Bei dem Wirtinger-Kalkül, und seiner Verallgemeinerung durch die Dolbeault-Operatoren, handelt es sich um einen mathematischen Kalkül aus der Funktionentheorie. Der Wirtinger-Kalkül ist nach dem Mathematiker Wilhelm Wirtinger und die Dolbeault-Operatoren sind nach Pierre Dolbeault benannt. Mit Hilfe dieser Objekte kann die Darstellung komplexer Ableitungen übersichtlicher gestaltet werden. Außerdem finden die Dolbeault-Operatoren Anwendung in der Theorie der quasikonformen Abbildungen.
Wirtinger-Kalkül
Eine komplexe Zahl wird durch in zwei reelle Zahlen zerlegt. Sei ein Gebiet und eine (reell) differenzierbare Funktion. Dann existieren die partiellen Ableitungen
und
- .
Im nächsten Abschnitt werden nun die Wirtinger-Ableitungen eingeführt, welche ebenfalls partielle Differentialoperatoren sind. Jedoch sind diese einfacher zu berechnen, da die komplexwertige Funktion nicht in Real- und Imaginärteil zerlegt werden muss. Statt der Koordinaten und verwendet man und .
Motivation und Definition
Mit Hilfe der partiellen Ableitungen schreibt sich das (totale) Differential von als
- .
Aus und ergibt sich
- und .
Für die Differentiale erhält man daraus
- und .
Einsetzen in das totale Differential und Umsortieren liefert
- .
Um (formal) die Beziehung
zu erhalten, setzt man
und
- .
Dies sind die Wirtinger-Ableitungen.
Für schreibt man auch kurz , für schreibt man . Der Operator heißt Cauchy-Riemann-Operator.
Holomorphe Funktionen
Der Wirtinger-Kalkül findet insbesondere in der Funktionentheorie Anwendung, da für holomorphe Funktionen die Notation sich auf ein Minimum reduziert. Außerdem ist dieser Kalkül sehr stabil, wie Eigenschaften 3 und 4 im nächsten Abschnitt zeigen.
Eine reell differenzierbare Funktion ist genau dann eine holomorphe Funktion, wenn gilt. In diesem Fall ist die Ableitung von . Dies gilt, da die Gleichung eine sehr kurze Darstellung der Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen ist. Aus diesem Grund trägt der Operator den Namen Cauchy-Riemann-Operator.
Gilt hingegen für eine reell differenzierbare Funktion die Gleichung so nennt man diese Funktion antiholomorph und das reelle Differential kann mit Hilfe von Eigenschaft 1 aus berechnet werden.
Eigenschaften
Beziehung zur partiellen Ableitung
Es gelten die Gleichungen
und
- .
Linearität
Die Operatoren und sind -linear, das heißt für und reell differenzierbare Funktionen gilt
und
- .
Komplexe Konjugation
Für jede reell differenzierbare Funktion gilt
und
- .
Kettenregel
Für die Wirtinger-Ableitungen gilt die Kettenregel
und
- .
Hauptsymbol
Das Hauptsymbol von ist und das Hauptsymbol von ist . Beide Differentialoperatoren sind also elliptisch.
Assoziierter Laplace- und Dirac-Operator
Mit den Wirtinger-Ableitungen kann man den Laplace-Operator durch
darstellen. Daraus folgt insbesondere, dass der Operator
ein Dirac-Operator ist.
Fundamentallösung
Die Fundamentallösung des Cauchy-Riemann-Operators ist , das heißt die durch die Funktion erzeugte Distribution löst die Gleichung , wobei die Delta-Distribution ist. Eine Herleitung ist im Artikel Cauchy-Riemannsche partielle Differentialgleichungen zu finden.
Dolbeault-Operator
Mit Hilfe des Wirtinger-Kalküls kann man auch mehrdimensionale Abbildungen untersuchen. Wie oben werden Elemente von zerlegt in . Sei nun eine offene Teilmenge und eine (reell) differenzierbare Abbildung. Dazu definiert man die dem Wirtinger-Kalkül ähnlichen partiellen Differentialoperatoren
und
auf . Mit Hilfe dieser partiellen Differentialoperatoren kann man den Dolbeault-Operator und den Dolbeault-Quer-Operator durch
und
definieren. Diese können als mehrdimensionale Wirtinger-Ableitungen verstanden werden und werden deshalb genauso notiert. Außerdem haben die Dolbeault-Operatoren ähnliche Eigenschaften wie die Wirtinger-Ableitungen. Insbesondere gilt auch, dass genau dann holomorph ist, wenn gilt und die reelle Ableitung wird durch
dargestellt. Im holomorphen Fall gilt , da ja gilt.
Dolbeault-Operatoren auf Mannigfaltigkeiten
Der Dolbeault-Operator und der Dolbeault-Quer-Operator lassen sich auch auf komplexen Mannigfaltigkeiten definieren, jedoch muss dafür erst der Kalkül der komplexen Differentialformen definiert werden. Mit Hilfe des Dolbeault-Quer-Operators kann man analog wie im vorigen Abschnitt holomorphe Differentialformen definieren. Eine der wichtigsten Anwendungen dieser Operatoren ist in der Hodge-Theorie insbesondere in der Dolbeault-Kohomologie, welche das komplexe Analogon zur De-Rham-Kohomologie ist, zu finden.
Weblinks
Literatur
- Ingo Lieb: The Cauchy-Riemann Complex, Vieweg Aspects of Mathematics, 2002, ISBN 978-3-528-06954-4.
- Ingo Lieb & Wolfgang Fischer: Funktionentheorie: Komplexe Analysis in einer Veränderlichen, Vieweg & Teubner, 2005, ISBN 978-3-8348-0013-8.