Carl Ludwig Jessen

Carl Ludwig Jessen, Selbstporträt, 1857
Die Frau des Künstlers

Carl Ludwig Jessen (* 22. Februar 1833 in Deezbüll, Herzogtum Schleswig; † 4. Januar 1917 ebenda) war ein Maler aus Nordfriesland. Er ist bis heute als der Friesenmaler bekannt. Seine Bedeutung liegt in der künstlerischen Wiedergabe der Wohn- und Lebensverhältnisse der Küstenbewohner Nordfrieslands.

Leben

Carl Ludwig Jessen wurde am 22. Februar 1833 in Deezbüll in der Nähe von Niebüll geboren. Er war das zweite Kind des Tischlers Momme Jensen (1796–1853) und seiner Frau Antje Hansen (1800–1861), die beide aus Risum stammten. Er hatte einen älteren Bruder (Christian) und drei jüngere Schwestern (Abel, Margaretha und Amalie).[1] Über Kindheit und frühe Jugend ist nur wenig bekannt, aber er begleitete seinen Vater und den Bruder Christian (geb. 1827) zu Arbeiten auf den umliegenden Höfen.[2] Nach einer abgebrochenen Tischlerlehre arbeitete Jessen zunächst als Stubenmaler und begann dann eigenständig mit dem Porträtieren.

1855 wurde die Gräfin von Schackenborg in Mögeltondern auf seine Begabung aufmerksam und setzte ihm ein persönliches Stipendium aus, welches ihm ermöglichte, ab Oktober 1856 an der Kopenhagener Akademie bei Vilhelm Marstrand zu studieren.[3] Erst 1865 – nach der Niederlage Dänemarks im Deutsch-Dänischen Krieg gegen Preußen und Österreich 1864 – kehrte er nach Nordfriesland in sein Elternhaus zurück.

1867 gewährte ihm der Staat Preußen ein Stipendium für eine Reise nach Paris und Italien (Rom, Ariccia, Rocca di Papa), von der er erst 1869 zurückkehrte. Künstlerische Impulse oder prägende Eindrücke, die sich im Werk niedergeschlagen hätten, finden sich nicht. Wirtschaftlicher Erfolg oder künstlerische Anerkennung stellte sich nicht ein.[4] Ab 1870 lebte er zuerst wieder in Deezbüll und dann in Klockries bei seiner Schwester Margaretha (geb. 1836), die den Postmeister August Nissen geheiratet hatte. Aus dieser Ehe stammte der spätere Maler und Schriftsteller Benedikt Momme Nissen, der noch zu Lebzeiten von Carl Ludwig Jessen eine Mappe mit 24 farbigen Kunstdrucken des Malers herausgab, die weite Verbreitung fand und den Ruhm des Friesenmalers endgültig begründete.[5]

Von diesem Ruhm war Carl Ludwig Jessen noch weit entfernt, als er im Laufe des Jahres 1871 nach Hamburg zu seinem Bruder Christian zog.[6] In den nächsten Jahren waren Auftragsporträts seine Haupteinnahmequelle.[7] 1875 kehrte er dann endgültig nach Deezbüll zurück und zog in das von den Eltern geerbte Haus. Der künstlerische Durchbruch gelang ihm 1876, als der Schleswig-Holsteinische Kunstverein das Bild Friesisches Thinggericht erwarb, das sich heute in der Kunsthalle Kiel befindet.[8] Einige Jahre später (1878) entstand das bis heute berühmteste Bild – Sonntagmorgen vor der Kirche[9] – das in verschiedenen Fassungen existiert. Die überzeugendste befand sich bis zum Brand am 30. Mai 1980 im Museum Hamburg-Altona.[10] Künstlerisch hielt Carl Ludwig Jessen nun an der einmal erlernten Malweise fest – die stilistischen Veränderungen der Kunst nahm er nicht mehr zur Kenntnis[11] – und sah seine Aufgabe ausschließlich darin, das friesische Leben detailgenau zu überliefern.[12] Dieses Leben war aber zu seiner Zeit bereits versunken oder im Begriff unterzugehen. Die Bilder Carl Ludwig Jessens sind größtenteils arrangiert, die zeitgenössische Echtheit der Darstellungen wird vorgetäuscht.[13]

Er heiratete 1893 Martha Elisabeth Benecke (1859–1938) aus Hamburg und bezog mit ihr das Turmhaus[14] in Deezbüll. Das einzige Kind des Ehepaares starb 1899 kurz nach der Geburt. 1910 ernannte ihn die Universität Kiel zum Ehrenprofessor.

Carl Ludwig Jessen starb mit 84 Jahren am 4. Januar 1917 in Deezbüll. Das Grab des Ehepaares Jessen befindet sich auf dem Friedhof der Apostelkirche in Deezbüll.[15]

Das Grabmal der Familie Carl Ludwig Jessen auf dem Friedhof der Apostelkirche in Deezbüll bei Niebüll in Nordfriesland

Museen mit dem Schwerpunkt in Norddeutschland besitzen Werke Carl Ludwig Jessens. Es sind dies die Kunsthalle Kiel, die Kunsthalle Hamburg, das Altonaer Museum, der Museumsberg Flensburg, das Nordfriesland Museum.Nissenhaus Husum, das Kunstmuseum in Tondern/Tønder (Sønderjyllands Kunstmuseum) und das Friesische Museum Niebüll-Deezbüll, aber auch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg.

Ausstellungen

zu Lebzeiten

Zu Lebzeiten waren die Werke Carl Friedrich Jessens nur in gemischten, zeitgenössischen Kunstausstellungen (u. a. Landeskunstausstellung Kiel 1896, Gruppe Schleswig-Holstein auf der Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf 1902, Große Berliner Kunstausstellung 1901[16]) zu sehen. Eine eigene Ausstellung blieb ihm versagt.[17]

posthum

  • 1917: Flensburg (Flensburger Museum), Nachlassausstellung
  • 1933: Kiel (Kunsthalle Kiel), Gedächtnisausstellung zum 100. Geburtstag von Carl Ludwig Jessen
  • 1973: Hamburg (Altonaer Museum), Volkslebensbilder aus Norddeutschland
  • 1976: Tondern/Tønder (Sønderjyllands Kunstmuseum), Gesamtschau
  • 1983: Husum (Nordfriesland Museum.Nissenhaus Husum), Gedächtnisausstellung zum 150. Geburtstag von Carl Ludwig Jessen

Werke (Auswahl)

  • Die Mutter, Öl auf Leinwand, 1863, Nordsee Museum.Nissenhaus Husum[18]
  • Dörns in Klockries, Öl auf Leinwand, 1866, Museumsberg Flensburg[19]
  • Bei Jürn Moritzen, Öl auf Leinwand, 1866, Kunsthalle Kiel[20]
  • Momme Nissens Vater, Öl auf Leinwand, 4. Viertel 19. Jahrhundert, Nordsee Museum.Nissenhaus Husum[21]
  • Blaue Stube, Öl auf Leinwand, 1912, Nordsee Museum.Nissenhaus Husum[22]
  • Küche, Öl auf Leinwand, 1913, Privatbesitz[23]
  • Blauer Pesel, Öl auf Leinwand, 1916, Privatbesitz[24]

Literatur

  • Ulrich Schulte-Wülwer: Föhr, Amrum und die Halligen in der Kunst. Boyens Buchverlag, Heide 2004 (2. Aufl.), ISBN 3-8042-1118-6, S. 47–54.
  • Ulrich Schulte-Wülwer: Malerei in Schleswig-Holstein (Katalog der Gemäldesammlung des Städtischen Museums Flensburg). Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., Heide 1989, ISBN 3-8042-0467-8, S. 133–152.
  • Johann Schlick: Kunsthalle zu Kiel – Katalog der Gemälde. Kiel 1973, S. 108–110.
  • Lorenz Peter Wree: Deezbüller Erinnerungen an den Friesenmaler Carl Ludwig Jessen. In: Die Heimat (Zeitschrift für Natur- und Landeskunde von Schleswig-Holstein und Hamburg), Bd. 3/79, Kiel 1972, S. 65–71.
  • Nina Struckmeyer: Jessen, Carl Ludwig. In: Bénédicte Savoy, France Nerlich (Hrsg.): Pariser Lehrjahre. Ein Lexikon zur Ausbildung deutscher Maler in der französischen Hauptstadt. Bd. 2: 1844–1870. De Gruyter, Berlin/Boston 2015, ISBN 978-3-11-031477-9.
  • Museumsberg Flensburg (Hrsg.): Paris! Schleswig–Holsteinische Künstlerinnen und Künstler in der Welthauptstadt der Kunst. Ausstellungskatalog mit Texten von Dörte Ahrens, Michael Fuhr, Almut Rix und Madeleine Städtler. Flensburg 2022, ISBN 978-3-9820658-5-4, S. 22–27.
  • Jarno Jessen: Carl Ludwig Jessen – Ein friesischer Heimatmaler. In: Velhagen & Klasings Monatshefte. Bd. 31 (1916/1917), 1. Bd., Berlin 1917, S. 516–525.
  • Gerhard Kaufmann: Der Großbrand im Altonaer Museum am 30. Mai 1980. In: Altonaer Museum in Hamburg, Jahrbuch Bd. 18/19 (1980/81), S. 6–68. (Verbrannt: Carl Ludwig Jessen: Mädchen in der Küche, 1859, Öl auf Pappe, 42,2 × 44,8 cm und Sonntagmorgen, 1878, Öl auf Leinwand, 82 × 143,3 cm; Die Taufe, 1903, Öl auf Leinwand, 104,5 × 155,5 cm).
  • Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen – Versuch über einen Heimatmaler. Verlag Boyens & Co., Heide 1982, ISBN 3-8042-0271-3. (Inhaltsverzeichnis).
  • Berend Harke Feddersen: Schleswig-Holsteinisches Künstler-Lexikon, Verlag Nordfriisk Instituut, Bredstedt 1984, ISBN 3-88007-124-1, S. 92
  • Familie Rump und Maike Bruhns (Hrsg.): Der Neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Überarbeitete Neuauflage, Wachholtz Verlag, Neumünster 2013 (2. Auflage), ISBN 978-3-529-02792-5, S. 219f.
  • Ulrich Schulte-Wülwer: Schleswig-Holstein in der Malerei des 19. Jahrhunderts. Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., Heide 1980, ISBN 3-8042-0247-0, S. 27f., 30f., 32f., Abb. S. 26, 28, 29, 32, 33, 36.
  • Ulrich Schulte-Wülwer: Schleswig-Holsteinische Künstler in Italien – Sehnsucht nach Arkadien. Boyens Buchverlag, Heide 2009, ISBN 978-3-8042-1284-8, S. 282–286.
  • Albrecht Johannsen: Aus dem Leben des Friesenmalers Carl Ludwig Jessen. In: H. H. Schulz (Hrsg.): Das Heimatbuch der Nordfriesen. Thordsen Verlag, Hamburg 1957, S. 192–198.
  • Uwe Claassen: Der Maler des nordfriesischen Volkes – Carl Ludwig Jessen und sein Bild Nordfrieslands. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Band XLIX/98, Wien 1995, S. 159–174.
  • Ulrich Schulte-Wülwer: Carl Ludwig Jessen in Hamburg. Künstlerische Identitätssuche nach dem deutsch-dänischen Krieg von 1864. In: Nordfriesland. Bd. 19 (1986), Heft 75 S. 78–86.
  • Albrecht Johannsen (Hrsg.): Carl Ludwig Jessen – Der Friesenmaler (Festschrift zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 22. Februar 1933). Delff, Husum 1933.
  • Ernst Sauermann: Carl Ludwig Jessen, Deezbüll. In: Schleswig–Holsteinisches Jahrbuch (Kunstkalender Schleswig–Holstein). (1918/1919), S. 44–54, Bildtafeln S. I–XXVI.
  • Ernst Schlee, Sigurd Schoubye: Carl Ludwig Jessen – Ein Meister des Fotorealismus des 19. Jahrhunderts im deutsch-dänischen Grenzgebiet (Ausstellungskatalog Sønderjyllands Kunstmuseum), Tondern/Tønder 1976.
  • Stiftung Nordfriesland (Hrsg.): Gemaltes Nordfriesland – Carl Ludwig Jessen und seine Bilder. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 1983 (2. Aufl.), ISBN 3-88042-202-8. (Inhaltsverzeichnis)
  • Ernst Schlee: Schleswig-holsteinisches Volksleben in alten Bildern. Flensburg 1968 (Kunst in Schleswig-Holstein; 13), S. 25–29, Abb. Nr. 41, 42, 43, farbige Abb. Nr. VI.
  • Momme Nissen: Zum achtzigsten Geburtstag Karl Ludwig Jessens. In: Die Heimat. Bd. 23 (1913), Nr. 2, Februar 1913, S. 33–39 (Digitalisat).
  • Momme Nissen: Carl Ludwig Jessen – Friesische Heimatkunst. Mappe mit Begleitheft und 24 Reproduktionen. Max Hansens Verlag, Glückstadt o. J. [1913?].

Weblinks

Commons: Carl Ludwig Jessen – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen. Heide 1983, S. 94.
  2. Stiftung Nordfriesland: Gemaltes Nordfriesland. Husum 1983, S. 5.
  3. Stiftung Nordfriesland: Gemaltes Nordfriesland. Husum 1983, S. 6.
  4. Stiftung Nordfriesland: Gemaltes Nordfriesland. Husum 1983, S. 24–25.
  5. Auf den Spuren des Deezbüller Malers Momme Nissen. Husumer Nachrichten, abgerufen am 6. September 2021.
  6. Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen. Heide 1982, S. 94.
  7. Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen. Heide 1982, S. 46.
  8. Museen Nord: Friesisches Thinggericht. 1875, abgerufen am 7. September 2021.
  9. Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen. Heide 1982, S. 53 (farbige Abb.).
  10. Hamburger Morgenpost: Als das Altonaer Museum ausbrannte. 2014, abgerufen am 7. September 2021.
  11. Ulrich Schulte-Wülwer: Schleswig-Holstein in der Malerei des 19. Jahrhunderts. Heide 1980, S. 28.
  12. Stiftung Nordfriesland: Gemaltes Nordfriesland. Husum 1983, S. 32.
  13. Ulrich Schulte-Wülwer: Schleswig-Holstein in der Malerei des 19. Jahrhunderts. Heide 1980, S. 28.
  14. Deezbüller Turmhaus. Nordfriesisches Friedhofswerk, abgerufen am 7. September 2021.
  15. Grabstein Jessen. Nordfriesischen Friedhofswerk, abgerufen am 7. September 2021 (Foto der Grabstätte Familie Carl Ludwig Jessen, Friedhof der Apostelkirche Deezbüll).
  16. Große Berliner Kunstausstellung, 1901 (Katalog): Katalog S. 40. In: Heidelberger historische Bestände – digital. 2. März 2023, abgerufen am 21. April 2023.
  17. Stiftung Nordfriesland: Gemaltes Nordfriesland. Husum 1983, S. 16.
  18. Museen Nord: Die Mutter. 1863, abgerufen am 8. September 2021.
  19. Museen Nord: Dörns in Klockries. 1866, abgerufen am 8. September 2021.
  20. Museen Nord: Bei Jürn Moritzen. 1866, abgerufen am 8. September 2021.
  21. Museen Nord: Momme Nissens Vater. Abgerufen am 8. September 2021.
  22. Mussen Nord: Blaue Stube. 1912, abgerufen am 7. September 2021.
  23. Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen. Heide 1982, S. 61 (farbige Abb.).
  24. Jürgen Hoffmann: Carl Ludwig Jessen. Heide 1982, S. 12 (farbige Abb.).

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