Chinesischer Flussdelfin

Chinesischer Flussdelfin

Ein männlicher Chinesischer Flussdelfin, der von 1980 bis 2002 am Institut für Hydrobiologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Wuhan gehalten wurde.

Systematik
Überordnung:Laurasiatheria
Ordnung:Wale (Cetacea)
Unterordnung:Zahnwale (Odontoceti)
Familie:Lipotidae
Gattung:Lipotes
Art:Chinesischer Flussdelfin
Wissenschaftlicher Name der Familie
Lipotidae
Zhou, Qian & Li, 1978
Wissenschaftlicher Name der Gattung
Lipotes
Miller, 1918
Wissenschaftlicher Name der Art
Lipotes vexillifer
Miller, 1918

Der Chinesische Flussdelfin (Lipotes vexillifer), auch als Jangtse-Delfin oder Baiji (chinesisch 白鱀豚, Pinyin báijìtún) bekannt, ist ein ausschließlich im mittleren und unteren Einzugsgebiet des Jangtsekiang beheimateter Flussdelfin. Er gilt seit den 1980er Jahren als eines der seltensten Säugetiere der Welt und ist vermutlich bereits ausgestorben.[1]

Der Name Lipotes leitet sich von dem griechischen Wort leipos ab, welches mit zurückgeblieben oder übriggeblieben übersetzt werden kann und sich auf das sehr begrenzte Verbreitungsgebiet der Art bezieht. Vexillifer leitet sich ab von den Silben vexillum für Fahne und fer für tragen, bedeutet also fahnentragend.

Merkmale

Der Chinesische Flussdelfin wird bis zu 2,40 Meter lang und bis zu 160 Kilogramm schwer. Dabei bleiben die Männchen wahrscheinlich mit etwa 2,20 Metern und einem Gewicht von 125 Kilogramm etwas kleiner als die Weibchen. Er ist oberseits blassgrau bis -bläulich und unterseits weiß gefärbt. Die weißliche Bauchfärbung reicht im Wangenbereich und an der Schwanzwurzel weit nach oben. Auch die Fluken und die Flipper tragen oberseits eine graue und unterseits eine weiße Färbung. Er hat eine kleine dreieckige Rückenfinne mit abgestumpfter Spitze. Die fast schnabelartige Schnauze ist deutlich vom Kopf abgesetzt und zur Spitze leicht aufwärts gebogen. Sie ist sehr schmal und hat pro Kieferhälfte zwischen 31 und 35 gleichartig geformte, kegelförmige Zähne. Die Stirn ist steil abfallend, und die Augen sind verkümmert, aber nicht funktionslos. Sie sitzen relativ hoch am Kopf.[2]

Verbreitung

Verbreitung des Chinesischen Flussdelfins

Ursprünglich glaubte man, dass der Chinesische Flussdelfin auf den Dongting-See beschränkt sei, ehe man in den 1970er Jahren erkannte, dass er auf einer Länge von 1600 Kilometer von der Mündung des Jangtsekiang aufwärts bis etwa auf die Höhe von Yichang[2] sowie im benachbarten ostchinesischen Fluss Qiantang zu finden war. Etwa alle vier Kilometer konnte ein Flussdelfin gefunden werden. Bei Hochwasser drangen die Tiere auch in Nebenarme des Flusses und Seen vor. Aus dem Dongting-See verschwand er, nachdem sich in dem Gewässer durch die Landwirtschaft sehr große Mengen Sediment angesammelt hatten. Danach wurde er nur noch im breiten, langsam fließenden Mittelteil des Jangtsekiang gesichtet.

Lebensweise

Das Kladogramm aus der Erstbeschreibung von Inia ara­guai­aen­sis zeigt den Chinesischen Flussdelfin als Schwestergruppe einer Klade aus der Gattung Inia und dem La-Plata-Delfin.

Über die Lebensweise ist wenig bekannt. Wegen der verkümmerten Augen sind Chinesische Flussdelfine auf Echo-Ortung beim Beutefang angewiesen. Ihre Nahrung sind ausschließlich Fische, die sie auf nur 20 Sekunden währenden Tauchgängen erbeuten. Das Spektrum der Beutefische ist sehr groß, die Hauptbeute stellen dabei aalartig langgestreckte Welsarten dar, die sie am Gewässerboden jagen.

Der Chinesische Flussdelfin lebt als Einzelgänger. Früher war er eher in Paaren oder Kleingruppen von drei bis sechs Tieren anzutreffen, gelegentlich wurden auch Gruppen bis zu zehn Tieren gesichtet. Die meiste Zeit hält sich der Flussdelfin knapp unter der Wasseroberfläche auf. Beim Auftauchen kommt zuerst der Kopf zum Vorschein, und das Tier taucht mit einer buckelförmigen Krümmung wieder ab. Die Fluke taucht dabei nicht auf.

Über das Fortpflanzungsverhalten der Chinesischen Flussdelfine ist so gut wie nichts bekannt. Die Jungtiere kamen mit weniger als 95 Zentimeter Körperlänge und zehn Kilogramm Körpergewicht auf die Welt.

In Gefangenschaft wurden nur zwei Tiere gehalten. Dabei handelte es sich um das männliche Tier Qiqi, das von einem Fischer verletzt und danach von 1980 bis 2002 im Wuhan Institute of Hydrobiology gehalten wurde, sowie um ein weiteres Tier, das ein Jahr lang (1996 bis 1997) im Shishou Semi-natural Baiji Dolphin Sanctuary lebte und dann verstarb. 1998 wurde außerdem ein Weibchen nahe Shanghai eingefangen, es verweigerte allerdings die Nahrung und starb einen Monat später.

Systematik

Der Chinesische Flussdelfin wurde 1918 durch den US-amerikanischen Zoologen Gerrit Smith Miller beschrieben.[3] Nach Fossilfunden besiedelte der Flussdelfin den Jangtsekiang vor etwa 20 Millionen Jahren aus dem Pazifik.[4] Er ist der einzige Vertreter der Gattung Lipotes.

Die Systematik der Flussdelfine ist noch nicht völlig geklärt. Während früher alle Vertreter dieser Gruppe als konvergent und nicht miteinander verwandt betrachtet wurden, ging man später davon aus, dass der Amazonasdelfin (Inia geoffrensis) und der La-Plata-Delfin (Pontoporia blainvillei) miteinander verwandt sind, während der Chinesische Flussdelfin die Schwestergruppe einer gemeinsamen Klade dieser beiden Flussdelfinarten mit den Delfinartigen (Delphinoidea) ist.[5][6] In letzter Zeit zeigen molekulargenetischen Untersuchungen jedoch, dass der Chinesischen Flussdelfin näher mit den übrigen Flussdelfinen verwandt ist als mit den Delfinartigen.[7][8] Wilson & Reeder (2005) klassifizieren sie deshalb in die gemeinsamen Familie Iniidae. Modernere Systematiken klassifizieren den Chinesischen Flussdelfin dagegen in eine eigenständige, monotypische Familie, die Lipotidae.[9][10]

Bestand und Bedrohung

Die erste Beschreibung der Tiere stammt aus der Naturenzyklopädie Erya aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.). Biologen schätzen, dass zu dieser Zeit noch etwa 5.000 Flussdelfine im Jangtsekiang lebten. 1978 wurde zur Erforschung der Tiere das Süßwasserdelfin-Forschungszentrum (淡水海豚研究中心) der chinesischen Akademie der Wissenschaften gegründet.

Im ostchinesischen Fluss Qiantang war der Flussdelfin schon seit den 1950er Jahren nicht mehr gesehen worden. Um 1980 wurde der Bestand im Jangtsekiang auf rund 400 Tiere geschätzt. Vor allem die chinesische Industrialisierung hatte dem Bestand dieser Tiere sehr zugesetzt. Die Verschmutzung des Jangtse, der übermäßige Schiffsverkehr sowie häufiges Verfangen in Fischernetzen („Beifang“) hatten die Art an den Rand des Aussterbens gebracht. Viele dokumentierte Todesfälle werden der Leinen- und Hakenfischerei auf Störe (Chinesischer Stör, Jangtse-Stör und Schwertstör) zugeschrieben, hinzu kamen häufige Kollisionen mit Motorbooten, deren Anzahl sich auf dem Jangtsekiang massiv vermehrte.

Obwohl die Volksrepublik China den Delfin bereits 1979 als gefährdete Art erkannte und 1983 unter strengsten Schutz stellte sowie ein Jagdverbot erließ, veränderten sich die für das Tier bedrohlichen Umstände nicht. 1986 wurden bei einer Zählung noch 300 Baijis festgestellt, 1990 lag die Population bei etwa 200 Tieren. Bis 1997 verringerte sich diese Zahl auf geschätzt höchstens 50; 23 Tiere wurden tatsächlich gezählt. 1998 waren es schließlich nur noch sieben Tiere. 2001 wurde ein gestrandetes Weibchen gefunden, und 2002 wurde letztmals ein lebendes Tier fotografiert.

In den Jahren 2006 und 2007 wurden mehrere Versuche unternommen, lebende Exemplare des Chinesischen Flussdelfins zu finden. Diese waren jedoch erfolglos, weshalb die beteiligten Wissenschaftler davon ausgingen, der Flussdelfin sei endgültig ausgestorben.[11][12] Der Baiji-Delfin wäre damit die erste in historischer Zeit ausgestorbene Walart. Allerdings tauchten 2007 in der Presse auch Berichte auf, dass der Flussdelfin weiterhin von Einheimischen gesehen und sogar gefilmt worden sei.[13] 2016 vermeldete ein Team chinesischer Amateur-Naturschützer die Sichtung eines Flussdelfins in der Nähe der Stadt Wuhu. Zoologen halten die jüngsten Sichtungen für Verwechslungen mit Glattschweinswalen.[14]

Literatur

  • Mark Carwardine: Delphine. Biologie, Verbreitung, Beobachtung in freier Wildbahn. Naturbuch, Augsburg 1996, ISBN 3-89440-226-1 (informativer Bildband)
  • Mark Carwardine: Wale und Delphine. Delius Klasing, Bielefeld 1996, ISBN 3-7688-0949-8 (hochwertiger Führer)
  • Ralf Kiefner: Wale und Delphine weltweit. Pazifischer Ozean, Indischer Ozean, Rotes Meer, Atlantischer Ozean, Karibik, Arktis, Antarktis. Jahr Top Special, Hamburg 2002, ISBN 3-86132-620-5 (Führer der Zeitschrift „tauchen“, sehr detailliert)
  • M. Würtz, N. Repetto: Underwater world. Dolphins and Whales. White Star Guides, Vercelli 2003, ISBN 88-8095-943-3 (Bestimmungsbuch)
  • D. E. Wilson und D. M. Reeder: Mammal Species of the World. Johns Hopkins University Press 2005 ISBN 0-8018-8221-4
  • R. R. Reeves, B. S. Stewart, P. J. Clapham, J. A. Powell: Sea Mammals of the World. A Complete Guide to Whales, Dolphins, Seals, Sea Lions and Sea Cows. Black, London 2002, ISBN 0-7136-6334-0 (Führer mit zahlreichen Bildern).
  • Douglas Adams, Mark Carwardine: Die Letzten ihrer Art. Heyne, München 1992, ISBN 3-453-06115-2
  • Gérard Soury: Das große Buch der Delphine. Delius Klasing, Bielefeld 1997, ISBN 3-7688-1063-1 (detailreicher Bildband)
  • Rüdiger Wandrey: Die Wale und Robben der Welt. Franckh-Kosmos Verlags GmbH, 1997, ISBN 3-440-07047-6

Einzelnachweise

  1. sueddeutsche.de: Vergebliche Suche nach dem Letzten seiner Art
  2. a b Wandrey (1997), Seite 121 u. 122.
  3. Gerrit S. Miller (1918). A new river-dolphin from China. Smithsonian Miscellaneous Collections 68 (9): 1–12.
  4. Yongchen Wang: Farewell to the baiji. China Dialogue, 10. Januar 2007, archiviert vom Original am 28. September 2007; abgerufen am 24. September 2019.Vorlage:Cite web/temporär
  5. Insa Cassens, Saverio Vicario, Victor G. Waddell, Heather Balchowsky, Daniel Van Belle, Wang Ding§, Chen Fan, R. S. Lal Mohan, Paulo C. Simoes-Lopesi, Ricardo Bastida, Axel Meyer, Michael J. Stanhope & Michel C. Milinkovitch: Independent adaptation to riverine habitats allowed survival of ancient cetacean lineages. PNAS, Oktober 10, 2000, vol. 97, no. 21
  6. Healy Hamilton, Susana Caballero, Allen G. Collins, Robert L. Brownell: Evolution of river dolphins. Proceedings of the Royal Society, DOI: 10.1098/rspb.2000.1385
  7. etwa Laura May-Collado und Ingi Agnarsson: Cytochrome b and Bayesian inference of whale phylogeny. In: Molecular Phylogenetics and Evolution 38 (2006), S. 344–354. PDF
  8. John Gatesy, Jonathan H. Geisler, Joseph Chang, Carl Buell, Annalisa Berta, Robert W. Meredith, Mark S. Springer, Michael R. McGowen: A phylogenetic blueprint for a modern whale, Molecular Phylogenetics and Evolution, 2012, Volume 66, Issue 2, Februar 2013, Pages 479–506, doi:10.1016/j.ympev.2012.10.012
  9. Don E. Wilson, Russell A. Mittermeier: Handbook of the Mammals of the World - Volume 4, Sea Mammals. Lynx Edicions, Juli 2014, ISBN 978-84-96553-93-4
  10. In webarchive.org: The Society for Marine Mammalogy: List of Marine Mammal Species & Subspecies, vom 6. Januar 2015. Abgerufen am 13. März 2019
  11. Nature, Band 440, S. 1096 (27. April 2006)
  12. GEO.de: Die erste vom Menschen ausgerottete Walart: der Chinesische Flussdelfin. Abgerufen am 13. März 2019
  13. Neue Zürcher Zeitung: Ein Baiji im Jangtse gefilmt?
  14. The Guardian: China's 'extinct' dolphin may have returned to Yangtze river, say conservationists. Bericht vom 11. Oktober 2016. Abgerufen am 13. März 2019

Weblinks

Commons: Chinesischer Flussdelfin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Auf dieser Seite verwendete Medien

Qiqi, a Chinese River Dolphin (Baiji) 26.jpg
(c) Roland Seitre, CC BY-SA 3.0
Qiqi, the last confirmed baiji, who died in 2002
Cetacean phylogeny PLoS ONE 2014-01-22.png
Autor/Urheber: Tomas Hrbek, Vera Maria Ferreira da Silva, Nicole Dutra, Waleska Gravena, Anthony R. Martin, Izeni Pires Farias, Lizenz: CC BY 2.5
Bayesian phylogenetic analysis of Inia araguaiaensis within Cetacea and divergence time estimation in BEAST 1.7.1 [45] using the complete mitochondrial DNA cytochrome b gene.

Four independent fossil calibration points (indicated as orange bars) were used. Numbers at nodes represent estimates of divergence times with highest posterior probability, while bars around each divergence time estimate represent 95% highest posterior density of the estimate.

doi:10.1371/journal.pone.0083623.g005