Codex Sinaiticus

Manuskripte des Neuen Testaments
PapyriUnzialeMinuskelnLektionare
Unzial 01
Buch Ester
NameSinaiticus
Zeichenא
TextAltes und Neues Testament
SpracheGriechisch
Datumc. 330–360
GefundenSinai 1844
LagerortBritish Library, Universitätsbibliothek Leipzig, Katharinenkloster, Russische Nationalbibliothek
QuelleLake, K. (1911). Codex Sinaiticus Petropolitanus, Oxford.
Größe38 × 34 cm
Typalexandrinischer Texttyp
KategorieI
Notizsehr nahe an Papyrus 66
Ausschnitt aus dem Codex Sinaiticus (Est 2,3–8 )

Der Codex Sinaiticus ist ein Bibel-Manuskript aus dem 4. Jahrhundert. Der Codex enthält große Teile des Alten und ein vollständiges Neues Testament in altgriechischer Sprache. Er gehört zu den bedeutendsten bekannten Handschriften des griechischen Alten Testaments und des Neuen Testaments und ist die älteste vollständig erhaltene Abschrift des Neuen Testaments. Der neutestamentliche Teil des Codex Sinaiticus gehört im Wesentlichen zum alexandrinischen Texttyp.[1]

1844 wurde der Codex von Konstantin von Tischendorf im Katharinenkloster am Berg Sinai (Ägypten) entdeckt, und 43 Blätter dieser Handschrift veröffentlichte er 1846 – zu Ehren des Unterstützers seiner Reise, des Königs Friedrich August II. von Sachsen – unter dem Titel ‚Codex Frederico-Augustanus‘. Über die Art und Weise, wie Tischendorf in den Besitz der Schriften kam, gibt es unterschiedliche Aussagen. Die Zarin Marie von Hessen-Darmstadt finanzierte ihm weitere Reisen und schenkte weitere Funde dem Zaren Alexander II.

Unter Stalin wurde der Codex 1933 an England verkauft. Seit 2009 ist er im Internet vollständig einsehbar.

Der Codex

Besonderheiten

Der Codex Sinaiticus ist eine besonders großformatige Bibelausgabe, der Text ist in vier Spalten angeordnet. Es gibt sonst kein anderes Manuskript des Neuen Testaments, das vier Spalten aufweist. Für die Pergamentherstellung waren die Häute von 700 Kälbern und Schafen nötig, was in der damaligen Zeit ein Vermögen bedeutete.[2] Das Pergament ist sehr fein und dünn, hell und von ausgezeichneter Qualität und der Erhaltungszustand angesichts des hohen Alters sehr gut. Die Vermutungen von Tischendorf und Gregory, dass es sich um Antilopenhaut handeln könnte, haben sich durch die neuere Forschung nicht erhärtet.[3] Einige Forscher halten die Handschrift für eines der fünfzig Exemplare, die Kaiser Konstantin I. als Förderer der christlichen Kirche etwa um 320 in Auftrag gab.

Der Codex besteht in seinen übrig gebliebenen Teilen aus 346½ Folia, 199 des Alten und 147½ des Neuen Testaments. Er ist die einzige vollständige Handschrift des Neuen Testamentes in Unzial-Schrift, vom Alten Testament fehlt ein bedeutender Anteil.[1]

Inhaltlich umfasst der Codex Sinaiticus einen Großteil des Alten Testaments, das gesamte Neue Testament von Matthäus bis zur Offenbarung sowie zwei apokryphe Schriften, den Brief des Barnabas und den Beginn des Hirten des Hermas.[4] Er ist somit auch für diese apokryphen Schriften ein grundlegender Textzeuge.

Die Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher ist: die vier Evangelien, die Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte, die katholischen Briefe und die Offenbarung des Johannes.

Text

Ausschnitt aus dem Matthäusevangelium (Mt 8,28 )

Vom Anfang des Alten Testaments mit den Geschichtsbüchern (1. Moses bis 1. Chronik) sind nur Fragmente enthalten.[5]

Der Text des Neuen Testaments wird von Bruce Metzger im Wesentlichen zum alexandrinischen Texttyp gezählt, mit einem deutlichen Einschlag des westlichen Texttyps, so zu Beginn des Johannesevangeliums (Joh 1,1 bis 8,38). Der Codex Sinaiticus enthält zahlreiche Singulärlesarten und Flüchtigkeiten. Der Codex lässt ebenso wie der Vaticanus die Doxologie nach dem Vaterunser in Mt 6,13  aus, in beiden fehlt Mt 16,2–3 ; 17,21 ; Mk 9,44–46 ; 16,8–20 ; Joh 5,3–4 ; 7,53 bis 8,11 .[6] Im Text des Neuen Testaments fehlen Verse, die in anderen Handschriften vorkommen:[7] Es fehlen:

Erstmals veröffentlicht wurde der Text des Codex Sinaiticus im Jahr 1862 durch Tischendorf zum 1000. Jubiläum der russischen Monarchie in einer vom Zar Alexander II. finanzierten prachtvollen vierbändigen Faksimileausgabe. Tischendorf ließ eigens dazu Drucktypen anfertigen, die der Handschrift nachempfunden waren.

Die definitive Publikation des Codex erfolgte durch Kirsopp Lake 1911 und 1922 bei Oxford University Press aufgrund von Fotos als Faksimile.[10]

Im Textapparat wird der Codex Sinaiticus seit Tischendorf mit dem Sigel א (Aleph) bezeichnet, nach Gregory-Aland zusätzlich mit der Nummer 01. Neben dem eigentlichen Text enthält der Codex Sinaiticus noch mehrere Ebenen von Korrekturen: Der ursprüngliche Text wurde noch im Skriptorium von Korrektoren korrigiert. Diese Textvarianten werden mit א a bezeichnet. Später, wahrscheinlich im 6. oder 7. Jahrhundert, brachte eine Gruppe von Korrektoren in Caesarea zahlreiche Änderungen im Text des Alten und des Neuen Testaments ein. Diese Änderungen werden als א ca und א cb bezeichnet.[1] Gemäß einem Kolophon am Ende der Bücher Esra und Esther, war ihre Basis „ein sehr altes Manuskript, das durch die Hand des heiligen Märtyrers Pamphilus († 309) korrigiert worden war“.[11] Laut seinem Schüler Eusebius von Caesarea hatte Pamphilus eine besonders reichhaltige Bibliothek von biblischen Kodizes.

Bedeutung

Diese Bibelhandschrift aus der Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus gilt heute als einer der wichtigsten Textzeugen für das Neue Testament. Es ist zugleich die älteste Handschrift der Welt, die das Neue Testament vollständig enthält.

Aus textkritischer Sicht ist dieser Codex von enormer Bedeutung; er gehört zusammen mit dem Codex Vaticanus, von dem er sich nur unwesentlich unterscheidet, zu den bedeutendsten erhaltenen Bibelmanuskripten überhaupt. Tischendorf setzt ihn als ersten Zeugen in seiner Oktavausgabe, Kurt Aland ordnete ihn in die höchste Kategorie I der neutestamentlichen Textzeugen ein, nur Codex Vaticanus ist in der Textqualität ebenbürtig oder übertrifft ihn noch. Verschiedene erhaltene Papyrushandschriften aus dem dritten Jahrhundert zeigen eine sehr ähnliche Textgestalt, so dass erwiesen ist, dass diese Textform weit zurückreicht und verbreitet war und nicht etwa aus einer nachträglichen Kürzung von Manuskripten des byzantinischen Texttyps im dritten oder Anfang des vierten Jahrhunderts herstammt.

In den letzten Jahrzehnten wurden weitere und teils ältere Bibelhandschriften entdeckt, wie die Bodmer- und Chester-Beatty-Papyri, aber nie mehr ein ganzes vollständiges Neues Testament. Durch diese Funde kann der Bibeltext für das Neue Testament von Textforschern bis zu Beginn des 2. Jahrhunderts zurückverfolgt werden.

Geschichte des Manuskripts

Synopsis der Geschichte

Infolge unterschiedlicher Sicht der Geschichte des Codex, insbesondere bezüglich der Eigentumsrechte, durch die Besitzer von Teilen der Handschrift wird hier im Wesentlichen auf einen englischsprachigen Text Bezug genommen, dem allen vier Partner des Codex-Sinaiticus-Projekts als derzeitigem Rahmen historischer Referenz zugestimmt haben.[12]

Entdeckung

Konstantin von Tischendorf um 1845
Katharinenkloster

Der deutsche Theologe Konstantin von Tischendorf machte sich im Mai 1844 zu einem der ältesten noch bestehenden Klöster der Welt auf, zum Katharinenkloster auf der Sinai-Halbinsel, um dort nach alten Handschriften zu suchen. Die Mönche waren gastfreundlich, doch über die Bestände in der Bibliothek konnte keiner der Brüder genaue Auskunft geben. So machte sich Tischendorf selbst an die Arbeit und untersuchte die Bestände der Bibliothek, wo er 129 großformatige Pergamentblätter entdeckte. Die Art der Übersetzung und die Buchstabenformen ließen eine Datierung auf die Mitte des 4. Jahrhunderts zu. 43 Blätter dieser Handschrift durfte der deutsche Gelehrte gemäß seinem eigenen veröffentlichten Bericht – keine andere Aufzeichnung darüber ist bisher bekannt – nach Leipzig mitnehmen, wo er diese 1846 zu Ehren des Unterstützers seiner Reise, des Königs Friedrich August II. von Sachsen unter dem Titel 'Codex Frederico-Augustanus’ veröffentlichte. Sie werden bis heute in der dortigen Universitätsbibliothek aufbewahrt.[1]

Den Fundort dieser alten Handschrift gab Tischendorf aber nicht preis, sondern beschrieb ihn vage als „von einem Kloster im Orient“, da er hoffte, die restlichen 86 Blätter noch erwerben zu können.

Fragmente des Codex

Nach 1844 wurden mehrere Besichtigungen des Codex durch Besucher im Kloster dokumentiert. Der russische Archimandrit Porfirij Uspenskij untersuchte gemäß seinem Bericht 347 Blätter des Codex bei seinem Besuch 1845.[13] Darin enthalten waren die 86 von Tischendorf gesichteten, aber im Kloster verbliebenen Blätter. Uspenskij erhielt während seines Besuchs drei Fragmente von zwei Codex-Blättern, die vorher zu Buchbindungszwecken im Kloster verwendet worden waren. Sie wurden 1883 durch die Kaiserliche Bibliothek in St. Petersburg erworben, desgleichen später ein weiteres Fragment derselben beiden Blätter, das Tischendorf bei seinem zweiten Besuch 1853 erhalten hatte und das im Kloster als Lesezeichen entdeckt worden war. Ein anderes Fragment aus einem Buchbindungsvorgang wurde 1911 in der St. Petersburger Gesellschaft für Antike Literatur aufgefunden.

Der „Export“ des Codex

Bei Tischendorfs zweitem Besuch im Katharinenkloster 1853 waren die 86 Blätter unauffindbar.[14] Auch bei seinem dritten und letzten Besuch 1859 unter der Schirmherrschaft des russischen Zaren Alexander II. wusste zunächst keiner der Mönche etwas vom Verbleib der Bibelhandschrift. Nach Tischendorfs Bericht wurde er am Vorabend seiner Abreise vom Verwalter des Klosters in seine Zelle eingeladen, da dieser dem Forscher eine griechische Bibel zeigen wollte. Als Tischendorf die in ein rotes Tuch eingepackte Bibel öffnete, sah er vor sich nicht nur die vermissten 86 Pergamentblätter liegen, sondern gemäß seinem Bericht sah er am 4. Februar die 347 Blätter des Codex.[15]

Tischendorf war sich der erheblichen Bedeutung einer Transkription ihres vollständigen Textes für die Bibelforschung bewusst, aber auch der Schwierigkeit, diese Tätigkeit im Kloster durchzuführen. Aufgrund seiner Anfrage wurde der Codex am 24. Februar 1859 in das Metochion des Klosters nach Kairo verbracht, und Tischendorf erhielt dort die Erlaubnis, während dreier Monate, von März bis Mai, die Blätter einzeln zu begutachten. Dabei bestätigte sich die Überzeugung des deutschen Gelehrten, die 347 Blätter seien „der kostbarste biblische Schatz, den es gab“.

Nach einigen Monaten weiterer Reisen im Mittleren Osten kehrte er im September 1859 nach Kairo zurück und unterzeichnete dort am 16./28. September eine Empfangsbestätigung für das Ausleihen der 347 Blätter des Codex. In dem Quittungsdokument bezeichnete er den Zweck der Leihgabe damit, ihm die Mitnahme des Manuskripts nach St. Petersburg zu ermöglichen, um dort seine früheren Transkriptionen mit dem Original zu vergleichen als Vorbereitung für dessen Veröffentlichung. Er versprach darin zugleich die Rückgabe des unversehrten Codex an das Kloster, sobald dies gefordert würde, aber zugleich bezog er sich auf einen früheren Brief des damaligen russischen Botschafters bei der Hohen Pforte, Prinz Lobanow, an das Kloster. Datiert am 10./22. September 1859, bezieht sich dieser Brief auf Tischendorfs Erklärung, dass die Klostergemeinschaft den Wunsch hege, den Codex als Schenkung an den Zaren zu überreichen. Da die Schenkung nicht als erwiesen angenommen werden konnte, erkannte der Botschafter an, dass bis zur Bestätigung der Schenkung – und immer vorausgesetzt, sie würde realisiert – das Eigentum an dem Manuskript beim Kloster bleibe, an welches das Manuskript nach dessen erster Anforderung zurückzugeben sei. In ihrer Antwort an Lobanow vom 17./29. September brachte die Klostergemeinschaft ihre Unterstützung für Tischendorf in seinen Bemühungen und seiner Ergebenheit gegenüber dem Zaren zum Ausdruck, aber nahm keinen expliziten Bezug auf die Schenkungsangelegenheit.

Zar Alexander II. von Russland

Die darauf folgenden Ereignisse sind im Wesentlichen jetzt klar dokumentiert. 1862 veröffentlichte Tischendorf seine aufwendige Faksimile-Druckausgabe des Codex. Diese Ausgabe wurde ihrem Widmungs-Adressaten und Förderer des Transkriptionswerks, dem Zaren Alexander II., in einer formellen Audienz in Zarskoje Selo am 10. November 1862 überreicht. Bei derselben Gelegenheit wurde der Codex durch Tischendorf übergeben, da sein wissenschaftliches Werk beendet war. Während der folgenden sieben Jahre verblieb das Manuskript im Außenministerium in St. Petersburg; erst 1869 wurde es in die Kaiserliche Bibliothek verbracht. In demselben Jahr, 1869, wurde eine Schenkungsurkunde des Codex an den Zaren unterzeichnet, zuerst am 13./25. November durch den damaligen Erzbischof des Sinai, Kallistratos, und die Synaxis (Versammlung) des Kairoer Metochions, zu dem der Codex 1859 überbracht worden war, und als zweites am 18./30. November durch Erzbischof Kallistratos und die Synaxes sowohl des Kairoer Metochions als auch des Katharinenklosters selbst.

Einschätzung der Eigentumssituation

Bezüglich der Ausleihe besteht keine Ungewissheit darüber, dass eine Schenkung an den Zaren ein Teil der ursprünglichen Absicht aller Beteiligten an der Übereinkunft von 1859 gewesen war.[16] Mit Blick auf die zehn Jahre zwischen Manuskriptempfang und dem Akt der Schenkung wird heute offensichtlich, dass diese Periode von großer Komplexität und voller Schwierigkeiten für das Katharinenkloster war. Zur Lebenszeit von Tischendorf wurde nie ein Vorwurf von unrechtmäßiger Aneignung des Codex, weder gegen ihn selbst noch gegen den Zaren, erhoben. Der Vorwurf des Diebstahls wurde erhoben, als man die vom Kloster unterschriebene Schenkungsurkunde verloren glaubte. Glücklicherweise konnte dieser Irrtum nachhaltig beseitigt werden, indem die Russische Nationalbibliothek in Sankt Petersburg die Existenz dieses Dokumentes publizierte und im Internet Einzelheiten bekannt gab.[16] Obwohl dies die Frage legal klärt, suchen die Mönche des Katharinenklosters immer noch Gründe für die Rückforderung, da sie nach der Abwicklung mit der Schenkungsurkunde den damaligen Vorgang bedauern. Unbestritten ist, dass der Codex Sinaiticus nur durch Tischendorfs Entdeckung der akademischen Textforschung weltweit zugänglich gemacht worden ist. Die Kritik einer unrechtmäßigen Entfernung des Codex trifft ihn nicht, allerdings wurde sein Ruf durch nicht substanziierte Behauptungen von sogenannten Fachleuten gern in Frage gestellt (das Katharinenkloster druckte noch 1995 in seiner Touristenbroschüre die Behauptung, Tischendorf hätte das Dokument unrechtmäßig entwendet).

Dem Tod des Erzbischofs Konstantios im Jahre 1859 folgte eine längere Vakanz des erzbischöflichen Throns infolge einer sehr turbulenten Periode der Nachfolgeregelung. Dem von der Bruderschaft als Nachfolger gewählten Kyrillos Byzantios wurde von dem für das Sinai zuständigen Patriarchen von Jerusalem die Konsekration verweigert. Schließlich gelang es Kyrillos, vom Patriarchen von Konstantinopel die Weihe zum Erzbischof zu empfangen und damit auch die Anerkennung durch die politischen Machthaber des Osmanischen Reiches, zu dem in jener Zeit auch Ägypten gehörte. Jedoch kurz danach führten Kyrillos’ Aktionen zu einem Bruch mit der Bruderschaft, zu seiner Absetzung und der Wahl eines neuen Erzbischofs, Kallistratos, durch sie, diesmal zwar gefolgt von der Konsekration durch den Patriarchen von Jerusalem, jedoch ohne Anerkennung durch andere Patriarchen und die politischen Machthaber. Erst 1869 erlangte Kallistratos die Anerkennung als Erzbischof durch alle kanonischen und staatlichen Autoritäten.

Die zeitlich parallele Lösung einer solchen offensichtlich heiklen Situation und des Status des Codex – beides durch die russische Diplomatie – hat zu unterschiedlichen Interpretationen geführt. Es gibt gewiss Grund zu der Annahme, dass russische Diplomaten ihre Intervention in der erzbischöflichen Nachfolge direkt mit der offiziellen Schenkung des Codex durch das Kloster an den Zaren verbanden. Durch die turbulente Nachfolge zwischen Kyrillos und dann Kallistratos, die nicht von anderen Patriarchen anerkannt wurde, wäre eine Schenkung vom Kloster im Einvernehmen mit der Bruderschaft auch nicht durchführbar gewesen, und die Verzögerung der Unterzeichnung der Schenkung ist eine notwendige Folge. Erst nachdem die anerkannte Nachfolge geregelt war, wurde die Schenkungsurkunde am 13./25. November durch den damaligen Erzbischof des Sinai, Kallistratos unterzeichnet.

Fortsetzung der Reise des Manuskripts

British Library

Im Sommer 1933 wurde in Großbritannien bekannt, dass die sowjetische Regierung unter Stalin durch den Verkauf des Codex Devisen erhalten wollte, um ihren zweiten Fünfjahresplan zu finanzieren. Mit starker Unterstützung durch den britischen Premier Ramsay MacDonald bewegten die Kuratoren des Britischen Museums das Schatzamt, 100.000 £ für die Lieferung des Codex nach London bereitzustellen. Damit verkaufte der sowjetische Staat am 27. Dezember 1933 das Manuskript über die Buchhändler Maggs Brothers an das British Museum und es wurde dort öffentlich ausgestellt (Add. Ms. 43 725). Von der Kaufsumme waren 7.000 £ vom British Museum aufgebracht und 93.000 £ zunächst aus einem zivilen Rücklagefonds bereitgestellt worden unter der Auflage einer Spendensammlung durch das Museum, wodurch dann innerhalb von zwei Jahren in einer „gemeinschaftlichen nationalen Anstrengung“ eine Summe von 53.563 £ an den Fonds zurückgezahlt wurde.[17]

Die Rechtmäßigkeit des Ankaufes wurde in Großbritannien zwar diskutiert und in der Folge auch durch britische Gutachter bestätigt, aber die Öffentlichkeit bewegte mehr die sicherlich unbeabsichtigte Zurückbehaltung eines winzigen Fragments von einem der 347 Blätter, die 1869 in die Kaiserliche Bibliothek gelangt waren, durch die Russen. Hingegen kam eine Diskussion über die fortgesetzte Trennung der Teile des Codex auf; der Erzbischof Porphyrios von Sinai stellte 1934 den Anspruch für das Katharinenkloster auf, der einzige rechtmäßige Eigentümer zu sein. In der Antwort wurde er auf die sowjetische Regierung verwiesen.

Nachdem der Codex 1933 ins British Museum gekommen war, wurde er von dortigen Paläographen gründlichst untersucht, unter anderem mit Ultraviolett-Lampen. H. J. M. Milne und Th. Skeat gaben mit Scribes and Correctors of Codex Sinaiticus die Ergebnisse 1938 heraus, die zusätzliche Informationen über den Codex erbrachten.[18]

Letzte Funde

Über 40 Jahre später, 1975, wurden im Kloster weitere, vorher unbekannte Teile des Codex gefunden. Am 26. Mai 1975 entdeckte der Sakristan Pater Sophronius während der Säuberung eines Raumes unterhalb der St.-Georgs-Kapelle an der Nordwand des Katharinenklosters ein großes, unbekanntes Lager von Manuskriptfragmenten, darunter einige Blätter und Fragmente des Codex Sinaiticus. Kurt Aland und sein Forscherteam aus dem Institut für Neutestamentliche Textforschung hatten 1982 exklusiv die Gelegenheit, die neuen Fragmente zu begutachten, sie zu analysieren und zu fotografieren.[19] So sind heutzutage im Kloster des Sinai – zumindest – achtzehn Blätter in Gänze oder in Fragmenten vorhanden, deren Herkunft entweder aus dem neuen Fund 1975 stammt oder aus Buchbindungen von Manuskripten, in denen sie von Zeit zu Zeit verwendet worden waren.[20]

Ein Fragment wurde 2009 von einem britischen Doktoranden[21] und Mitglied des „St. Catherine’s Library Project“–Teams auf einem Foto von früheren Buchbindungen im Kloster entdeckt, die im 18. Jahrhundert durchgeführt worden waren. Auf der Innenseite des rechten Buchdeckels des Bandes „Sinaiticus graecus 2289“ aus dem späten 17. bis frühen 18. Jahrhundert waren Pergament-Fragmente eines Manuskripts in griechischer Unzial-Schrift, angeordnet in schmalen Spalten von 13 bis 15 Buchstaben pro Zeile, zu sehen. Der Bibliothekar des Klosters, Pater Justin, untersuchte den Band und bestätigte, dass die Fragmente zum Codex Sinaiticus gehörten: Buch Josua Kap. 1 Vers 10. Die Schrift war durch den Buchbindungsprozess teilweise zerstört. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Pergamentblätter als Material zum Buchbinden wiederverwendet wurden (Pergamentmakulatur).

Transkription und Web-Publikation

Im Dezember 2006 wurde ein Gemeinschaftsprojekt der British Library, der Universitätsbibliothek Leipzig, der Russischen Nationalbibliothek und des Katharinenklosters vorgestellt, den gesamten Codex zu digitalisieren, im Internet zur Verfügung zu stellen und als Faksimile zu publizieren. Im Mai 2008 wurden 43 digitalisierte Seiten veröffentlicht, seit dem Juli 2009 ist der gesamte Codex online.[5] Das Projekt ist finanziert durch verschiedene Institutionen, unter anderen von The Arts and Humanities Research Council, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Stavros S. Niarchos Foundation. Neben den genannten Partnern arbeiteten das Institute for Textual Scholarship and Electronic Editing (ISEE), University of Birmingham, das Institut für neutestamentliche Textforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, das Göttinger Digitalisierungszentrum Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, die Society of Biblical Literature, Atlanta und viele Einzelpersonen mit.[22] Es umfasste die Konservierung, die Digitalisierung, Transkription[23] und Dokumentation im Internet.

Die Konservierung beschränkte sich auf das für das Fotografieren Erforderliche. Die Blätter wurden einzeln physisch analysiert und die Ergebnisse in einer mehr als 300 Kategorien umfassenden Datenbank dokumentiert. Für die Ergebnisbeschreibung wurde eine international verständliche Terminologie entwickelt. Mit nicht-destruktiven Techniken wurden die Tintenarten, die Präparierung der noch unbeschriebenen Blätter sowie die Tierarten analysiert, deren Haut als Pergament verwendet worden war.[24]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c d Kurt und Barbara Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1981, SS. 117–118. ISBN 3-438-06011-6.
  2. Das Codex Sinaiticus Projekt. Bericht über den Zustand der Pergamentblätter
  3. Caspar René Gregory: Textkritik des Neuen Testaments. Leipzig 1900, S. 18, Textarchiv – Internet Archive.
  4. Bruce M. Metzger: Manuscripts of the Greek Bible: An Introduction to Palaeography. Oxford: Oxford University Press, 1991, ISBN 978-0-19-502924-6, S. 76.
  5. a b Codex Sinaiticus. Abgerufen am 22. Februar 2022 (englisch).
  6. Bruce M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament (Deutsche Bibelgesellschaft: Stuttgart 2001), S. 315, 388, 434, 444.
  7. Bruce M. Metzger: A Textual Commentary on the Greek New Testament. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2001
  8. NA26, S. 273
  9. Bruce M. Metzger: A Textual Commentary on the Greek New Testament. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2001, S. 315, 388, 434, 444.
  10. Kirsopp Lake, Codex Sinaiticus Petropolitanus: The New Testament, the Epistle of Barnabas and the Shepherd of Hermas, Oxford: Clarendon Press 1911.
  11. Bruce M. Metzger: The Text of the New Testament: Its Transmission, Corruption and Restoration, (3rd Ed.), Oxford: Oxford University Press, 1992, S. 46
  12. History of Codex Sinaiticus. Englische Webseite des Codex Sinaiticus Projekts, ABOUT CODEX SINAITICUS; History. Abgerufen am 10. Dezember 2010.
  13. П. Успенский: Первое путешествие в Синайский монастырь в 1845 году. Petersburg 1856, S. 226.
  14. Kirsopp Lake, Codex Sinaiticus Petropolitanus: The New Testament, the Epistle of Barnabas and the Shepherd of Hermas, Oxford: Clarendon Press, 1911, S. V.
  15. Kirsopp Lake, Codex Sinaiticus Petropolitanus: The New Testament, the Epistle of Barnabas and the Shepherd of Hermas, Oxford: Clarendon Press, 1911, S. VI.
  16. a b nlr.ru
  17. Bruce M. Metzger: The Text of the New Testament. Its Transmission, Corruption, and Restoration. Oxford University Press, Oxford 2005, ISBN 978-0-19-516122-9, S. 64.
  18. T. C. Skeat, A four years work on the Codex Sinaiticus: Significant discoveries in reconditioned ms. In: T. C. Skeat and J. K. Elliott, The collected biblical writings of T. C. Skeat, Brill 2004, S. 9.
  19. FAZ, Die Funde der Mönche vom Sinai, 11. Mai 1983, Nr. 109, S. 10
  20. Theodore Cressy Skeat: The Last Chapter in the History of the Codex Sinaiticus. In: Novum Testamentum 42, 2000, S. 313–315.
  21. Nikolas Sarris: The Discovery of a new fragment from the Codex Sinaiticus. „Sinaiticus“, The Bulletin of the Saint Catherine’s Foundation, London, New York, Geneva, 2010, S. 13
  22. Codex Sinaiticus – Beteiligte. Website des Projekts. Abgerufen am 28. März 2015.
  23. Codex Sinaiticus – Transkription. Website des Projekts. Abgerufen am 28. März 2015.
  24. Codex Sinaiticus – Konservierung. Website des Projekts, mit weiteren Angaben (teilw. engl.). Abgerufen am 28. März 2015.

Literatur

Text
  • Christfried Böttrich: One Story – Different Perspectives. The Case of the Codex Sinaiticus, in: Codex Sinaiticus – New Perspectives on the Ancient Biblical Manuscript, Scot McKendrick, David Parker, Amy David Myshrall, Cillian O’Hogan (Hrsg.), London 2015. (Tagungsband der Konferenz vom Juli 2009 in der British Library London)
  • Alexander Schick: Tischendorf und die älteste Bibel der Welt – Die Entdeckung des CODEX SINAITICUS im Katharinenkloster. Jota Verlag, Muldenhammer 2015, ISBN 978-3-935707-80-0 (Biografie zum 200. Geburtstag von Tischendorf mit einer Vielzahl von bisher unveröffentlichten Dokumenten aus seinem Nachlass. Diese bieten Einblick in bisher unbekannte Details der Entdeckungen und die Hintergründe der Schenkung. Neueste Forschungen über Tischendorf und den Codex Sinaiticus, sowie seine Bedeutung für die neutestamentliche Textforschung)
  • Konstantin von Tischendorf: Die Sinaibibel ihre Entdeckung, Herausgabe, und Erwerbung. Giesecke & Devrient, Leipzig 1871 (archive.org).
  • Christfried Böttrich, Sabine Fahl, Dieter Fahl: Das Dossier des russischen Ministers Golovnin von 1862 zur Frage des “Codex Sinaiticus”. In: Scriptorium, 63/2, 2009, S. 288–326.
  • Konstantin von Tischendorf: Wann wurden unsere Evangelien verfasst? J. C. Hinrichssche Buchhandlung, Leipzig 1865 (archive.org).
  • Kurt und Barbara Aland: Der Text des Neuen Testaments. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1991, ISBN 3-438-06011-6, S.?.
  • Bruce M. Metzger: Manuscripts of the Greek Bible: An Introduction to Palaeography. Oxford: Oxford University Press, 1991, ISBN 978-0-19-502924-6, S.?.
  • Ludwig Schneller: Tischendorf-Erinnerungen. Merkwürdige Geschichte einer verlorenen Handschrift. Erinnerungen seines Schwiegersohnes. Leipzig 1927, 1929; Schweikardt-St. Johannis, Lahr-Dinglingen 1954, 1983, 1991, ISBN 3-501-00100-2
  • Christfried Böttrich: Der Jahrhundertfund. Entdeckung und Geschichte des Codex Sinaiticus. Leipzig 2011, ISBN 978-3-374-02586-2
  • Konstantin von Tischendorf: Bibliorum codex Sinaiticus Petropolitanus. 4 Bände. Petersburg 1862 (Nachdruck Olms, Hildesheim 1969).
  • Das Erbe des Jesus-Spions. In: Der Spiegel. Nr. 17, 2007, S. 154–156 (online).
  • F. H. Baader, H. J. Grieser: Codex Sinaiticus als Grundtextausgabe der Geschriebenen des Neuen Bundes. Hans Jürgen Grieser, Schömberg 1993, ISBN 3-933455-01-4
  • Victor Gardthausen: Griechische paleographie. Band 2. Leipzig 1913, S. 119–134. archive.org
  • Konstantin von Tischendorf: Fragmentum Codicis Friderico-Augustani ex Iesaia et Ieremia in: Monumenta sacra inedita Leipzig 1855, Bd. 1, S. 211–216.
  • Matthew Black, Robert Davidson: Constantin von Tischendorf and the Greek New Testament. University of Glasgow Press, Glasgow 1981, ISBN 0-85261-164-1
  • Bruce M. Metzger: The Text of the New Testament. Its Transmission, Corruption, and Restoration. Oxford University Press, Oxford 1992, ISBN 0-19-507297-9, S.?.

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