Gründungszeit bis 1850. Gießen 1914, S. 15
  14. Fritz Deppert: "Gut gebrüllt, Löwe!". 2007, S. 116
  15. Steffen Haßlauer: Polemik und Argumentation in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Eine pragmalinguistische Untersuchung der Auseinandersetzung zwischen Carl Vogt und Rudolph Wagner um die "Seele". Berlin, New York 2010, S. 61

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Porträt Gustav Baur

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Christian Gustav Clemm (* 29. März 1814 in Lich, Hessen; † 3. Januar 1866 in Dresden)
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Ludwig Franz Alexander Winther; ca. 1842; Institut für Geschichte der Medizin, Gießen