Carlo Fruttero

Carlo Fruttero

Carlo Fruttero (* 19. September 1926 in Turin; † 15. Januar 2012 in Roccamare)[1] war ein italienischer Schriftsteller, Verlagslektor, Übersetzer und Publizist.

Leben

Fruttero machte sich zunächst als Übersetzer der Werke Samuel Becketts einen Namen. Ende der 1950er traf er beim Verlag Einaudi auf Franco Lucentini, sie wurden Freunde. Gemeinsam waren sie beim Verlag unter anderem dafür zuständig, die Klappentexte zu liefern.[2] Die Kooperation wurde dann auch literarisch fruchtbar. Zeitweise lebten beide gemeinsam in Paris, bevor sie nach Italien zurückgingen.[3] Gemeinsam fungierten sie 1964 bis 1985 als Mitherausgeber des Science-Fiction-Magazins Urania, in dem sie auch selbst (unter Pseudonym) Kurzgeschichten publizierten. Zudem waren sie 1972 bis 1975 Herausgeber des Comics Il Mago.

Zusammen mit dem sechs Jahre älteren Lucentini verfasste er – bis zu dessen krebsbedingtem Suizid 2002 – als Autorenduo Fruttero & Lucentini hintergründige Gesellschafts- und Kriminalromane, die ein facettenreiches Bild der italienischen Gesellschaft der 70er bis 90er Jahre bieten, sowie zahlreiche Satiren, Glossen, Parodien und andere Texte.

Sein Alterswohnsitz war zuletzt in Roccamare an der Küste der Toskana.[4] Fruttero war verheiratet und Vater zweier Töchter.[5]

Zum Roman Die Sonntagsfrau

Der Erstlingsroman „Die Sonntagsfrau“ (1974) spielt in Turin und schildert u. a., wie der zuständige Kriminalbeamte, Commissario Santamaria, der aus dem tiefsten Süden Italiens stammt, sich perfekt in die Turiner Gesellschaft integriert. Der Roman zeichnet sich darüber hinaus durch eine Besonderheit aus, die im Jahr der Veröffentlichung noch ungewöhnlich war. Erst wenige Jahre zuvor, im Jahr 1966, hatte der amerikanische Autor George Baxt den ersten Roman der Kriminalliteratur mit einem schwulen Detektiv veröffentlicht, bevor dann Joseph Hansen mit seinen Dave-Brandstetter-Geschichten dieses Subgenre des Kriminalromans begründete. Im Roman stehen zwei der Hauptpersonen (ein Mordopfer und einer der Hauptverdächtigen) in einer homosexuellen Beziehung, wobei die hauptsächliche Schwierigkeit der beiden ihr unterschiedlicher gesellschaftlicher Hintergrund ist.

Zum Roman Die Wahrheit über den Fall D.

In „Die Wahrheit über den Fall D.“ (1989) schildert das Autorenpaar einen internationalen Kongress in Rom, auf dem unvollendete Kunstwerke der Vollendung zugeführt werden sollen. Eines dieser Werke ist der letzte – unvollendete – Roman von Charles Dickens, Das Geheimnis des Edwin Drood, der 1870 in monatlichen Fortsetzungsfolgen veröffentlicht wurde. Doch als die ersten drei Folgen erschienen waren, starb Dickens überraschend an einem Gehirnschlag. In seinem Nachlass fanden sich noch weitere drei Folgen, aber sonst nichts mehr. Somit hing die gerade bis etwa zur Hälfte erzählte Geschichte in der Luft, und alle Welt rätselte, wie sie der Autor hatte beenden wollen. Zahlreiche Fortsetzungsversuche erschienen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein – und diesen fügt sich nun der Roman von Fruttero & Lucentini als die vielleicht originellste Lösung an: Da es sich bei dem „Geheimnis des Edwin Drood“ um einen regelrechten Kriminalroman handelt, versammeln sich die besten Experten aller Länder und Zeiten (sic!) auf einem „internationalen Kongreß zur Vervollständigung unvollendeter Kunstwerke“ in Rom, um sich gemeinsam über Dickens' Roman zu beugen. Diese Experten sind keine anderen als die großen Detektive der Kriminalliteratur: von Sherlock Holmes und Hercule Poirot bis Nero Wolfe und Archie Goodwin, Kommissar Maigret, Philip Marlowe und tutti quanti. Obwohl der Kongress von einem japanischen High-Tech-Konzern gesponsert wird, funktioniert zunächst nur die Simultanübersetzung ins Lateinische, aber schließlich gelingt es dem versammelten Sachverstand, nach gründlicher Analyse des erhaltenen Romanfragments (dessen Text in voller Länge wiedergegeben wird), den rätselhaften „Fall D.“ zu einer überraschenden Lösung zu führen.

Werke

Fruttero allein

  • Ti trovo un po’ pallida (Longanesi, Mailand 1981); dt. Du bist so blaß: eine Sommergeschichte, übers. v. Dora Winkler (Piper, München 1987)
  • Volti a perdere. 1999.
  • Visibilità zero: le disavventure dell'on. Slucca (Mondadori, Mailand 1999); dt. Der unsichtbare Zweite: die denkwürdigen Abenteuer des Parlamentsabgeordneten Slucca, übers. v. Dora Winkler (Piper, München 2001)
  • Donne informate sui fatti (Mondadori, Mailand 2006); dt. Frauen, die alles wissen, übers. v. Luis Ruby (Piper, München 2008)
  • Mutandine di chiffon. Memorie retribuite (Mondadori, Mailand 2010); dt. Ein Herr mit Zigarette, Memoiren, übers. v. Luis Ruby, Piper, München 2012
  • mit Massimo Gramellini: La Patria, bene o male, Mondadori, Mailand 2010, ISBN 978-88-04-60329-0.

Fruttero & Lucentini

  • La donna della domenica (Mondadori, 1972); dt. Die Sonntagsfrau, übers. v. Herbert Schlüter (Piper, 1974)
  • Il significato dell'esistenza (Mondadori, 1975); dt. Der rätselhafte Sinn des Lebens: ein philosophischer Roman, übers. v. Dora Winkler (Piper, 1995)
  • A che punto è la notte (Mondadori, 1979); dt. Wie weit ist die Nacht, übers. v. Herbert Schlüter u. Inez De Florio-Hansen (Piper, 1981)
  • Il palio delle contrade morte (Mondadori, 1983); dt. Der Palio der toten Reiter, übers. v. Burkhart Kroeber (Piper, 1986)
  • L'amante senza fissa dimora (Mondadori, 1986); dt. Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz, übers. v. Dora Winkler (Piper, 1988)
  • Il colore del destino (Mondadori, 1987); dt. Die Farbe des Schicksals, übers. v. Burkhart Kroeber (Piper, 1991)
  • La verità sul caso D. (mit Charles Dickens, Einaudi, Turin 1989); dt. Die Wahrheit über den Fall D., übers. v. Burkhart Kroeber (Piper, 1991)
  • Enigma in luogo di mare (Mondadori, 1991); dt. Das Geheimnis der Pineta, übers. v. Burkhart Kroeber (Piper, 1993)
  • Breve storia delle vacanze (La Stampa, Turin 1993); dt. Kleines Ferienbrevier, übers. v. Burkhart Kroeber (Piper 1994)

Weitere Werke von Fruttero & Lucentini

  • Il Libro dei nomi di battesimo: la giusta guida al nome giusto (Mondadori, 1969)
  • L'idraulico non verrà (Gedichte, Mario Spagnol Editore, Mailand 1971)
  • L'Italia sotto il tallone di F. & L. (Satirischer Roman, Mondadori, 1974)
  • La cosa in sé. Rappresentazione in due Atti e una Licenza (Drama, Einaudi, 1982)
  • La prevalenza del cretino (Mondadori, 1985); dt. in Auswahl: Ein Hoch auf die Dummheit: Porträts, Pamphlete, Parodien, übers. v. Pieke Biermann (Piper, 1992)
  • La manutenzione del sorriso (Mondadori, 1988); dt.: wie vorher
  • Il ritorno del cretino (Mondadori, 1992)
  • Incipit: 757 inizi facili e meno facili. Un libro di quiz e di lettura (Mondadori, 1993)
  • Il cretino in sintesi (Mondadori, 2002)
  • I Nottambuli (Avagliano, Cava de’ Tirreni 2002)

Verfilmungen

Weblinks

Einzelnachweise

  1. L'omaggio dei lettori su Twitter Sarà sepolto accanto a Calvino. In: Corriere della Sera. 16. Juni 2012, abgerufen am 27. September 2022 (italienisch).
  2. Nachruf auf Carlo Fruttero, Der Spiegel 4/2012 vom 23. Januar 2012
  3. Zum Tode Carlo Frutteros Die Hauptperson ist immer Turin, FAZ-Nachruf vom 16. Januar 2012, abgerufen 30. Januar 2013
  4. L'omaggio dei lettori su Twitter. Sarà sepolto accanto a Calvino, Corriere della Sera.it vom 16. Januar 2012.
  5. Carlo Fruttero gestorben Zweite Hälfte des Autorenduos Fruttero & Lucentini tot, Der Standard vom 16. Jänner 2012, abgerufen 30. Januar 2013

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Autor/Urheber: Autor/-in unbekanntUnknown author, Lizenz: CC BY-SA 2.0
Scrittore e traduttore italiano