Civitas

Cívitas (Plural: Civitates), wörtlich „Bürgerschaft“, ist das lateinische Wort für eine halbautonome Verwaltungseinheit der mittleren Ebene. Die civitates bestanden stets aus einem städtischen Zentrum nebst Umland und wurden meistens nach ihrem Hauptort oder dem zugehörigen Stamm benannt. Civitas kann auch allgemein „Bürgerrecht“ bedeuten; am wichtigsten war dabei die civitas Romana, also das römische Bürgerrecht, das schließlich 212 n. Chr. von Kaiser Caracalla durch die Constitutio Antoniniana allen freien Reichsbewohnern verliehen wurde.

Im Mittelalter wandelte sich das Bedeutungsspektrum und konnte nun allgemein jede Stadt oder Stadtgemeinde bezeichnen.[1] Die genaue Bedeutung änderte sich im Laufe der Jahrhunderte, abhängig von der Region und den dortigen Stadtwerdungsprozessen („von der Burg zur Stadt“).

Charakteristika und Formen

Typisch für Civitas-Hauptorte sind repräsentative öffentliche Bauten wie Forum, Basilika (Verwaltungsgebäude am Forum), Theater, Tempel, Bäder, Wasserleitungen und Raststationen (mansiones). Die civitas verfügte in der Regel über einen Stadtrat (curia) und eigene Amtsträger (insbesondere die duoviri, die in vielen Orten als „Bürgermeister“ fungierten), die für die lokale Verwaltung zuständig und Ansprechpartner der römischen Zentralgewalt waren. In den Grenzregionen waren an solchen Orten zumindest in ihrer Entstehungszeit oft wichtige militärische Einheiten, etwa Reitereinheiten (Alen), stationiert. Manche Civitas-Hauptorte, wie etwa das römische Rottweil (Arae Flaviae), waren zugleich Municipia, einige waren sogar Kolonien, wobei sich der Unterschied zwischen diesen beiden Formen zumindest in der Kaiserzeit nicht immer genau bestimmen lässt. Insbesondere im westlichen Teil des Imperiums gründeten die Römer vielfach gezielt städtische Siedlungen, da sich ihre Herrschaft auf urbane Strukturen stützte (im Osten griff man zu diesem Zweck meist auf die bestehenden poleis zurück, die ähnlich organisiert waren).

Die civitates wurden in drei große Untergruppen gegliedert, wobei auch hier die genauen Merkmale nicht immer klar und wohl oft auf die jeweilige Anfangsphase der Beziehung zu Rom zurückzuführen sind. Man unterschied:

  • civitas stipendiaria (abgabepflichtige Gemeinde)
  • civitas foederata (verbündete Gemeinde)
  • civitas libera (freie Gemeinde)
  • civitas sine foedere (ohne „beschworenes“ Bündnis)

Spätrömische Zeit

Seit 212 n. Chr. besaßen fast alle römischen Städte mindestens den Rang eines Municipiums; aus Sicht von spätrömischen Autoren wie Augustinus von Hippo gab es nun im Grunde nur noch eine einzige civitas, nämlich Rom. Faktisch blieb die Bezeichnung civitas aber als Synonym für Stadt bzw. Gemeinde gängig, zumal die Menschen durchaus neben dem römischen Bürgerrecht auch das ihrer Heimatgemeinde innehatten.

Ab dem 4. Jahrhundert entzogen die Kaiser den meisten Städten die fiskalische Selbstverwaltung, um das Steueraufkommen besser kontrollieren zu können. In den folgenden zwei Jahrhunderten wandelte sich schrittweise der Charakter der civitates, die ihre alte Autonomie einbüßten; so entzog Kaiser Constantius II. den meisten Städten die Verwaltung über ihr Umland. In der Spätantike wurden die Civitas-Hauptorte zudem oft Bischofssitze, da die kirchliche Hierarchie im Westen sich nach dem Ende der Christenverfolgungen im frühen 4. Jahrhundert nicht selten eng an staatliche Strukturen anlehnte. Teilweise haben so die Grenzen der Diözesen über die Stürme der Völkerwanderungszeit hinweg die alten Civitas-Grenzen konserviert. Ein Beispiel dafür ist in Deutschland das relativ kleine (und im frühen 19. Jahrhundert schließlich aufgelöste) Bistum Worms (lateinisch Borbetomagus), dessen Gebiet offenbar recht genau dem der alten Wormser civitas entsprach. Noch im 6. Jahrhundert gab es in Gallien, Hispanien und Italien zahlreiche civitates, wenngleich sich Charakter und Funktion offenbar vielfach gewandelt hatten.

Bekannte civitates in der Provinz Germania superior

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass noch weitere civitates bestanden. Zu welcher civitas die Provinzhauptstadt Mainz (lateinisch Mogontiacum) gehörte, ist unbekannt. Es darf darüber spekuliert werden, ob die im Umfeld siedelnden Aresaken (ein Teilstamm der Treverer) eine eigenständige civitas verwalteten oder das Gebiet um Mainz eher militärisch oder direkt von dem Statthalter geleitet wurde. Wie die Gebiete im nördlichsten Teil der Germania superior – dem Bereich um Confluentes (Koblenz) – gegliedert waren, ist ebenfalls unbekannt.

C. Sebastian Sommer betrachtet auch das schweizerische Schleitheim (Iuliomagus) bei Schaffhausen an der von Windisch AG (Vindonissa) kommenden Süd-Nord-Straße als Zentrum einer Civitas. Hauptargument dafür ist die geographische Lage, eindeutige Funde fehlen dort bisher, ein recht großes römisches Bad belegt aber die Bedeutung der Siedlung, die mindestens ein Vicus (Kleinstadt bzw. Lagerdorf) war.

Nach der Entdeckung eines repräsentativen Verwaltungsgebäudes in Heidenheim an der Brenz (Civitas Aquileia) Ende der 1990er Jahre wird diskutiert, ob auch diese Stadt den Rang einer civitas hatte. Dafür wird angeführt:

  1. die Lage an einem Knotenpunkt von fünf Römerstraßen,
  2. die Größe der Siedlung von mindestens 15, eher 20 Hektar,
  3. die bedeutende Garnison der ala II flavia milliaria, einer Einheit mit über 1000 Pferden, die dann aber um 159 n. Chr. in das heutige Aalen verlegt wurde, und
  4. die räumliche Distanz zu anderen Civitas-Hauptorten.

Ein Verwaltungszentrum an diese Stelle wäre insofern logisch und sinnvoll gewesen.

Auch das römische Pforzheim (lateinisch portus) kann zeitweilig Hauptort einer civitas gewesen sein. Hier wurden im 3. Jahrhundert repräsentative Gebäude errichtet, und es liegt kein anderer Civitas-Hauptort in der näheren Umgebung.

Wahrscheinlich bestanden im heutigen Baden-Württemberg einige weitere civitates, vor allem im Oberrheingebiet und in Oberschwaben, deren römische Vergangenheit schlechter erforscht ist als die der näher am Limes gelegenen Gebiete weiter nördlich. Falls dort keine weiteren civitates bestanden haben sollten, müssten für die bekannten civitates sehr weite und wenig harmonische Grenzen angenommen werden.

Literatur

  • Hartmut Galsterer: Civitas. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 1224–1226.
  • C. Sebastian Sommer: Die städtischen Siedlungen im rechtsrheinischen Obergermanien. In: Hans-Joachim Schalles, Henner von Hesberg, Paul Zanker (Hrsg.): Die römische Stadt im 2. Jahrhundert n. Chr. Der Funktionswandel des öffentlichen Raumes (= Xantener Berichte. Band 2). Rheinland-Verlag, Köln 1992, ISBN 3-7927-1252-0, S. 119–141.
  • Dieter TimpeCivitas, § 1. (c. in der Antike). In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 5, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1984, ISBN 3-11-009635-8, S. 10–13. (online)
  • Klaus Kortüm: Städte und kleinstädtische Siedlungen. Zivile Strukturen im Hinterland des Limes. In: Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau. Theiss, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1945-1, S. 154–164.

Einzelnachweise

  1. Edwin Habel, Friedrich Gröbel (Hrsg.): Mittellateinisches Glossar. Erweiterter Nachdruck der 2. Auflage, Ferdinand Schöningh, Paderborn 1989, S. 62.