Bollenhut
Als Bollenhut wird ein Strohhut bezeichnet, der seit etwa 1800 zur Tracht der evangelischen Frauen in den drei benachbarten Schwarzwalddörfern Gutach, Kirnbach und Hornberg-Reichenbach im Ortenaukreis gehört. Die drei Dörfer gehörten zum Herzogtum Württemberg und waren damit seit 1534 evangelisch, die anderen Gemeinden des Kinzigtals blieben katholisch. In den drei armen Dörfern wurde die Hutmacherei zur Arbeitsbeschaffung eingeführt.[1]
Mit seinen aufgesetzten Bollen aus Wolle wurde der malerisch aussehende rote Bollenhut zu einem Symbol des gesamten Schwarzwaldes, obwohl er dort an sich nur in einem relativ kleinen Gebiet verbreitet ist.
Aussehen und Herstellung
Der ursprünglich etwa 500 Gramm schwere Bollenhut kann heute bis zu 2 Kilogramm schwer sein und wird von Hutmacherinnen in Handarbeit gefertigt. Die Herstellung der Bollen ist eine einfache Bastelarbeit. Um eine mittig gelochte runde Kartonscheibe wird Wollgarn gewickelt und danach rundherum aufgeschnitten. Der breitkrempige, weißgekalkte Strohhut trägt 14 auffallende, kreuzförmig angeordnete Bollen aus Wolle. Sichtbar sind aber nur 11 Bollen, weil 3 von darüberliegenden verdeckt werden. Die Bollen haben fünf unterschiedliche Größen.[2]
Symbolik und Trageweise
Eine Bedeutung der Bollen und deren Anzahl ist nicht bekannt; der Verweis auf die vierzehn Nothelfer erscheint wenig plausibel, da die Bollenhüte aus evangelischen Gemeinden stammen und die Bollenhüte erst nach der Reformation am Ende des 18. Jahrhunderts belegt sind.[3] Bei unverheirateten Frauen sind die Bollen rot, bei verheirateten schwarz. Den roten Bollenhut dürfen die Mädchen erstmals bei der Konfirmation tragen. Unter dem Bollenhut wird eine schwarze seidene Haube getragen, die unter dem Kinn gebunden wird. Kleine Mädchen und alte Frauen tragen nur die Haube.
Bollenhut als Teil der Volkstracht
Mittlerweile wird der Bollenhut und die zugehörige Tracht noch an Festtagen und bei Brauchtumsveranstaltungen getragen. Ganzjährig zu besichtigen ist der Bollenhut mit dazugehöriger Tracht z. B. im Schwarzwälder Trachtenmuseum in Haslach im Kinzigtal.
Verbreitung als Symbol des Schwarzwalds
Ende des 18. Jahrhunderts assoziierte man mit der Schwarzwälder Tracht neben verschiedenen Hauben den in der Grafschaft Hauenstein gebräuchlichen Schühut und den Gupfhut. Diese durch mehrere Stichfolgen europaweit bekannt gewordenen Hutformen wurden bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein abgelegt. Die ersten bildlichen Belege eines Vorläufers des Bollenhutes finden sich um 1820 in der Schreiberschen Bildserie auf einer Darstellung des Hammeltanzes in Hornberg und um 1840 bei Joseph Bader.[4] 1841 veröffentlichte Théodore Valerio nach einer Studienreise durch den Schwarzwald bei den Fréres Gihaut in Paris eine Lithografie mit einem Paar in Tracht aus Hornberg, die erstmals in Frankreich eine frühe Variante des Bollenhutes zeigte. Ende der 1850er Jahre entdeckte der Straßburger Illustrator und Zeichner Charles Lallemand die Gutacher Tracht mit dem ausgefallenen Bollenhut, die er 1860 in dem Trachtenwerk Paysans badois veröffentlichte. In der von Lallemand zusammen mit dem Fotografen Ludovico Wolfgang Hart herausgegebenen Galerie universelle des peuples wurden die ersten 1864 vor Ort entstandenen Fotografien der Gutacher Tracht mit dem Bollenhut und der inzwischen in Vergessenheit geratenen originalen Männertracht veröffentlicht. Nachdem Gutach 1873 an die Badische Schwarzwaldbahn angeschlossen wurde, ließen sich dort Künstler wie Wilhelm Hasemann, Curt Liebich und Fritz Reiss nieder, die die Gutacher Künstlerkolonie bildeten. Sie entdeckten die Gutacher Tracht als künstlerisches Sujet, ihre Werke fanden massenhafte Verbreitung und prägten das Bild des Schwarzwalds. Wie der Heimatschriftsteller Heinrich Hansjakob waren sie Teil einer badischen Volkstrachtenbewegung. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde insbesondere Hasemanns Bild Nach dem Kirchgang, das Bollenhut-Trägerinnen zeigte, über illustrierte Zeitschriften und Bildpostkarten weit publiziert.[5]
Großherzogin Luise von Baden trug den Bollenhut während ihrer Schwarzwaldbesuche in den 1860er Jahren und machte ihn dadurch populär.[6] Die Bekanntheit des Bollenhuts als fälschlicherweise allgemein schwarzwaldtypisch stieg nach einer zwischenzeitlichen Verdrängung ab 1911 durch die Heimatfilme der 1950er- und 1960er-Jahre, insbesondere dem Schwarzwaldmädel aus dem Jahr 1950 mit Sonja Ziemann. Dieser erste deutsche Farbfilm der Nachkriegszeit gehörte mit geschätzten 15 Millionen Zuschauern zu den erfolgreichsten deutschen Filmen überhaupt. 1950 und 1982 versuchten die drei Ursprungsgemeinden vergeblich, den Bollenhut durch eine Patentanmeldung und durch Vorstöße bei der Landesregierung die Verwendung des Bollenhutes auf die engere Region zu begrenzen.[7]
Literatur
- Heinz Schmitt: Die Bollenhuttracht. Entwicklung, Pflege, Vermarktung. In: Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden. 69. Jahresband. 1989, S. 440–458 (Digitalisat)
- Ansgar Barth: Die Gutacher Tracht. In: 700 Jahre Gutach. 1275-1975. S. 29–33.
- Doris Schmidt: Schwarzwald – roter Bollenhut – Tracht und Marke. (= Kleidungskulturen der Welt. Band 3). Baltmannsweiler, 2015, ISBN 978-3-8340-1414-6
- Ludwig Vögely: Emma Falk-Breitenbach, der letzten Bollenhutmacherin zum 75. Geburtstag. In: Ekkart. Jahrbuch für das Badner Land. 1972, S. 175–178.
- Erik Turnwald: Die Kirnbacher Ortstracht. In: 700 Jahre Kirnbach, 1275-1975. S. 43–47.
- Heinz Schmitt: Der Bollenhut – ein Exempel. In: Volkstracht in Baden: ihre Rolle in Kunst, Staat, Wirtschaft und Gesellschaft seit 2 Jahrhunderten. Badenia Verlag, Karlsruhe 1988, ISBN 3-7617-0248-5, S. 123–135.
- J.-L. Debionne, T. Meissner: Die schönsten deutschen Trachten. Süddeutscher Verlag, München 1987, ISBN 3-7991-6379-4, S. 29.
- Brigitte Heck: Ein Hut macht Karriere. In: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Baden! 900 Jahre – Geschichten eines Landes. Info-Verlag, Karlsruhe 2012, ISBN 978-3-937345-56-7, S. 256.
- Ein Gruß aus dem Schwarzwald. Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Gutach- und Kinzigtal (Hrsg.), Karlsruhe o. J. (1894).
- Albert Reinhardt, Eugen Falk: Der Gutacher Bollenhut. Farblichtbildreihe V 5. Begleitheft. Landesbildstelle Baden, Karlsruhe 1968
- Curt Liebich: Die Trachten des Kinziggaues. In: Ekkart. Kalender für das Badner Land. Band 2, 1921, S. 37–55. (PDF)
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Uli Fricker: Modenschau mit Martin Luther. In: „Südkurier“, 9. September 2017.
- ↑ Katja Marx: Mit roten Kugeln - Der Schwarzwälder Bollenhut ist in Gefahr. DIE ZEIT, 5. März 1993, abgerufen am 28. Juni 2017.
- ↑ Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (Hrsg.): Spuren der Reformation in Baden-Württemberg. ISBN 978-3-935983-69-3, S. 20–21.
- ↑ Heinz Schmitt: Der Bollenhut - Ein Exempel. In: Volkstracht in Baden: ihre Rolle in Kunst, Staat, Wirtschaft u. Gesellschaft seit 2 Jh. Badenia Verlag, Karlsruhe 1988, S. 124f.
- ↑ Brigitte Heck: Ein Hut macht Karriere. In: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Baden! 900 Jahre – Geschichten eines Landes. Info-Verlag, Karlsruhe 2012, ISBN 978-3-937345-56-7, S. 256 (Katalog zur Großen Landesausstellung)
- ↑ Heinz Schmitt: Der Bollenhut - Ein Exempel. In: Volkstracht in Baden: ihre Rolle in Kunst, Staat, Wirtschaft u. Gesellschaft seit 2 Jh. Badenia Verlag, Karlsruhe 1988, S. 125.
- ↑ Heinz Schmitt: Der Bollenhut - Ein Exempel. In: Volkstracht in Baden: ihre Rolle in Kunst, Staat, Wirtschaft u. Gesellschaft seit 2 Jh. Badenia Verlag, Karlsruhe 1988, S. 133f.
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Ludovico Wolfgang Hart, getintete Fotographie aus der Galerie universelle des Peuples N° 46: Gutacher Tracht, 1864
Lediges schwarzwälder Paar bei Hornberg. Kolorierte Bleistiftzeichnung von R. Bonehuyt nach Théodore Valerio, 1841. Vergl. die bei Gihaut fréres 1841 veröffentlichte Lithografie nach Théodore Valerio mit dem Titel: "La Conversation", zu der diese Zeichnung vermutlich die Vorlage bildete.
Autor/Urheber: Tournachon, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Extras wearing Black Forest tracht and Bollenhut at an outdoor museum in Gutach